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E.T., der Überirdische

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03.08.2003
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E.T., der Überirdische

Eddie Thorsson fühlte kalte Erde an seinen Fingern. Auf allen vieren kroch er den Bahndamm hoch.
Oben angekommen zögerte er. War sein Vorhaben nicht Wahnsinn?
Denk an Waco, ermahnte er sich. Sofort waren die Bilder wieder da. Wie das F.B.I. damals den Sitz der Davidianer gestürmt hatte, wie Rauch aus dem Gebäude aufgestiegen war. Er hatte alles im Fernsehen verfolgt. Nur durch Zufall war er nicht dabei gewesen. David Koresh tot, und all die anderen, siebzehn Kinder ...
Hass loderte wie eine Stichflamme in ihm auf. Die Schweine sollten bezahlen. Dafür lohnte es sich, alles zu riskieren.
Er holte die dicke Kette aus seinem Rucksack, wickelte sie sich mehrmals eng um seinen Körper, und fädelte sie dann durch die Eisenbahnschwelle. Das Schnappen des einrastenden Schlosses hatte etwas Entgültiges.
Jetzt der Schlüssel. Er klebte in seiner schweißnassen Hand, als wollte er es ihm möglichst schwer machen.
Eddie zögerte, rief sich die Stimme Guy Hanlons ins Gedächtnis. Tief und machtvoll dröhnte sie in seinem Kopf.
„Nur in Lebensgefahr, wenn sich kein anderer Ausweg bietet, wenn ihr nur noch Angst seid, kann sich die in euch schlummernde Kraft zum ersten Mal offenbaren. Dann ist sie für immer eure Dienerin.“
Eddie glaubte Guy. Er hatte ihn die irrsten Sachen mit dieser Kraft machen sehen. Erst neulich hatte Guy ein Schwert durch das Sanktuarium schweben lassen. Das war Klasse gewesen, besser als dieser Jedi in Star Wars, wie hieß er noch gleich. Joki, Jodi ...? War ja auch egal. Das Ding war wie ein Luftballon bis zur Decke geschwebt, mit einem rot funkelnden Licht an seinem Griff. Dann war es gegen die Wand gesaust und hatte sich in das Bild des Präsidenten gebohrt.
Das waren keine Taschenspielertricks gewesen. Bald würde er das auch können.
Und dann? Er konnte in Las Vegas in einer eigenen Show auftreten und Elefanten durch die Luft schweben lassen. Vergesst David Copperfield, hier kommt E.T., der Überirdische. Las Vegas – es dürfte kein Problem sein, der Roulettekugel gut zuzureden, oder den Würfeln... tausende von Möglichkeiten.
Aber das alles war Kinderkram.
Tief im Inneren fühlte er, dass es für ihn keinen anderen Weg gab – er würde weiter bei Guy mitmachen, in der Hierarchie aufsteigen und bald zum inneren Kreis gehören. Dort hatte er zum ersten Mal in seinem Leben das Gefühl, kein Niemand zu sein. Wenn sie genug wären, könnten sie diese korrupte Bande beseitigen, die sich Regierung der Vereinigten Staaten nannte, und sich um jemanden, der im Golfkrieg sein Leben riskiert hatte, einen Dreck kümmerte. Keine Armee der Welt wäre imstande, sich ihnen entgegen zu stellen.
Also los. Heute war der Tag der Prüfung und Guy erwartete von ihm und den anderen Kandidaten, dass sie sich als würdig erwiesen und ein deutliches Zeichen setzten.
Eddie warf den Schlüssel weg, ein Stück weit nach vorne, so dass dieser außerhalb seiner Reichweite aber für ihn gut sichtbar neben den Schienen zu liegen kam. Noch einmal zog er an der Kette. Er hatte nur wenige Zentimeter Spielraum. Es gab kein Zurück. Alles oder nichts. Zwischen den Schienen arretiert blieb Eddie nur noch eins zu tun. Er starrte auf den Horizont, wo die Schienen zusammenliefen und wartete.
Da!
Er richtete sich etwas auf, kniff die Augen zusammen, aber es war keine Täuschung. Ein Zug näherte sich. Es wurde ernst.
Wie er es gelernt hatte, schloss Eddie die Augen, atmete tief ein und aus und visualisierte die Lichthand. Probeweise ließ er deren Finger einknicken, sich zu einer Faust ballen, wieder strecken. Na bitte, wie in ihren Meditationsstunden. Er öffnete die Augen wieder und die Lichthand war noch da. Weiß und phosphoreszierend schwebte sie über den Schienen.
Er spürte, wie sein Puls sich beschleunigte, als er nach vorn blickte, und bemerkte, dass der Punkt am Horizont zu einer Lokomotive angeschwollen war. Eddie sah wieder auf die Lichthand und dirigierte sie zu dem Schlüssel, wollte sie zu dem Schlüssel dirigieren, doch die Hand rührte sich nicht von der Stelle.
Er versuchte es nochmals. Nichts. Wieso funktionierte es nicht? Er hatte eine Scheißangst, sein Herz wummerte wie ein verrückt gewordener Trommler, aber die Hand bewegte sich keinen Millimeter, waberte nur einfach so in der Luft und verströmte ihren nutzlosen Glanz.
Ein Blick nach vorn. Dort waren inzwischen Einzelheiten auszumachen. Es war ein Güterzug mit lauter Waggons, die Autos transportierten. Die Fenster der Lok – schmale bösartige Sehschlitze – schienen ihn zu fixieren und ihr metallenes Bulldoggengesicht war rot – vielleicht vor Wut über das unerwartete Hindernis. Ein Bulldoggengesicht, dass unaufhaltsam auf ihn zu raste. Eddie spürte Schweiß auf seiner Stirn, seine Finger krampften sich um die Kette, ohne dass er es merkte. Noch eine, maximal zwei Minuten, dann würde ihn dieses Gesicht zermalmen. Du musst dich konzentrieren, dachte er, bemüht, die aufsteigende Panik niederzukämpfen. Er kratzte die letzten Reste seines Denkens zusammen und versuchte krampfhaft, die Lichthand zu bewegen. Nichts passierte. Im Gegenteil, die Hand verblasste und ihr Phosphoreszieren wurde schwächer. Was zum Teufel war los?
Eddie verlor wertvolle Sekunden, als er wie verrückt an der Kette zerrte. Die metallenen Glieder schnitten in seine Haut und er riss sich die Finger blutig. Das Warnsignal und das Rattern des Zuges dröhnten in seinen Ohren. Die Lichthand war weg.
Es geht nicht, dachte er noch, dann schwemmte eine Welle der Panik alle Gedanken aus seinem Kopf. Ein dünner Speichelfaden rann ihm aus dem Mund.
Mit weit aufgerissenen Augen sah er auf den Zug.
Er schrie.
Ein gigantischer weißer Finger erschien neben der Lok ...

