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Du kannst das nicht

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09.09.2015
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Du kannst das nicht

Genau in dem Moment, als die Tür ins Schloss fällt, legt sich mein nervöses Zittern.
Die Inhaberin der Boutique kommt mir entgegen, als hätte sie schon den ganzen Tag auf mich gewartet. Ihr Lächeln ist warm, es umarmt mich. „Ah, die Frau Brandt! Schön, Sie zu seh'n.“
„Wollte wieder mal schauen, was Sie so Neues haben.“
„Die ersten Frühjahrsmodelle sind gestern eingetroffen. Tolle Kollektion.“ Frau Winter zeigt mit einer ausladenden Geste zum Kleiderständer im Fensterbereich, ihre silbernen Armreifen klimpern.
Meine Handtasche stelle ich auf dem Sessel ab, ich brauche freie Hände. Ich will die Teile anfassen, bevor ich sie auf meinem Körper spüre, bevor ich sie aus dem Laden trage.

Frau Winter reicht mir noch den gerade geschnittenen Rock und die türkisfarbene Georgettebluse in die Umkleide, dann wartet sie in meiner Nähe. Heute ist sie nur für mich alleine da. Kaum habe ich das rote Etuikleid übergestreift, geht es los: Mein Körper kribbelt, als wäre er von einer Ameisenarmee besetzt, und mir ist so heiß, als hätte ich das Gift der Biester schon im Blut. Zögerlich schiebe ich den Vorhang beiseite, trete ins Rampenlicht und präsentiere mich.
Sie nickt anerkennend. „Steht Ihnen ausgezeichnet.“
Ich genieße ihre Blicke, schreite vor dem Spiegel auf und ab, wiege mich dabei leicht in den Hüften. Dann breite ich die Arme wie Schwingen aus und drehe mich zu den Walzerklängen, die den Raum unvermittelt fluten. Ich kann fliegen. Ich schwebe, ich lebe, ich bin schön.
Wie durch Watte dringt die Stimme zu mir: „Fällt klein aus! Ich war so frei und hab mal die nächste Größe geholt.“ Sie will mir den Fummel aufdrängen, das Geklimper der Armreifen übertönt die Musik.
Vergiss es! Verräterin! Die achtundvierzig zieh' ich nicht an! „Nein, nicht nötig“, sage ich und ziehe den Bauch ein. „Ich mach gerade eine Diät.“
Frau Winter legt die Stirn in Falten und streicht fast liebevoll über den gespannten Stoff in meinem Rücken, als müsse sie das, was sie sieht, durch ihren Tastsinn bestätigen. „Wie Sie möchten, Sie entscheiden.“

Die zweite Tragetasche platzt gleich aus allen Nähten, während Frau Winter sich bemüht, den Pulli unterzukriegen, den sie mir vor wenigen Augenblicken noch ausreden wollte.
Etwas betreten sagt sie, nachdem sie die Summentaste gedrückt hat: „Ist ganz schön was zusammengekommen. Sie möchten sicher mit Karte zahlen?“
Die Ziffern auf dem Display verschwimmen vor meinen Augen, indessen fummle ich die ec-Karte aus meiner Börse und überreiche sie mit erhobenem Kopf. Wird schon gut gehen!
Mit einem Mal tobt ein Orkan in meinem Schädel. Mein Vater ist bei mir, er kommt immer mit dem Sturm. Er lächelt milde und flüstert, so dass Frau Winter ihn nicht hören kann: „Aber, aber Prinzessin, das kannst du doch nicht machen.“ Und ob! Du solltest mal sehen, wie souverän ich einkaufe.
Ich kaue auf der Unterlippe und hoffe darauf, dass das Brausen und Rauschen verschwinden möge, damit ich Frau Winters Worte verstehen kann. Aber das muss ich nicht, ich beherrsche die Kunst des Lippenlesens. „Zahlung nicht möglich.“ Bedauernd zuckt sie mit den Achseln.

Mit hängenden Schultern schleiche ich die Treppe zu meiner Mansardenwohnung hinauf. Mit jeder Stufe wiegen die Tüten schwerer und die Henkel ätzen sich wie Säure in die Handflächen. Oben empfangen mich leere, kalte Räume.
Sofort verstaue ich die Taschen im Kleiderschrank, schiebe sie weit nach hinten, dorthin wo es finster ist. Dorthin, wo sich andere Beutel und die ungeöffnete Post türmen. Dann schlurfe ich in die Küche, öffne den Kühlschrank, schließe ihn wieder.
Ohne zu wissen, was ich tue, trete ich auf den schmalen Balkon hinaus, umklammere das Geländer und schaue lange in die Tiefe, betrachte den trostlosen Innenhof. Lautlos legt sich die Abenddämmerung auf die Dächer der Altstadt.
Ich sollte froh sein, dass alles so gut funktioniert hat, aber es will sich keine Freude einstellen.
Frau Winter hat den Magnetstreifen meiner Karte gründlich poliert und gesagt: „Ich probier’s noch mal.“ Dann konnte sie den Zahlungsvorgang abschließen. Mit meiner Unterschrift besiegelte ich den Pakt, malte den Namen einer mir Fremden mit krakeligen Buchstaben aufs Papier: Gesine Brandt.
„Viel Freude an den neuen Sachen“, rief sie mir noch nach. „Und alles Gute für Sie.“
Mich fröstelt, der Kühlschrank fällt mir wieder ein. Da ist noch ein Rest Apfeltorte und Salamipizza von gestern. Ich reiße die Packung Schnittkäse auf. Stoße die Schale mit den Tomaten um, sie kullern über den Küchenboden. Ich lecke Thunfischsalat von den Fingern und schiebe mir Kochschinken in den Mund. Ich schmecke nichts, aber ich stopfe weiter. Es fühlt sich alles so unwirklich an. Mir ist, als würde ich neben mir stehen und einer Irren beim Fressen zuschauen.
Langsam lasse ich mich auf die Knie fallen, dann trommle ich mit den Fäusten auf die Fliesen.
Kein Schmerz.

Die alte Dame sieht mich provozierend über den Rand ihrer Brille an. „Drei Paracetamol bitte!“
Ich komme mir wie in einem Theaterstück vor, in dem jeder seinen vorgegebenen Text so überzeugend wie möglich herunterbetet. „Drei Packungen darf ich nicht aushändigen“, zische ich. Sie lächelt allwissend und schaut mich weiter eindringlich an. „Es ist Ihnen bekannt, dass das Mittel die Leber schädigen kann?“ Ich drücke meinen Rücken durch.
„Natürlich. Schließlich fragen Sie mich das ja jede Woche, Kindchen. Sie wissen doch, ich bin über achtzig. Was interessieren mich da Nebenwirkungen. Hauptsache, ich bin die Schmerzen los.“ Geduldig wartet sie, bis ich drei Packungen über den Tresen schiebe.
Im Gegenzug legt sie mir zwanzig Euro auf die Glasplatte und schmunzelt zufrieden. „Stimmt so! Bis bald.“ Während sie zur Tür humpelt, schüttelt sie ihr ergrautes Haupt und murmelt: „Leberschäden.“
Ich schaue nach hinten ins Labor, vom alten Wiegand keine Spur. Ich lausche. Die Gelegenheit bietet sich nicht alle Tage. Schnell lasse ich den Schein in meiner Kitteltasche verschwinden. Bis zur Jahresinventur muss ich hier weg sein.
Vater würde toben, sollte ich den Job hinwerfen, wo er sich doch so ins Zeug gelegt hat, um sein einziges Töchterchen in der Apotheke seines alten Schulfreundes Manfred Wiegand unterzubringen.
Kräftige Hände legen sich auf meine Schultern, fast hätte ich vor Schreck aufgeschrien. Ob er mich beobachtet hat? Der Druck verstärkt sich. Ich erstarre und denke an das Kaninchen, das im Angesicht der Schlange bewegungsunfähig wird. Ich will kein Kaninchen sein.
Die Hände beginnen zu wandern, mit kleinen kreisenden Bewegungen massieren sie meine Oberarme. Das ertrage ich kaum. Ich möchte den alten Grabscher ohrfeigen, stattdessen winde ich mich seitlich aus der Umklammerung und stottere: „Die Bestellung muss noch abgeschickt werden.“ Ich taumle zum Computer.
Wiegands Bass verfolgt mich: „Ich mag üppige Frauen.“
Ich spüre, wie mich seine Blicke langsam entkleiden und fühle mich so machtlos, seinen Klauen völlig ausgeliefert. Ich bin dick. Ich bin nackt, ich bin durchsichtig.
Die Schrift auf dem Monitor verschwimmt vor meinen Augen.

„Gesine, Gesine, rollt wie ’ne Lawine!“ Das Geschrei meiner Mitschüler donnerte über den Pausenhof. Am lautesten brüllte Heiko Töppel. Sein Grinsen werde ich nie vergessen. Obwohl er mich nie angefasst hat, haben mich seine Worte jedes Mal wie Schläge getroffen.
Ich hatte keine Ahnung, wie ich mich gegen den Spott und die Verachtung dieser mutigen und selbstsicheren Kinder wehren sollte. Ich stand nur stumm und eingefroren und ließ die Anfeindungen zu. Zuhause verkroch ich mich hinter meinen Büchern und einem beharrlichen Schweigen. Irgendwann wurde es Mutter zu bunt und sie bohrte so lange, bis ich mit der Sprache herauskam.
Beim Abendessen berichtete sie Vater brühwarm von den Hänseleien. Mir häufte sie noch mal den Teller voll, reichlich Kartoffeln, Gemüse, Schweinebraten und Soße. Viel Soße.
Vater streichelte meine Wange, während ich mampfte. „Das werde ich für dich klären, mein Kind. Und morgen Nachmittag geht Mutti schön mit dir einkaufen.“
Wie ein Feldwebel ist er zum Schuldirektor vorgerückt. Ich erfuhr nie, was die beiden besprochen haben. Der Direktor hat persönlich dafür Sorge getragen, dass mich niemand mehr lautstark beschimpfte. Von diesem Zeitpunkt an wollte aber auch keiner mehr neben mir sitzen. Und auch nicht mit mir reden. Trotz meiner Fülle war ich unsichtbar.
Nur Heiko flüsterte mir bei jeder Gelegenheit zu: „Gesinelein, fett und klein wie ein Schwein.“

„Ach, Gesine, bevor ich es vergesse …“ Wiegand schiebt sich zwischen mich und meine Erinnerungen. „Die zwanzig Euro, die kannst du behalten."

