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Easy Job
Easy Job von C.Panter
„Verdammt kalt“, dachte sich Martin als er, bereits zum dritten Mal, sein Päckchen Tabak aus seiner Winterjacke hervorkramte, um sich mit zitternden Fingern, eine Fluppe zurecht zu zwirbeln. Es war sehr früh morgens, keine Menschenseele unterwegs, und dichter Schneefall versperrte die Sicht auf die andere Straßenseite. Martin checkte noch einmal die SMS, die ihn Torben geschickt hatte: „Hi Martin! Hier Torben, der Typ aus der Christal-Bar. Du sagtest doch, Du suchst noch nen easy Job wegen Deinem Studium usw.? Hab einen für Dich! Wir treffen uns Sonntag, um 4 Uhr früh am Steintorplatz, an der englischen Telefonzelle, Du weißt ja, die Rote, die Du nach der Party vollgekotzt hast (O: ! PS: Brauchst nix mitnehmen, is alles da.“ „Ja, alles, außer dir, Penner“, murmelte Martin in seinen nicht vorhandenen Bart. Er versuchte gerade, mit dem Zippo, die schon durchnässte Kippe anzuzünden, da dröhnte plötzlich Torbens markante Stimme in sein Ohr, ein kräftiger Schlag malträtierte seinen Rücken, und der Stängel fiel in den, zwanzig Zentimeter hohen, Schnee.
„Hab dich schon überall gesucht, mein Freund, ich sagte doch, Mitte Steintorplatz!“
Martin darauf missmutig: „Hey, willst du mich verarschen? Du selbst hast mir doch per SMS getextet, dass wir uns genau hier und nirgendwo anders treffen wollten!“
Torben verdutzt: „So, hab’ ich das? Sorry Alter, hab’ gestern wohl zu viel Wodka getankt, naja, immerhin bin ich pünktlich.“
Martin sauer: „Pünktlich sagst du? Es ist halb fünf durch, dass soll heißen, dass ich hier schon über ne halbe Stunde, wie blöd, in der Gegend herumstehe und mir den Arsch abfriere!“
Torben beschwichtigend: „Bleib mal ruhig Digga! Du wirst mir noch auf Knien danken für den Job, dass verspreche ich dir.“
Martin gemäßigt: „Bin ehrlich gesagt schon froh, das du überhaupt kommst, nichts gegen dich, ist aber, normalerweise, nicht so mein Ding, mich auf eine Saufabendbekanntschaft zu verlassen, jedenfalls, wenn es um so Sachen, wie Arbeit geht, weißt du? Und unter deiner Handynummer, bist du ja auch nie zu erreichen, oh Mann, ist ja auch scheißegal, bist ja da. Was ist jetzt mit dem Job?“
Torben ausweichend: „Alles zu seiner Zeit. Komm erstmal mit, unser "Taxi" wartet.“
Am anderen Ende, vom Steintorplatz, stand ein schwarzer Kombi. In ihm saßen zwei ungeduldig, wartende, und wie Geschäftsmänner gekleidete Typen. „Guten Morgen.“, entgegnete Martin den Beiden, als er und Torben, sich hinten ins Auto setzten. Ein knappes „Morgen", kam lediglich vom Fahrer zurück, der sogleich losfuhr.
Unterwegs, überkam Martin zwingende Neugier: „Äh...entschuldigen sie bitte, wo genau soll denn die Fahrt hingehen?“
Der Fahrer antwortete wieder minimalistisch: „Lagerhaus.“
Daraufhin Martin: „So, ein Lagerhaus also. Kein Problem, sie müssen wissen, das ich mich recht gut auskenne, was Kommissionieren und Lagerarbeit, im Allgemeinen, angeht. Mein Onkel besitzt einen Obst und Gemüsehandel, dort hab ich mein Praktikum gemacht und sehr viel mitbeko...“
Der Fahrer unterbricht Martins Redeschwall abrupt: „Gabelstapler?“
Martin fragend: „Äh, Entschuldigung? Ich verstehe nicht ganz?“
Torben dazwischen: „Mann, er meint, ob du, einen Gabelstapler, fahren kannst, du Trottel - Klar kann er das! - Sonst wäre er ja nicht mitgekommen“, beendete Torben seinen Satz und gab Martin einen schnellen Stoß, mit dem Ellenbogen, gepaart mit einem ermahnenden Blick, damit er die Klappe hält. Martin verschränkte die Arme, vergrub sich nachdenklich in seinem Sitz und versuchte, vergeblich, durch das Fenster, irgendeinen Anhaltspunkt zu finden, was die momentane Umgebung, oder das mögliche Ziel, der Reise, betraf. Doch außer, wild tanzender, Schneeflocken, konnte er nichts erkennen. Ermüdet schloss er die Augen.
Eine Vollbremsung, auf nassem Kies, riss ihn aus seinen Träumen.
„He, wach auf, du Sack. Wir sind da“, traktierte ihn Torben. Aus dem Kombi ausgestiegen, blendete Martin pures weiß, der Schneesturm hatte sich gelegt. Als sich seine Augen langsam eingekriegt hatten, sah er, voller erstaunen, auf einen alten, gewaltigen Lagerkomplex. Das einzige Gebäude, weit und breit, wie es schien. Der Fahrer und sein stiller Partner gingen voraus, direkt zu einer großen Stahltür. Der Stumme, kleinere von ihnen, schloss auf und der kräftigere Kerl stemmte einen großen Riegel, nach oben, worauf sich das Tor, unter knarrend, rostigen Ächzen, auftat. Eine monströse Halle erstreckte sich vor Martin und Torben. In ihr stapelten sich unzählige, ca. ein Quadratmeter große, Kisten, auf riesigen, megalangen Regalen.