Der Pilot ließ den Polizeihubschrauber Kreise über der Unglücksstelle beschreiben, während der Beamte neben ihm ununterbrochen seinen Fotoapparat klicken ließ.
„Das gibt’s doch nicht“ , murmelte der Pilot nun schon das dritte Mal kurz hintereinander, ohne sich dessen bewusst zu sein und schüttelte, wie um seine Worte zu unterstreichen, den Kopf. Unter ihnen war ein Großaufgebot der Polizei dabei, das Gelände weiträumig abzusperren. Die ersten Spezialfahrzeuge der Bahn waren eingetroffen. Leute umwuselten wie Ameisen die aus den Schienen gesprungenen Waggons, die von hier oben einen grotesken Anblick boten. Als hätte die Hand eines Riesen sie exakt zu den Buchstaben E und T angeordnet.

 

Hi Sturek.

„Nur in Lebensgefahr, wenn sich kein anderer Ausweg bietet, wenn ihr nur noch Angst seit, kann sich die in euch schlummernde Kraft zum ersten Mal offenbaren. Dann ist sie für immer eure Dienerin.“
Dieser Teil klingt merkwürdig, würde ihn umformulieren.
„wenn nur noch die Angst bleibt“

Eddie sah wieder auf die Lichthand und dirigierte sie zu dem Schlüssel, wollte sie zumindest zum Schlüssel dirigieren, doch die Hand rührte sich nicht von der Stelle.
Klingt meiner Meinung nach besser, musst du aber nicht in deine Kurzgeschichte übernehmen.

Der Stil an sich ist angenehm zu lesen, wobei du bei einer Stelle einen Sprung in der Erzählperspektive machst, der meiner Meinung nach, nicht unbedingt passt.

