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Dreizehn Jahre Trinkgeld

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28.01.2005
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Dreizehn Jahre Trinkgeld

Dreizehn Jahre lang hatte ich gewartet. Dreizehn lange Jahre. Ich habe mir oft überlegt welch seltsames Spiel das Schicksal mit einem treibt. Weshalb kam alles so wie es gekommen ist? Wäre all dies vielleicht nicht passiert wenn ich dem Taxifahrer ein Trinkgeld gegeben hätte? Wenn man zu lange über solche Fragen nachdenkt, verliert man das Gefühl für das Wesentliche. Ich hatte es verloren.

Wir sind da. Das macht dann 43 Mark und 40 Pfennige.

Ich entschloss mich dem Taxifahrer kein Trinkgeld zu geben, schließlich hatte er zwei rote Ampeln überfahren und ist einen kleinen jedoch spürbaren Umweg gefahren. Wenn man ein Taxi in einer Stadt nimmt, in der man sich zu gut auskennt, ist man geneigt alles etwas penibler zu sehen.

Herr Figot, können Sie mich verstehen?

Ich öffnete die Augen. Verschwommen konnte ich die Kontur eines Mannes wahrnehmen. Er schien auf mich herabzublicken. Ich war nicht in der Lage zu antworten und beschloss einmal zu zwinkern. Es tat höllisch weh. Ich versuchte meinen rechten Arm zu heben, doch der Impuls den mein Hirn aussenden sollte, schien sein Ziel nicht zu erreichen. Langsam drehte ich meinen Kopf und musste feststellen, dass ich entgegen meiner ersten Befürchtung den rechten Arm noch besaß. Ich schlief ein.

Herr Figot? Herr Figot? Sie müßen aufwachen.

Es stellte sich heraus, dass ich in einem Krankenhaus war. Der Arzt meinte man hätte mich bewusstlos in einem Waldstück in der Nähe eines Autobahnrastplatzes gefunden. Ich konnte mich nicht daran erinnern was geschehen war. Später beschloss ich das Krankenhaus zu verlassen. Etwas wackelig auf den Beinen aber fest entschlossen nach Hause zu gehen, quälte ich mich in den Fahrstuhl. Ich verließ das Krankenhaus über den Lieferanteneingang. Nach Hause. Eine Telefonzelle schien sich hinter einem Rhododendronbusch verstecken zu wollen. Ich nahm den Hörer in die Hand und begann zu wählen.

Arkadenweg 17 bitte. Fahren Sie bitte über die Mariannengasse, ich muss noch etwas in der Reinigung abholen.

Ich stieg in das Taxi und lehnte mich zurück. Eigentlich hätte der Fahrer hier rechts abbiegen müssen, aber er zog es vor einen kleinen Umweg in Kauf zu nehmen, in der Hoffnung ich würde es nicht merken. Ich ließ mir nichts anmerken. Im Radio lief dieser alte Song den ich schon seit Jahren nicht mehr gehört hatte. Das letzte mal vor dreizehn Jahren. Es war auf dem Abschlussball meines Tanzkurses, bei dem ich Maria kennen lernte. Sie hatte goldenes, langes Haar und ein Lächeln, dass ein Mann nur schwer vergessen konnte. Mir kam es seltsam vor, dass ich den Song solange nicht mehr gehört hatte.

Können Sie hier bitte kurz halten?

Ich fuhr rechts ran. Mein Fahrgast verließ das Taxi und kam kurz darauf mit einem Anzug in der Hand aus der Reinigung. Ich setzte den Blinker und fuhr weiter. Irgendetwas schien Ihn zu erfreuen, denn er lächelte die ganze Zeit so seltsam. Ich beschloss etwas schneller zu fahren, denn irgendwie war er mir unheimlich. Zweimal überfuhr ich eine rote Ampel, aber er schien es gar nicht zu bemerken.

Wir sind da. Das macht dann 43 Mark und 40 Pfennige.

Er gab nicht einmal Trinkgeld, dieser Knauser. Solche Typen konnte ich auf den Tod nicht ausstehen. Mit quietschenden Reifen fuhr ich los. Ich drehte das Radio lauter um auf andere Gedanken zu kommen.

....wurde heute Morgen in einem Waldstück in der Nähe des Autobahnrastplatzes Ob der Tauber ein bewusstloser Mann gefunden. Die Polizei wollte wegen der laufenden Ermittlungen keine näheren Angaben machen. Der Mann ist kurz darauf aus dem Krankenhaus verschwunden.

