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Dreizehn Kacheln oder: Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet

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23.06.2001
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Dreizehn Kacheln oder: Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet

Dreizehn Kacheln oder: Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet


Als es laut wurde und alle sich erhoben, stand auch er auf. Krampfhaft presste er seine schweißigen Hände zusammen. Sein Blick wanderte vom Klettverschluss seiner schwarzen Schuhe über den Fußboden nach vorne bis zur Kante. Er zählte die Kacheln. Von ihm bis zum Podest waren es dreizehn, das wusste er mittlerweile. Aber was sollte er sonst zählen. Auf dem Boden vor ihm war kaum etwas anderes von Interesse.
In diesem ruhigen Moment spielerischer, elementarer Mathematik platzte der dumpfe Alt seiner Schwester. Alle um ihn herum hatten angefangen zu singen. Aufgeschreckt drehte er sich um und griff nach dem Gesangbuch. Hastig fuhr er wieder herum. Wie im Daumenkino raste sein Blick durch die Seiten.
„Mama, wo denn?“
Seine Mutter griff ruppig nach dem Buch, schlug es auf, blätterte und gab es ihm zurück. Er griff es sich, senkte den Kopf wieder. Kaum merklich begann er seine Lippen zu bewegen – ohne allerdings Töne zu erzeugen. Zumindest las er mit und seine Lippen formten Worte. Dann Zahlen. Neun, zehn, elf, zwölf. Es waren immer noch dreizehn Kacheln. Ob dieser Erkenntnis oder aus Unachtsamkeit entglitt das Gesangbuch seinen feuchten Händen und klatschte auf Kachel Nummer eins; sein Kopf: ein Feuermelder. Erschrocken schaute er hinter sich. Aber niemand hatte das Missgeschick mitbekommen. Fast.
„Basti!“
Kurz, dafür kraftvoll packte seine Mutter seinen Arm. Schnell wollte er das Gesangbuch wieder aufheben, stieß aber mit dem Fuß dagegen. Er musste einen Schritt nach vorne machen.
„Hör jetzt auf! Benimm Dich endlich anständig!“
Das Lied war aus. Mühselig fingerte er in seinen Kragen und versuchte ihn zu weiten. Für einen Augenblick wurde es laut als alle wieder auf den Bänken Platz nahmen. Er gab auf, wischte sich nur kurz über die schimmernde, schmierige Stirn.
„Mama, mir ist so warm.“
Sie hörte ihn nicht. Ihre Ohren hatten sich in den Armen von Papa vergraben. Sie heulte hemmungslos. Und ihre Tränen ließen aus „warm“ ein „heiß“ werden. Basti drehte sich um. Ein Hilfe suchender Blick zur Schwester. Die hatte aber nur Augen und Ohren für den Pfarrer. Wieder zur Mama. Er atmete schwer.
„Ach ich mach einfach das Jackett hier vorne auf. Dann ist`s schon gar nicht mehr so warm, Mama. Mama?“
Minutenlang stierte er auf die Kacheln. Ohne sie zu zählen.

Irgendwann stand die erste Reihe auf und verließ langsam die Kirche. Auch Basti. Dabei war jeder seiner Schritte eine abgeschlossene Bewegung. Er konzentrierte sich auf jeden Einzelnen. Bis seine Schwester seine Hand nahm.
Draußen schaute er wie alle dem Sarg hinterher. Aber nur bei ihm formten die aufgerissenen Augen die Augenbrauen zu einem flachen M der Verwunderung.
„Was ist da drin?“
Seine Schwester kniete sich hinter ihn und legte ihre Arme um ihren Bruder.
„Opa.“
Seine Augenbrauen: ein spitzes V der Ratlosigkeit. Er drehte sich um.
„Was macht Opa denn da drin?“
Behutsam schob ihn seine Schwester wieder herum und hielt ihn von hinten fest.
„Opa schläft, Basti.“
„Aber wie kommt Opa da wieder raus, wenn er aufwacht?“
„Gar nicht. Opa schläft für immer. Er wird nicht wieder aufwachen.“
Ihr Griff lockerte sich. Als sie aufstand, ging Basti ein paar Schritte nach vorne. Näher zu dem Auto, in das der Sarg geschoben wurde. Er schob seinen Kopf leicht vor, drehte ihn zur Seite. Dann schnellte er herum und rief nach seiner Schwester.
„Ist er wirklich so müde?“


© 2005 by Maxinho

 

Hi Maxinho,

mensch, jetzt ist mein Kommentar verschwunden. Okay, nochmal von vorne.

Man merkt deiner Geschichte an, dass es nicht deine erste ist. Dein Stil liest sich flüssig und angenehm.

Gestört hat mich, dass du die Anrede "Du" oder "Dich" immer groß geschrieben hast. Das wird, wenn überhaupt, nur in Briefen so gemacht.