Ich laufe, werde immer schneller, aber doch komme ich nicht vom Fleck. Die Absätze bleiben in den Fugen des Kopfsteinpflasters hängen. Mir ist, als müsse ich durch Sirup waten. Mein Gehirn arbeitet auf Hochtouren, aber die Tragweite der neuen Situation vermag es nicht zu erfassen. Der Sirup hat sich auch im Kopf ausgebreitet. Ich spüre genau, etwas Grundlegendes muss sich in meinem Leben verändern. Doch zuerst muss ich die quälende Unruhe loswerden. Dieses Fieber kann mir nur Frau Winter nehmen.
Vor wenigen Minuten bin ich Hals über Kopf aus der Apotheke gestürzt. Unter meinem Mantel trage ich noch die Arbeitskleidung, die zwanzig Euro in der Tasche. Mit jedem Zentimeter, den ich mich dem Geschäft nähere, wächst meine Vorfreude. Noch während ich die Tür öffne, fällt die Euphorie zusammen wie ein Käsesoufflé. Frau Winter ist im Gespräch mit einem jungen Paar und es sieht aus, als hätte sie so bald keine Zeit für mich.
„Komme gleich zu Ihnen“, raunt sie mir zu. Sicher bilde ich mir nur ein, dass sie heute ernster und nachdenklicher schaut.
In der Zwischenzeit streife ich an den Kleiderständern entlang. Meine Finger liebkosen die weichen Stoffe, graben sich in Seide und Baumwolle, wollen nicht mehr loslassen. Mit einem Mal glaube ich, die Gier des alten Wiegand zu begreifen. So muss es ihm in meiner Nähe ergehen, genauso will er sich in mein Fleisch vergraben. Drecksack! Die Hände sollen ihm abfaulen!
„Schön, dass Sie gleich gekommen sind.“ Frau Winter hat sich angeschlichen und ich zucke merklich zusammen. „Missverständnisse sollte man sofort aus der Welt schaffen.“
Ich muss ein ziemlich belämmertes Gesicht machen, an dem sie ablesen kann, dass ich nicht kapiere, wovon sie spricht. „Die Rückbuchung. Ist mein Schreiben nicht angekommen? Sie wohnen doch in der Klostergasse zwei?“
Von ihren Blicken fühle ich mich aufgespießt und mein Gesicht beginnt zu glühen. Krampfhaft fische ich nach einer Ausrede. Glaubwürdigkeit, das Rezept der Erfolgreichen. „Ach so, ja natürlich. Deshalb bin ich hier.“ Das kannst du besser! „Ich wollte Ihnen sagen, dass Sie das Geld bekommen. In bar. Nächste Woche. Ist dumm gelaufen, Überschneidungen auf dem Konto.“ Ich hoffe, sie hat mir die Nummer abgekauft, für weiteres Palaver hab ich keine Kraft. Die T-Shirts neben mir wollen endlich anprobiert werden, also zerre ich sie fahrig von den Kleiderbügeln und will mich auf zur Kabine machen.
Sie tritt mir in den Weg und da sind sie wieder, die Falten auf ihrer Stirn. „Frau Brandt, das fällt mir nicht leicht, aber …“ Sie seufzt vernehmlich. „Das bringt doch jetzt nichts, wenn Sie probieren.“ Etwas leiser spricht sie weiter, denn das Pärchen schaut bereits neugierig zu uns herüber. „Vielleicht habe ich kein Recht, mich in Ihr Leben einzumischen. Aber ich denke, Sie brauchen Hilfe. Professionelle Hilfe.“
Kümmere dich um deinen Scheiß!
Wie zufällig holt sie eine Visitenkarte vom Ladentisch. Für mich sieht es aus wie ein von langer Hand geschmiedeter Plan. Da höre ich auch schon das Heulen des Windes, der durch meine Gehirnwindungen fegt und alle klaren Gedanken wegbläst. Dunkle Wolken türmen sich zu einem unheimlichen Gebilde auf, das die Konturen von Vater annimmt, als es zu mir spricht: „Lass mich das mal klären, Kind!“ Die Worte hämmern im Rhythmus meines immer schneller werdenden Herzens auf mich ein. Tatsächlich war ich die letzten Tage kurz davor, Vater zu bitten, meine Rechnungen zu begleichen.
Frau Winter redet weiter, ich kann gerade noch verstehen: „Eine gute Freundin von mir. Vielleicht können Sie sich ja entscheiden, einen Termin zu machen?“
Es kostet mich viel Kraft, ihr das Bündel T-Shirts in die Arme zu drücken. Widerwillig ergreife ich die Karte und erwarte, mir jeden Augenblick die Finger zu verbrennen. Ein flüchtiger Blick auf die Buchstaben. Gerade, selbstbewusste Schriftzüge: Dorothea Siebling, Psychotherapeutin, Einzel- und Gruppentherapie. Das gibt es nicht, eine Psychotante.
Ich stecke die Karte ein, obwohl ich sie Frau Winter am liebsten zusammen mit den zwanzig Euro vor die Füße werfen möchte.
„Und noch was, Frau Brandt. Die Sachen, die Sie vergangene Woche mitgenommen haben, dürfen Sie mir gerne wieder bringen. Sie haben doch sicher noch nichts davon getragen, oder?"
Ich schüttle den Kopf und murmle: „Keine Sorge, Sie bekommen Ihr Geld.“ Dann reiße ich meinen Blick gewaltsam von der Kleidung los und verlasse den Laden.

Die feuchten zitternden Hände verstecke ich in den Manteltaschen, während ich durch die Innenstadt hetze. Daumen und Zeigefinger zerreiben unablässig das Papier der Visitenkarte. Es ist so einfach, die Zellulose zu zerfasern. Als sich die Schiebetüren des Kaufhauses für mich öffnen, legt sich das nervöse Zittern endlich.

 

‚weil ich angeblich vergleichbare Modelle besitzen würde’ wirkt auf mich recht gestelzt. Hier willst du ja wörtliche Rede paraphrasieren und ich habe mir überlegt, was Frau Winter wohl gesagt haben könnte. ‚So einen Pulli haben Sie doch schon.’ oder ‚Kann es sein, dass Sie schon einen ähnlichen Pulli haben?’ Vielleicht fällt dir eine etwas weniger umständliche Formulierung ein.
In der Regel sind meine Sätze simpel gestrickt. Kaum will ich beweisen, dass ich auch Nebensatzkonstruktionen kann, geht’s daneben.
Aber im Ernst, meinst du, die Wiedergabe wörtlichen Rede an dieser Stelle wäre anschaulicher?

Liebe peregrina,
noch kurz zu deiner Frage: Nein, das muss nicht wörtliche Rede sein, aber die Formulierung ‚angeblich vergleichbare Modelle’ will mir einfach nicht gefallen, obwohl mir leider auch nichts wirklich Besseres einfällt. Da müsste man wohl den ganzen Satz verändern.

Liebe Grüße
barnhelm

 
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Hallo hell,

da hab ich mich doch sehr gefreut, als ich dein Feedback bekommen habe.
Und ehrlich, hättest du mir keine Kürzungen ans Herz gelegt, wäre ich sehr enttäuscht gewesen. :cool:

Ich denke, dass ich den Großteil deiner Kürzungsvorschläge übernehmen werde.
Es gibt ein paar Punkte, die ich anders sehe. Das würde ich gerne begründen. Ich will dich nicht überzeugen, nur zeigen, dass da noch „Hintergedanken“ im Spiel sind.

Ich will die Teile anfassen, bevor ich sie auf meiner Haut spüre, bevor ich sie aus dem Laden trage. Und ich bin sicher, dass ich sie hinaustragen werde.
Ich würde das streichen - auch wenn du es vermutlich nicht machst :) . Finde ich redundant im Kontext und irgendwie würde ich (beim zweiten Lesen) eher ein "Ich gucke mir das ja nur mal an", ein bisschen mehr Selbsttäuschung erwarten.
Interessanter Aspekt. Ich bin mal ganz kess anderer Meinung. Ich kann mir vorstellen, dass Selbsttäuschung ein wichtiger, überlebensnotwendiger Mechanismus ist. Aber, ich bin nicht sicher, ob er in der Situation (Kaufhandlung ist ja schon eingeleitet) noch wirkt. Bevor das Geschäft betreten wird: „Ach, ich guck ja nur mal.“ Absolut.
Außerdem bilde ich mir ein, dass ich mit dieser Andeutung den Leser neugierig auf Gesine machen kann, Spannung aufbauen.

Frau Winter reicht mir noch den schmalen Rock und die türkisfarbige Georgettebluse in die Umkleide, dann wartet sie in meiner Nähe.
Nachdem ich später über ihre Körperfülle im Bilde bin, beißt sich das, finde ich. Und dass sie sich später für viel zu enge Kleidung entscheidet, wird ja eh klar. Ist also redundant und auch unglaubwürdig, da ich nicht davon ausgehe, dass die Winter diesen engen Rock in die Umkleide reichen würde.
So viele Worte für ein kleines Adjektiv, und das nur, um zu sagen: Weg damit :) .
Na wart’s nur ab, wie umfassend die Antwort erst ausfällt. Das „schmal“ bezieht sich auf eine gerade Schnittform, das Teil ist schlicht gehalten, genau richtig für starke Frauen. Fachjargon halt. Ich kann aber „schmal“ durch „gerade“ ersetzen, das ist weniger irreführend. Hatte ich nicht bedacht.

Ich genieße ihre Blicke, schreite vor dem Spiegel auf und ab, wiege mich dabei leicht in den Hüften. Dann breite ich die Arme wie Schwingen aus und drehe mich zu den Walzerklängen, die den Raum unvermittelt fluten. Ich kann fliegen. Ich schwebe, ich lebe und ich bin schön.
Ist mir zu fett aufgetragen. Würde ich killen.
Kann ich nicht tun. Die größte Herausforderung für mich war: Wie kann ich die Erlebnis- und Gefühlswelt eines Suchtkranken darstellen. Das Glücksempfinden kopple ich mit Hören von weichen, beschwingten Melodien. Gesine dreht sich ja auch nicht wirklich vor dem Spiegel. Aber, was erzähl ich denn, das weißt du doch.

Die zweite Tragetasche platzt gleich aus allen Nähten, während Frau Winter sich bemüht, die Pullis unterzukriegen, die sie mir vor wenigen Augenblicken noch ausreden wollte, weil ich angeblich vergleichbare Modelle besitzen würde.
Glaube ich ihr nicht.
Denkst du auch, ein Verkäufer würde diese Situation ausnutzen? Das können nur persönliche, böse Erfahrungen sein! Gesine beginnt ja Masse zu konsumieren, da würden viele Vertreter dieser Spezies reagieren. In kleineren Geschäften ist so eine Outfit-Beratung schon sehr „intim“, da muss auch die Chemie zwischen Kunde und Verkäufer stimmen, Ehrlichkeit ist Voraussetzung.

Gesine Brandt, krakelige Buchstaben einer unsicheren Kinderschrift.
Klingt für mich wie ein typisches Merkmal für Fress- und Kaufsüchtige :) .
Den Verstärker hier würde ich auch killen.
Da kann ich dich gut verstehen. Aber der Kontrast zwischen den wackeligen Buchstaben und den selbstbewussten der Visitenkarte der Psychologin gefällt mir. In solchen Fällen bin auch etwas unreif und klammere stark :bonk:. Aber ich überdenke, weil auch Gefrierpunkt Abspecken vorschlägt.

Drei Packungen darf ich nicht aushändigen", zische ich.
Ist dem so? Und dann macht sie es doch? Würde ich streichen und damit weitermachen: „Es ist Ihnen bekannt, dass das Mittel die Leber schädigen kann?“
Geht nicht. In ihrem Leben, in ihrem Arbeitsumfeld passiert Merkwürdiges, Verbotenes, Kriminelles. Auf der einen Seite zeigt der Dialog Gesines Hin- und Hergerissensein, auf der anderen ihr schnelles Nachgeben und ihre Schwäche, sogar ihr Verständnis: Kaufsucht trifft auf Tablettensucht.
Was man sich als Autor so alles einreden kann.
Ich bediene mich hier aus meinem Erlebnis-Pool. Vor vielen Jahren wurde mir die Herausgabe von zwei oder drei Packungen dieses Schmerzmittels verweigert (war nicht für mich, hab ich im Auftrag besorgt). Ob das nur eine zeitlich und territorial begrenzte Verfügung war, kann ich nicht sagen. Außerdem sind die Tabletten spottbillig“, der Trinkgeldanteil ist erheblich, wenn die Dame zwanzig Euro rüberwachsen lässt.

Ich mag üppige Frauen, sie sind so weich und willig.
Ich hab' das schon geschrieben: Ich würde den geilen Wiegand eliminieren. Beschränke dich doch auf die Geldnot, das fügt sich ausreichend in den Text ein, finde ich. Da braucht es nicht noch eine engere Schlinge, die du ja auch wieder fallen lässt und nicht weiter zuschnürst. Du machst mich nur neugierig auf den geilen Sack und befriedigst meine Neugierde ohnehin nicht mehr im Text.
Wenn du aber darauf bestehst, könntest du den Nebensatz streichen. Ist schon sehr too much, finde ich.
wieselmaus und jimmysalaryman sehen das auch so.
Da gibt es noch Gründe, die mich zögern lassen, Wiegands Verlangen zu eliminieren. Ich hab mich plotttechnisch angestrengt, die Schlinge um Gesines Hals quasi nach Lehrbuch enger zu ziehen. Die Ansage Wiegands werde ich entschärfen, seine Berührungen möglicherweise subtiler gestalten.

