Du und ich und ohne Halt
“Was denkst du?” fragt Max. Er steckt sich ein Zigarette an und bläst Rauchkringel in die Luft. “Was ich denke?!” Freddie überlegt. “Ich denke, dass es schön ist mit dir zu schlafen.” Er zieht die Bettdecke ein Stück höher, er friert. “Findest du es nicht auch irgendwie außergewöhnlich, dass gerade wir so eine Beziehung miteinander haben?” fragt Max, der seinen Rauchkringel nachschaut, bis sie sich auflösen. “Wir schlafen miteinander, du hilfst mir bei den Hausaufgaben und...” “...und was?!” ergänzt Freddie fragend.”Willst du mehr?” fragt er. “Ich weiß nicht...” gibt Max unsicher zurück. “Ich weiß überhaupt nichts, ich weiß nicht was ich will.” Er lächelt Freddie unsicher an. “Ich weiß nur, dass es mit dir schön ist.” “Reicht das nicht, das es nur schön ist?” fragt Freddie. “Ich weiß nicht.” Max überlegt. “Willst du denn mehr?” fragt er Freddie und steht auf.
“Oh, Gott, du bist so schön, wenn du nackt bist.” schwärmt Freddie. “Ja, deswegen würden wir auch so gut zueinander passen. Du bist so klug und ich bin eben nur schön.” erwidert Max.
“Du bist auch klug, mein Lieber. Sogar sehr!” und mit gespielter Entrüstung ergänzt er sich selbst. “Findest du mich nicht auch schön?” er schmunzelt und beißt in die Decke. “Doch wunderschön!” sagt Max. “Aber keiner kennt dich so wie ich jetzt.” Er hat einen ernsten fast ängstlichen Gesichtsausdruck. Er kniet am Bettrand vor Freddie und fleht fast. “Keiner darf dich so sehen wie ich, ja?!” “Aber in der Dusche nach dem Sportunterricht haben mich schon viele nackt gesehen.” “Doch wie ich dich sehe...” Max schluckt “... hat dich noch keiner gesehen. Keiner kennt dich so wie ich, keiner...” er zögert.
“... liebt dich so wie ich.”
In der Schule gehen sie anders miteinander um. Sie sind kein Liebespaar in dem Sinne, in welchem Sinne auch immer. Sie sind nicht nur Freunde. Es gibt Orte, da muss man zwangsläufig miteinander umgehen. Diese undefinierte Beziehung, belastet sie nicht direkt. Vielmehr indirekt und das lastet viel schwerer auf ihnen. Man würde besser mit einander umgehen, besser und einfacher aufeinander eingehen können, wenn sie wüssten wie. Das steht immer zwischen ihnen. So etwas wie Seelenverwandtschaft und starke Anziehungskraft verbindet sie. Dieser Anziehungskraft geben sie ab und zu nach, fast zu oft. Man ist sich so nah und doch so fern und weiß nicht, wie man zum andern finden soll. Das Finden ist kein Problem, sich gegenseitig halten können sie nicht.
Alltäglich gehen sie fast zwangsläufig miteinander um, sitzen in einigen Kursen zusammen, in manchen Arbeitskreisen. Man sieht sich eben täglich, hat einen alltäglichen Rhythmus mit und für einander gefunden und oft fällt es sehr schwer der aufkommenden Leidenschaft Wiederstand zu leisten. Da ist nicht nur immer das gegenseitige Begehren, sondern auch die Sehnsucht nach der verwandten Seele, der Ergänzung zur eigenen.
Weil sie sich so lieben, verletzen sie sich auch. In Momenten, in denen der Leidenschaft kein Einhalt mehr geboten werden kann, in denen die Dämme brechen und sich ein Ventil öffnen muss, klagen sie sich ihrer Liebe gegenseitig an. Eine Liebe, die dem anderen und sich selbst Raum und Luft zum atmen nimmt. Man kann nicht frei sein, man fühlt sich eingeengt, fast gefangen. Dann tut man sich mit Absicht weh, um einen Gegensatz zur Liebe, die so viel Raum und Luft einnimmt, zu schaffen.
Später tut es ihnen wieder leid, dann halten sie sich in den Armen, weinen zusammen, trocknen ihre Tränen gegenseitig und reden wie ein frisch verliebtes Pärchen miteinander. Doch diese schönen Liebesmomente halten nicht lange und man findet wieder den fast alltäglichen Alltag miteinander, für einander.
“Freddie?!” Freddie liegt mit geschlossenen Augen im Schaumbad. Das Radio spielt ein Liebeslied als Max ins Badezimmer kommt. “Freddie, hast du mich nicht gehört?!”
“What have I got do make you loved me?”
“Ja, ich höre dich.” antwortet Freddie, der seine Augen immer noch geschlossen hat. “Wir müssen reden!” sagt Max ernst und lehnt im Türrahmen. “Ja, das dachte ich mir schon. Ist es schon wieder Zeit?” fragt er sarkastisch und taucht unter.
