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Durch Schimmel nassgewordene und deshalb abfallende Badezimmerfliesen
Ich wollte schon immer bei einem Flugzeugabsturz sterben, bei einem mit meiner eigenen Band. Wäre auch toll, wenn mir das Flugzeug gehören würde. Great Balls of Fire sozusagen. Lynyrd Skynyrd mäßig. Aber das einzige, was wir bisher hatten, war eine Reifenpanne. Und Toby ist mal von einem Hund angefallen worden. Eigentlich hat der Hund ihn nur böse angeschaut. Aber er sagt, es sei sehr intensiv gewesen. Seelische Grausamkeit. Praktisch das Äquivalent zum Misshandeln eines Tieres. Scheiß Hund.
Ich frag mich, ob es in „Zur Hölle mit Jacqueline“ um den Hund geht.
So etwas frage ich mich wirklich.
So weit ist es schon gekommen.
Toby steckt sich eine Zigarette an. Das kann er echt gut. Er hält das Feuerzeug in der rechten Hand, führt es dann am Mund vorbei nach links und dann knackt es so richtig. Keine Ahnung, wie er das macht. Toby sagt: „Wir brauchen einen Hit.“
„Wir sollten uns eine Tussi besorgen, die sind in. Wir sind Helden und so, die haben alle Tussis“, brummt Kai.
Toby sagt: „Scheiß drauf.“ Weil Toby selbst der Augenfang sein will. Glaube ich.
Toby sieht ein bisschen aus wie Kurt Cobain. Nur mit schwarzen, kurzen Haaren und die Augen sind irgendwie anders und er wiegt auch zwanzig Kilo mehr als Kurt, aber sonst: Wie ein Ei dem anderen. Und wütend. Furchtbar wütend. Das ist wichtig, meinte er mal.
„Wir brauchen bessere Bass-Lines“, schlage ich vor.
„Scheiß drauf“, sagt Toby. Weil er ja kein Basser ist.
„Einen besseren Namen“, sagt Kai.
„Scheiß drauf“, sagt Toby. Weil das seine Idee war mit den Badezimmerfliesen.
Niemand weiß so recht, was das soll. Und auf die Basstrommel vom Schlagzeug haben wir es auch nicht richtig geschrieben. Kai hat das probiert, aber er hat nur „Durch Schimmel“ hingekriegt und dann hat er’s aufgegeben und alles wieder schwarz gemacht. Mit Acrylfarben oder mit Lack oder mit Airbrush. Das weiß ich nicht mehr.
Toby starrt auf die Spitze seiner Zigarette und ich und Kai starren auf Toby. Dann sagt Toby: „Ich hab’s. Wir brauchen eine Lavalampe. Und jetzt verpisst euch endlich und kommt erst wieder, wenn ihr eine Lavalampe habt.“
Ich sage: „Toby, das hier ist mein Keller.“ Aber mit Toby kann man jetzt nicht reden, der starrt immer noch auf seine Zigarette und es sieht ein bisschen so aus, als sei er gerade in einer Trance oder so. Kai guckt mich an und ich zucke mit den Schultern, weil es ja wirklich mein Keller ist, und Toby wirft die Zigarette auf den Boden und brüllt: „Verpisst euch endlich!“ Wütend. Furchtbar wütend.
Als ich ein paar Stunden später in meinen Keller gehe, sind nur noch die Sitzgruppe, Kais Schlagzeug und mein Bass drin. Keine Ahnung, wo Toby ist. Ich stelle die Lavalampe auf den Tisch vor der Sitzgruppe, schnappe mir meinen Bass und zupfe ein bisschen drauf rum. Aber die Lampe hilft nicht so richtig.
Ob Lynyrd Skynrd auch eine Sitzgruppe hatten? Oder eine Lavalampe?
„Neuer Plan“, sagt Toby. Kai und ich schauen ihn an. Toby starrt auf die Lavalampe. „Bisher waren wir ja wütend.“
Ich nicke.
Kai nickt auch.
„Richtig wütend und zornig. Zur Hölle mit Jacqueline. Pure Wut.“
Ich nicke.
Kai nickt auch.
„Ab sofort“, sagt Toby. „Ge-heim-nis-voll!“
Niemand sagt was und Toby starrt immer noch auf die Lavalampe.