Die Rückbuchung. Ist mein Schreiben nicht angekommen? Sie wohnen doch in der Klostergasse zwei?
Das hat mich stutzen lassen. Geht das?“
Ja, das geht, aber … Eigentlich ist das schwächste Glied in meiner Plausibilitätskette die Winter. Informierte Leser entlarven sie sehr schnell als blauäugige Idiotin, weil sie offensichtlich ahnt, dass mit Gesine etwas nicht stimmt, trotzdem das „Elektronische Lastschriftverfahren“ wählt. Der Kunde gibt mit seiner Unterschrift lediglich das Einverständnis, dass der Händler (Terminalbetreiber für den Händler) von seinem Konto einziehen darf. Wenn Konto überzogen, holt die Bank den vollen Betrag zurück, ein, zwei Tage später.
Nur beim Electronic Cash ist mit der Buchung dem Händler das Geld garantiert (es sei denn, die Karte ist gesperrt). Die Winter hätte also nur die PIN eingeben lassen müssen …
Ich denke aber, dass man mir meine kleine Schummelei nachsehen kann, besonders wenn man weiß, dass wir solche „Eier“ in der täglichen Praxis wirklich selber gelegt haben.
Ich hab mich ja bemüht, ein Gegengewicht zu schaffen, das die Dämlichkeit der Winter abmildert: Gesine existiert als Stammkundin in der Kundendatei. Und das Geld kommt in der Regel immer (den Menschen war das höchst unangenehm), ist mit Zusatzaufwand und Geduld verbunden.
Kannst du mit dem neuen Wissen auch noch sagen?
Aber egal - ich kann das auch ignorieren.

Und noch was.
Und dass ausgerechnet die gute Freundin von der Winter Psychotherapeutin ist ... Hm, ist natürlich ein sehr passender Zufall. Ich meine, gäbe es die nicht, die Psychotante, verlöre dein Text nichts. Aber gut, ist jetzt auch wirklich sehr penibel von mir und ich kann mit deiner Komposition sehr gut leben .
Die Psychologin soll ja den Silberstreif am Horizont symbolisieren, sie ist ja fast der einzige Weg aus der Sucht. Und dann peng, Gesine nimmt die Hilfe nicht an.
Die Figur hätte ich auch anders einführen können, da hast du recht, aber die Freundschaft zur Winter fand ich gar nicht so an den Haaren herbeigezogen.

Vielen Dank hell, für deine Gedanken und deine Zeit. Den Aufwand weiß ich wirklich zu schätzen.

Liebe Grüße,
peregrina

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Ich bin irgendwie … sprachlos.
Ich versuche jetzt krampfhaft irgendetwas dazu zusagen, aber ich schaffe es einfach nicht.
Das kommt ja wohl nicht so häufig vor, dass dir die Worte fehlen. Oder?:bounce:

Liebe Maria,

ich werte es mal als gutes Zeichen. Die KG hat dich erreicht, hat dich mitfühlen lassen.

Das ist echt scheiß dunkel. Also diese Gefühlswelt der Dame, die sich nur dann wohl fühlt, wenn sie Kleider anprobiert und so. Hart.
Wir beide lesen halt mit dem „Bauch“. Also, mir geht das oft so, dass mich eine Geschichte berührt oder eben nicht, aber ich nicht konkret sagen kann, woran das liegt.
Und da braucht auch nix Konstruktives zu kommen, ich freue mich riesig über deine anerkennenden Worte.

Ich schwebe, ich lebe und ich bin schön.
Ich habe das jetzt mehrmals gelesen, weil mir der Klang so gut gefällt. Und ich glaube, wäre der Satz noch schöner.
Und ja, das „und“ kann weg, wir kriegen ohne "und" eine schönere Satzmelodie.

Ihr Lächeln ist warm, es umarmt mich.
Ich finde das unschön. Es umarmt mich, ich weiß nicht, mir gefällt das nicht. Überhaupt wirkt es dieser Satz eher so, als hättest du es dazwischen gequetscht.
Und nein, nicht gequetscht. Das „umarmt mich“ würde ich gerne behalten, weil die Prota das Lächeln wirklich wie eine körperliche Berührung empfindet. Das arme Luder hat doch sonst niemanden, der sie in den Arm nimmt. Die Stelle ist so ein Beispiel, wo ich als Autor denke, ich kann mich hinter die breiten Schultern des Ich-Erzählers verstecken und die Figuren auch mal ungewöhnliche, untypische Dinge sagen lassen.

Oida, ich schwör, wenn das eine Geschichte ist, wo es um das Gewicht einer Dame geht, dann hast du mich schon gewonnen :3 Ich weiß nicht wieso, aber mir gefallen solche Geschichten.
Mir auch. Wahrscheinlich weil sie so frauenbezogen sind: Gewicht, Altern, Aussehen überhaupt. Wir leben halt in einer Gesellschaft, wo Äußerlichkeiten überbewertet werden.

Es ist gut geschrieben, es funktioniert, sie bekommt ein Gesicht … ich habe gebannt die Zeilen verfolgt. Anfänglich dachte ich noch, das wird so eine teenimeenii-ichbinsofett-Geschichte, aber es ist mehr als das, es hinterlässt so ein leeres Gefühl zurück, anders kann ich es nicht beschreiben … Ich hatte meinen Spaß, ich habe es gern gelesen, ich finde es toll. Du hast hier eine gute Arbeit abgegeben :3
Yes, ein echter Komplimenteregen.

Danke dafür, dass du die KG gelesen und kommentiert hast.


Liebe Grüße,
peregrina

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Hallo fxdysprosium,

schön, dass du wieder zu einer meiner KGs gefunden hast und sie dich berührt.
Was will man mehr als Autor? Unterhalten, nachdenklich machen, Gefühle erzeugen, Fragen anregen.

Was für eine eindrucksvolle Geschichte!

Der Titel ist zwar ein bisschen lasch, aber er hat mich neugierig gemacht... und das ist die Hauptsache eines Titels :)
Klar, er hat die Aufgabe, den Leser aufmerksam zu machen, ihn zur Geschichte zu locken. Lass es mich mal so sagen: Wenn in der Buchhandlung ein Roman mit diesem Titel liegen würde, ich denke, ich würde das Cover nicht lesen. Aber in Ermangelung einer Variante, die wohlklingende, spritziger, provokativer wäre, hab ich meinen Arbeitstitel übernommen. Kanji fand ihn auch nicht so prickelnd, obwohl er den Kern dessen, was ich sagen will, trifft, denke ich.

Kaufsucht ist ein großes Thema. Obwohl ich keinen Betroffenen in meinem Bekanntenkreis habe, muss ich zugeben, dass diese Thematik oft angesprochen wird.
In meinem jetzigen Umfeld kenne ich auch niemanden, aber in meiner Berufspraxis gab es einen drastischen Fall. Ich muss gestehen, da war ich anfänglich ratlos. Dadurch habe ich auch begonnen zu recherchieren.
Das war einerseits einfach nur erschreckend, Ursache, Verlauf und Auswirkung in der Theorie zu erlesen und andererseits nicht zu wissen, wie wir uns dem Betroffenen gegenüber verhalten sollen. Von dem Drahtseilakt unseres Teams zwischen wirtschaftlichen und moralischen Erwägungen möchte ich gar nicht reden.

Ich bin begeistert!
Danke für deinen Leseeindruck und das Lob. Da jubelt mein schriftstellerisches Herz.

Liebe Grüße,
peregrina

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Hallo Eva Luise Groh, Dion, josefelipe, jimmysalaryman, barnhelm,

nur schnell ein Dankeschön für eure Kommentare. Eigentlich wollte ich fixer in der Beantwortung sein, aber ….
Bis zum Wochenende krieg ich das sicher hin.

Grüße peregrina

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Eva Luise Groh,

sorry dafür, dass meine Antwort so spät kommt und danke fürs Lesen der KG.
Eine solche Einschätzung nehme ich natürlich freudig entgegen:

sehr stimmig, sehr eindrücklich schilderst du in deiner Geschichte die Dämonen der Protagonistin - in der Kindheit entstanden und doch so gegenwärtig - und was sie in ihrem Leben anrichten.
Bei dir ruft die KG Mitgefühl und Verständnis (sollte das überhaupt möglich sein, wenn man nicht selber betroffen ist) für Gesine hervor.

Mir gefallen einige deiner Formulierungen ganz besonders, zum Beispiel:

"Ich komme mir wie in einem Theaterstück vor, in dem jeder seinen vorgegebenen Text so überzeugend wie möglich herunterbetet."

Kann sein, weil ich mich selbst manchmal so fühle :-)? Oder

"Ich stand nur stumm und eingefroren ... "

Ich als Leser kann mich mit Figuren in Geschichten ganz schnell identifizieren, wenn ich ähnlich fühle wie sie oder vergleichbare Situationen kenne (sicher ganz normal). Wenn ich schreibe, kann ich auch nur auf Erlebtes, auf eigene Reaktionen und Gefühle zugreifen. Will sagen: Auch ich kenne beide Situationen: Theater spielen und stumm und eingefroren sein. Wobei mich die smarten, witzigen, schlagfertigen Typen ungemein beeindrucken. Das ist auch ein Grund, warum ich mich fürs Schreiben entschieden habe, da bleibt mir genug Zeit, um einigermaßen Sinnvolles zu formulieren. :idee:

Und ich mag Frau Winter, der ihre Kundin auch jenseits von Geschäftsinteressen am Herzen liegt.
Wir diskutieren hier ja des Öfteren über die Wirkung unserer Figuren auf den Leser. Sympathie erzeugen, liegt mir weniger und es ist auch oft gar nicht meine Absicht (wahrscheinlich nur eine Schutzbehauptung von mir :lol:). Im Falle der Winter bin ich froh, wenn du sie als glaubwürdig empfindest. Ich muss ja gegen ein böses Klischee (oder Erfahrungen?) anschreiben: gegen das Image des skrupellosen, nur am Umsatz interessierten Verkäufers. Wird auch in Zukunft eine anstrengende körperliche Verrenkung bleiben bei dem festgefügten Bild.

Ich habe ja Hoffnung, denn so ein Hilfsangebot muss sich eben erst mal setzen, bevor jemand tatsächlich in der Lage ist, es anzunehmen.
Sehe ich genauso. Was sich über Jahre entwickelt und gefestigt hat, kann man nicht von jetzt auf gleich ablegen. Auch Hilfe annehmen, will gelernt sein. Alles Prozesse.

Liebe Grüße, und hach, ein schönes Wochenende kann ich auch schon wünschen,
peregrina

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Hallo Dion,

danke, dass du mir deine Gedanken zum Text dagelassen hast. Einerseits weiß ich, was der Text mit dir macht und andererseits hab ich die Chance zu reagieren, also ich meine, zu widersprechen :).

Wenn erwachsene Menschen für all Unbill im Leben die Schuld immer noch bei ihren Eltern suchen, sind sie einfach noch nicht wirklich erwachsen.
Eigentlich gehöre ich nicht zu der Fraktion, die die Meinung vertritt, eigenes Versagen in
bestimmten Lebenssituationen kann ausschließlich mit dem pädagogischen Unvermögen der Eltern begründet werden. Das wäre Verantwortung delegieren. Eltern sind ja auch nur Menschen wie du und ich und werden auf ihre Elternrolle wenig oder gar nicht vorbereitet.
Ganz fest bin ich allerdings davon überzeugt, dass wir durch Glaubenssätze unserer Kindheit geprägt wurden, entweder gefördert oder verstümmelt. Ich denke eben, wenn die Eltern erlauben, dass einem schüchternen, stillen Kind von einer Verwandten ins Poesiealbum der „weise“ Rat geschrieben wird: „Sei wie das Veilchen im Moose, so sittsam, bescheiden und rein …“, dass dieses Verhalten unterlassene Hilfeleistung ist.

Diese Gesine in deiner Geschichte, peregrina, hat anscheinend eine Uni-Ausbildung hinter sich und steht in der Apotheke ihren „Mann“, aber im Privaten denkt und verhält sich wie ein Kind mitten in der Pubertät: Trotzig und unvernünftig.
Die Betonung liegt auf anscheinend. Über den Ausbildungs-Aspekt hab ich nachgedacht, ihn dann verschwiegen. Der Leser darf vermuten.
Variante eins: Da ja nicht alle Weißkittel, die in den Apothekenräumen rumwuseln, auch Apotheker sind, könnte Gesine eine pharmazeutisch– noch etwas- Assistentin sein, also hat sie keine Uni besucht. Dann dürfte sie wohl nur unter Anleitung eines Apothekers Medikamente aushändigen. Auch gut, dann sind die Zustände in Wiegands Apotheke noch himmelschreiender als auf den ersten Blick wahrnehmbar.
Variante zwei: Sie hat ihr Studium geschmissen (würde mich nicht wundern), kein Abschluss, kein Job. Ohne Grund wird sie Väterchen nicht als Fürsprecher nötig gehabt haben. Ob sich Wiegand strafbar macht, wenn er sie dennoch einstellt, weiß ich nicht. Vielleicht hat er ihr einen offiziellen Arbeitsvertrag als Putzfrau ausgestellt.

