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Dungenieure in Düsseldorf
Es klingelte. Herr Mittelmeier öffnete arglos die Haustür.
»Tach auch«, grüßte der erste Zwerg, »wir fangen dann jetzt an.«
»Äh«, antwortete Mittelmeier, »... ja.« Er vermutete, dass es schon seine Richtigkeit hatte, dass ihn ein Trupp Zwerge mit Bauhelmen und Werkzeugen am Samstagmorgen aus dem Bett klingelte, um ... ja, was eigentlich?
»Einfach gerade durch«, befahl der Zwerg. Seine elf Kollegen folgten dieser Anweisung und liefen an Mittelmeier vorbei, durch den Korridor in die Küche und von dort wieder nach draußen, in den Garten.
»Ich hätte da eine Frage«, sprach der verbliebene Zwerg Herrn Mittelmeier an.
»Ja?«
»Meine Leute dürfen doch Ihre Toilette benutzen, oder?«
»Aber nicht im Stehen«, rutschte es Herrn Mittelmeier heraus.
»Ha ha«, lachte der Zwerg humorlos, schüttelte den Kopf und trottete mit einem »Menschen, sehr witzig« seinen Kollegen hinterher.
Eine Stunde und zwei Tassen Kaffee später hatte Herr Mittelmeier sich dazu durchgerungen, die Zwerge zu fragen, was sie in seinem Garten zu suchen hatten. Er zog den Gürtel seines Bademantels fest zu, räusperte sich und marschierte durch die Küchentür in den Garten. Ihm klappte die Kinnlade runter.
Mit diesem Anblick hatte er nicht gerechnet.
Wo vorher sein Grünkohlbeet gewesen war, klaffte nun ein riesiges Loch im Boden. Die Zwerge hatten Gerüste aufgebaut, und neben der Öffnung stapelten sich Steine, Wurzelstücke und abgerissene Kabel. Herr Mittelmeier fürchtete um seinen Telefonanschluss.
Aus dem Abgrund drangen Hämmern, Schaufeln und schräger Gesang an Herrn Mittelmeiers Ohren. Von den Bauzwergen selbst war keine Spur zu sehen. Mittelmeier wog seine Möglichkeiten ab. Wenn er in die Grube hinunter klettern würde, würde er sich seinen Blümchen-Bademantel schmutzig machen. Vernünftiger war es sicher, sich einen Stuhl zu holen und hier zu warten, bis die Zwerge eine Pause einlegten oder weitere Steine oder Kabel ans Tageslicht brachten.
Kurze Zeit später – Herr Mittelmeier hatte Küchenstuhl, Beistelltisch und Kaffeetasse in den Garten geschafft – tauchten nacheinander ein Stück Leitungsrohr, eine Hand und der zugehörige Zwerge aus dem Loch auf. Es handelte sich allerdings nicht um den Oberzwerg, der an Mittelmeiers Tür geklingelt hatte.
»Entschuldigung«, sagte Herr Mittelmeier, »ob ich wohl Ihren ... Anführer sprechen könnte?«
Der Zwerg ließ das Rohr fallen. Dann rief er etwas in einer für Mittelmeier unverständlichen Sprache in den Abgrund hinunter und stieg selbst wieder hinab. Geduldig wartete Mittelmeier einige Minuten, dann erschien der behelmte Kopf des grauhaarigen Oberzwerges am Rand des Lochs. »Ja bitte?«
Mittelmeier räusperte sich. Dann zeigte er auf den Fußschemel, den er neben seinen Stuhl gestellt hatte. »Bitte nehmen Sie doch Platz. Ich möchte mich mit Ihnen unterhalten.«
Der Zwerg beäugte misstrauisch den Fußschemel, dann richteten sich seine zusammengekniffenen Augen auf Mittelmeier. »Hab zu arbeiten.« Der Kopf verschwand. Mittelmeier überlegte verzweifelt.
»Möchten Sie vielleicht einen heißen Kaffee?«, rief er dann.
Der Kopf tauchte wieder auf. »Haben Sie Bier?«
Mittelmeier lächelte dünn, deutete auf den freien Platz und ging in die Küche.