„Sonnenbrille und so. Texte. Ihr wisst schon. Wenn keiner weiß, was das bedeuten soll. Blassgrüne Schwaden nebligen Gleichmuts pochen gegen meine Stirn.“
Das hat er nur so dahin gemurmelt, aber jetzt reißt er die Augen auf und sagt: „Schreibt das auf!“
Ich sage: „Das passt auch besser zum Bandnamen.“
Kai notiert gerade den Schwadensatz und Toby schaut mich über die Lavalampe hinweg an und flüstert: „Genau, jetzt ergibt alles einen Sinn. Unsere Lebenswege haben bisher nur auf diesen Punkt hingeführt.“
Die Lavalampe leuchtet orangerot.
Und Kai sagt: „Wie geht es nach Schwaden weiter?“
Toby steht auf, läuft ein bisschen rum und hebt seine Gitarre auf.
Kai flüstert mir zu: „Wie geht es nach blassgrüne Schwaden weiter?“
“Nebligen Gleichmuts pochen gegen meine Stirn“, flüstere ich zurück.
Und Toby schlägt irgendwie einen Akkord an, lässt das dann nachhallen und sagt: „Weil es uns auf einer tieferen Ebene berührt. Weil wir die Wahrheit nicht erkennen und erfassen können mit unserer primitiven Sprache. Deshalb auch der Bandname!“
„Wie bei I am the Walrus“, sage ich so vor mich hin.
Und Tobys Kopf ruckt zu mir, über seine Schulter, und er schaut mich aus weit aufgerissen Augen an und sagt: „Genau.“
Kai schwitzt Blut und Wasser. Meine Finger sind ganz taub vom Zupfen des Basses. Und Tobys Haare hängen ihm klatschnass am Kopf, so als hätte er sich einen nassen Wischmob aufgesetzt. Aber er singt weiter, immer weiter, und das Schlagzeug schlägt und ich zupfe. Irgendwann hört es auf und keiner sagt was, der Bass in meiner Hand muss eine Tonne wiegen. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt Bass spielen kann, gerade. Das Ding fühlt sich wie ein Keyboard an oder wie eine Frau. Das weiß ich nicht so genau.
„Das war gut“, sagt Toby. „Echt gut.“
Und dann hören wir, dass Kai hinten vom Schlagzeugstühlchen fällt. Und als ich mich zu ihm umdrehe, liegt er da flach ausgestreckt auf dem Boden und hält sich mit den Händen an den Oberarmen fest. Er zuckt und vibriert, so als wäre er ein Rasierapparat und in ein Waschbecken gefallen.
„Hoffentlich passiert das auch, wenn wir einen Auftritt haben“, sagt Toby. „Das wär ’ne riesen Show.“
Ich frage: „Was sollen wir machen?“
Und Toby sagt: „Hol ihm halt Wasser. Das liegt bestimmt an den Elektrolyten.“ Und dann summt er vor sich: „Bittre Moleküle sehnen sich nach Schneetauben Elektrolyten, doch grau, so grau ist alle Ironie.“
Die Lavalampe leuchtet. Und meine Finger streichen über die Saiten des Basses. Und ich höre hinter mir Schlagzeuggeräusche. Und als ich mich umdrehe, sehe ich, dass Kai mit dem Fuß gegen die Basstrommel schlägt.
Kai fährt den Kleinbus seines Onkels und ich sitze hinten mit Toby und dem Schlagzeug und der Lavalampe und sage: „Das ist doch nicht normal.“
Und Toby schließt die Augen und murmelt: „Saxophoniger Wahnsinn küsst die Flötennormalität und fickt sie oboig in den Arsch.“
Meine Finger zucken und ich sage: „Toby, ehrlich jetzt.“
Kai trommelt im Beat mit den Fingern gegen das Lenkrad.
Ich hab keine Ahnung, wo wir gerade sind, aber es ist ein Konzert und ich stehe auf der Bühne. Ist wohl so ein Studenten-Café, weil fast nur Frauen da sind, die an Café-Tischchen sitzen und sich mit anderen Frauen unterhalten und furchtbar desinteressiert sind. So an allem.
Ein paar haben sogar Hütchen auf, vor allem schwarze. Wie sie Franzosen tragen. Niemand achtet richtig auf uns, also auf Kai und mich, wie wir da stehen. Und das tut schon ein bisschen weh. Ich frage mich gerade, ob das bei Lynyrd Skynyrd auch so war, aber dann kommt endlich Toby mit seiner Gitarre und immer noch achtet keiner auf uns.
