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Thema des Monats Drunten

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07.02.2005
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Sor bleibt stehen und hebt die Glühblase höher. Ihr klarer gelber Schein bohrt ein Stück weit in den uralten Stollen hinein. Schmal und niedrig, selbst für Zwerge wie sie, die seit ihren Kindertagen in der Mine herumkriechen.
„Pass auf, Klumpfuß!“ Gan rempelt von hinten in Sor. Der Schaft seines geschulterten Hammers sticht schmerzhaft zwischen Sors Rückenwirbel. „Du kannst doch nicht einfach so stehenbleiben!“
Sor taumelt vorwärts. „Dann sperr eben dein Lid weiter auf, Einauge!“ Um ein Haar hätte er die Glühblase fallenlassen. „Dann könntest du auch sehen, dass es da vorne wieder aufwärts geht.“
„Was gibt es?“ Hinter Gan schält sich eine breite, massige Gestalt mit zwischen die Schultern gezogenem Kopf aus der Finsternis. „Machen wir nun Brotzeit? Und wie lange ist es noch bis Schichtende?“
„Luf! Dein Verstand überstrahlt heute unsere Glühblase.“ Gan schlägt sich die freie Hand mit drei Fingern und zwei Stumpen gegen die Stirn. „Erinnere dich bitte, dass wir Brotzeit vor Ewigkeiten hatten. Auch Schichtende ist längst vorbei. Aber wir haben kurz davor diesen verschütteten Tunnel hier entdeckt und beschlossen, ihn zu erkunden. Seitdem zwängen wir uns durch diesen Steindarm auf der Suche nach ein paar vergessenen Silberkrumen.“
Luf stützt sich mit einer Hand auf seine Spitzhacke. „Ja, du hast recht! Jetzt entsinne ich mich wieder.“ Mit der anderen Hand fährt er über die kahle, unregelmäßige Hälfte seines Schädels, wo er als Halbwüchsiger in einem Wetterschacht von einem herabfallenden Felsbrocken getroffen wurde. „Und haben wir welche gefunden? Silberkrumen?“
Sor stößt den Atem aus. „Nein, Luf.“ Er hebt seine Stimme. „Und nun hört doch mal zu. Da vorn führt der Tunnel nach oben. Wir haben seinen Eingang ziemlich weit unten in der Mine gefunden. Und bis hierher ging es die ganze Zeit abwärts. Ich glaube, wir sind an einem Tiefpunkt. Vielleicht ist das gar kein gehauener Stollen, sondern ein natürlicher Höhlenspalt. Und wir sind tiefer drunten als irgendeiner von unserem Klan jemals war. Wenn wir bis jetzt keine wertvollen Erze entdeckt haben, werden wir das auch nicht tun, wenn wir dort vorne wieder nach oben steigen. Und wer weiß wo herauskommen, wenn überhaupt. Ich bin dafür wir kehren um. Was sagt ihr?“
„Umdrehen? Mit leeren Händen?“ Gan stampft mit dem Fuß auf. „Ich hör wohl nicht richtig. Wird dein Hinkebein lahm? Wir gehen weiter!“
„Einen Halbblinden sollte man nicht allein über den Weg entscheiden lassen.“ Sor wendet sich an Luf. „Was meinst du?“
„Nun, also …“ Luf sieht zwischen Gan und Sor hin und her. „Wir - wir haben noch keine Silberkrumen?“
„Noch nicht, Luf.“ Gan zeigt mit seinen Fingerstumpen. „Aber da vorne gibts welche!“
„Das wissen wir nicht!“ Sor fällt ihm in den Arm.
Lufs Augenbrauen ziehen sich zusammen. „Also, wenn wir das nicht wissen …“ Seine Gesichtszüge fahren vom Blitz der Erkenntnis getroffen auseinander. „… dann schauen wir einfach nach!“
„Na bitte!“ Gan schüttelt Sors Hand ab. „Damit wäre das geklärt.“ Sein Auge funkelt. „Und jetzt vorwärts!“
Luf nimmt seine Spitzhacke auf und nickt begeistert. Sor beißt die Zähne zusammen, dreht sich um und hebt die Glühblase. Dicht hintereinander machen sie sich wieder auf den Weg. Nach ein paar Schritten bricht der Boden unter ihnen weg.