Ich habe nicht viel übrig für Menschen wie sie, will sagen: Mein Mitleid hält sich in Grenzen. Obwohl gerade die Geschichten über Einzelschicksale es sind, die Menschen zu Tränen rühren und sie ihre Geldbeutel öffnen lassen.
Na ja, wenn du sie als „trotzig“ und „unvernünftig“ siehst, macht sie dich eher ein bisschen fuchtig, das ist ja auch eine Gefühlswallung.

Obwohl du diese Geschichte wirklich gut komponiert hast, wird nicht klar, woher der Grund für ihr Grundübel, ihr Dicksein, kommt; dass einmal erwähnt wird, dass die Mutter ihr den Teller mit Gemüse und Schweinebraten anhäufte und anschließend mit ihr einkaufen ging, reicht mir nicht. „Da muss mehr gewesen sein.“
Ja, bei der Komposition hab ich mich stark bemüht.
Als ihr Grundübel sehe ich mehr das kaufsüchtige Verhalten, dass man allerdings auch nicht losgelöst von Essgewohnheiten beleuchten kann. Ich bin ja nur ein Haus- Garten- und Küchenpsychologe, weiß aber, dass solche Süchte sehr komplex und kompliziert und und und sind, meist in Kombination auftreten. Diese Szene beim Essen sollte wirklich kein Schlüsselerlebnis darstellen, sonder nur zeigen, wie es im Hause Brandt zuging, ständig: Steter Tropfen höhlt den Stein, so hab ich mir das vorgestellt. Man sagt doch auch, dass Fresser erzogen werden. Und es gibt doch genug korpulente Menschen, für deren Dicksein nur ein Grund besteht: nämlich zu viel Nahrung (Kranke ausgenommen).
Ich wollte die Bevormundung Gesines als Auslöser (Sehsucht nach Anerkennung stillen) für das Suchtverhalten ins Zentrum rücken, die Kopplung mit unvernünftigen Essengewohnheiten war zufällig.
Kann sein, dass ich zu ungeschickt, zu plump, zu unsensibel mit dem schwierigen Thema umgegangen bin.

In gewisser Weise ist sie wie heutzutage die sogenannten Wutbürger, die ihrerseits kaum etwas auf die Reihe gebracht haben und dafür alle anderen, denen es anscheinend besser geht als ihnen, hassen. Man könnte geneigt sein zu sagen: Sie sind alle in der Pubertät steckengeblieben.
Wutbürger, mit denen hab ich mich noch nicht auseinandergesetzt. Aber deren Verhalten scheint mir doch auch ein Beweis dafür zu sein, dass sie nicht bereit sind, für ihr Tun und dessen Konsequenzen Verantwortung zu übernehmen.

Okay, das war jetzt off-topic – und gleichzeitig ein Symptom dafür, dass ich zum Text nichts mehr sagen kann als: Gut geschrieben.
Danke, deine Anerkennung geht runter wie Öl.

Lieber Dion, ich merke selber, dass meine Erwiderung so aussieht, als wolle ich unter allen Umständen Recht haben. Letztendlich will ich nur begründen, welche Überlegungen mich beim Schreiben angetrieben haben.
Na ja, zugegeben, ein bisschen habe ich in letzter Zeit auch Gefallen daran gefunden, das letzte Wort zu haben (hängt sicher mit meiner Kindheit zusammen). :lol:

Es war mir ein Vergnügen und noch mal danke für deine Einschätzung.

Liebe Grüße,
peregrina

 

Hallo peregrina ,

Sie wissen doch, ich bin über achtzig.
Tatsächlich war ich die letzten Tage kurz davor, Vater zu bitten, meine Rechnungen zu begleichen.
Wenn der Prot achtzig ist, wie kann dann ihr uralter Vater dann noch leben?

Ansonsten fand ich deine Geschichte wunderbar. Einige Stellen die mir gefallen haben:

Ich kann fliegen. Ich schwebe, ich lebe, ich bin schön.
Vergiss es! Verräterin! Die achtundvierzig zieh' ich nicht an! „Nein, nicht nötig“, sage ich und ziehe den Bauch ein. „Ich mach gerade eine Diät.“
Ich erstarre und denke an das Kaninchen, das im Angesicht der Schlange bewegungsunfähig wird. Ich will kein Kaninchen sein.

Eine schöne, eine volle Geschichte.
Gerne gelesen von
alexei

 

Hallo peregrina,

das war ein wirklich toller Text! Shopping-Sucht findet so selten die Aufmerksamkeit und die Ernsthaftigkeit, die du hier definitiv an den Tag gelegt hast! Meistens wird es so lachend nebenbei gesagt, wenn jemand ständig neue Sachen kauft, aber hier gerät die Arme ja richtig in einen Rauschzustand.

Sprachlich sind mir jetzt keine Stolpersteine aufgefallen. Du verwendest teilweise relativ kurze Sätze, gleichst sie aber auch durch etwas längere, wodurch sich ein schöner Rhythmus ergibt.

Mir gefällt der Aufbau aus kurzen Sequenzen aus ihrem Leben, welches, so kam es mir vor, wie ein einziger Spießrutenlauf für sie ist.

Was ich mir noch gewünscht hätte, ist eine stärkere Reaktion auf Wiegands Annäherungsversuche. Dass sie nirgendwo sonst arbeiten könnte, weil niemand sie einstellen will. Passend dazu fände ich auch eine weitere Erinnerungssequenz, wo sie zu einem Bewerbungsgespräch geht, dann aber abgefertigt und hinauskomplimentiert wird.
Du hast es wahrscheinlich extra so gemacht, weil sie ja wegen ihres Vaters da arbeitet, aber ich hätte den verzweifelten, misslungenen Versuch einer späten Revolte ganz interessant gefunden.

Dennoch: auch ohne Revolte hat mir die Geschichte sehr, sehr gut gefallen!

Liebe Grüße,

Jana

 
Zuletzt bearbeitet:

Hola amigo Josè,

Meinen allerherzlichsten Glückwunsch zur neuen Geschichte.
Klasse gemacht. Toll geschrieben, gut recherchiert. Herz – was willst du mehr?
Heh! Das fängt ja gut an!
Dankeschön für die Blumen. Jetzt kann ich getrost den Rosenstrauß aus Varasdin entsorgen.

Es wäre müßig, über dies und das zu palavern, weil die gesamte Geschichte von der Themenwahl bis zum letzten Punkt ein gutes Stück Schreibarbeit ist. Und weil sie darlegt, dass Zielstrebigkeit, Fleiß und Intelligenz zwangsläufig zum Erfolg führen (müssen).
Na ja, fleißig ist sicher eine Eigenschaft, die bei mir nicht so stark ausgeprägt ist. Aber immerhin werde ich von Neugier angetrieben, einer besonderen Form von Ehrgeiz, ja bloß nicht auf der Stelle zu treten. Im Grunde genommen ist jede neue KG ein Experiment, in das ich im Forum „Aufgeschnapptes“ einfließen lasse.
Diese KG hatte zur Zielsetzung, wie kann ich das Auf und Ab in den Stimmungen eines Süchtigen glaubhaft darstellen. Und zum ersten Mal hab ich die Handlung nach Handbuch ausgearbeitet, ergo mit Kniffen, Wende- und Höhepunkt, Cliffhangern und all dem theoretischen Kram. Um der Spannung willen. Vielleicht hab ich es damit etwas übertrieben.

Die Aktualität und Brisanz Deiner Geschichte trifft ins Schwarze. Zeitalter der Süchte. Bin ich mal in unserer wunderschönen Stadt Pécs, begegnen mir die Gesines dutzendweise.
Das nimmt mich richtig mit. Jung und (eigentlich) gesund, leben die ein Ersatz-Leben und träumen vom ‚richtigen’, das allerdings bei ihren Maßen in weiter Ferne bleiben wird.
Eine traurige Feststellung. Genau, Suchtzeitalter. Denn es geht nicht nur um unser beider Lieblingsthema Essen oder abnormales Verhalten beim Kaufen. Süchte, ihre Ursachen und was da körperlich und psychisch abgeht, finde ich so faszinierend. Spielsucht ist auch einen Seitenblick wert.
Also ab ins Casino.

Das zu Beginn geweckte Interesse am Thema steigert sich zu Spannung und hält an bis zum Schluss. Das ist wirklich gelungen.
Das ist der Eindruck, den die Cliffhanger hinterlassen. :klug:
Ich sag’s ja, was man sich so alles einreden kann.

Ich finde das bewundernswert, dass Du nicht locker gelassen hast.
Es ist mir wichtig, Schreiben zu lernen, oder besser gesagt, es zu können. Warum weiß ich nicht, danach bin ich noch auf der Suche. Es macht mir halt Freude und nicht zu vergessen, es half und hilft oft, Privates aufzuarbeiten, mehr Klarheit in Gefühle zu bringen.
Meine Güte, jetzt hätte ich vor lauter Dozieren fast vergessen, die Blumen ins Wasser zu stellen. :lol:

Den Vorschlag mit dem Ameisengift hab ich schon umgesetzt, ist geschmeidiger und jetzt auch sachlich richtig.


Lieber José,
vielen Dank fürs Reinschauen und die liebenswürdigen Worte.
Einen lekker suchtfreien Sonntag wünscht peregrina


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Hallo jimmysalaryman,

klasse, dass du meine KG unter die Lupe genommen hast. Vielen Dank für deine Anregungen.
Hab direkt schon ein schlechtes Gewissen, weil ich mit der Beantwortung der Komms hinterherhinke, hab mir aber schon den Kopf zerbrochen, wie ich verschieden Tipps umsetzen könnte.

Es ist nicht so, dass ich es mit mehr show noch nicht versucht hätte. Ich entscheide mich ja gezielt für den szenischen Aufbau. Oftmals ist es mir gar nicht bewusst, dass da noch mehr geht. Kleine Gesten, Bewegungen, Körperliches, Aussehen. Ich bleibe am Ball.

Was natürliche, überzeugende Dialoge anbelangt, da tue ich mich manchmal noch schwer. In dieser KG ist der Anfangsdialog wirklich sehr allgemein gehalten, gehe ich noch mal drüber.

Genau in dem Moment, in dem die Tür ins Schloss fällt, legt sich mein nervöses Zittern.

Ich finde diesen ersten Satz aus verschiedenen Gründen nicht so gut. Der Leser wird zwar sofort in eine Szene geschmissen, die dann aber nie entsteht. Es ist nur die Simulation einer solchen: es wird auch nicht im zweiten Satz klar, warum sie nervös ist, und warum genau in dem Moment. Das ist also ein Satz, der den Beginn simuliert, Drive, Schnelligkeit, Verortung, sich dann aber als Mogelpackung herausstellt.

Und wenn ich dir sage, dass ich diese Beurteilung fast als Bestätigung meiner Absicht sehe, den Leser mit dieser „Mogelpackung“ neugierig zu machen, ihn am Text festzuklammern. Der Leser sollte sich selber erschließen, was es mit dem Zittern auf sich hat. Ich dachte, das wäre legitim. Das Schließen der Tür beendigt die Entzugserscheinung Zittern. Ich würde sagen, der erste Satz ist eine Art Vorgeschichte.

Dann breite ich die Arme wie Schwingen aus und drehe mich zu den Walzerklängen, die den Raum unvermittelt fluten. Ich kann fliegen. Ich schwebe, ich lebe und ich bin schön.Hier musste ich an ein Musikvideo von Leonard Cohen denken, aber die Magie entsteht für mich dann erst richtig, wenn noch etwas passiert, wenn ich den Grund kenne, warum sie tanzt. Sie fühlt sich gut wegen der Kleidergröße, aber das würde ich zeigen, du musst es dem Leser nicht verraten, sondern durch Aktion, Muskeln anspannen, Luft anhalten etc.
Puh, ich dachte, es wird deutlich, dass der Grund in erster Linie die Bewunderung, die Anerkennung durch die Winter ist. Lass ich mir noch mal durch den Kopf gehen.

Ich habe es jetzt zuende gelesen. Meine Meinung: Du willst zu vie. Der Vater, die Erinnerungen, der Weigand, die geklaute Karte - also ich fände es spannender, wenn du diese Story mit ihr und der Verkäuferin weiterspinnst, da steckt am meisten drin, und vor allem kannst du alle anderen damit verbinden, sie sozusagen implizieren.

