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Du fehlst mir so sehr, dass es weh tut.
Ich hasse Beerdigungen.
Man muss das Handy ausschalten, darf in der Kapelle nicht lachen, und wenn man vorher nochmal groß muss ... diese Friedhofstoiletten sehen aus wie Sau!
Zu allem Überfluss kommt mein Bruder in diesem Moment auf mich zugewatschelt.
"Norbert", stammelt er und fängt sofort an zu heulen. Als er die Arme ausbreitet weiche ich zurück und biete ihm die Hand an.
"Meine Güte Heinrich, das ist ja peinlich." - Ich muss grinsen, weil sich das reimt.
Sein Blick verfinstert sich. - "Du bist so ein gefühlskaltes Arschloch. Mutter ist ..."
"Ja ja ja ... drei Tage weniger im Jahr, an denen wir sie besuchen müssen. Was man in der Zeit nicht alles machen kann."
"Du Penner!" - Mit diesen Worten dreht er sich wieder um und läuft mit demonstrativ stampfenden Schritten die Allee entlang.
"Ich wusste gar nicht, dass du deinen Kommunionsanzug noch hast", rufe ich hinterher und er macht so eine komische Bewegung mit der Hand, die typisch ist für seine Unbeholfenheit.
Dann denke ich: Was solls und schlendere hinterher. In einiger Entfernung kann ich schon das versammelte Verwandtschaftsgedöns ausmachen. Klar, wenns umsonst was zu fressen gibt, kommen sie aus ihren Löchern gekrochen.
Ich entdecke Gerd. Onkel Gerd, den Vollpfosten. Friemelt an den Hosentaschen herum und trägt wie immer seine Glasbausteine, deren Bügel einmal hinten um den Kopf reichen und da ineinander fassen. Als er mich ebenfalls ausmacht, fängt er wie ein Ertrinkender an mit den Armen zu rudern. Ich tue so, als hätte ich nichts gesehen und zünde mir eine Zigarette an einem der Grablichter an.
Wenn so viel Gesocks aneinander gerät, ist es immer besser, so zu tun, als sei man nett.
"Na ihr Trottel, lang nicht mehr gesehen", rufe ich lachend und zwinkere dem Pöbel zu.
Onkel Gerd ist der einzige, der kichern muss.
"Der Nobbi, keinen Deut erwachsener geworden", presst er bauchrednergleich zwischen geschlossenen Zahnreihen hervor.
"Immer noch die schicke Brille?"
"Der Optiker sagt, dass ..."
"Ja komm, schon gut. Sagt mal Leute, können wir schon rein oder was? Ich finds arschkalt. Jetzt schüttelt doch nicht die Köpfe. Mensch, wenn ich in der Kiste läge, Mutter wäre aber sofort die erste gewesen, die gefragt hätte ... ja meine Güte, nur, weil sie jetzt kalt ist, müssen wir doch nicht auch ... ach, leckt mich doch."
"Verpiss dich am besten", brüllt Heinrich.
"Du mich auch, Bruderherz", kommt es von mir zurück. Sollen die doch alle hier draußen erfrieren.
Das ist doch eine Scheiße. Ist ja nicht so, als wenn ich ein Unmensch wäre, aber diese Deppen können der Wahrheit ruhig mal ins Gesicht sehen. Mutter ist ein alter Geier gewesen, und 89 Jahre sind ja nun auch nicht wirklich noch Midlife Crisis. Wenn ich mal zurück denke ... so richtig schöne Erinnerungen fallen mir da keine ein. Mit zehn gabs zu Weihnachten nicht die Lego Eisenbahn und Nutella auf dem Pausenbrot war auch nie.
Meine ganze, meine gesamte, beschissene Kindheit lässt sich in dem Satz "Wir haben leider nicht genug Geld für so etwas, aber Mama hat dich trotzdem furchtbar lieb, mein kleiner süßer Engel" zusammenfassen.
Klar, wenn man als Putze anschaffen geht, braucht man sich nicht zu wundern, wenn die lieben Kleinen Komplexe kriegen. Sie war sowas von egoistisch.
Der Sarg ist natürlich geöffnet. Was anderes hatte ich auch nicht erwartet. Ich drücke die Zigarette in einer Blumenvase aus und gehe näher heran.
Das wars dann wohl, denke ich, als ich sie sehe.
Liegt ganz einfach da, als würde sie schlafen.
"Na Mama. Meine Güte, haben sie dir auch noch die billigen Klunker angezogen. Das sieht ja furchtbar aus. Und dieses Kleid erst. Ganz ehrlich, du siehst sowas von Scheiße aus."
Natürlich reagiert sie nicht. Wie auch.