Die Glühblase entgleitet Sors Händen. Während sie erlischt, zieht sie einen glutroten Bogen durch die Finsternis. Sor kann sich zusammenkrümmen bevor er mit dem Rücken auf Sand schlägt und einen steilen Abhang hinab rollt. Irgendwann prallt er mit den Unterarmen vor seinem Gesicht gegen einen Sandwall und bleibt reglos liegen.
„Aua! Genau auf mein Hüftgelenk. Elender Felsbrocken!“ Gan scheint nicht so glimpflich davongekommen zu sein. „Mein Bein! Es ist ganz taub. Zum Henker!“
„Wer dringt hier in mein letztes Refugium ein?“ Eine Stimme wie ein Donnerschlag erschüttert die Dunkelheit.
„Luf? Bist du das, Luf?“ Gan hört sich an wie ein quiekendes Ferkel. „Bist du jetzt vollends hinüber?“
„Wer reißt mich aus meinem schmerzverschütteten Dämmer?“
Sor hebt den Kopf und sieht sich um.
„Wer bohrt in die Flöze aus Leid, die auf mir lasten?“
In der Finsternis glimmen vereinzelte Lichtreflexe, wie Splitter eines Regenbogens.
„Wer ist denn das?“ Gans Stimme zittert und zaudert.
„Ich bin der Berg. Der Fels. Der Stein. Das Erz. Ich bin Duoreal.“
Sor entdeckt einen klaren gelben Funken ganz in seiner Nähe. Die Glühblase! Er kriecht durch den lockeren Sand zu ihr hinüber und tastet mit seinen Händen nach der warmen Kugeloberfläche. Als er sie gefunden hat, kneift er die Augen zusammen und beginnt zu reiben. Ein lautloser Blitz dringt durch Sors Lider. Er nimmt die Hände von der Blase und öffnet seine Augen.

Goldenes Licht erfüllt einen langen Höhlendom. Über die gewölbte Decke winden sich breite Streifen verschiedener Gesteinsschichten. Die Wände sind gesäumt von Sandhängen, aus denen immer wieder Felsspitzen und glitzernde Erzplatten ragen. Sor kauert am Fuß eines Abhangs in der Mitte einer Längsseite der Halle. Hoch über der sandenen Böschung klafft am Rand der Decke ein schwarzer, gezackter Riss. Auch der Grund des Saals ist mit Sand bedeckt. Darauf schwimmen Steininseln und weitere schimmernde Felsplatten.
Und über den ganzen Boden verstreut liegen rohe Diamanten. Rot wie Gebirgsnebel bei Sonnenaufgang, grün wie Tannenwälder in engen Tälern, blau wie unergründliche Höhlenquellen. Manche so groß wie Sors Kopf. Ihre rauen Bruchflächen und unregelmäßigen Grate zerstäuben das Licht der Glühblase in ein buntes Feuerwerk. Besonders ein riesiger grüner Edelstein auf einem Sandhaufen genau zwischen den beiden Längswänden, ein Stück den Dom hinauf, irisiert als würde in ihm selbst ein Feuer lodern.
Sor starrt den Diamanten gebannt an. Dieser Edelstein ist sein Schlüssel aus der Mine heraus. Aus den ewig staubgefüllten Stollen. Aus den Schächten mit ihren morschen Gerüsten. Aus den halb gefluteten Tunneln, in denen der Salpeter an den Wänden hochkriecht.
„Wundervolle Gemmen! Ein berauschender Anblick.“ Die Donnerstimme rollt durch den Dom.
Einige Schritte neben Sor, in Richtung auf den schillernden grünen Diamanten zu, regt sich etwas. Gan richtet sich an einem Felsblock auf und blickt umher. „Duoreal!“ Seine Stimme hallt von den Wänden wider. „Wo bist du? Zeig dich.“
„Ich bin hier! Ewigkeiten an meinem Platz.“ Die Donnerstimme scheint vom Ende des Doms jenseits von Gan und dem grünen Edelstein zu kommen.
Gan wendet sich um und entdeckt Sor. „Siehst du irgendwen oder irgendwas?“
Sor starrt angestrengt über Gan hinweg. Dann erkennt er es. „Da.“ Er deutet mit einem zitternden Finger. „An der Stirnwand hinter dir.“