Ansonsten liest sich das für mich sehr umständlich, langwierig und altbacken. Deine Erzählerin hat auch irgendwie nicht den richtigen Ton, für mich müsste der viel paranoider sein, der müsste hart an der Grenze klingen, verrückter, abgedrehter, da löst sich ein Leben ins Nichts auf, und sie wirkt aber nicht so, sie wirkt viel zu normal.

Also den Plot, was du erzählen willst - super! Die Mittel dazu, und wie du das arrangierst, da würde ich mir noch einmal mehr Zeit nehmen, das wirklich auf einen Strang eindampfen, und den richtig erzählen.


Das sind interessante Aspekte und ich hab gedacht: Ja, das willst du können: Eine moderne KG schreiben mit einer Erzählstimme, die den Leser genau in den Abgrund reißt, an dem der Prot steht. Ich denke, eigens dafür muss ich eine neue Gesine erfinden, viel mehr auf ihre Verzweiflung schauen. Das kann nur eine Parallelgeschichte zu dieser werden. Sicher auch mit einem treffenderen Titel.
Was du über den verfehlten Ton meinst, kann ich absolut nachvollziehen, denn ich hab natürlich deine KG „Was nicht mehr ist“ gelesen. Da ist die Trauer, die Wut, die Sehnsucht auch im Erzählton verankert. Da bin ich beim Lesen in ein dunkles Loch gefallen.

Bleibt die Frage nach dem WIE, die ich nicht wirklich beantworten kann: Wie spinne ich die Geschichte von Gesine nur mit der Winter weiter und wie impliziere ich die anderen Personen?
Die einzige Möglichkeit, die ich sehe: In einem ausgiebigen Verkaufsgespräch (eingedampfter Strang) die Geschichte Gesines erzählen, dabei die Beziehung Kunde Verkäufer psychologisch mehr ausleuchten. Und alle mir wichtigen Personen durch Rückblenden einbringen. Ganz grob.

Und noch eine Unklarheit: Wirkt die KG auf dich möglicherweise so altbacken, weil ich das sieben Punkte System von Johanus als Grundgerüst verwendet habe (das erste Mal überhaupt), und machen die Mini-Cliffhanger den Text behäbig? Ich dachte, er kriegt dadurch ein ziemliches Tempo.
Du siehst mich teilweise ratlos, aber die Zahnräder drehen schon.

Liebe Grüße,
peregrina


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Liebe barnhelm,

danke für deine Rückmeldung.
In meiner sanften Überarbeitung sind jetzt alle Stellen, die Anlass zum Zweifeln, Stolpern und Nachfragen gaben, ausgemerzt. Da bin ich den einfachen Weg gegangen: streichen.

Auch bei dem unschönen Satz mit den Pullovern bin ich so vorgegangen. Aus mehreren Pullis hab ich einen gemacht und WARUM die Winter sie ausreden will, verschweige ich. Da kann der Leser spekulieren, ob Gesine sich das nur einbildet.

Schönen Sonntag und liebe Grüße,
peregrina


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Hallo alexei,

danke fürs Lesen und Kommentieren meiner Geschichte. Wenn sie dir gefällt, freue ich mich natürlich.

Eine schöne, eine volle Geschichte.
Ja, sozusagen eine vollschlanke.:D

Zitat peregrina:

Sie wissen doch, ich bin über achtzig.
Tatsächlich war ich die letzten Tage kurz davor, Vater zu bitten, meine Rechnungen zu begleichen.
Zitat alexei
Wenn der Prot achtzig ist, wie kann dann ihr uralter Vater dann noch leben?
Allerdings wundere ich mich, wenn du liest, die Prota ist achtzig. Die alte Dame, die das Schmerzmittel kaufen will, nennt ihr Alter, um zu begründen, dass die bekannten Nebenwirkungen des Medikaments bei ihr keine Rolle mehr spielen.
Jeder Sprecherwechsel wird durch Zeilenumbruch angezeigt, ist dir ja bekannt.
Hier im Text (habe noch mal nachgeschaut) sind kleine Päckchen geschnürt: Immer, wenn einer spricht oder agiert, erscheint es als Textblock. Wirkt auf mich eindeutig.

Keine Ahnung, wo das Missverständnis herrührt? Die späte Stunde des Kommentierens? Egal!

Genieße den warmen Sonntag und liebe Grüße,
peregrina


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Liebe Jana Retlow,

danke für deinen Komm, auf den ich morgen gerne ausführlicher eingehen möchte. Schönen Sonntag
wünscht peregrina

 

Liebe Jana Retlow,

danke, dass du dir die Zeit genommen hast zu lesen und zu kommentieren. Natürlich freue ich mich, wenn du sagst:

das war ein wirklich toller Text! Shopping-Sucht findet so selten die Aufmerksamkeit und die Ernsthaftigkeit, die du hier definitiv an den Tag gelegt hast! Meistens wird es so lachend nebenbei gesagt, wenn jemand ständig neue Sachen kauft, aber hier gerät die Arme ja richtig in einen Rauschzustand.
Ja, Rausch, Trance sind die richtigen Begriffe für Momente, in denen der Betroffene seine Sucht auslebt. Ich weiß auch, dass das Umfeld/die Gesellschaft recht locker mit dem Kaufzwang umgeht, weil kaufen nun mal schick ist und mehr als gerne gesehen wird in unserer Konsumgesellschaft.

Was ich mir noch gewünscht hätte, ist eine stärkere Reaktion auf Wiegands Annäherungsversuche. Dass sie nirgendwo sonst arbeiten könnte, weil niemand sie einstellen will. Passend dazu fände ich auch eine weitere Erinnerungssequenz, wo sie zu einem Bewerbungsgespräch geht, dann aber abgefertigt und hinauskomplimentiert wird.
Du hast es wahrscheinlich extra so gemacht, weil sie ja wegen ihres Vaters da arbeitet, aber ich hätte den verzweifelten, misslungenen Versuch einer späten Revolte ganz interessant gefunden.
Dein Wunsch nach mehr Informationen in Richtung Bewerbungsgespräch und später Revolte zeigt mir sehr deutlich: Die sexuelle Belästigung durch den Chef hat in der KG nichts zu suchen. Das ist eine interessante Thematik, die genug Stoff bietet, um in einer eigenen Geschichte aufgearbeitet zu werden.
Ich weiß nicht, inwieweit du die Kommentare gelesen hast. Mehrfach wird mir nahegelegt, über die Rolle Wiegands nachzudenken. Das Problem ist: Mit dem Grabscher Wiegand eröffne ich eine neue Baustelle, die im Leser Neugier und Erwartungen weckt, die die KG letztendlich nicht erfüllt.
Da hab ich der Geschichte zu viel aufgepackt. Im Moment tue ich mich noch schwer, in das Gefüge einzugreifen, weil damit meine gesamte Konstruktion ins Wanken geraten würde. Will sagen, wenn ich Wiegand entschärfe, brauche ich eine glaubwürdige Begründung, warum Gesine Hals über Kopf ihren Arbeitsplatz verlässt und schon wieder kaufen muss.

Ich werde noch mal am Handlungsstrang basteln und bis dahin kann ich mich ja hinter deiner Aussage verschanzen:

Dennoch: auch ohne Revolte hat mir die Geschichte sehr, sehr gut gefallen!

Dankeschön, das lese ich gerne.

Liebe Grüße,
peregrina

 
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Hallo ThomasQ,

danke für dein Interesse an meiner Geschichte und natürlich auch für deine Meinung.
Ich komme jetzt erst zum Antworten, weil ich ein paar Tage verreist war, in Bayern, kein Internetzugang. :crying:

Du schreibst:

selten, dass ich es schaffe, einen Text bis zum Ende durchzustehen. Bei dem hier fiel mir das leicht.
Meine Antwort:
Selten, dass ich für eine Geschichte so ein tolles Lob bekommen habe. Früher dachte ich immer, es reicht aus, ein paar ungewöhnliche Formulierungen aneinander zu reihen und der Leser bleibt am Ball. Heute weiß ich natürlich, da gehört ein bisschen mehr dazu.

Der erste Satz baut gleich Spannung auf und deine Geschichte hat gutes Tempo. Ratzfatz ist man drin im Geschehen und die Spannung hält bis zum Schluss.

Ja, es war mir wichtig, Spannung zu erzeugen, wobei ich mir nie gewagt hätte, die KG unter dem tag Spannung einzustellen. Aber ich denke, wir sind uns einig, jede Geschichte sollte einen gewissen Spannungsbogen besitzen, er ist nun mal der Klebstoff, der den Leser festhält.

Ein bisschen hängengeblieben bin ich am Anfang, bei:

"Ich will die Teile anfassen, bevor ich sie auf meiner Haut spüre, bevor ich sie aus dem Laden trage."

Wenn sie die Teile anfasst, spürt sie sie doch auch mit der Haut. Daher der Vorschlag … auf meinem Körper spüre …

Den Begriff „Haut“ fand ich irgendwie erotischer als „Körper“, komisch. Aber ich werde deinen Vorschlag übernehmen.

"Langsam lasse ich mich auf die Knie fallen, dann trommle ich mit den Fäusten auf die Fliesen.
Kein Schmerz."

Ich kann mich mit dem Satz nicht anfreunden, für mich hängt der in der Luft und ein dicker Mensch, der noch dazu kolossal vollgefressen ist, lässt sich nicht auf den Boden nieder, das drückt und er kommt nur schwer wieder hoch!


Das Fallenlassen hat für mich so viel Verzweiflung, das Trommeln birgt unendliche Wut.
Diese Emotionen sind so stark, dass die Prota den körperlichen Schmerz nicht wahrnimmt, …
Du merkst schon, ich winde mich, damit ich diese Passage nicht umarbeiten muss.
Mit der Konfektionsgröße 46 ist meine Prota ja noch nicht so unförmig und unbeweglich, dass das Aufstehen aus dem Kniefall für sie super kompliziert wäre. Denke ich.
Möglich, dass sie sich doch mächtig quält? Keine Ahnung, gut, dass ich die Szene an dem Punkt ausgeblendet habe. Ich lass sie mal vorerst so. Es gibt sowieso noch ein paar Ecken und Kanten, die geschliffen werden müssen, vielleicht fällt mir eine Alternative ein.

Auf jeden Fall eine bemerkenswert gut geschriebene Geschichte!
Danke für das Lob, es wird mir Ansporn sein.

Liebe Grüße,
pergrina

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo peregrina!

Kaufsucht als Kompensation eines Minderwertigkeitskomplexes, garniert mit sexuellem Missbrauch durch Ausnützung dieser Notlage. Ausgezeichnet aufgelöst.
Gratuliere. Hab den Text erst jetzt entdeckt, via copywrite. @Fliege .
Nur das würde ich ändern:

Bedauernd zuckt sie mit den Axeln.
Achseln.

MfG, Manuela :)

 

Liebe @peregrina,

gut, das wir da eine CW-Runde am Laufen haben, denn ich kannte die Geschichte von Dir tatsächlich noch nicht. Und sie hat mich auf ihre ganz eigene Art gekriegt, sonst hätte ich mich nicht an ihr versucht. Ja, ist schon ein Thema, die Kaufsucht, nur medial nicht so ausgeschlachtet wie andere, insofern tun solche Texte immer gut, den Blick und die Wahrnehmungen zu schärfen, den Horizont mal wieder ein wenig zu öffnen. Und sind ja auch gar nicht so wenige da draußen, die sich damit rumquälen, bei den Schuldenberatern sind sie sicher eine feste Kundengröße.
Bei meiner Recherche zum Thema habe ich festgestellt, dass Du hier schon ein sehr umfassendes Bild geliefert hast, ein feines Psychogramm einer Person, die für diese Art der Sucht besonders anfällig zu sein scheint. Klar, eine von vielen und jeder ist anders, man kann nicht alle Kaufsüchtigen in eine Tüte stecken. Wollen wir ja auch gar nicht.

Die Inhaberin der Boutique kommt mir entgegen, als hätte sie schon den ganzen Tag auf mich gewartet. Ihr Lächeln ist warm, es umarmt mich.
Ja, sie fühlt sich wohl. Sie ist der Mittelpunkt, sie wird umsorgt. Es fühlt sich wie die Wärme von Familie an. Als wenn man Mutti besucht :).