"Früher hättest du gelacht. Ich weiß zwar nicht warum, aber über meine Machosprüche hast du immer gelacht. Wie der Vater, hast du immer gesagt."
Ich halte kurz inne.
"Weißt du, an wen du mich verdammt nochmal erinnerst? An Onkel Gerd! Der kann mich auch gut leiden, obwohl ich ihn für nen Spassti halte. Nicht, dass ich dich für nen Spassti halten würde, aber meine Güte Mama, du warst immer nur pleite. Sowas ist echt Kacke. Ich hab wenigstens was aus mir gemacht, im Gegensatz zu ... ach, vergiss es einfach."
Die anderen kommen.
Vor mir auf der Ablage liegt so eine dämliche Rose, die ich nachher auch noch ins geöffnete Grab schmeißen soll. Das sind so typische Hirnamputationsbräuche, und das Orgelgeseier geht mir jetzt schon auf den Sack.
Heinrich sitzt selbstredend so weit von mir entfernt, wie es in der Enge hier überhaupt möglich ist. Ich frage mich, was er erwartet hat. Jahrelang führt man ein geschwisterliches Pflichtverhältnis, und kaum gibt die Alte den Löffel ab, ist alles wieder Friede Freude Eierkuchen, oder was?
Endlich verstummt das Instrument und ein in kirchliches Gewand gehülltes Skelett betritt den Raum. Die Haut aus Leder, die Zähne viel zu weiß, um nicht künstlich zu sein. Himmel auch, der Typ sollte zu seiner eigenen Beerdigung gehen, und nicht hier stehen, um auswendig gelernten Text runterzuleiern.
Unbeeindruckt dessen, fängt er trotzdem zu zelebrieren an.
Ja, Magda war eine von allen hoch geschätzte Frau und blablabla, jeder hat sie gemocht und geliebt und ständig ganz doll geknuddelt und ... sonstwas.
Magda.
Das erinnert mich immer daran, dass wir alle Polaken sind. Krazchinski. Was ich wegen diesem Namen schon für Probleme in der Kanzlei hatte.
Mal ehrlich, ist doch so. Oberflächlich betrachtet ist political correctness 'ne tolle Sache, aber wenn man den Kuchenheber mal zwischen Zuckerguss und Torte schiebt, ist das unter dem Süßen doch alles nur widerliches Gedärm und bitteres Gekotze.
Ich bin richtig gehend erleichtert, als mein Handy sich meldet. Etwas ungünstig vielleicht, "Nur die Besten sterben jung" als Klingelton eingestellt zu haben, aber zumindest Onkel Gerd einige Reihen hinter mir findet es lustig.
"Das ist doch eine Unverschämtheit", sagen die viel zu weißen Zähne.
"Ja, das finde ich aber auch", entgegne ich lautstark und nehme den Anruf an.
"Hömma Alter, meine Mutter wird hier grad zu Grabe komplementiert und du rufst einfach an ... ja, haha, finde ich auch. Hast du eigentlich schon ..."
"Beenden Sie sofort dieses Telefonat!"
"Du, ich muss Schluss machen. Grüß Susanne von mir. Ja, alles klar. Echt? Beim Mediamarkt!?!"
Mir wird das Handy von einer unbekannten Verwandtschaft aus der Hand gerissen. Es folgt ein nicht wirklich symphatisch klingender Schmatzlaut.
"Danke", sagt das Skelett.
Ich hasse Beerdigungen.
Nun gut. Das Highlight steht schließlich noch aus. Die Umschreibung der Todesursache. Leider fällt diese einige Minuten später dann doch ziemlich unimposant aus.
Unter tragischen Umständen heißt es nur. Jaha ... das ist schon verdammt tragisch, wenn während der Fahrt mit dem Treppenlift auf halber Strecke die Sicherung aus dem Kasten fliegt, und man den Gurt nicht lösen kann, weil sich einige Ösen ungünstig ineinander verklemmt haben und rumbocken. Noch tragischer, wenn dann die Haushaltshilfe krank wird, und es einfach versäumt, dies telefonisch mitzuteilen, weil die Kundin ja noch recht rüstig ist, und auch mal ein paar Tage ohne Hilfe auskommen kann.
Es waren insgesamt acht Tage, die Mutter auf diesem dämlichen Stuhl gesessen und um Hilfe geschrien hat. Obwohl ... nicht ganz, denn nach dem fünften war sie bereits tot, sagen die Ärzte. Sie hat also nicht lange gelitten.
Die Rose schmeiße ich neben das Grab und gehe einfach. Angestarrt werde ich sowieso die ganze Zeit, da macht das jetzt auch keinen Unterschied mehr.
"Heinrich, versuch mit deiner Rose genau ins Arschloch zu treffen", sage ich.
Dann bin ich weg.