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Dressman

Ray

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23.09.2001
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Dressman

Schon der Nachhauseweg regte Erna ansatzweise aut. Ein zappeliges, kleines Kind. Sie konnte ihr freudiges, erwartungsvolles Gesicht beobachten, wie es sich in den vorüberziehenden Schaufenstern spiegelte.
,,So viele schöne Sachen ... für mein klein´n Liebling ... Oh Mann, kann es kaum erwarten, alles auszuprobieren!" hätte man einige ihrer Gedankenfetzen in diesem Moment zusammenstellen können, um sie einigermaßen sinnvoll erscheinen zu lassen. Sie konnte es sich nicht verkneifen, kleine Hüpfer beim Gehen zu machen, obwohl einige Leute schon etwas befremdet hinsahen, als sie so vorbeiwippte.
,,Denken, was sie wollen!"
Die Trambahn schaffte es heute nicht mehr, ihr vor der Nase davonzufahren, was ihrer guten Laune durchaus zuträglich war.
,,Sonst verarscht mich die Scheiß-Tram immer ... heut' ist einfach ein ziemlich besonderer Tag irgendwie." sinnierte sie so vor sich hin.
Der Hauptgrund für Ernas Freudeschub war das Kreuzworträtsel in ihrer Lieblingszeitschrift. Nach mehreren Anläufen war ihre Lösung gezogen worden, was ihr am Morgen des Tages einen 3000.- Mark-Scheck eingehandelt hatte. Damit war sie sofort in die Stadt aufgebrochen, um ihrem liebsten Hobby zu frönen: Sie hatte Hüte mit riesigen Krempen gekauft, rosa Strampelanzüge mit Butterblumen drauf, Kleider in allen Varianten, mit Glitter, dezent, aufreizend, aber auch hübsche Anzüge mit Nadelstreifen. Ein Stück hatte sie besonders ins Herz geschlossen: eine blaue Marineuniform.
,,Militarylook und so ... Sieht sicher wahnsinnig zackig aus !" schwärmte sie laut.
Die umstehenden Trambahngäste, die diese Äußerung dummerweise nicht zuordnen konnten, überhörten sie deshalb einfach und brauchen deshalb auch hier nicht erwähnt zu werden. Die passenden Schuhe mußten natürlich auch noch her. Das Sortiment reichte von Puma-Turnschuhen bis hin zu schwarzen, lackledernen Salonschleichern. Die Stöckelschuhe mit den 20-cm-Absätzen fand sie besonders geil.
Erna stieg aus der Trambahn und schätzte das Gewicht ihres Einkaufs. Eigentlich kugelte er ihr fast die Schulter aus. Doch Erna war mittlerweile so aufgeregt, daß ihr das piepegal schien. Mit zittriger Hand öffnete sie die Haustür und warf ihren alten, abgenutzten Pelzmantel über den klapprigen Stuhl im Flur. Sie nahm die Tüten unter den Arm und betrat das Schlafzimmer. Im alten Lehnstuhl am Fenster saß regungslos und wie aus Porzellan ihre ganze Freude.
,,Da bist du ja, mein Püppchen! Mein Liebling, ich habe dir viele neue Sachen mitgebracht, die möchte ich gleich mit dir ausprobieren!" entfuhr es ihr wild. Nichts regte sich. Alle Gliedmassen blieben still in ihrer Position. Erna entleerte alle Kleider, Anzüge, Pullover und Jacken aus den Tüten auf das Bett und fing an, darin zu wühlen.
Jeder, der das ganze Zeug hätte sehen können, hätte ohne Widerspruch unterschrieben, daß Ernas Geschmack das Prädikat ,,fürchterlich" mehr als verdiente. Die Klamotten waren dermaßen häßlich, daß jeder Landstreicher mit einem Funken Stolz lieber nackt durch den Winter gezogen wäre, als einen dieser Fummel zu tragen. Ernas Zielsicherheit in Sachen bleischwerer Ladenhüter war einfach phänomenal! Erna wußte, wie man über ihren Geschmack dachte. Sie selber traute sich schon nicht mehr, sich so in der Öffentlichkeit zu zeigen, doch gerade deswegen liebte sie IHN dafür, daß er sich in diesem Zimmer alles anziehen ließ. Sie verkehrte sehr süßlich mit ihm, manchmal fuhr sie ihn an, wenn der Arm sich nicht so bog, wie sie es sich vorstellte. Sie besann sich dann aber jedes mal zurück auf ihren viel zu freundlichen Ton. Wenn sie ihm Kleider anzog, setzte sie ihm eine blonde Perücke auf und zwängte ihn in einen BH, den sie mit Socken ausstopfte.