Meine Handtasche stelle ich auf dem Sessel ab, ich brauche freie Hände. Ich will die Teile anfassen, bevor ich sie auf meinem Körper spüre, bevor ich sie aus dem Laden trage.
Ja, darum geht es.

Zögerlich schiebe ich den Vorhang beiseite, trete ins Rampenlicht und präsentiere mich.
Sie nickt anerkennend. „Steht Ihnen ausgezeichnet.“
Ich genieße ihre Blicke, schreite vor dem Spiegel auf und ab, wiege mich dabei leicht in den Hüften.
Ich bin schön und ich habe ein Publikum. So mag man das!

Vergiss es! Verräterin! Die achtundvierzig zieh' ich nicht an! „Nein, nicht nötig“, sage ich und ziehe den Bauch ein. „Ich mach gerade eine Diät.“
Okay, dafür muss man nicht der Kaufsucht verfallen sein. Dieser Art Kunden laufen in Heeren durch die Geschäfte.

Mein Vater ist bei mir, er kommt immer mit dem Sturm. Er lächelt milde und flüstert, so dass Frau Winter ihn nicht hören kann: „Aber, aber Prinzessin, das kannst du doch nicht machen.“ Und ob! Du solltest mal sehen, wie souverän ich einkaufe.
Das mit dem Vater, der mit dem Sturm kommt, finde ich schön. Und ja, sie muss es Papa beweisen, sie kann auch allein, wenn auch auf eine sehr krude Art.

Sofort verstaue ich die Taschen im Kleiderschrank, schiebe sie weit nach hinten, dorthin wo es finster ist.
Beim ersten Lesen habe ich hier gezuckt und erst komplett geschnallt, um was es eigentlich geht.

Dorthin, wo sich andere Beutel und die ungeöffnete Post türmen. Dann schlurfe ich in die Küche, öffne den Kühlschrank, schließe ihn wieder.
Und das hatte ich zuvor noch gar nicht gewusst. Macht aber total Sinn, dass es so läuft.

Ich reiße die Packung Schnittkäse auf. Stoße die Schale mit den Tomaten um, sie kullern über den Küchenboden. Ich lecke Thunfischsalat von den Fingern und schiebe mir Kochschinken in den Mund. Ich schmecke nichts, aber ich stopfe weiter.
Ja, diese Fressattaken (auch ganz ohne Kotzen danach) scheinen sich gern als Nebenwirkung anzudocken. Hatte ich zuvor auch nicht gewusst.

Schnell lasse ich den Schein in meiner Kitteltasche verschwinden. Bis zur Jahresinventur muss ich hier weg sein.
Ey, ey, ey. Aber irgendwoher muss das Geld kommen.

Ich möchte den alten Grabscher ohrfeigen, stattdessen winde ich mich seitlich aus der Umklammerung und stottere: „Die Bestellung muss noch abgeschickt werden.“ Ich taumle zum Computer.
Ach, man wünschte ihr doch eine Tüte Selbstvertrauen. Was sage ich, eine ganze Palette davon.

Ich spüre, wie mich seine Blicke langsam entkleiden und fühle mich so machtlos, seinen Klauen völlig ausgeliefert. Ich bin dick. Ich bin nackt, ich bin durchsichtig.
Nice!

Ich hatte keine Ahnung, wie ich mich gegen den Spott und die Verachtung dieser mutigen und selbstsicheren Kinder wehren sollte. Ich stand nur stumm und eingefroren und ließ die Anfeindungen zu.
Und daran hat sich ja bis heute nichts geändert. Weil Papa auch immer schön alles geklärt hat. Hat sie nie lernen müssen.

„Ach, Gesine, bevor ich es vergesse …“ Wiegand schiebt sich zwischen mich und meine Erinnerungen. „Die zwanzig Euro, die kannst du behalten."
Erwischt! Autsch!

Der Sirup hat sich auch im Kopf ausgebreitet. Ich spüre genau, etwas Grundlegendes muss sich in meinem Leben verändern. Doch zuerst muss ich die quälende Unruhe loswerden. Dieses Fieber kann mir nur Frau Winter nehmen.
Ja.

Mit jedem Zentimeter, den ich mich dem Geschäft nähere, wächst meine Vorfreude auf mein kleines Glück.
Schon klar.

„Vielleicht habe ich kein Recht, mich in Ihr Leben einzumischen. Aber ich denke, Sie brauchen Hilfe. Professionelle Hilfe.“
Du bist so viel netter zu Gesine als ich! Und zum Leser.

Dunkle Wolken türmen sich zu einem unheimlichen Gebilde auf, das die Konturen von Vater annimmt, als es zu mir spricht: „Lass mich das mal klären! Du weißt doch, dass du das nicht kannst, Kind!“
Ich weiß gar nicht, ob der letzte Satz nicht eh mitschwingt. Ob der nicht zu erklärend da steht. Ich bin unentschieden.

Die feuchten zitternden Hände verstecke ich in den Manteltaschen, während ich durch die Innenstadt hetze. Daumen und Zeigefinger zerreiben unablässig das Papier der Visitenkarte. Es ist so einfach, die Zellulose zu zerfasern. Als sich die Schiebetüren des Kaufhauses für mich öffnen, legt sich das nervöse Zittern endlich.
Dann heute noch nicht. Aber irgendwann, liebe Gesine, irgendwann ...

Danke für deinen Text. Der entfaltet seine Wirkung auf mich erst so richtig nach dem Ende. Denn wirklich schlimm ergeht es deiner Prot. ja hier noch nicht, es ist alles ziemlich traurig - das ja - und man denkt so armes Ding, aber wie tief sie da schon im Wasser steht, das kommt erst so richtig bei mir an, wenn sich der Text langsam setzt. So jedenfalls mein Leseerlebnis.

Liebe Grüße, Yvonne

 

Hallo @Manuela K. ,

danke, dass du die Geschichte gelesen hast. Freut mich, wenn dir Thema, Twist und offenes Ende zusagen. Ist ja doch schon ein Weilchen her, und ich bin am Überlegen, wie ich dieses Dilemma mit dieser eindeutig unterschätzten Sucht heute angehen würde.

Nur das würde ich ändern:
Bedauernd zuckt sie mit den Axeln.
Achseln.

Das finde ich voll lustig. Wahrscheinlich hatte ich beim Schreiben an Eiskunstlauf gedacht, an Doppellutz und Doppelaxel (weiß gar nicht, ob es den in zweifacher Ausführung gibt).
Danke für den Hinweis.
Ist gerichtet.

Ein lieber Gruß,
peregrina


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So, liebe @Fliege ,

jetzt oder nie!

Vielen Dank für deinen Komm und die ausführlichen Gedanken.

gut, das wir da eine CW-Runde am Laufen haben, denn ich kannte die Geschichte von Dir tatsächlich noch nicht. Und sie hat mich auf ihre ganz eigene Art gekriegt, sonst hätte ich mich nicht an ihr versucht.
War definitiv eine kluge Entscheidung, die Kopie ist beeindruckend. Und ich bin auch deshalb über die Wahl heilfroh, weil ich mich dadurch wieder an mein damaliges Vorhaben erinnert habe, eine kleine Serie zu schreiben, die Süchte zum Thema haben sollte, vornehmlich stoffungebundene. Der Umstand fasziniert mich noch mehr, wie man ohne chemische bzw. natürliche Stoffe, nur durch Gefühle und unerfüllte Sehnsüchte quasi sehenden Auges in den Ruin steuert.
Ja, ist schon ein Thema, die Kaufsucht, nur medial nicht so ausgeschlachtet wie andere, insofern tun solche Texte immer gut, den Blick und die Wahrnehmungen zu schärfen, den Horizont mal wieder ein wenig zu öffnen. Und sind ja auch gar nicht so wenige da draußen, die sich damit rumquälen, bei den Schuldenberatern sind sie sicher eine feste Kundengröße.
Da sagst du was. Wenn jemand besoffen oder zugedröhnt durch eine Fußgängerzone torkelt, dann fängt er sich schräge Blicke ein. Stolziert da aber eine schicke Lady mit prallen Einkaufstüten, dann ist das ein normales bis gern gesehenes Bild. Grundsätzlich kommt sie erst mal ihrer Kaufpflicht nach. :lol: Im Ernstfall schaut die Gesellschaft (oder wir) erst mal weg und auch die kreisenden Pleitegeier blendet man aus. "Das bisschen Kaufen, ach komm, was ist dabei, so schlimm wirds schon nicht kommen."
Ja, sie fühlt sich wohl. Sie ist der Mittelpunkt, sie wird umsorgt. Es fühlt sich wie die Wärme von Familie an. Als wenn man Mutti besucht :).

Zögerlich schiebe ich den Vorhang beiseite, trete ins Rampenlicht und präsentiere mich.
Sie nickt anerkennend. „Steht Ihnen ausgezeichnet.“
Ich genieße ihre Blicke, schreite vor dem Spiegel auf und ab, wiege mich dabei leicht in den Hüften.
Ich bin schön und ich habe ein Publikum. So mag man das!
Da sind wir schon beim Kern. Auch wenn es es sich für uns so darstellen mag, als wäre die Ware das Objekt der Begierde, denn die ist tatsächlich nur während des Auswählens und Bezahlens von Bedeutung, in erster Linie geht es um Aufmerksamkeit, Zuwendung, Anerkennung, Bewunderung durch das Verkaufspersonal. Schaut her, welch teuren Fummel ich mir leisten kann, und welche Unmengen davon oder so ähnlich. So weit mein Recherche-Wissen und eigene Erfahrungen. Allerdings kann ich mir im Moment gar nicht vorstellen, welche Befriedigung ein Suchtkranker aus einem anonymen Internet-Einkauf ziehen kann. Wird es wohl neue Erkenntnisse geben, muss ich mal fahnden.

Mein Vater ist bei mir, er kommt immer mit dem Sturm. Er lächelt milde und flüstert, so dass Frau Winter ihn nicht hören kann: „Aber, aber Prinzessin, das kannst du doch nicht machen.“ Und ob! Du solltest mal sehen, wie souverän ich einkaufe.
Das mit dem Vater, der mit dem Sturm kommt, finde ich schön. Und ja, sie muss es Papa beweisen, sie kann auch allein, wenn auch auf eine sehr krude Art.
Ob ich diese Vater-Sturm/Orkan-Sache heute noch so angehen würde, kann ich gar nicht sagen.

Ich reiße die Packung Schnittkäse auf. Stoße die Schale mit den Tomaten um, sie kullern über den Küchenboden. Ich lecke Thunfischsalat von den Fingern und schiebe mir Kochschinken in den Mund. Ich schmecke nichts, aber ich stopfe weiter.
Ja, diese Fressattaken (auch ganz ohne Kotzen danach) scheinen sich gern als Nebenwirkung anzudocken. Hatte ich zuvor auch nicht gewusst.
Leere, Leere und noch mal Leere, die muss gefüllt werde, egal womit.

Mit jedem Zentimeter, den ich mich dem Geschäft nähere, wächst meine Vorfreude auf mein kleines Glück.
Schon klar.
Habs gestrichen. Nach so viel Jahren klammere ich nicht mehr an jeder Zeile. :Pfeif:
„Vielleicht habe ich kein Recht, mich in Ihr Leben einzumischen. Aber ich denke, Sie brauchen Hilfe. Professionelle Hilfe.“
Du bist so viel netter zu Gesine als ich! Und zum Leser.
Ich sags mal so: An eine private Dessous-Modenschau mit anschließender Onanie-Orgie hätte ich mich nicht gewagt.

Dunkle Wolken türmen sich zu einem unheimlichen Gebilde auf, das die Konturen von Vater annimmt, als es zu mir spricht: „Lass mich das mal klären! Du weißt doch, dass du das nicht kannst, Kind!“
Ich weiß gar nicht, ob der letzte Satz nicht eh mitschwingt. Ob der nicht zu erklärend da steht. Ich bin unentschieden.
Freilich ist das zu erklärend. Eigentlich dachte ich, "Du kannst das nicht!" sollte so eindeutig stehen, um den Titel noch mal aufzugreifen, aber das hat man ja längst beim Lesen geschnallt. Hab den Nachsatz gekillt.

Danke für deinen Text. Der entfaltet seine Wirkung auf mich erst so richtig nach dem Ende. Denn wirklich schlimm ergeht es deiner Prot. ja hier noch nicht, es ist alles ziemlich traurig - das ja - und man denkt so armes Ding, aber wie tief sie da schon im Wasser steht, das kommt erst so richtig bei mir an, wenn sich der Text langsam setzt. So jedenfalls mein Leseerlebnis.
Nein, ich habe zu danken, für die prickelnde Variante und den unbeabsichtigten, aber wirkungsvollen Anstoß, mein Interesse an der Materie wieder zu wecken.