“What do I do when lightning strikes me...”
Freddie taucht auf, wischt sich den Schaum vom Gesicht. “Was erwartest du eigentlich von dieser Beziehung? Gib mir bitte mal das Frotteetuch auf dem Klo.” Er steht auf und steigt aus der Wanne. Das Wasser perlt von ihm ab. “
“Was für eine Beziehung Freddie?!” fragt Max traurig. Er steht im Türrahmen, als ob er dort Zuflucht sucht. “Ja, was für eine Beziehung?! Ich liebe dich...” er trocknet sich in aller Ruhe währenddessen weiter ab. “... und du liebst mich und keiner von uns beiden stellt diese Liebe in Frage. Wir lieben uns so sehr, kennen uns dadurch so gut, dass wir uns auch hervorragend verletzen können.” Sarkasmus! “Und das ist keine Basis für eine Liebesbeziehung und auch für keine Freundschaft. Also was sind wir, was wollen wir, was willst du?” “Sind wir verloren, weil wir uns so lieben?! Wir lieben uns und sind trotzdem oder vielmehr deswegen unfähig uns gegenseitig Halt zu geben!”
“What do I do to make you want me? What have I got to do to be heard?”
“Dann sollten wir uns trennen.”
“Wir können uns nicht trennen, wir sind nicht wirklich zusammen.”
“Das ist unser Problem. Wir haben keinen Anfang und finden so mit auch kein Ende. Wir können nicht miteinander Schluss machen, weil wir nie miteinander gelernt haben wo unser Anfang ist und so wissen wir auch nicht wo es sein Ende nimmt.”
“Die Liebe, meine Damen und Herren, ist der absolut höchste Zustand von Irrationalität. Die Ratio, stellen Sie sich das mal vor, ist komplett ausgeschaltet, blockiert.” Doktor Helmut Schneider schreitet förmlich majestätisch durch sein Reich, den Klassenraum. An der Tafel dreht er sich zu seinem Kurs um, stützt sich mit beiden Händen auf sein Lehrerpult. “Was will ich Ihnen damit sagen?!” Schneider atmet theatralisch ein, er fixiert seinen Kurs. “Ungeheuer ist viel, doch nichts ist ungeheurer als der Mensch. Antigone Sophokles. Gut merken. Der Mensch meine lieben Zöglinge...” Schneider muss über seine Anrede selbst lächeln. “Der Mensch hat ungeheure Emotionen. Diesen lässt er besonders freien Lauf, wenn er liebt, der Mensch. Betiteln wir den Menschen in diesem Zustand besser als ES, weil der Mensch dann sozusagen nur noch aus seinem ÜberEs besteht. Nicht logisch denken, nur noch handeln, nur noch und überhaupt lieben. Also kann man doch zu dem Schluss kommen, das die Liebe eine hormonelle Störung ist und Romantik, diese nicht zu vergessen, das i-Tüpfelchen, meine Damen und Herren, ist emotionaler Überschuss.” Schneider ist mit sich sehr zufrieden. Seine Augen wandern fragend durch den Klassenraum und finden Halt bei Freddie. “Wie empfinden Sie die Liebe, Herr Rheintaler?” Schneider weiß nicht wie sehr er einen wunden Punkt getroffen hat. Freddie spürt Max` Blick im Rücken, einen fast auffordernden. Freddie überlegt. Schneider will sich fast schon wieder einem neuen Monolog hingeben, da er von Freddie eh nichts erwartet hatte, als Freddie von seinem Herzen geleitet wird. “Lieben und geliebt zu werden kann so einfach sein...” er schluckt. “...aber daraus eine feste Beziehung wachsen zu lassen, die stark genug ist beiden Halt und Vertrauen zu geben, ist viel schwerer. Ich liebe und diese Liebe erfüllt mich mit so viel Licht und Kraft, gibt mit Geborgenheit, macht mich groß und macht mich klein, macht mich stark und macht mich schwach, doch ich finde keinen Halt. Ich weiß nicht wie...” Freddie bricht ab. Max läuft eine Träne die Wange runter.
Frederik Rheintaler und Maximilian von Quant kennen sich seit der zehnten Klasse, seit fast vier Jahren. Man war dem anderen anfänglich skeptisch gegenüber, weil er einem die Rolle des Exoten im Jahrgang streitig machte. Nicht das Freddie damals für sich definierte schwul zu sein, er wusste er ist einfach anders als andere Jungen in seinem Alter. Mit Mädchen war er befreundet, ganz ungezwungen und Jungs interessierte ihn einfach. Im Gymnasium war plötzlich der Andere da, der ähnlich souverän mit Mädchen umging und mit den Jungs flirtete.
