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Duell im Morgengrauen

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12.02.2004
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Duell im Morgengrauen

Kurz nach Sonnenaufgang standen sich auf meinem Nachttisch zwei Krüge aus Glas Rücken an Rücken gegenüber wie zwei Männer mit Duellpistolen.
In der Mitte, etwas im Hintergrund, wartete die alte Nachttischlampe auf meine tastende Hand. Die Szenerie machte ganz den Eindruck, als würden die beiden Krüge sich im nächsten Moment voneinander entfernen, sich nach zehn Schritten umdrehen, und aufeinander feuern.

Vielleicht lag es an einer Liebschaft des größeren Kruges mit der Kaffeetasse, die oft so kokett am Rande des Beistelltisches herumstand. Die beiden passten natürlich nicht zusammen, aber oft war in ihr eine dunkle und süße Leidenschaft, die ihr sagte, dass sie diesen kühlen Bierkrug liebte. Dabei war sein Inneres entweder kalt oder leer, und manchmal schäumte er. Der kleinere Krug, aus dem Kinder Himbeersaft tranken, und der oft nachts treu mit einem Schluck Wasser gefüllt Wache hielt, hätte besser zu ihr gepasst. Weil sie im Küchenschrank fast immer nebeneinander standen, galt es in den Kreisen des Geschirrs als Selbstverständlichkeit, dass sie zusammengehörten.

Ich kenne die näheren Umstände nicht, die dazu geführt haben, dass es soweit kommen musste! An diesem Morgen standen sie sich jedenfalls gegenüber, um es unter sich auszumachen. Dem Bierkrug gab die dicke rote Geldtasche moralische Unterstützung, für den kleineren machte ein zerlesener Schundroman den Sekundanten. Auf dem Nachttisch herrschte eine fast greifbare Spannung.

Ich merkte von all dem nichts, denn ich schlief noch den zufriedenen Schlaf guter Menschen, die sich nichts vorzuwerfen haben; bis kurz nach Sonnenaufgang, als ich steif aus dem Bett stieg, die Pantoffeln suchte, und dabei irgendwie den Bierkrug auf dem Nachttisch umstieß. Er fiel auf den Parkettboden und bekam einen Sprung.

Im spärlichen Licht, das durch die zugezogenen Vorhänge sickerte, zeigte der kleinere Krug, der noch einen winzigen Schluck Wasser enthielt, ein höhnisches Aussehen.

Seit diesem dramatischen Ereignis macht die Kaffeetasse einen traurigen Eindruck. Es wird mir nicht erspart bleiben, sie durch eine neue zu ersetzen. Ich möchte damit aber noch eine Weile warten, um die Gefühle des Zuckerstreuers nicht zu verletzen, der in einem besonderen Naheverhältnis zu ihr steht. Ich bin ihm zu Dank verpflichtet, weil er mir immer wieder das Leben versüßt hat, und sollte er sich jemals leer fühlen, dann nur, weil er mir soviel gegeben hat...

 
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;-)

:read:

Wundervoll! Bisher wandelte ich gern auf meiner Wiese, zwischen Blumigem, den Blättern und Blüten - manchmal imitten eigenartiger Blütenblätter und sonderbar Blättrigem. Die Kornfelder in der Nähe reizen. Der Weizen duftet und das Stroh ist spürbar, nicht erst als Spreu. Der Werdegang dieses Erdbewuchses benötigt keiner genaueren Beschreibung. Die verwurzelten Bäume in den bewässerten oder unbewässerten Ebenen und erkennbaren Höhen der bewegten Landschaften erzählen gern selbst.

Sicher, der Geschirrschrank erforderte meist etwas Aufmerksamkeit beim Abstauben, Putzen, Einordnen, Umstellen, Verzieren, Renovieren, .... Das Rufen nach Dringlichkeit besteht ab und zu, sobald nicht alle Tassen im Schrank aufgeräumt stehen.
Charmant das Erinnern an die Gläser-Politur; ob mit oder ohne Gebrauchs-
spuren!

Welch Vergnügen, das Geschirr zu halftern; ohne gleich an den Pferdefuß zu denken. Von den Schmieden und der Kunst dieses Handwerks, ein andermal. Wollen wir mit Copertino die Aktion eröffnen, in Battuta übergleiten, der Terzparade ausweichen und großzügig mit den Flinten sein? Olé!!! ;)

Chaotische Grüße
Strubbel

 

Lieber Strubbel,

Der Kommentar übertrifft meine Prosa an Kunstfertigkeit - was ich auch auf eine inspirierende Art seltsam finde, besonders weil duftender Weizen und Stroh zu unseren Füßen keinerlei Beziehungen zu Geschirrschränken aufweisen. Die Dissonanz verstärkt sich noch durch die Finte mit der Flinte. ;)
Allerdings musstest Du Deine glaspolitursaubere Wortspende überarbeiten, wohl um dem Fortschreiten vom Erdbewuchs zum Geschirr das richtige Gepräge zu geben.

Alles in allem ein sehr sinnvoller Text.

lg Fritz

 

:dozey:
:cool:
:Pfeif:

Meinst???

:read:

Ein Meinen ziert gern Vielerlei,
von Masken und der Gaukelei.
Enthüllt sehr schnell Verstecktes,
das zwickend schiebt. - Nichts Keckes!!

Bemerkt den eig`nen Widerspruch,
kaum bei gekünstelt Grün im Bruch.
Das Raspeln an dem gleichen Ast,
schafft deutlich Süßholz zu der Last.

:sealed:

Chaotische Grüße
Strubbel

 

Hallo Fritz,

hab´ mir mal diese von deinen Geschichten ´rausgesucht. Süß, originelle Idee, nett umgesetzt.

Nur, was mich etwas gestört hat:

Kurz nach Sonnenaufgang standen sich auf meinem Nachttisch zwei Krüge aus Glas Rücken an Rücken gegenüber wie zwei Männer mit Duellpistolen.
In der Mitte, etwas im Hintergrund, stand würdig die alte Nachttischlampe.
Wiederholung

Gruß, Elisha

 

@Elisha: Danke für die nette Kritik! Ich hätte kaum mehr damit gerechnet, dass jemand diese alte Geschichte beehrt. Die Wiederholung wiederholt sich nicht mehr, obwohl Wiederholungen nicht so verwerflich sind wie manche meinen.

Wusstest Du, dass es im Französischen kein Wort für "Stehen" gibt?
Schopenhauer fand, das sei ein Armutszeugnis. :)

 

Hi Fritz,

In der Mitte, etwas im Hintergrund, wartete die alte Nachttischlampe auf meine tastende Hand.
Das finde ich richtig schön.

Gruß, Elisha

 

Servus Berg!

Die Dinge mit anderen Augen sehen ...
Sehr schön, wie Du diese Begleiter unseres täglichen Lebens in Bezug/Beziehung zueinander gesetzt hast. *g*
Jedes noch so unscheinbare Stück, das im großen Ganzen untergeht, liefert Grund zum Nachdenken über den Status, den es inne hat. Oder dessen unbeachtete Präferenzen ...

Gefällt mir ausgesprochen gut!


Lieben Gruß
Antonia

 

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