Ach, noch was, bevor ich's vergesse: Sorry, für die Eigenkreation des Konjunktivs II von brauchen. Ich lerne das wahrscheinlich doch nicht mehr, deshalb gelobe ich, mich in Zukunft vom Themenkomplex Konjunktiv fernzuhalten. Es wird schon einen Grund haben, warum diesen sprachlichen Verrenkungen im Alltag möglichst umgangen werden.
Over and out!

Ganz liebe Grüße,
peregrina

 

Das finde ich voll lustig. Wahrscheinlich hatte ich beim Schreiben an Eiskunstlauf gedacht, an Doppellutz und Doppelaxel (weiß gar nicht, ob es den in zweifacher Ausführung gibt).
Den Axel gibt es mittlerweile sogar in dreifacher Ausführung. Wenigstens bei den Männern. :lol:

 

Liebe @peregrina

ich habe Deine Geschichte sehr gerne gelesen. Du zeichnest ein sehr glaubwürdiges Portrait einer essgestörten und shoppingsüchtigen Protagonistin. Du lieferst Hintergründe. Alles nachvollziehbar. Es entsteht Kopfkino, der Text ist flüssig geschrieben. Schade, dass sie keine persönliche Entwicklung durchmacht, die Hilfe annimmt. Stattdessen rennt sie ins nächste Kaufhaus. Das fand ich schade, ist aber leider oft dir Realität.

Hier ein paar Leseeindrücke:

Meine Handtasche stelle ich auf dem Sessel ab, ich brauche freie Hände. Ich will die Teile anfassen, bevor ich sie auf meinem Körper spüre, bevor ich sie aus dem Laden trage.

Den Einstieg finde ich sehr gelungen. Ich bin sofort nah bei Deiner Prota, kann ihre Gefühlen nachvollziehen. Die Neugierde ist geweckt.

Sie nickt anerkennend. „Steht Ihnen ausgezeichnet.“
Ich genieße ihre Blicke, schreite vor dem Spiegel auf und ab, wiege mich dabei leicht in den Hüften. Dann breite ich die Arme wie Schwingen aus und drehe mich zu den Walzerklängen, die den Raum unvermittelt fluten. Ich kann fliegen. Ich schwebe, ich lebe, ich bin schön.

Das hast Du sehr schön ausgedrückt. Ihre Sehnsucht nach Anerkennung, die kurze Flucht aus dem Alltag und vor den Problemen.

Wie durch Watte dringt die Stimme zu mir: „Fällt klein aus! Ich war so frei und hab mal die nächste Größe geholt.“ Sie will mir den Fummel aufdrängen, das Geklimper der Armreifen übertönt die Musik.
Vergiss es! Verräterin! Die achtundvierzig zieh' ich nicht an! „Nein, nicht nötig“, sage ich und ziehe den Bauch ein. „Ich mach gerade eine Diät.“

Und hier der Schlag ins Gesicht. Sie wird mit der Realität konfrontiert.

Mit einem Mal tobt ein Orkan in meinem Schädel. Mein Vater ist bei mir, er kommt immer mit dem Sturm. Er lächelt milde und flüstert, so dass Frau Winter ihn nicht hören kann: „Aber, aber Prinzessin, das kannst du doch nicht machen.“ Und ob! Du solltest mal sehen, wie souverän ich einkaufe.
Ich kaue auf der Unterlippe und hoffe darauf, dass das Brausen und Rauschen verschwinden möge, damit ich Frau Winters Worte verstehen kann. Aber das muss ich nicht, ich beherrsche die Kunst des Lippenlesens. „Zahlung nicht möglich.“ Bedauernd zuckt sie mit den Achseln.

Ich finde es gut, wie Du den Vater mit in die Geschichte einbindest.

Sofort verstaue ich die Taschen im Kleiderschrank, schiebe sie weit nach hinten, dorthin wo es finster ist. Dorthin, wo sich andere Beutel und die ungeöffnete Post türmen. Dann schlurfe ich in die Küche, öffne den Kühlschrank, schließe ihn wieder.

Hier hab ich echt mitgelitten. Hab schon oft gehört, dass Kaufsüchtige die Sachen dann gar nicht mehr anschauen, wenn sie daheim sind. Du hast das sehr glaubhaft rübergebracht.

Ohne zu wissen, was ich tue, trete ich auf den kleinen Balkon hinaus, umklammere das Geländer und schaue lange in die Tiefe, betrachte den kleinen trostlosen Innenhof. Lautlos legt sich die Abenddämmerung auf die Dächer der Altstadt.

Die Doppelung ist mir aufgefallen.

Frau Winter hat den Magnetstreifen meiner Karte gründlich poliert und gesagt: „Ich probier’s noch mal.“ Dann konnte sie den Zahlungsvorgang abschließen. Mit meiner Unterschrift besiegelte ich den Pakt, malte den Namen einer mir Fremden mit krakeligen Buchstaben aufs Papier: Gesine Brandt.
„Viel Freude an den neuen Sachen“, rief sie mir noch nach. „Und alles Gute für Sie.“

Hier kann ich ihre Erleichterung förmlich spüren.

Mich fröstelt, der Kühlschrank fällt mir wieder ein. Da ist noch ein Rest Apfeltorte und Salamipizza von gestern. Ich reiße die Packung Schnittkäse auf. Stoße die Schale mit den Tomaten um, sie kullern über den Küchenboden. Ich lecke Thunfischsalat von den Fingern und schiebe mir Kochschinken in den Mund. Ich schmecke nichts, aber ich stopfe weiter. Es fühlt sich alles so unwirklich an. Mir ist, als würde ich neben mir stehen und einer Irren beim Fressen zuschauen.

Uff. Was sie so durcheinander isst. Heftig.
Ich finde Du könntest hier sogar noch mehr ins Detail gehen, das Exzessive noch deutlicher rüberbringen.

Langsam lasse ich mich auf die Knie fallen, dann trommle ich mit den Fäusten auf die Fliesen.
Kein Schmerz.

Klar. Den Schmerz frisst sie ja weg.

Die alte Dame sieht mich provozierend über den Rand ihrer Brille an. „Drei Paracetamol bitte!“
Ich komme mir wie in einem Theaterstück vor, in dem jeder seinen vorgegebenen Text so überzeugend wie möglich herunterbetet. „Drei Packungen darf ich nicht aushändigen“, zische ich. Sie lächelt allwissend und schaut mich weiter eindringlich an. „Es ist Ihnen bekannt, dass das Mittel die Leber schädigen kann?“ Ich drücke meinen Rücken durch.

Hier hab ich mich kurz gefragt, ob das tatsächlich so ist. Bei Online Apotheken kann man ja schier unbegrenzt bestellen.

Ich schaue nach hinten ins Labor, vom alten Wiegand keine Spur. Ich lausche. Die Gelegenheit bietet sich nicht alle Tage. Schnell lasse ich den Schein in meiner Kitteltasche verschwinden. Bis zur Jahresinventur muss ich hier weg sein.

Ja, Deine Prota ist schon krass drauf. Bringst Du sehr gut rüber.

Die Hände beginnen zu wandern, mit kleinen kreisenden Bewegungen massieren sie meine Oberarme. Das ertrage ich kaum. Ich möchte den alten Grabscher ohrfeigen, stattdessen winde ich mich seitlich aus der Umklammerung und stottere: „Die Bestellung muss noch abgeschickt werden.“ Ich taumle zum Computer.
Wiegands Bass verfolgt mich: „Ich mag üppige Frauen.“
Ich spüre, wie mich seine Blicke langsam entkleiden und fühle mich so machtlos, seinen Klauen völlig ausgeliefert. Ich bin dick. Ich bin nackt, ich bin durchsichtig.
Die Schrift auf dem Monitor verschwimmt vor meinen Augen.

Einerseits sehnt sie sich nach Anerkennung aber diese Art von Anerkennung ist dann übergriffig. Auch diese Szene war sehr glaubhaft, ich hab mitgefühlt.

Ich stand nur stumm und eingefroren und ließ die Anfeindungen zu. Zuhause verkroch ich mich hinter meinen Büchern und einem beharrlichen Schweigen. Irgendwann wurde es Mutter zu bunt und sie bohrte so lange, bis ich mit der Sprache herauskam.

Die Rückblende in die Kindheit finde ich gut. So kann man die Prota besser verstehen.
Beim Abendessen berichtete sie Vater brühwarm von den Hänseleien. Mir häufte sie noch mal den Teller voll, reichlich Kartoffeln, Gemüse, Schweinebraten und Soße. Viel Soße.

Ja. Hier wurde der Grundstein gelegt. Immer schön füttern und den Vater alles regeln lassen. Grins schief.

Vater streichelte meine Wange, während ich mampfte. „Das werde ich für dich klären, mein Kind. Und morgen Nachmittag geht Mutti schön mit dir einkaufen.“

Und sie konnte nie aus den alten Mustern ausbrechen.

Der Sirup hat sich auch im Kopf ausgebreitet. Ich spüre genau, etwas Grundlegendes muss sich in meinem Leben verändern.

Die Erkenntnis. Da hatte ich Hoffnung, dass sie es schafft.

In der Zwischenzeit streife ich an den Kleiderständern entlang. Meine Finger liebkosen die weichen Stoffe, graben sich in Seide und Baumwolle, wollen nicht mehr loslassen. Mit einem Mal glaube ich, die Gier des alten Wiegand zu begreifen. So muss es ihm in meiner Nähe ergehen, genauso will er sich in mein Fleisch vergraben. Drecksack! Die Hände sollen ihm abfaulen!

Den Vergleich finde ich sehr gelungen.

Von ihren Blicken fühle ich mich aufgespießt und mein Gesicht beginnt zu glühen. Krampfhaft fische ich nach einer Ausrede. Glaubwürdigkeit, das Rezept der Erfolgreichen. „Ach so, ja natürlich. Deshalb bin ich hier.“ Das kannst du besser! „Ich wollte Ihnen sagen, dass Sie das Geld bekommen. In bar. Nächste Woche. Ist dumm gelaufen, Überschneidungen auf dem Konto.“ Ich hoffe, sie hat mir die Nummer abgekauft, für weiteres Palaver hab ich keine Kraft. Die T-Shirts neben mir wollen endlich anprobiert werden, also zerre ich sie fahrig von den Kleiderbügeln und will mich auf zur Kabine machen.

Sehr peinlicher Moment. Kann die Scham förmlich spüren.

Sie seufzt vernehmlich. „Das bringt doch jetzt nichts, wenn Sie probieren.“ Etwas leiser spricht sie weiter, denn das Pärchen schaut bereits neugierig zu uns herüber. „Vielleicht habe ich kein Recht, mich in Ihr Leben einzumischen. Aber ich denke, Sie brauchen Hilfe. Professionelle Hilfe.“
Kümmere dich um deinen Scheiß!

Eine sehr empathische Verkäuferin.

Wie zufällig holt sie eine Visitenkarte vom Ladentisch. Für mich sieht es aus wie ein von langer Hand geschmiedeter Plan. Da höre ich auch schon das Heulen des Windes, der durch meine Gehirnwindungen fegt und alle klaren Gedanken wegbläst. Dunkle Wolken türmen sich zu einem unheimlichen Gebilde auf, das die Konturen von Vater annimmt, als es zu mir spricht: „Lass mich das mal klären, Kind!“ Die Worte hämmern im Rhythmus meines immer schneller werdenden Herzens auf mich ein. Tatsächlich war ich die letzten Tage kurz davor, Vater zu bitten, meine Rechnungen zu begleichen.

Hier war ich erstaunt, dass der Vater noch lebt.
Absolut nachvollziehbar, dass sie überlegt, ihn um Hilfe zu bitten.

Die feuchten zitternden Hände verstecke ich in den Manteltaschen, während ich durch die Innenstadt hetze. Daumen und Zeigefinger zerreiben unablässig das Papier der Visitenkarte. Es ist so einfach, die Zellulose zu zerfasern. Als sich die Schiebetüren des Kaufhauses für mich öffnen, legt sich das nervöse Zittern endlich.

