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Dreizehn Jahre Trinkgeld
Dreizehn Jahre lang hatte ich gewartet. Dreizehn lange Jahre. Ich habe mir oft überlegt welch seltsames Spiel das Schicksal mit einem treibt. Weshalb kam alles so wie es gekommen ist? Wäre all dies vielleicht nicht passiert wenn ich dem Taxifahrer ein Trinkgeld gegeben hätte? Wenn man zu lange über solche Fragen nachdenkt, verliert man das Gefühl für das Wesentliche. Ich hatte es verloren.
Wir sind da. Das macht dann 43 Mark und 40 Pfennige.
Ich entschloss mich dem Taxifahrer kein Trinkgeld zu geben, schließlich hatte er zwei rote Ampeln überfahren und ist einen kleinen jedoch spürbaren Umweg gefahren. Wenn man ein Taxi in einer Stadt nimmt, in der man sich zu gut auskennt, ist man geneigt alles etwas penibler zu sehen.
Herr Figot, können Sie mich verstehen?
Ich öffnete die Augen. Verschwommen konnte ich die Kontur eines Mannes wahrnehmen. Er schien auf mich herabzublicken. Ich war nicht in der Lage zu antworten und beschloss einmal zu zwinkern. Es tat höllisch weh. Ich versuchte meinen rechten Arm zu heben, doch der Impuls den mein Hirn aussenden sollte, schien sein Ziel nicht zu erreichen. Langsam drehte ich meinen Kopf und musste feststellen, dass ich entgegen meiner ersten Befürchtung den rechten Arm noch besaß. Ich schlief ein.
Herr Figot? Herr Figot? Sie müßen aufwachen.
Es stellte sich heraus, dass ich in einem Krankenhaus war. Der Arzt meinte man hätte mich bewusstlos in einem Waldstück in der Nähe eines Autobahnrastplatzes gefunden. Ich konnte mich nicht daran erinnern was geschehen war. Später beschloss ich das Krankenhaus zu verlassen. Etwas wackelig auf den Beinen aber fest entschlossen nach Hause zu gehen, quälte ich mich in den Fahrstuhl. Ich verließ das Krankenhaus über den Lieferanteneingang. Nach Hause. Eine Telefonzelle schien sich hinter einem Rhododendronbusch verstecken zu wollen. Ich nahm den Hörer in die Hand und begann zu wählen.
Arkadenweg 17 bitte. Fahren Sie bitte über die Mariannengasse, ich muss noch etwas in der Reinigung abholen.
Ich stieg in das Taxi und lehnte mich zurück. Eigentlich hätte der Fahrer hier rechts abbiegen müssen, aber er zog es vor einen kleinen Umweg in Kauf zu nehmen, in der Hoffnung ich würde es nicht merken. Ich ließ mir nichts anmerken. Im Radio lief dieser alte Song den ich schon seit Jahren nicht mehr gehört hatte. Das letzte mal vor dreizehn Jahren. Es war auf dem Abschlussball meines Tanzkurses, bei dem ich Maria kennen lernte. Sie hatte goldenes, langes Haar und ein Lächeln, dass ein Mann nur schwer vergessen konnte. Mir kam es seltsam vor, dass ich den Song solange nicht mehr gehört hatte.
Können Sie hier bitte kurz halten?
Ich fuhr rechts ran. Mein Fahrgast verließ das Taxi und kam kurz darauf mit einem Anzug in der Hand aus der Reinigung. Ich setzte den Blinker und fuhr weiter. Irgendetwas schien Ihn zu erfreuen, denn er lächelte die ganze Zeit so seltsam. Ich beschloss etwas schneller zu fahren, denn irgendwie war er mir unheimlich. Zweimal überfuhr ich eine rote Ampel, aber er schien es gar nicht zu bemerken.
Wir sind da. Das macht dann 43 Mark und 40 Pfennige.
Er gab nicht einmal Trinkgeld, dieser Knauser. Solche Typen konnte ich auf den Tod nicht ausstehen. Mit quietschenden Reifen fuhr ich los. Ich drehte das Radio lauter um auf andere Gedanken zu kommen.
....wurde heute Morgen in einem Waldstück in der Nähe des Autobahnrastplatzes Ob der Tauber ein bewusstloser Mann gefunden. Die Polizei wollte wegen der laufenden Ermittlungen keine näheren Angaben machen. Der Mann ist kurz darauf aus dem Krankenhaus verschwunden.
Ich lief und lief. Der Schlamm unter meinen Schuhen brachte mich mehrmals beinahe dazu zu stürzen. Ich erreichte den Rastplatz und versteckte mich in einem Waldstück in der Nähe. Dreizehn lange Jahre hatte ich darauf gewartet. Dreizehn lange Jahre. Ich war vom Regen durchnässt und fest entschlossen heute ein für allemal alles zu beenden. Langsam schlich ich mich an Ihn heran. Als er mich erblickte war er starr vor Schreck. Doch dann, wie aus heiterem Himmel, begannen seine Augen zu leuchten. Wir umarmten uns. Dreizehn Jahre hatten wir uns nicht mehr gesehen. Dreizehn lange Jahre. Ich konnte nicht verzeihen. Ich nahm die Spritze und injizierte ihm das Gift. Langsam sackte er zu Boden. Seine Augen waren weit aufgerissen und er starrte mich an. Ich musste weinen. Aber er hatte mir kein Trinkgeld gegeben. Dreizehn Jahre lang. Ich zog meine Kapuze über und versteckte mein goldenes Haar. Es war endlich vorbei.