Während Gan sich langsam umdreht, werden Sors Augen immer größer. Der Sandabhang an der Schmalseite der Halle ist sehr steil und besitzt bei flüchtigem Hinsehen ein paar seltsame Erhebungen und Einbuchtungen. Bei genauerer Betrachtung fügen sie sich zu einem Gesicht zusammen. Es ist gewaltig. Sor schätzt es auf das fünffache seiner eigenen Scheitelhöhe. Und es ist grauenhaft.
Quer über die halbe Stirn zieht sich ein klaffender Riss. Ein Auge ist dick aufgedunsen und seine Braue in der Mitte gespalten. Vom anderen gähnt nur noch die Leere seiner Höhle. Ein Nasenflügel ist bis zur Wurzel hin aufgerissen. Die Wange auf der gegenüberliegenden Seite ist durchlöchert und entblößt ein Kiefergelenk. Ein Mundwinkel hängt in Fetzen und legt gesplitterte Stümpfe und Lücken von herausgebrochenen Zähnen frei. Das Kinn ist zerstückelt durch tiefe Kerben und lange Schnitte.
Sor schüttelt das Grausen von sich ab. „Wer hat dir das angetan?“
Das Gesicht bewegt seine Lippen und die Donnerstimme überrollt die Zwerge. „Mein Fleisch hat man ausgehöhlt. Mit Meißeln, Pickeln, Hacken. Die Adern hat man mir aufgerissen. Mit spitzem, hartem, kantigem Gerät. Das Mark aus meinen Knochen geschabt.“ Das Donnern schwillt an. Das Sandauge wölbt sich aus seiner Höhle. „Wart ihr das?“
Sor schluckt trocken. „Nein! Wo denkst du hin? Nein, damit haben wir nichts zu tun. Wir - wir kommen von draußen. In der - der Bergwand haben wir einen Höhleneingang entdeckt und sind dann bis hier herunter -“
„Sor, was redest du da? Und wo ist denn meine Spi-“
„Luf!“ Sor fährt herum und sucht in den Sandwellen.
„Mein Schädel pocht wie nach einem Wurzelbiergelage.“ Hinter einem Steinhaufen tauchen eine Hand und ein Haarbüschel auf. „Dabei kann ich mich an gar keins erinnern.“
Sor geht hinüber. „Luf, oh nein!“ Er beugt sich über die zusammengekrümmte Masse des anderen Zwergs. „Wie schlimm ist es?“
Lufs Stirn ist aufgeplatzt. Blut läuft über sein Gesicht und rinnt am Hals hinab unter sein Wams. „Ich werd auch das überleben.“ Mit einer Hand schmiert er den dunkelroten Sirup über die kahle Seite seines Schädels. „Wo - wo sind wir gelandet?“
„Du kannst mir viel erzählen, Wicht!“ Die Donnerstimme grollt durch die Halle. „Aber warum sollte ich dir glauben?“
„Hör zu, Luf.“ Sor zischt in ein aufgeschürftes Ohr. „Wir stecken in einer gehörigen Klemme. Stell jetzt keine Fragen und sag auch sonst nichts unüberlegtes. Verstanden?“
Während Luf mit geschlossenen Augen mehrmals nickt, drückt Sor seine breite Schulter und wendet sich auf zu dem Gesicht aus Sand. „Das Licht, das wir mitgebracht haben, zeigt, dass wir von draußen kommen! Gefällt es dir?“
„Oh ja!“ Sandschlieren wehen von den riesigen Lippen. „Es ist herrlich. Unglaublich.“
„Dieser große, grüne Stein ist auch herrlich.“ Gan geht auf den Sandhaufen mit dem glitzernden Diamanten zu. „Den muss ich haben.“