Als er mit zwei Dosen Diebels zurück kam, saß der Zwerg mit verschränkten Armen steif auf dem Schemel. Mittelmeier reichte ihm die Dose. Der Zwerg ließ den Verschluss knacken. »Zackundweg«, sagte er und nahm einen tiefen Schluck.
»Prost«, sagte Mittelmeier.
»Aaaah«, seufzte der Zwerg, »ein guter Tropfen.«
»Würden Sie mir Ihren Namen nennen?«, fragte Mittelmeier.
»Meister Umzwirbel. Diplom-Dungenieur«, kam die Antwort.
»Aha«, machte Mittelmeier, während der Zwerg wieder von seinem Bier trank. »Und was genau tun Sie hier?«
Umzwirbel schaute Mittelmeier von unten herauf an. Gut, er hatte keine andere Wahl, aber es war genau jenes von-unten-herauf-Ansehen, das beispielsweise Schüler aufsetzen, wenn man sie fragt, warum sie als Werbung für teure Klamotten herumlaufen.
»Wir bauen ein Verlies«, erklärte Umzwirbel betont langsam. »Einen Dungeon«, fügte er hinzu, als Mittelmeier nicht reagierte.
»Ah ja«, machte der. »Und ... warum?«
»Hier«, sagte der Zwerg und holte ein zusammengefaltetes Pergament aus seiner Tasche. »Das ist der schriftliche Auftrag. Verlies Katalogversion 3B Spezial, also mit einer Schatzkammer, zwo Eimern Epees, sieben Falltüren, acht Gruftspinnen und einem Dutzend Skeletten.«
»Aber ich habe diesen Auftrag nie erteilt«, erklärte Mittelmeier.
Der Zwerg deutete auf ein Gekritzel am unteren Rand des Pergaments. »Ist das hier Ihre Unterschrift oder nicht?«
Mittelmeier schaute genau hin. »Die ist gefälscht!«
»Mir doch egal«, grunzte der Zwerg und zuckte mit den Achseln. Es sah aus, als würde der ganze Zwerg in die Höhe springen. Dann ließ er das Pergament wieder in der Tasche verschwinden.
»Wurde eigentlich schon die Rechnung beglichen?«, fragte Mittelmeier, in der Hoffnung, der Zwerg würde nicht »oh, da erinnern Sie mich an was« antworten.
»Guter Mann«, antwortete Umzwirbel, »sehe ich aus wie jemand, der arbeitet, bevor er bezahlt wird?«
Mittelmeier kratzte sich am stoppeligen Kinn. Er überlegte, wer in seinem Namen den Bauauftrag erteilt und sogar die Rechnung bezahlt hatte. Einen Teil seiner Gedanken sprach er laut aus: »Wer sollte denn meine Unterschrift fälschen, um in meinem Garten ein Verlies bauen zu lassen?«
»Wenn verschiedene Welten durcheinander geraten, bleibt die Kausalität oft auf der Strecke«, entgegnete Umzwirbel und leerte seine Bierdose.
Mittelmeier fand, das erklärte eigentlich alles. Und in Wirklichkeit gar nichts.
Die Haustürklingel unterbrach seine Gedanken.
»Ich geh schon«, sagte der Zwerg und verschwand. Mittelmeier blieb zurück und überlegte, ob er sich in letzter Zeit Feinde gemacht hatte.
Etwas klapperte, und Mittelmeier sah zur Küchentür.
Meister Umzwirbel stand da und sagte: »Die Skelette sind zu früh dran. Können wir sie im Wohnzimmer abstellen?«
»Äh, ja nun«, entgegnete Mittelmeier. Zwerg und Klappern entfernten sich. Kurz darauf hörte Mittelmeier laute Stimmen aus dem Wohnzimmer.
Umzwirbel tauchte wieder auf. »Ich hab den Skeletten den Fernseher angemacht«, sagte der Diplom-Dungenieur.
»Möchten Sie vielleicht noch ein Bier?«, fragte Mittelmeier.
Der Zwerg schien hin- und hergerissen. »Lieber nicht«, knirschte er dann, »ich könnte Ärger mit der Bauaufsichtsbehörde kriegen.«
»Oh. Ach übrigens, wenn das Verlies fertig ist ...«, begann Mittelmeier.
