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Duschen
"Lasst mich in Frieden! Zur Hölle! Lasst mich gehen!", schrie Leon, während er mit der einen Hand die zwei Enden des Handtuchs um seine Hüfte hielt und mit der anderen Hand verzweifelt versuchte, sich einen Weg an den beiden Jungen vorbei zu bahnen. Aber es war aussichtslos. Die Beiden standen mit verschränkten Armen und einem fiesen Grinsen auf dem Gesicht im Eingang und jedes Mal, wenn er einen Versuch startete gewaltsam an ihnen vorbei zu gelangen, schlugen sie ihm mit der Faust in den Brustkorbbereich und er prallte ab wie eine Welle an der Brandung.
"Jetzt geht aus dem Weg! Lasst mich durch!" Ein weiterer Versuch. Diesmal schlug ihm der Kleinere von den Beiden mit solch einer Kraft gegen sein Schulterblatt, dass Leon auf dem glatten gefliesten Boden ins Schwanken geriet, es nicht mehr schaffte, sich auszubalancieren und plötzlich mit dem Kopf nach hinten auf den Grund fiel. Aus seinem Mund drang vor Schmerz ein kurzes Stöhnen. Ein wenig Speichel lief am Mundwinkel hinab. Leon brauchte einige Sekunden um die Situation wieder einzuordnen. Im Fall hatte er das Handtuch losgelassen und es landete direkt neben ihm. Sein Penis war entblößt.
"Steh auf!" Pascal löste seinen schwarzen Ledergürtel, dessen Schnalle leicht das Licht der Neonröhren reflektierte, und schlug ihn zwei Mal bedrohlich auf den nackten gefliesten Boden. Leons Unterlippe begann zu zittern. Ablenken, Ablenken. Immer wieder der selbe Gedanke in seinem Kopf. Achte nicht auf die Geschehnisse, lenk dich ab, dann überlebst du es. Im Hintergrund ertönte in regelmäßigen Abständen das Platschen einiger Tropfen, die vom Duschkopf herab auf den Boden fielen. Erneut und erneut; wie in einer Endlosschleife. Er konzentrierte sich mit aller Kraft auf das leichte monotone Geräusch, vergass alles andere und sah vor seinem geistigen Auge nur noch die Tropfen, welche erst gemächlich ihren Flug beginnen, die Geschwindigkeit erhöhen und schließlich mit voller Wucht auf dem Boden einschlagen. Fester und Fester. Jedes Mal. "Steh auf! Verdammt noch mal!" Diesmal brüllte Fabian. Er war größer und muskulöser als Pascal. Seine Wut wirkte beängstigend.
"Ich sagte: Steh auf!" Leon erhob sich und verbarg den Intimbereich mit beiden Händen. Vor den Blicken der Beiden konnte er jedoch nicht fliehen. Sie prüften ihn von oben bis unten, fuhren mit ihren glänzenden Pupillen von Kopf bis Fuß seinen Körper entlang, bis sie schließlich im Gesicht kleben blieben. Pascal schlug erneut die Gürtelschnalle auf den Boden. Diesmal mit aller Kraft und es knallte lauter als zuvor. Leon lauschte nur den Tropfen; einzig den Tropfen. Lausch den Tropfen, lausche ihnen, sie retten dich!
"Mit den Händen an die Wand; den Rücken zu uns!"
Leon isst einen Käsetoast bestrichen mit Remoulade und sitzt auf der Bettkante. Er kann nicht schlafen; denn sobald er die Augen schließt, strömen unzählige Gedanken durch sein Gehirn, Erinnerungen alter Tage, welche er am liebsten vergessen würde. Wenn es doch nur so einfach wäre, das man aussortiert, was man nicht denken will.
Leon stellt den Teller mit dem Toast auf den Nachttisch. Dann legt er sich wieder hin und wendet seinen Kopf Lara zu, die neben ihm liegt. Sie ist plötzlich wach und lächelt leicht in der vom schwachen Mondlicht unterbrochenen Dunkelheit. Langsam rückt sie näher an ihn heran und fragt flüsternd:
"Warum schläfst du nicht?"