Gan legt seine Hände um den Edelstein. „Oha. Die Kanten sind scharf wie ein gutes Fleischmesser. Vorsichtig, vorsich-“
Sand wirbelt um ihn herum auf. Er schaut zu seinen Füßen hinab und zuckt mit den Beinen. „Heh! Da ist irgendwas. Es hält mich fest.“
Der Boden scheint an Gan hinaufzukriechen. Breite Sandzungen lecken über seine Knöchel, winden sich wie reife Egel hoch zu den Kniescheiben. Er wirft den Diamanten von sich und gräbt seine Hände in die rieselnden Schnecken.
Der ganze Grund um Gan herum gerät in Bewegung und schlingt sich wie ein Leichentuch um seine Hüften. „Sor, Luf! Zieht mich hier raus.“
Sor erwacht aus seiner Schreckensstarre und macht einen schwerfälligen Schritt auf Gan zu.
Die wogenden Sandmassen fressen Gans Oberkörper. „Helft mir doch! Ich kriege keine Luft mehr.“
Sor setzt zu einem weiteren Schritt an, doch ein haarsträubendes Knacken und Knirschen friert ihn mitten in der Bewegung ein.
„Ich werde zerquetscht! Sor, Luf!“ Gans Schreie ersticken, als die Ränder des Sandkegels um seinen Hals wie in einem Geysir emporgeschleudert werden und über seinem Kopf zusammenschlagen.
Für einige Augenblicke ist noch ein dumpfes Krachen und Brechen zu hören, und der Sandhügel fällt eine Handbreit in sich zusammen.

„So geht das nicht, Gnom!“ Das riesenhafte Gesicht zieht die Reste seiner Augenbrauen zusammen. „Mir wurde schon zu viel genommen. Das sind meine Gemmen!“
„Du - du warst das?“ Sor starrt ungläubig in die zornige Fratze.
„Hörst du nicht zu, Wicht?“ Die Donnerstimme schwillt gefährlich an. „Ich bin der Berg, der Fels, der Stein, das Erz! Und mag man auch meine Eingeweide herausgerissen haben, so brennt doch noch der Lebensfunke in mir.“
Sor taumelt ein paar Schritte zurück. Die kalten Finger der Todesangst schließen sich um seine Brust wie Eisenringe. Er stolpert über einen weichen Ballen und fällt auf seinen Rücken. Der Ballen beginnt zu wimmern. Luf. Sor bleibt vom Entsetzen gelähmt liegen.
„Wie die Gemmen überall glitzern und scheinen.“ Die Züge des Sandgesichts glätten sich. „Wie die Tafeln schimmern und leuchten in jedem Winkel.“ Sein Murmeln klingt wie ein Gewitter am Horizont. „Ein erhebender Eindruck.“ So geht es in einem fort.
Da entsteht ein Plan in Sor. Sie werden aus dieser Gruft hinaus gelangen. Und er wird noch etwas anderes bekommen, das er haben will.

Sor setzt sich auf und beugt sich über den anderen Zwerg. „Luf.“ Seine Stimme ist ein drängendes Flüstern. „Hast du dir einen Fuß verstaucht? Ist ein Arm gebrochen? Oder kann ich auf dich zählen?“
Luf hört auf zu wimmern. „Meine Knochen sind noch ganz.“ Er fasst sich an die Stirn und verzieht das Gesicht. „Nur mein Kopf -“
„Der wird schon wieder.“ Sor klopft ihm auf die Schulter. „Und jetzt tu, was ich dir sage, dann kommen wir hier raus.“
„Ich werd mein Bestes versuchen.“ Luf beginnt ächzend, sich aufzurichten.
Sor steht ebenfalls auf und wendet sich zu dem Gesicht aus Sand. „Hör mich an, Duoreal!“ Er muss schreien, um das Gemurmel zu übertönen. „Unser Licht, das dir solche Freude bereitet, wird bald erlöschen. Aber wenn du uns aus deiner Felsenhalle heraushilfst, bringen wir dir noch strahlenderen Glanz.“
Das Brabbeln verhallt. „Wieso sollte ich euch behilflich sein? Nach der unerhörten Tat eures Kumpanen.“
„Du hast ihn gerecht bestraft.“ Sor zeigt auf den Sandhügel, der Gan verschluckt hat. „Und wir beide haben dir nichts angetan.“ Er hebt die Glühblase auf. „Als Zeichen unseres guten Willens lassen wir dieses Licht hier bei dir. Was hast du zu verlieren?“
„Hmmm. Das muss ich abwägen.“ Das Sandgesicht legt sich in Falten. „Also gut. Aber wie könnte ich euch dabei helfen, meine Halle zu verlassen?“
Sor deutet hoch zum Rand der Decke. „Ebenso wie du den Sand auf Gan gehäuft hast, kannst du eine solche Menge davon gegen die Wand schichten, dass wir bis zu dem Riss hinaufklettern können, durch den wir hier herein gefallen sind. Von dort kommen wir alleine weiter.“
Die Augenbrauen in dem gewaltigen Antlitz fahren in die Höhe. „Das kann ich wohl tun. Aber was hindert euch, mit der Lichtkugel zu verschwinden, sobald ich euren Ausgang geebnet habe?“
„Wir werden uns direkt unter dich stellen bevor du auch nur ein Sandkörnchen bewegt hast. So bleibt dir genügend Zeit, uns wie Gan zu erdrücken, sollten wir uns entgegen der Übereinkunft aus dem Staube machen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, wendet Sor sich um. „Komm mit, Luf.“
Während sie auf das Sandgesicht zu marschieren, schweigt die Donnerstimme. Doch das riesige Auge folgt jeder ihrer Bewegungen.

