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Duell im Morgengrauen
Kurz nach Sonnenaufgang standen sich auf meinem Nachttisch zwei Krüge aus Glas Rücken an Rücken gegenüber wie zwei Männer mit Duellpistolen.
In der Mitte, etwas im Hintergrund, wartete die alte Nachttischlampe auf meine tastende Hand. Die Szenerie machte ganz den Eindruck, als würden die beiden Krüge sich im nächsten Moment voneinander entfernen, sich nach zehn Schritten umdrehen, und aufeinander feuern.
Vielleicht lag es an einer Liebschaft des größeren Kruges mit der Kaffeetasse, die oft so kokett am Rande des Beistelltisches herumstand. Die beiden passten natürlich nicht zusammen, aber oft war in ihr eine dunkle und süße Leidenschaft, die ihr sagte, dass sie diesen kühlen Bierkrug liebte. Dabei war sein Inneres entweder kalt oder leer, und manchmal schäumte er. Der kleinere Krug, aus dem Kinder Himbeersaft tranken, und der oft nachts treu mit einem Schluck Wasser gefüllt Wache hielt, hätte besser zu ihr gepasst. Weil sie im Küchenschrank fast immer nebeneinander standen, galt es in den Kreisen des Geschirrs als Selbstverständlichkeit, dass sie zusammengehörten.
Ich kenne die näheren Umstände nicht, die dazu geführt haben, dass es soweit kommen musste! An diesem Morgen standen sie sich jedenfalls gegenüber, um es unter sich auszumachen. Dem Bierkrug gab die dicke rote Geldtasche moralische Unterstützung, für den kleineren machte ein zerlesener Schundroman den Sekundanten. Auf dem Nachttisch herrschte eine fast greifbare Spannung.
Ich merkte von all dem nichts, denn ich schlief noch den zufriedenen Schlaf guter Menschen, die sich nichts vorzuwerfen haben; bis kurz nach Sonnenaufgang, als ich steif aus dem Bett stieg, die Pantoffeln suchte, und dabei irgendwie den Bierkrug auf dem Nachttisch umstieß. Er fiel auf den Parkettboden und bekam einen Sprung.
Im spärlichen Licht, das durch die zugezogenen Vorhänge sickerte, zeigte der kleinere Krug, der noch einen winzigen Schluck Wasser enthielt, ein höhnisches Aussehen.
Seit diesem dramatischen Ereignis macht die Kaffeetasse einen traurigen Eindruck. Es wird mir nicht erspart bleiben, sie durch eine neue zu ersetzen. Ich möchte damit aber noch eine Weile warten, um die Gefühle des Zuckerstreuers nicht zu verletzen, der in einem besonderen Naheverhältnis zu ihr steht. Ich bin ihm zu Dank verpflichtet, weil er mir immer wieder das Leben versüßt hat, und sollte er sich jemals leer fühlen, dann nur, weil er mir soviel gegeben hat...