Ein Kuss auf die Stirn. Nur ganz kurz. Die Lippen berühren die Haut und lösen sich sofort wieder. Leon bekommt eine Gänsehaut.
"Ich hatte heute viel Stress in der Firma."
Lara schüttelt den Kopf und legt ihre Hand in sein Haar.
"Nein! Ich mein; ich sehe es. Ob du es glaubst oder nicht. Ich sehe, wann du schläfst. Du verbringst kaum eine Nacht mit geschlossenen Augen! Ich sehe es doch. Ich merke, das irgendwas dich bedrückt, worüber du nicht reden kannst."
Jetzt schüttelt er den Kopf. Daraufhin schließt er die Augen und meint: "Ich kann meine Augen schließen, wann und wo ich will."
Er verharrt einige Sekunden in der selben Pose, bis die Frau schließlich so nah an sein Gesicht heranrückt, das ihr Atem sanft über seine Wangen streicht.
"Das kannst du nicht." Leon öffnet die Augen wieder.
"Doch! Glaub mir. Es bedrückt mich nichts. Ich hatte nur einen langen gestressten Tag!"
"Aber gerade dann solltest du den Schlaf suchen."
Erneut schließt er die Lider. Vor seinem Auge erscheint eine weite unendliche Dunkelheit.
"Zu viele Gedanken. Da vergisst man schnell auch noch an den Schlaf zu denken."
"Bist du sicher, das dich nichts bedrückt?" Er überlegt zwei Sekunden
"Sicher!" Lara nickt. Schließlich schläft sie ein.
Leon sieht nur noch die Dunkelheit. Mit den Händen an die Wand; den Rücken zu uns! Die Stimme hallt in seinem Gehirn. Alles wird still. Plötzlich befindet er sich wieder in der Dusche gegenüber von Fabian und Pascal. Der schwarze Ledergürtel, das Handtuch am Boden und die regelmäßigen Geräusche von Tropfen, welche auf den Boden platschen. Er beginnt zu weinen. Unter seinen geschlossenen Augenlidern erscheinen Tränen, und ein kaum wahrnehmbares Wimmern ertönt.
"Leon, du bist nicht allein, ich helf dir, wenn du Hilfe brauchst. Sag mir nur Bescheid."
Tropf Tropf Tropf. Ablenken. Dann überlebst du es.
"Wenn du jemanden zum Reden benötigst, stehe ich zu deiner Verfügung. Du kannst mir alles erzählen."
Lausch den Tropfen, lausche ihnen, sie retten dich!
"Ich bin hier öffne deine Augen. Ich bin für dich da!"
Pascal packte seinen Schädel von hinten, und drückte ihn so nah an die Wand, das Leon den Gestank von Beton roch. Auf der Zunge schmeckte er ein wenig Dreck. Seine Augen waren nur auf das Weiß der Fliesen gerichtet. Völlig weiß. Plötzlich spürte er es; ein Gefühl. Von hinten. Er empfand, wie sich etwas Fremdes in ihn reinpresste, in ihm steckte, sich tiefer rein drückte, wieder kurz rausgezogen wurde und dann wiederkehrte. Wenn er kurz aufzuckte und verzweifelt versuchte, sich zu wehren, klatschte der Gürtel auf seinen Rücken und hinterlies lange rote Striemen. Er wehrte sich drei Mal, aber es hatte keinen Zweck. Sie waren zu zweit. Sie hatten ihn in der Hand.
"Öffne deine Augen! Öffne sie!"
Endlich befindet er sich wieder in seinem Bett. Aus seinen Augen kullern noch immer Tränen. Laras Hände tasten langsam und sanft seinen Rücken entlang, bis sie ihn schließlich fasst und hällt.
"Ich bin bei dir! Ich helfe dir! Was immer dich bedrückt, ich helfe dir!"