Aber dann fängt er an und singt: „Blassgrüne Schwaden nebligen Gleichmuts pochen gegen meine Stirn.“
Meine Finger bewegen sich wie von alleine und die ganzen kappentragenden Studentinnen schauen in unsere Richtung und ich flüstere so vor mich hin: „Meinst du, wir kriegen die dazu, miteinander rumzumachen?“
Aber dann ist Toby schon bei der zweiten Zeile und die Lavalampe leuchtet und alles verschwimmt irgendwie.
Toby schüttelt mich an der Schulter und ich öffne die Augen. Er hat eine schwarze Kappe auf und sagt: „Wir müssen los.“
Ich versuche aufzustehen, aber da liegen zwei oder drei Studentinnen auf mir und ich muss mich erst schütteln, damit sie abfallen. Und als ich stehe, gucke ich nach unten und da ist eine Rothaarige und noch eine Schwarzhaarige, aber die ist ganz schön dick und hat eine Delle auf dem Po.
Toby sagt: „Und das war erst der Anfang.“
Ich schnappe meinen Bass und Toby schnappt sich seine Gitarre und die Lavalampe und Kai bestimmt auch Schlagzeug-Sachen, das kann ich nicht so richtig sehen, weil ich die Delle von dem Arsch der Schwarzhaarigen nicht mehr aus dem Kopf kriege.
Wir sitzen wieder im Bus hinten und Kai fährt.
Toby hat gar nichts mehr gesagt, seit wir los sind, aber jetzt murmelt er: „Meinst du, es gibt die perfekte Wahrheit und wenn man die ausspricht, stirbt man? Weil man es nicht ertragen kann?“
Das ist irgendwie typisch, denke ich, aber ich sage: „Weil Gott, du weißt schon, weil er es nicht duldet, wenn man auf seiner Ebene ist?“
„Biberbraune Bettwäsche Gottheit“, sagt Toby.
Kai trommelt mit den Fingern gegen das Lenkrad.
Ich habe irgendwie noch den Geruch der Rothaarigen an mir. Wenn ich nur wüsste, was ich mit der gemacht habe? Ob ich gut war? Hab ich die Dicke angefasst?
“Gelbseichige Erkenntnis des tiefstehenden Vulkans“, sagt Toby.
Meine Finger bewegen sich, aber ich sehe immer noch diese fleischige Delle vor meinen Augen.
Die Lavalampe leuchtet.
„Die Lampe!“, sage ich.
„Lampions krächzen burgundernes Wissen in tumultene Stille“, sagt Toby.
Der Wagen schlingert, die Lampe leuchtet.
„Der Teufel ist in der Lampe!“, schreie ich. „Wie in dem Film!“
Toby schaut mich jetzt an, und das Gelborange der Lampe gibt ihm so einen ganz seltsamen Anstrich. So als würde er sich eine Taschenlampe unters Kinn halten, aber er sagt gar nix mehr. Er schaut mich nur an.
Der Wagen schlingert wie verrückt und Kai trommelt gegen das Lenkrad wie ein Irrer und ich sehe noch Tobys weit aufgerissene Augen und ein Feuer lodert in ihnen, dann höre ich ein Reißen und ein Krächzen und alles wird dunkel.
Als ich wieder die Augen öffne, kann ich Tobys aufgeschlagenen Schädel sehen. Er hat den Kopf ganz schräg, so als würde er schlafen. Ich schaue an mir herunter und es liegen irgendwie zig Schlagzeugteile auf mir drauf und der Bass. Ich rufe: „Kai? Alles klar?“ Aber ich höre nur ein Trommeln von vorne. Meine Lungen schmerzen bei jedem Atemzug und aus Tobys Kopf läuft etwas Rotes.
Ich strample mit den Beinen, als ich versuche mich zu befreien. Tobys Hände bewegen sich und suchen irgendwas. Kai trommelt immer noch wie ein Irrer. Und ich treffe mit meinen strampelnden Beinen etwas auf dem Boden. Es knirscht. Toby öffnet die Augen und lächelt mich an.
Ich nicke ihm zu und sage: „Wie bei Lynyrd Skynyrd.“
Und Toby flüstert: „Das war es wert.“
Kai hört auf zu trommeln.