Ich lief und lief. Der Schlamm unter meinen Schuhen brachte mich mehrmals beinahe dazu zu stürzen. Ich erreichte den Rastplatz und versteckte mich in einem Waldstück in der Nähe. Dreizehn lange Jahre hatte ich darauf gewartet. Dreizehn lange Jahre. Ich war vom Regen durchnässt und fest entschlossen heute ein für allemal alles zu beenden. Langsam schlich ich mich an Ihn heran. Als er mich erblickte war er starr vor Schreck. Doch dann, wie aus heiterem Himmel, begannen seine Augen zu leuchten. Wir umarmten uns. Dreizehn Jahre hatten wir uns nicht mehr gesehen. Dreizehn lange Jahre. Ich konnte nicht verzeihen. Ich nahm die Spritze und injizierte ihm das Gift. Langsam sackte er zu Boden. Seine Augen waren weit aufgerissen und er starrte mich an. Ich musste weinen. Aber er hatte mir kein Trinkgeld gegeben. Dreizehn Jahre lang. Ich zog meine Kapuze über und versteckte mein goldenes Haar. Es war endlich vorbei.

 

Hallo PatteUndercover

Also ich muss zugeben, dass ich hier nicht ganz mitgekommen bin, und dass liegt bestimmt nicht an dem gut lesbaren Schreibstil.
Aber da gibt es einen Perspektivwechsel mitten im Text ohne Ankündigung, außerdem wurde ich noch zusätzlich durch die Verwurstelung des Zeitablaufes verwirrt. Erfüllen diese Stilmittel eigentlich noch einen anderen Zweck?
Und dann taucht zum Schluss zu allem Überfluss auch noch Maria auf.

Sicher eine interessante Rätselgeschichte, aber wenn ich als Leser die Lösung nicht finde, nicht einmal erahne, ist die Story für mich natürlich unbefriedigend.

Grüße
Sturek

 

Hi

die Geschichte ist meiner Meinung nach wirklich gut. Ich werde sie noch ein paar mal lesen, damit ich auch tatsächlich dahinter komme.

Eine Frage: Sollen die "Perspektivwechsel mitten im Text ohne Ankündigung" und die "Verwurstelung des Zeitablaufes" eine an sich einfache Geschichte so umformen, dass der Leser vor ein Rätsel gestellt wird oder erfüllen sie einen anderen Zweck. Das würde ich wirklich gerne wissen (selbst wenn sie gar keinen Zweck erfüllen sollten).

Viel Spass noch,
lilovl

 

Hallo!
Mein erster Gedanke: wow!
Jedoch, lass mich erklären: Sehr schön hat mir gefallen, wie die Erzählperspektive wechselt. Das hast du echt gut hinbekommen, so dass man merkt um wen es sich handelt, aber es dennoch einen flüssigen Übergang hat.
Hevorzuheben auch: die unterschiedlichen Erzählstile der Protagonisten.
Die Idee ist mit "Wäre all dies vielleicht nicht passiert wenn ich dem Taxifahrer ein Trinkgeld gegeben hätte?" eigentlich schon vollkommen erklärt und dennoch erreichst du bis zum letzten Satz eine Spannung im Geschehen. Es geht dir nicht um irgendwelche Grausamkeiten, oder um die Intension, das wirkt sich sehr Positiv auf die Erzählweise aus.
Ich hab beim Lesen ständig an philosophischen Determinismus denken müssen und die Frage um Schicksal. Auch kurz an die Chaostheorie und den Film Butterfly-Effekt.
Gruß Sam!

 

Hi Sturek,
sicher gibt es einen Perspektivenwechsel ohne Ankündigung. Was hätte ich schreiben sollen? Ich wechsel mal schnell die Perspektive? Da du ihn ja bemerkt hast, hat es doch funktioniert. :-) Sicherlich gibt es Verwustelungen im Zeitablauf, dafür habe ich ein Faible entwickelt, dass du dem ganzen nicht folgen konntest tut mir leid. Ich bin der Meinung eine Geschichte lässt nie nur eine einperspektivische Betrachtung zu, sie sollte vielmehr einen gewissen Interpretationsspielraum bieten. Dass das nicht immer funktioniert und auch nicht bei jedem liegt meines erachtens in der NAtur der Sache. Es wird weitere Geschichten von mir geben und ich hoffe da ist dann auch eine für dich dabei. :-) Warten wirs ab. Liebe Grüße.

 

lilovl schrieb:
Hi


Eine Frage: Sollen die "Perspektivwechsel mitten im Text ohne Ankündigung" und die "Verwurstelung des Zeitablaufes" eine an sich einfache Geschichte so umformen, dass der Leser vor ein Rätsel gestellt wird oder erfüllen sie einen anderen Zweck. Das würde ich wirklich gerne wissen (selbst wenn sie gar keinen Zweck erfüllen sollten).

lilovl


Hallole lilovl,
der Perspektivenwechsel verfolgt sicherlich ein Ziel, die Verwustelungen des Zeitablaufs dienen wie du schon vermutet hast eher dazu die Geschichte spannender zu machen. Es ist meiner Meinung nach ein geeignetes Stilmittel, will ja schließlich keinen Zeitungsbericht verfassen ;-) Und danke für das Lob.

 

Hallo SamCaracha,
vielen Dank für das Lob. Ich habe mich sehr darüber gefreut. Was soll ich noch sagen? Einfach Danke.

 

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