»Dienstag.«
»Dienstag, ja ... muss ich dann eigentlich mit gelegentlichen ... Besuchen von Abenteurern rechnen, die das Verlies, nun ... besuchen?«
Der Zwerg sah Mittelmeier schräg an. »Wenn ihr Menschen Häuser gebaut habt, dann kommen auch irgendwann die ... Versicherungsvertreter, oder?«
Mit diesen Worten verschwand Umzwirbel im Bauloch. Mittelmeier leerte seinen mittlerweile kalten Kaffee. Als er sein Haus betrat, wagte er einen kurzen Blick ins Wohnzimmer. Die Skelette sahen sich friedlich eine Zeichentrickserie an. Einige hatten rostige Schwerter auf dem Schoß liegen, andere kratzten sich gelangweilt Fleischreste von den Knochen.
Mittelmeier schüttelte den Kopf und ging ins Schlafzimmer, um sich anzuziehen.
Als Mittelmeier am Montag Abend von der Arbeit kam, machte der Zwergenbautrupp gerade Feierabend. Als Meister Umzwirbel mit einem »bis morgen dann« die Haustür hinter sich und seinen Kollegen geschlossen hatte, spazierte Mittelmeier in seinen Garten und verharrte unschlüssig vor dem Bauloch.
Sein verwegener Plan existierte seit dem gestrigen Sonntag, genauer gesagt: Seit einem aufschlussreichen Telefonat mit seinem Neffen Tommy, der leidenschaftlicher Rollenspieler war.
Sein Plan beruhte auf einer simplen Tatsache: Verliese enthielten Schätze.
Und die waren schon gestern angeliefert und in die Tiefe getragen worden.
Kurz entschlossen ersetzte Mittelmeier seinen Anzug durch alte Klamotten und Gummistiefel, stopfte frische Batterien in seine Taschenlampe und kletterte in den Schacht. In zehn Metern Tiefe folgte er dem bequemen Gang Richtung Westen.
Aus der Tasche zog Mittelmeier den Bauplan hervor, den er von der Vorlage abgezeichnet hatte, als Umzwirbel die versehentlich in der Küche vergessen hatte. Geschickt umging Mittelmeier die eingezeichneten Falltüren.
Die Zwerge hatten gute Arbeit geleistet, das musste Mittelmeier zugeben. Nichts erinnerte daran, dass er sich gerade vermutlich genau unter dem Haus seiner Nachbarin, Frau Wempel befand – oder unter der Bushaltestelle gegenüber, der Plan war in dieser Hinsicht etwas ungenau.
Mittelmeier setzte seinen Weg fort und grüßte in einem größeren Raum freundlich die Skelette, die nur kurz von ihrem Kartenspiel aufsahen: »Nabend, Männer. Ich schau mich mal um.« - »Klarklacklickerklack.«
Die Nester der Riesenspinnen waren noch verwaist – wegen ihrer undurchdringlichen Netze wurden sie erst morgen, ganz zuletzt, ins Verlies gesetzt.
Noch eine Abzweigung, eine Treppe hinunter, durch die offene Tür mit dem noch steckenden Geheimschlüssel ...
Er war am Ziel. Spürte, wie neue Macht ihn durchströmte. Fühlte sich wie ein Politiker beim Wahlsieg – erfolgreich durch geschicktes Ausnutzen der Situation.
Da lagen sie, die Schätze: Gold, Edelsteine und Wunderschwerter. Daneben zwei Eimer mit kleinen, bunten Pillen. Das mussten die Epees sein, von denen Umzwirbel gesprochen hatte. Mittelmeier streckte die Hand aus. Die Epees sahen aus wie Traubenzucker-Bonbons. Er probierte einen – er schmeckte vorzüglich. Nach und nach stopfte er den Rest in sich hinein.
Als beide Eimer leer waren, fühlte er sich wie ein Mensch zweiter Stufe und spürte, wie seine Muskeln wuchsen.
Dann kam der für die Realität verantwortliche Verwaltungsmitarbeiter aus dem Urlaub zurück und entfernte die eingedrungenen Fremdspuren aus seinem Zuständigkeitsbereich – Fußspuren von Zwergen auf dem Küchenfußboden, zwei oder drei vergessene Rippen auf der Wohnzimmercouch und natürlich das Verlies samt Spinnen, Skelette, Schätzen und einem läppischen Abenteurer zweiter Stufe.