Sie waren damals noch nicht in einer Klasse und man sah sich nur gelegentlich auf dem Pausenhof, im Schulflur oder auf der Treppe und tauschte nur Blicke aus. Vielsagende, prickelnde und interessante Blicke.
Die ersten Worte wechselten sie miteinander als man sich mal wieder wie zufällig auf dem Schulflur traf. Man wollte grade aneinander vorbei gehen, als der eine den andern ansprach.
“Hallo... . Bist du nicht ... mh... wie soll ich sagen?... der andere?” Max stockte und musste verlegen lächeln. “Ja, ich bin der andere!” antwortete Freddie. Sie schauten sich in die Augen und verloren sich tiefer und tiefer im Blick des anderen. Sie wussten sofort... . Was wussten sie sofort?
Der Augenblick zerriss und es war als ob sie aus einem tiefen schönen Traum erwacht seien. Sie lächelten sich beide kurz an und gingen weiter. Man sah sich nun öfter bewusst und sprach mehr miteinander, über Alltägliches und immer waren sie sich dem Gefühl der ersten Begegnung bewusst.
“Es ist eine wunderschöne Nacht.” Freddie lächelte und dreht sein Glas in der Hand. “Ich will sie dir schenken, Max!!”
Es war Sylvester. Eine halbe Stunde nach Mitternacht. Die meisten Partygäste waren so im Partyneujahrstrubel beschäftigt, dass man Max und Freddie ungestört lies. Sie landeten an diesem Abend zufällig auf der selben Party. “Du weißt, das es kein Zufall war?!” “Natürlich weiß ich das, dass es kein Zufall war. Das hat man mir später auch erzählt.” “Man wollte uns zusammen bringen.” “Ja, zusammen sind wir ja irgendwie... .” “Nur das wir nicht richtig zusammen sind und nicht voneinander kommen... .” Sie standen auf der Dachterrasse und schauten in die sternenklare Nacht. Ab und zu ging noch eine Rakete. “Und was machen wir nun mit dieser geschenkten Nacht?” lächelte Max geschmeichelt über so ein besonderes Geschenk.
“Lass sie uns erleben, pur ausschöpfen, zusammen!!”
“Kann ich dieses Angebot ablehnen?!” Lächeln.
“Nein, das kannst du nicht.” sie küssten sich.
Sie merkten schnell, dass da mehr ist als nur Sex und Verliebtsein. Es hatte sich nach endlos suchender Zeit ein Puzzle zusammen gefügt.
Vertrauen ist das Fundament jeder Liebe. Max vertraut Freddie und Freddie vertraut Max, doch das Vertrauen in sich selbst fehlt. Sie sind im Strudel ihrer Liebe gefangen und nichts kann ihnen dort Halt geben. Suchende Hände greifen ins Leere.
“Max?!” Freddie hält Max am Arm fest. “Was ist?” fragt Max gereizt. Sie stehen auf dem Schulflur. “Was war das vorgestern Abend?” Freddie hat Tränen in den Augen. Max macht sich nicht die Mühe sich aus Freddies Griff zu befreien. “Das geht dich nichts mehr an Wir sind nicht mehr zusammen und wenn man es genau nimmt, waren wir auch nie wirklich zusammen.” Max befreit sich aus Freddies Griff. “Natürlich geht es mich etwas an, weil ich dich LIEBE!” Freddie hat den letzten Satz förmlich rausgeschrieen. Umstehende, vorbeigehende schauen wer da schreit. “Ich liebe dich auch.” Max schluchzt plötzlich, seine anfänglich Härte fallengelassen. “Das am Abend vorgestern war nichts. Ich weiß nicht einmal wie er hieß.” Max laufen die Tränen. “Aber weißt du was? Dieser namenlose hat mir Dinge gesagt, die ich so gern von dir hören wollte. Wie sehr er mich begehrt, wie schön ich doch sei und das er sich eine Zukunft mit mir vorstellen gönne, vorstellen will.” “Max... ?!” Freddie schreit nach Max als ob er ihm entgleiten würde. “Freddie kannst du dir eine Zukunft mit mir vorstellen? Bitte sag mir das... sag mir schöne Dinge, lass mich wohl bei dir fühlen. Bitte... !” Freddie nimmt Max` Gesicht in seine Hände. “Mein Liebster, ich möchte mir so sehr eine Zukunft mit dir vorstellen, weil ich dich liebe. Ich möchte uns vertrauen in unserer Liebe Halt zu finden...” er bricht ab und kann seinen Tränen und seinem Kummer nur noch freien Lauf lassen. “Ich vertraue dir und liebe dich, aber weder du findest Vertrauen in uns Halt zu finden noch kann ich das.” Stirn an Stirn, Hand in Hand stehen sie miteinander. “Wie müssen loslassen...” Tränen laufen ziellos “Ja, wir müssen loslassen...”
“What do I say when it`s all over? It´s a sad situation. And it´s getting more and more absurd.”