Und hier war ich echt traurig. Hätte mir so gewünscht, dass sie die Hilfe annimmt. Schade, dass sie in ihrem alten Muster hängen bleibt. Dann ist sie leider noch nicht am Tiefpunkt.

Ganz liebe Grüße und einen sonnigen Tag,
Silvita

 
Zuletzt bearbeitet:

Den Axel gibt es mittlerweile sogar in dreifacher Ausführung. Wenigstens bei den Männern. :lol:

Danke für die Info, @Manuela K. Ich glaube, ich muss nicht extra betonen, dass meine Kenntnisse dieser Szene unter Packeis liegen?

Grüße über Ländergrenzen
peregrina


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Liebe @Silvita ,

so ein Kommentar ist wie ein kostbares Präsent an die Geschichte. Der Kommentator verschenkt seine Aufmerksamkeit und einen Teil seiner Lebenszeit. Darum vielen lieben Dank an dich, dass du dir die KG noch mal vorgenommen hast.

ich habe Deine Geschichte sehr gerne gelesen. Du zeichnest ein sehr glaubwürdiges Portrait einer essgestörten und shoppingsüchtigen Protagonistin. Du lieferst Hintergründe. Alles nachvollziehbar.
Recherche, Recherche und noch mal Recherche. :lol:

Es entsteht Kopfkino, der Text ist flüssig geschrieben. Schade, dass sie keine persönliche Entwicklung durchmacht, die Hilfe annimmt. Stattdessen rennt sie ins nächste Kaufhaus. Das fand ich schade, ist aber leider oft dir Realität.
Tja, die fehlende Entwicklung, wie so oft bei meinen Geschichten ein Kritikpunkt.
Erstens war ich damals fest davon überzeugt, dass es wichtig ist zu zeigen, wie gefangen der Süchtige in diesem Teufelskreis ist. Also Entwicklung zeigen, war gar nicht mein Begehren.
Zweitens denke ich, dass eine Entwicklungsprozess schwer im beengten Rahmen einer KG dargestellt werden kann (oder meine erzählerischen Fähigkeiten reichen nicht aus).
Es ist ja nicht so, dass der Betroffene mal so hopp, hopp festlegt: Ach, ab heute werde ich meine Kaufsucht mal ablegen, bevor die mich noch in den Ruin führt.

Sie nickt anerkennend. „Steht Ihnen ausgezeichnet.“
Ich genieße ihre Blicke, schreite vor dem Spiegel auf und ab, wiege mich dabei leicht in den Hüften. Dann breite ich die Arme wie Schwingen aus und drehe mich zu den Walzerklängen, die den Raum unvermittelt fluten. Ich kann fliegen. Ich schwebe, ich lebe, ich bin schön.

Das hast Du sehr schön ausgedrückt. Ihre Sehnsucht nach Anerkennung, die kurze Flucht aus dem Alltag und vor den Problemen.
Die Zuwendung des Verkaufspersonals ist ein wichtiger Faktor beim Erreichen der Glücksmomente. Im Mittelpunkt stehen, ein offenes Ohr erhalten, bewundert werden, geachtet werden wegen der finanziellen Potenz usw. Dabei muss das alles gar nicht zutreffen, vllt. sind die Verkäufer nur froh, dass die Kasse klingelt und lachen sich womöglich krank, sobald die Dicke den Laden verlassen hat.

Sofort verstaue ich die Taschen im Kleiderschrank, schiebe sie weit nach hinten, dorthin wo es finster ist. Dorthin, wo sich andere Beutel und die ungeöffnete Post türmen. Dann schlurfe ich in die Küche, öffne den Kühlschrank, schließe ihn wieder.

Hier hab ich echt mitgelitten. Hab schon oft gehört, dass Kaufsüchtige die Sachen dann gar nicht mehr anschauen, wenn sie daheim sind. Du hast das sehr glaubhaft rübergebracht.
Das ist der Beweis, dass die Ware nebensächlich ist. :)
Das Kaufen beschert das Hochgefühl. Ich habe gelesen, dass auch viele Geschenke für Freunde und Verwandte erworben werden, weil man sich auf diese Weise Zuneigung sichern will. Ist schon eine spannende Thematik.

Ohne zu wissen, was ich tue, trete ich auf den kleinen Balkon hinaus, umklammere das Geländer und schaue lange in die Tiefe, betrachte den kleinen trostlosen Innenhof. Lautlos legt sich die Abenddämmerung auf die Dächer der Altstadt.

Die Doppelung ist mir aufgefallen.
Sie doch nicht so kleinlich! :D
Man will das nicht glauben, tausendmal gelesen. Und das Putzige ist, Adjektive wie klein, groß und schön meide ich gewöhnlich wie der Teufel das Weihwasser. Ohne klein fehlt ja nix.

Mich fröstelt, der Kühlschrank fällt mir wieder ein. Da ist noch ein Rest Apfeltorte und Salamipizza von gestern. Ich reiße die Packung Schnittkäse auf. Stoße die Schale mit den Tomaten um, sie kullern über den Küchenboden. Ich lecke Thunfischsalat von den Fingern und schiebe mir Kochschinken in den Mund. Ich schmecke nichts, aber ich stopfe weiter. Es fühlt sich alles so unwirklich an. Mir ist, als würde ich neben mir stehen und einer Irren beim Fressen zuschauen.

Uff. Was sie so durcheinander isst. Heftig.
Ich finde Du könntest hier sogar noch mehr ins Detail gehen, das Exzessive noch deutlicher rüberbringen.
Meinst du? Wüsste gar nicht, wie ich das Verzweiflungsfressen deutlicher machen sollte.

Die alte Dame sieht mich provozierend über den Rand ihrer Brille an. „Drei Paracetamol bitte!“
Ich komme mir wie in einem Theaterstück vor, in dem jeder seinen vorgegebenen Text so überzeugend wie möglich herunterbetet. „Drei Packungen darf ich nicht aushändigen“, zische ich. Sie lächelt allwissend und schaut mich weiter eindringlich an. „Es ist Ihnen bekannt, dass das Mittel die Leber schädigen kann?“ Ich drücke meinen Rücken durch.

Hier hab ich mich kurz gefragt, ob das tatsächlich so ist. Bei Online Apotheken kann man ja schier unbegrenzt bestellen.
Meines Wissens nach nur begrenzte Abgabe, ja. Die Omi hat ja keinen Internetzugang, aber den braucht sie auch nicht, für Nachschub ist gesorgt. Die nächste Apotheke ist gleich um die Ecke. Was die Regelung der Mindestabgabe ad absurdum führt.

Ich schaue nach hinten ins Labor, vom alten Wiegand keine Spur. Ich lausche. Die Gelegenheit bietet sich nicht alle Tage. Schnell lasse ich den Schein in meiner Kitteltasche verschwinden. Bis zur Jahresinventur muss ich hier weg sein.

Ja, Deine Prota ist schon krass drauf. Bringst Du sehr gut rüber.
Die Sucht muss finanziert werden. Mit einem Griff in die Kasse, Lügengeschichten, Betrügereien, ein Abgleiten in die Kriminalität wird nicht so abwegig sein. Ist noch nicht so lange her, da gabs in einem TV-Krimi eine junge Mutti, die hat eiskalt das Familienkonto geplündert, um ihre Spielsucht zu befriedigen. Weit über 100.000 Euro, das Geld war fürs Eigenheim gedacht. Entschuldigung und Hoffnung: das Geld gewinn ich locker zurück!

Einerseits sehnt sie sich nach Anerkennung aber diese Art von Anerkennung ist dann übergriffig. Auch diese Szene war sehr glaubhaft, ich hab mitgefühlt.
Du wirst dich nicht mit den Kommentaren beschäftigt haben, aber man hatte mir damals ans Herz gelegt, diese Szene mit dem Wiegand zu überdenken, entweder entschärfen oder zweideutiger zu gestalten, sodass nicht klar ist, ob der Chef sie anfasst oder ob sie sich den Übergriff nur einbildet.
Mal sehen, vllt. dreh ich noch etwas am Dialog, der liest sich nicht glaubwürdig.

Sie seufzt vernehmlich. „Das bringt doch jetzt nichts, wenn Sie probieren.“ Etwas leiser spricht sie weiter, denn das Pärchen schaut bereits neugierig zu uns herüber. „Vielleicht habe ich kein Recht, mich in Ihr Leben einzumischen. Aber ich denke, Sie brauchen Hilfe. Professionelle Hilfe.“
Kümmere dich um deinen Scheiß!

Eine sehr empathische Verkäuferin.
Ein schwierige Situation. Die Verkäuferin ist schon misstrauisch und hat sich ihre Gedanken über die Kaufwut der Frau Brandt gemacht. Das ist ja noch mal ein krasser Schritt, sie direkt auf ihre Sucht hin anzusprechen.

Wie zufällig holt sie eine Visitenkarte vom Ladentisch. Für mich sieht es aus wie ein von langer Hand geschmiedeter Plan. Da höre ich auch schon das Heulen des Windes, der durch meine Gehirnwindungen fegt und alle klaren Gedanken wegbläst. Dunkle Wolken türmen sich zu einem unheimlichen Gebilde auf, das die Konturen von Vater annimmt, als es zu mir spricht: „Lass mich das mal klären, Kind!“ Die Worte hämmern im Rhythmus meines immer schneller werdenden Herzens auf mich ein. Tatsächlich war ich die letzten Tage kurz davor, Vater zu bitten, meine Rechnungen zu begleichen.

Hier war ich erstaunt, dass der Vater noch lebt.
Absolut nachvollziehbar, dass sie überlegt, ihn um Hilfe zu bitten.
Die Eltern sind für sie da, sie meinen zu beschützen, entmündigen aber letztendlich Gesine nur. Und warum sollte sich seit der Kindheit etwas Grundlegendes geändert haben. Dass sie mit ihren Geldzuwendungen das Suchtverhalten ihres Kindes unterstützen, wird ihnen nicht klar sein.

Die feuchten zitternden Hände verstecke ich in den Manteltaschen, während ich durch die Innenstadt hetze. Daumen und Zeigefinger zerreiben unablässig das Papier der Visitenkarte. Es ist so einfach, die Zellulose zu zerfasern. Als sich die Schiebetüren des Kaufhauses für mich öffnen, legt sich das nervöse Zittern endlich.

Und hier war ich echt traurig. Hätte mir so gewünscht, dass sie die Hilfe annimmt. Schade, dass sie in ihrem alten Muster hängen bleibt. Dann ist sie leider noch nicht am Tiefpunkt.
Ich dachte, es wäre ein Geniestreich, wenn die KG den Kreislauf abbildet, in dem ein Suchtkranker gefangen ist. Verlangen, Begehren > Befriedigung durch Kaufen und kurzzeitiges Hochgefühl > Reue, schlechtes Gewissen, Scham > Verlangen nach Wohlfühlen > Befriedigung durch Kaufen. Mal ganz vereinfacht dargestellt. So dreht sich das Karussell und nach jeder Runde ist etwas weniger im Geldbeutel.

Also das dauert noch, bis Gesine nach der ausgestreckten Hand greift. Wenn einmal dieses Ausmaß erreicht ist, dann bedarf es professioneller Hilfe. Und davor ist Eingestehen der Realität notwendig und kein fortwährender Selbstbetrug. Ja, ein sehr komplexes Thema, das ich ja nur mit meinem laienhaften Verständnis bearbeiten kann. Wir Menschen verhalten uns nun mal nicht immer logisch und rational. Es sind die Abhängigkeiten, wie auch die emotionalen in toxischen Paarbeziehungen, die nicht mit einem Handstreich gelöst werden können.

Danke nochmals, liebe Silvita, für deine intensiven Gedanken. Es war mir eine Freude.
Liebe Grüße
peregrina

 

Hallo @Trischa,

nicht dass ich total vergesse, mich für deinen Leseeindruck zu bedanken.
Ist natürlich immer gut, wenn es fiktive Figuren schaffen, den Leser zu packen und einen emotionalen Eindruck zu hinterlassen. Freut mich, da kann ich nicht so viel falsch gemacht haben.
Also offiziell: Vielen Dank für deine Zeit und deine Meinung.

Nun wollte ich deine Geschichte besuchen. Weg ist sie! Aber warum denn zum Überarbeiten gelöscht? Meiner Meinung nach ist das nicht Usus und wäre doch auch gar nicht nötig. Geschichte plus Information, dass du überarbeitest, könnte eine Lösung sein.

LG peregrina

 

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