Als sie das Antlitz erreichen, grollt die Donnerstimme wieder durch den Dom. „Nun denn. So sei es.“ Feine Sandfäden rieseln von den Lippen. Das Auge richtet sich hinaus auf den hügeligen Höhlenboden.
Ein Zittern läuft durch die Sandwellen, dann kriechen sie wie eine Heerschar von Raupen auf die Wand unter dem Spalt in der Decke zu. Dort bäumt sich der Boden auf, wächst zu einer Kuppe, einem Abhang. Der Fuß greift weit in den Raum hinaus, rast auf die gegenüberliegende Seite zu, schneidet den Höhlendom in zwei Hälften. Die Spitze leckt am nackten Fels hinauf, streckt sich zu einer Steilwand, bis sie Handbreite unter dem Riss ihren Zenit erklommen hat. Mit einem letzten Rippeln erstarren die Sandmassen als hätten sie nie anders gelegen.
„Hier ist mein Teil der Abmachung. Nun bringt mir euren!“ Das Donnern macht Sor fast taub.
Er blickt zu dem riesenhaften Antlitz auf. „Du kannst dich auf uns verlassen.“ In einigen Schritten Entfernung vor dem Sandgesicht legt er die Glühblase auf den Boden. „Hier ist das Licht. Und damit du es noch heller hast solange wir fort sind, werden wir darum herum ein paar Erzplatten aufrichten.“ Er wendet sich zu Luf an seiner Seite und klopft ihm auf den Rücken. „Frisch ans Werk, Freund.“
Gemeinsam schleppen sie schimmernde Felsplatten aus der Nähe heran und richten sie im Sand auf. Es entsteht ein Steinbogen um die Glühblase, der den Zwergen bis an die Hüften reicht und das Licht der Blase zu dem gewaltigen Antlitz an der Wand zurückwirft. Im Innern des Steinbogens glitzern bunt einige Diamanten. Außerhalb verliert sich die Weite des Felsendoms im Zwielicht.
Die Lippen des Sandgesichts ziehen sich auseinander. Zahnstümpfe werden sichtbar. „Schlichtweg betörend. Ein Festschmaus für mein wundes Auge.“
Sor hebt seine Stimme, um durch das Murmeln zu dringen. „Wir machen uns nun auf den Weg, Duoreal.“ Er deutet auf die Glühblase. “Wir werden uns bemühen, wieder hier zu sein, bevor dieses Licht erlischt.“
Das riesenhafte Auge hoch über ihm bleibt starr auf die Edelsteine gerichtet. „Ja, sputet euch! Ich möchte diesen Glanz nie mehr missen. Ergreifend. Unvergleichlich.“
Sor legt Luf eine Hand auf die Schulter und lenkt ihn ins Halbdunkel hinter dem Bogen aus glitzernden Felsplatten. Das Gemurmel bleibt zurück.
Sor bringt seinen Mund dicht an Lufs Ohr und senkt seine Stimme zu einem heißeren Flüstern. „Halte dich jetzt dicht hinter mir und bleib immer schön aufrecht.“
Luf nickt und bleibt stehen. Sor geht ein paar Schritte voraus, bis er im dunklen Streifen von Lufs Schatten steht. Er gibt mit der Hand ein Zeichen und marschiert in die ungefähre Richtung des Aufstiegs zum Riss in der Decke, geradewegs auf ein gedämpftes grünes Schimmern zu. Der Streifen aus Finsternis folgt ihm.
Als Sor den Schimmer erreicht, bückt er sich ohne anzuhalten und nimmt den riesigen grünen Diamanten auf. In Lufs Schatten fasst er nicht richtig zu. Die Kanten sind wirklich messerscharf.