Das war Klasse gewesen, besser als dieser Jedi in Star Wars, wie hieß er noch gleich. Joki, Jodi ...? War ja auch egal.
Dieser Teil passt eher, wenn der gesamte Text in einen inneren Monolog verfasst worden wäre, so sticht er unpassend aus der Kurzgeschichte.

Der Inhalt war recht interessant und die Spannung war auch da, jedoch empfand ich das Ende irgendwie langweilig. Mit einem Zeitungsbericht abschließen ist meistens problematisch, wobei es hier passend wäre, würdest du den Leser mehr auf die Folter spannen, ob der Protagonist nun tot ist oder es ihm doch geglückt ist sich zu retten.
Eine Idee wäre vielleicht von einem Hindernis, mit der Andeutung der Person auf den Gleisen, zu sprechen, dass die Lokomotive von den Gleisen gerissen hat. Die Frage ob der Protagonist überlebt hat, bis zum letzten Satz hinauszögern, als der Leser der Zeitung ein Häkchen hinter den Namen setzt, sodass ich als Leser vermuten kann, der Protagonist habe überlebt.

Alles in allem eine spannend zu lesende Kurzgeschichte, die leider zum Ende hin abflacht.

 

Hallo Charybdis,

danke für's Lesen und Kommentieren. Freut mich, wenn bei dir Spannung aufkam. Genau darauf habe ich bei dieser Geschichte Wert gelegt.

Was deine Formulierungsvorschläge betrifft, da bin ich mir nicht so sicher. Deine Vorschläge sind aus meiner Sicht nicht unbedingt besser. Also lasse ich es erst mal beim Alten. ;)
Auch die Perspektive ist meiner Meinung nach durchgehalten. Solche Fetzen eines inneren Monologes finden sich noch an anderen Stellen. Es sind einfach die Gedanken des Prot. Alles bis auf den Schluss wird aus der Sicht von Eddi beschrieben.

Der Schluss ist schwach, danke für den Hinweis. Ein Zeitungsartikel ist immer lahm. Habe ihn jetzt rausgeschmissen und dafür zum Schluss den Polizeihubschrauber reingenommen. Ich denke, so ist es besser.

Grüße
Sturek

 

Hi Sturek.

Polizeihubschrauber > Zeitungsbericht. Das ist eh inzwsichen in arges Klischee. Ist bestimmt besser so.

Was mich an der Geschichte gefreut hat, ist das Thema. Ich mag irre Sektenspinner in solchen Geschichten. Weiß nicht, warum.

Was mich davon abgehalten hat, die Geschichte wirklich spannend zu finden, versuche ich mal, an diesem Satz zu zeigen:

Erst neulich hatte Guy ein Schwert durch das Sanktuarium schweben lassen. Das war Klasse gewesen, besser als dieser Jedi in Star Wars,
Am schlimmsten ist das "Klasse". Das ist ein Typ, der von seinem Guru total verblendet wurde, der an komische, magische Geisterhände glaubt. So einer sagt doch nicht, das war "Klasse", was mein Guru da gemacht hat. Der sagt "erhaben" oder "erhebend" oder "Zeichen göttlicher Inspiration".
Ich nehme deinem Protagonsiten nicht ab, dass er religiös verblendet ist. Er klingt einfach nicht so. Ich meine, ich war jetzt noch nie irgendwie religiös verblendet und auf dem Weg, um Massenmord zu begehen, aber ich stelle mir das eher so vor:

"Paul Atreides spürte die Präsenz. Kalter Stahl, ein Netz, der dieses heilige Land umsponn, hatte den Zorn des Einen erweckt, Oberguru Bert hatte es verkündet, und nun war er hier, um das Land zu befreien, um die Eisenketten aufzubrechen- und Er war ganz nah bei ihm, beschützte ihn, gab ihm Kraft. Während Paul den Sprengstoff zusammensetzte, betete er in den Worten, die ihn Bert gelehrt hatte: Oh heiliges Hanfblatt im Himmel, dein ist mein Herz, mein Herz ist rein, soll keiner drin wohnen denn Bert allein."
Oder so.

 

Hallo All-Apologies,

deine Idee, Eddie mehr als religiösen Spinner zu charakterisieren, muss ich mir mal durch den Kopf gehen lassen. Das klingt eigentlich plausibel und dein Beispiel finde ich richtig gut, beim heiligen Hanfblatt. ;)

Grüße
Sturek

 

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