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Du
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Der Bus hatte Verspätung. Ich zog meine, von mir selbstgefertigte, Makrameetasche wieder auf die Schulter. Meine kleine Schwester stand neben mir. Sie trat von einem auf das andere Bein, und.ich konnte ihre Ungeduld spüren. Doch plötzlich hielt sie in ihrer Bewegung inne. Um die nicht gut einsehbahre Straßenkurve kam ein großer gelber Bus. Der Gleiche, der uns in allen Ferien vom Bahnhof bis ins Dorf brachte, wo meine Oma wohnte. Wie immer setzten wir uns in die hinterste Reihe, um dem Kribbeln im
Bauch nicht entgehen zu müssen, welches uns jedesmal während der Fahrt in steilen Kurven überkam. Tsch.... Die Tür schließt sich, der Bus fährt los. Und wieder die selben Häuser. Ampeln, die immer auf rot standen. Und in diesen bekannten Bildern schweiften meine Gedanken fort. Ich freute mich schon auf die schmackhafte Bohnensuppe, die nur meine Oma so lecker kochen konnte, und auf Malzkaffee aus der Porzellankanne mit dunkelgrünem Blattmuster. Tsch... Die nächste Haltestelle war erreicht. Ich sah durchs Fenster, meine Gedanken brachen ab. Es stiegen Leute ein, welche ich teilweise aus dem Konsum kannte, der sich im Dorf befand. Meine Oma kaufte dort ihr Leben lang ein. Besonders Donnerstags stand sie lange in der Schlange, wenn Wurst-und Fleischlieferung kam. Plötzlich umfing mich ein eigenartiges Gefühl. Durch die Tür, im Mittelteil des Busses, erschien ein Junge. Meine Augen blickten starr auf ihn. Er hatte blonde, kurze Haare. Seine Gestalt war schlank und groß. Ich konnte nichts mehr denken. Doch nun sah er in den hinteren Teil des Busses, sicher um einen freien Sitzplatz zu finden. In dem Moment blickte ich rasch aus dem Fenster. Die mir vertraute Haltestelle war nur eine weiße Wand. Ich war blind. Dabei hatte ich ein Gefühl, das ich bis zu diesem Zeitpunkt nicht kannte. Es war angenehm, heiß und kalt zugleich. Meinen Blick wendete ich wieder nach vorn und sah, dass er sich auf eine freie Sitzbank setzte. Mit ihm stieg ein wesentlich kleinerer und jünger wirkender Junge ein. Er sah zu uns in den hinteren Teil des Busses, wobei ich seinen Blick wie durch einen Schleier wahrnahm und setzte sich neben Ihn. In meinen Gedanken wandelte ich nun auf anderen Pfaden: Wer ist er? Wie alt ist er ? Er ist bestimmt viel älter als ich! ... . Tsch... Und wieder öffnete sich die Tür. Wir waren im Dorf angekommen. Nur kurz merkte ich, dass ich vorherige Stationen nicht wahrnahm. Fast synchron erhoben sich er ich von den Plätzen, doch er bemerkte es nicht. Wie mechanisiert stand ich zwischen den Sitzen und sah ihm nach. Wohnte er in diesem Ort? Zum Schlittenfahren auf der Rodelwiese hatte ich ihn noch nie gesehen. Oder besuchte er auch seine Oma? Da bekam ich einen Schupps in die Seite. "Geh' doch! Wir sind da! ", drängelte meine kleine Schwester neben mir und schob sich vorbei. Wo war er? Ich sah mich nach allen Seiten um, doch konnte den blonden Jungen nirgendwo mehr sehen. Enttäuscht und auch etwas traurig verließ ich den Bus. Ich war erst zwölf Jahre alt. Meine Schwester rief an der nächsten Straßenecke: "Komm' endlich! Omi wartet auf uns!" Tsch... Der Bus fuhr ab. Tsch..., das Geräusch das mich mein Leben lang begleiten sollte.