Sie kombinierte begeistert verschiedene Hüte und Schuhe, ergänzte das ganze mit einem adretten Handtäschchen. Die kurzen Röcke schaute sie lange an ihm an, entschied sich dann aber doch, die Frauenklamotten beiseite zu legen, und den Marineanzug zu probieren. Sie wechselte flink die Roben; es schien, als würden sich die Gliedmaßen selbständig fügen..
Doch plötzlich geschah etwas Unerwartetes: Ihr alter, greiser Großvater kratzte seinen letzten kleinen Rest Verstand zusammen, der gegen die ständige Demütigung ankämpfte. Er artikulierte drei Worte, als Erna ihn gerade in die Uniformhose steckte:
,, Will - nicht - mehr."
Mit allerletzter Kraft hatte er den schweren Marmoraschenbecher, den er sowieso nie brauchte, vom Fensterbrett genommen. Die vor Schreck erstarrte Erna konnte nur noch kurz ihren Blick und den offenen Mund zu ihm wenden, bevor ihr der Aschenbecher über den Schädel zog. Sie fiel in sich zusammen, um nach einiger Zeit und wenigen Zuckungen in der eigenen Blutlache zu verenden. Ernas Großvater zog die Uniformhose hoch und schleppte sich mit dem Gehwagen in sein Krankenbett, das Erna, die nach seinem Schlaganfall für ihn sorgte, dort hatte aufstellen lassen.
Irgendwie war ihr eine Sicherung durchgeknallt. Um das Geläster der Leute über ihren schlechten Geschmack zu ersparen, fing sie an, ihn als Träger ihrer grausigen, stoffgewordenen Phantasien zu benützen. Jahr um Jahr. Er hielt immer still, um sich die letzte Kraft für den Augenblick aufzusparen, in dem er dem ganzen ein einigermaßen würdevolles Ende setzen könnte. Niemals hätten sie ihn in einem rosa Strampelanzug mit Butterblumen drauf finden sollen! Und jetzt war er da, dieser Augenblick. Jetzt könnten sie kommen und ihn in einer altehrwürdigen Marineuniform entdecken, mit der er in seinem Bett liegt: Die Polizei findet häßliche Kleider, Hüte, Schuhe und Accessoires. Und wenn sie sich davor genug gegraust haben, werden sie wohl auch Ernas Leiche erblicken. Doch nie wird jemand ahnen, daß all die Fetzen für ihn bestimmt waren, ein Geheimnis zwischen ihm und Erna selig.
Um sich also nicht mehr mit lästigen Fragen beschäftigen zu müssen und mit der Gewißheit, es würdevoll tun zu können, sagte er nie mehr ein Wort und zog seinen Verstand aus den weltlichen Geschehnissen zurück.

 

Hoppla, der Stil ist an einigen Stellen etwas holprig, und du solltest einige Absätze machen (besonders bei wörtlicher Rede), aber ansonsten fand ich diese Geschichte sogar ziemlich gut. Sie hat etwas, was vielen anderen Geschichten hier fehlt. Sie ist originell. Und das ist doch schon mal was.

 
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Mahlzeit!

Da gibt es noch ein paar Leichtsinnsfehler (Worte vergessen). Aber das führe ich auf Deine Aufregung zurück, die Du beim Schreiben dieser guten Geschichte hattest. Oder? Vermutlich war Dein Kopf schneller als Deine Finger über der Tastatur. Kenn ich, wenn es nur so sprudelt. Ist Dir gut gelungen und mit Sicherheit eine Szene aus der alltäglichen Einsamkeit.

Heiko
 
[Beitrag editiert von: Morphin, 14.11.2001 14:24]

 

Flüchtigkeitsfehler
 
[Beitrag editiert von: Webmaster, 14.11.2001 15:15]

 

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