Inhaltlich hat´s mir nicht so gut gefallen. Hauptsächlich deswegen, weil ich es für total unrealistisch halte, dass der Junge gar keine Infos hat. Ich meine, man versucht doch selbst kleinen Kindern den Tod eines Menschen zu erklären. Sicherlich können Kinder sich nicht unbedingt etwas darunter vorstellen und begreifen erst im Laufe der Zeit. Dein Prot. hingegen hat keine Ahnung, was sie in der Kirche machen und da er schon zählen kann, scheint er so klein nicht mehr zu sein.
Eine Lösung wäre für mich, dass er zwar weiß, dass sein Opa tot ist, dass seine Eltern/Schwester deswegen sehr traurig ist, aber dass er nicht genau weiß, was das bedeutet und vielleicht auch nicht versteht, warum alle so traurig sind. Klar werden könnte es ihm in dem Moment, als er den Sarg sieht. (Das ist jetzt natürlich nur als Vorschlag zu verstehen).
Wie gesagt: Momentan gefällt sie mir inhaltlich nicht, aber ich denke doch, dass noch Potential in deiner Geschichte steckt.

LG
Bella

 

Ciao Bella,

danke, dass du meine Geschichte gelesen hast. :)

Die Sache mit der Anrede habe ich mir so angewöhnt. Kommt jetzt hier zwar nur einmal vor, aber wenn es tatsächlich als störend empfunden wird, lass ich das Groß-Geschreibe in Zukunft.

Deiner Abneigung bzgl. des Inhalts kann ich jetzt wenig entgegen setzen. Muss ich ja auch nicht. Wieviel einem Kind in Bezug auf Themen wie Tod erklärt wird, variiert meiner Erfahrung nach stark zwischen verschiedenen Familien.

Ziel des Ganzen war es aber schon, Basti so darzustellen, dass er mit dem Thema Tod wenig bis nichts anfangen kann und das Ereignis Beerdigung dementsprechend eigen durchlebt.

Eigentlich sollte diese KG Teil einer längeren KG mit verschiedensten Ansätzen zum Thema Tod werden. Leider fehlt mir seit über einem Jahr die Zeit und die Motivation zum ausgiebigen Schreiben. Daher jetzt diese Veröffentlichung.

Aber das alles nur nebenbei. Ich bin dann auch schon wieder weg und lass die Geschichte für sich stehen.

Ciao,
.maxinho

 

Hallo Maxinho,

auch wenn ich insbesondere das Motiv der KAcheln gelungen fand und das Bedürfnis von Kindern, sich mit etwas zu beschäftigen, muss ich Bella zustimmen. Ich finde es schlicht unglaubwürdig, dass eine Familie es darauf ankommen lässt, dass der Junge im Laufe der Beerdigung mitbekommt, was eigentlich los ist. Wie alt ist das Kind deiner Vorstellung nach? Kinder werden bereits von klein auf mit dem Tod konfrontiert, sei es in Geschichten, im Fernsehen, in Gestalt von Tieren... Immerhin lässt du den Jungen schon lesen können, also muss er mindestens sieben Jahr alt sein. Und wenn ein Kind tatsächlich von seinen Eltern nicht informiert wird, dass sein Opa gestorben ist - ist es dann wahrscheinlich, dass es mit auf die Beerdigung geht?

ICh weiß, meine Kritik geht an das Grundmotiv deiner Geschichte, aber es ist bei mir eben etwas unrealistisch angekommen.

Liebe Grüße,
Juschi

 

Sers Juschi,

auch dir schönen Dank, dass du meine Geschichte gelesen hast. :)

Nur schade, dass ich jetzt wohl nur noch "schade, schade" anfügen kann. Offenbar seht ihr das einfach anders als ich. Ich halte das Ganze eben nicht für unrealistisch. Sonst hätte ich es wohl auch nicht so geschrieben. :shy:

Zumal ich mir das nicht komplett ausgedacht habe. Ich habe mich an meine erste Beerdigung erinnert und ICH war währenddessen nicht voll auf der Höhe des Geschehens. Und ich war älter als sieben. Auf mich wirkte das Ganze sehr verstörend und auch wenn ich wusste, dass Opa gestorben war, wirkten alle Rituale rund um seinen Tod sehr befremdend auf mich.

Ist Realismus wichtiger als Wirkung? Oder funktioniert Letzteres auch nicht und die Story ist völlig misslungen?

.maxinho

 

Hi Maxinho,

so, jetzt melde ich mich auch nochmal zu Wort:

Dass ein Kind mit den Beerdigungsritualen nichts anfangen kann, dass es vielleicht auch überhaupt nicht begreift, was Tod heißt und was das für Konsequenzen hat klar, aber dein Prot. hat ja gar nichts davon mitbekommen.
Du müsstest ja nicht die ganze Geschichte umschreiben, es reicht ja, wenn du erwähnst, dass dein Prot. zumindest gehört hat, dass sein Opa tot ist.

Bei einer Geschichte wie dieser halte ich Realismus für sehr wichtig. Du erzählst dem Leser eine Geschichte, die aus dem Leben gegriffen ist. Wenn ich aber etwas an dieser Geschichte für absolut unrealistisch halte, dann verliert die Geschichte an Wirkung.

LG
Bella

 

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