Sor geht weiter, vorbei an Gans Grabhügel, und erklimmt den Fuß des Abhangs zum Spalt hinauf. Hinter sich hört er Luf durch den Sand stapfen. Aus der Ferne dringen dumpfe Wortfetzen an sein Ohr.
Beim Übergang vom flachen zum steilen Teil des Aufstiegs bleibt Sor stehen, um seinen schlimmen Fuß vor der Anstrengung noch einmal auszuschütteln.
„Auf bald, Duoreal! Und vielen Dank für deine Hilfe.“
Sor fährt herum.
Ein paar Schritte unter ihm steht Luf und ruft mit erhobenem Arm zu dem hell erleuchteten Antlitz zurück. „Ohne dich wären wir nie mehr hier heraus gekommen.“
„Wie - schon recht.“ Die Donnerstimme klingt abwesend. „Nun geht, und bringt mir noch mehr Glanz. Überwältigend! Erquickend für alle meine Sinne.“
Sor wendet sich bergauf und schlägt eine schnellere Gangart an. Sein schlechter Fuß rutscht im Sand immer wieder weg.
„Das tun wir bestimmt!“ Luf kann es nicht lassen. Das lange Schweigen hat ihn zermürbt. „Du wirst zufrieden mit uns - meine Spitzhacke! Dort unten liegt sie ja! Warte Sor, ich hol sie mir.“
Sor beißt die Zähne zusammen dass es knackt und beginnt zu rennen so gut es geht.
„Spitzhacke! Also gehört ihr doch zu meinen Schändern!“ Die Donnerstimme füllte den Höhlendom bis in den letzten Winkel. „Ich hätte es von Anfang an wissen müssen. Ich hätte es erkennen müssen an eurem Komplizen, der sich so dreist an meiner grünen …“
Die verhallenden Echos jagen Sor einen Schauer über den Rücken. Er rennt schneller. Sein schlimmer Fuß schickt bei jedem schleppenden Schritt schmerzende Stiche bis zum Hüftgelenk hoch.
„Meine grüne Gemme!“ Das Donnern bringt die Felsenhalle fast zum Einsturz. „Ihr habt mir meine Gemme genommen. Das werdet ihr büßen, Wichte!“
Mit einem Arm drückt Sor den Diamanten an seine Brust. Den anderen Arm benutzt er wie ein Vorderbein, um seinen schlechten Fuß zu entlasten. Hinter ihm knirscht der Sand.
„Was - Sor, hilf mir! Ich komm hier nicht raus, es drückt meine Luft ab.“
Dann hört Sor wieder das Krachen und Brechen, und unter dem Schweiß, der seinen Nacken hinabrinnt, bildet sich eine Gänsehaut.
„Sooor!“
Er hält keinen Moment inne, blickt nicht zurück. Das Blut hämmert in seinen Schläfen. Sein Hals droht zu platzen. Bei jedem Atemzug schneiden die messerscharfen Kanten des Edelsteins in seinen Brustkorb. Wie ein lahmer, dreibeiniger Hund quält er sich den Abhang hinauf, dem kaum erkennbaren Spalt in der Decke entgegen, durch den weichen, nachgiebigen Sand.

 

Hi jflipp,

diese Geschichte hat mir besser gefallen als deine letzte in dieser Rubrik, wenn auch nicht viel:
Ein Halbblinder, ein Klumpfuß und ein geistig behinderter Zwerg suchen Schätze unter der Erde und werden dann vom Berg selbst umgebracht bzw. können entkommen. Trotz ihrer Behinderungen ist es mir ziemlich schwer gefallen, die Protagonisten auseinanderzuhalten - sie scheinen nur aus ihrem Namen und ihrer körperlichen bzw. geistigen Einschränkung zu bestehen, was mich natürlich nicht gerade zu wilden Begeisterungsstürmen animiert hat. Der Berg selbst verhält sich auch dämlich: Sich auf derart billige Weise hinters Licht führen zu lassen passt mMn nach nicht zu einem so alten Geschöpf.
Positiv finde ich, dass die Geschichte in der Mitte deutlich besser wird - und einige Beschreibungen der Höhle haben mir sogar richtig gut gefallen.

Anmerkungen:

Aber wir haben kurz davor diesen verschütteten Tunnel hier entdeckt und beschlossen, ihn zu erkunden. Seitdem zwängen wir uns durch diesen Steindarm auf der Suche nach ein paar vergessenen Silberkrumen."
Für die Prots dürfte das eigentlich klar sein, die nochmalige Erwähnung der Ereignisse wirkt daher etwas unbeholfen. Kannst du diese Info nicht geschickter in die Geschichte einbauen?

"Ja, du hast recht! Jetzt entsinne ich mich wieder." Mit der anderen Hand fährt er über die kahle, unregelmäßige Hälfte seines Schädels, wo er als Halbwüchsiger in einem Wetterschacht von einem herabfallenden Felsbrocken getroffen wurde.
Genau, das ist es! Der Zwerg leidet unter Alzheimer, deshalb hat sein Kumpel die ganze Geschichte wiederholen müssen. Und wieder einmal eine wichtige Info genial-geschickt untergebracht.

Also wirklich ... nur wegen dieser kümmerlichen Information musst du doch nicht gleich deinen Prot künstlich verblöden lassen.

Er hebt die Glühblase auf. "Als Zeichen unseres guten Willens lassen wir dieses Licht hier bei dir. Was hast du zu verlieren?"
"Hmmm. Das muss ich abwägen." Das Sandgesicht legt sich in Falten. "Also gut. Aber wie könnte ich euch dabei helfen, meine Halle zu verlassen?"
Hmmm. Dieser Ausweg ist mir zu billig. Und: Der Geist des Berges sitzt dort seit Ewigkeiten in der Dunkelheit, wozu sollte der überhaupt Augen besitzen?

Liebe Grüße
131aine

 

Hallo jflipp,
ich habe die Geschichte gestern schon gelesen und sie mit Müh und Not bis zum Ende durchgestanden. Ich konnte aber nicht sagen was genau mich daran stört, bis Blaine jetzt den Finger draufgelegt hat. Ich denke, dem ist nicht mehr viel hinzuzufügen.
Ich finde die Story generell sehr langatmig, vielleicht lag das aber auch daran, dass du mich als Leser nicht genug motiviert hast, bei der Stange zu bleiben. Weder hatte ich die Möglichkeit, mich mit einem der Protagonisten zu identifizieren, noch war ich besonders neugierig darauf wie es ausgeht (am Anfang habe ich erwartet, dass alles gut ausgeht, als der erste tot war, habe ich erwartet, dass sie alle sterben, aber es war mir egal). Dabei könntest du eigentlich sehr gut Spannung erzeugen, die Szene mit der Lampe eignet sich ja wirklich dafür.

Was mir gar nicht eingeleuchtet hat, war, warum dein einer Zwerg noch im Gespräch mit dem Berggeist versucht, den Edelstein aus der Wand zu brechen. So dämlich kann doch eigentlich niemand sein, oder?

gruß
vita
:bounce:

 

Hallo Blaine, hallo Vita,

danke fürs Lesen und Kommentieren.

Bei meiner nächsten Geschichte werde ich dann die Protagonisten besser ausarbeiten.

Noch was zu Luf, dem Zwerg der nicht alle Tassen im Schrank hat.
Das ist nicht drin, um am Anfang die Vorgeschichte unterzubringen, sondern Luf blickt die ganze Zeit nicht, was da vor sich geht. Insbesondere nicht, dass es gefährlich ist, seine Spitzhacke zu erwähnen. Und auch nicht, dass Sor Duoreal anlügt und was Sor eigentlich vor hat.
Am Schluss bedankt er sich als höflicher Zwerg für Duoreals Hilfe und sieht dabei seine Spitzhacke liegen. Das bringt Sors Plan zum Einsturz.
Wenn das nicht ordentlich rüberkommt, stimmt was an der Geschichte nicht, zB eben die zu flachen Protagonisten.

viele Grüße
jflipp

 

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