„Wow!“ fuhr es Martin heraus, „äh..., wo sind denn die anderen Arbeiter, oder sollen wir das hier alles allein bewerkstelligen?“ scherzte er.
„Ja“, kam sogleich die, gewohnt spartanische, Antwort des Größeren.
Ungläubig setzte Martin, mit seinen Fragen, nach: „Nur wir Zwei? Wie haben sie sich das vorgestellt? Sollen wir einen ganzen Monat hier verbringen?“
„Bis Mitternacht“, erwiderte der Große.“
„Wie bitte?“ Martin schlug die Hände über den Kopf zusammen und drehte sich zu Torben: „Alter, sag auch mal was! Mach den Beiden mal klar, dass das unmöglich ist.“
Eine metallene, roboterartige Stimme ergriff das Wort: „Dein Frrreund rrredet zu viel.“
Torben zustimmend: „Das ist wohl wahr, Herr von Grimwald, ich werde ihn instruieren, wie wir es besprochen hatten, sie können sich auf mich verlassen.“
Grimwald setzte wieder sein Kehl-Stimmgerät an den Hals und verabschiedete sich karg: „Wirrr werrrden sehen. Bis Mitterrrnacht also.“
Martin stand etwas perplex da und sah den seltsamen Gestalten hinterher. Das Tor schloss sich und zu seinem Entsetzen, hörte er, wie der Riegel, zurück in die Fassung schlug. Martin panisch: „Scheiße! Die sperren uns ein, Mann! Hey! HEY! Wartet, dass könnt ihr nicht tun! HEY!“
Torben ruhig: „Zwecklos die hören dich nicht, jetzt gibt es nur noch uns und die Kisten.“ Der schwarze Kombi fuhr, mit garstig brummendem Motor, los, und wurde langsam verschluckt, vom eisigen Weiß, der Winterlandschaft.
„Ey, Torben. Ich hab jetzt schon keinen Bock mehr, die Scheiße stinkt doch bis zum Himmel. Wir sind irgendwo im Nirgendwo, eingesperrt, wie Vieh, in dieser beschissenen Schrotthalle, und vertrauen darauf, dass die zwei Wichser zurückkommen, bevor wir erfroren, oder verhungert sind, aber uns wird bestimmt nicht langweilig, während wir nämlich, um die zehntausend Kisten, in Rekordzeit, zu ihrem Ziel befördern, werde zumindest ich, mir schon mal Gedanken machen, ob mich A, eine der scheiß Kisten erschlagen wird, oder B, ich das lieber selbst erledige, denn eines ist sicher; diese Penner haben zwei Leute angeheuert, für eine Sache, bei der man mindestens hundert Sklaven benötigt. Und warum? Ich sag dir warum..., weil sie keine Zeugen gebrauchen können, da hier mit, aller Wahrscheinlichkeit, irgendeine Illegale Sache in gang ist. Peng, peng, und die sind fertig mit uns. Verstehst du? Ach ja, und was sollte überhaupt die Nummer mit dem Gabelstapler? Hab nicht mal einen Schein dafür, sondern nur ein paar Runden im Lager, von meinem Onkel, damit gedreht. Das ist alles, aber weißt du eigentlich, was überhaupt das Beste, an der ganzen Scheiße hier ist? Der Brüller schlechthin? Du Arsch hast mir noch nicht einmal verraten, wie viel Kohle für deinen "Easy Job" herausspringt!“
Torben gelassen: „Bist du endlich fertig? Oh man, der Typ letztes Jahr hat nur halb so viel gelabert, wie du.“
Martin hellhörig: „Typ? Letztes Jahr? Also ist das nicht dein erster Job, für die Beiden?“
Torben lächelnd: „Richtig, mein Freund, daher kann ich auch mit Sicherheit sagen, dass wir weder übers Ohr gehauen, noch erschossen werden. Die zwei sind Brüder, die Familie derer von Grimwald's ziehen ihr Ding schon seit zig Generationen durch. Nachdem, was die mir erzählt haben, jedenfalls. Ob es Illegal ist, kann ich nicht sagen, ebenso wenig, mit was für Ware sie genau ihre Geschäfte machen, aber das ist mir scheißegal, die Bezahlung ist der Hammer ! Was dich zusätzlich beruhigen sollte ist, dass ich mich sehr gut mit dem Gabelstapler auskenne und das wir nur einen Bruchteil von dem, was du hier siehst, transportieren müssen.“
„66 Kisten, um genau zu sein. Sie kommen alle in den Aufzug da hinten, gerade mal fünf passen gleichzeitig hinein, da man sie leider nur nebeneinander packen kann; zwei außen, eine quer in der Mitte und wieder zwei außen. Um sie übereinander zu stapeln, fehlen leider um die zehn Zentimeter. Sind die Kisten verstaut, müssen wir nur noch den großen, roten Knopf drücken und warten bis der Aufzug von unten zurück ist. Einfacher geht’s nicht.“.
Martin neugierig: „Von unten zurück ? Wer nimmt die Teile denn entgegen?“
Torben sichtlich ahnungslos: „Du, dass weiß ich selber nicht, ob da noch jemand ist, oder ob das ganze mechanisch abläuft, auf alle Fälle ist es jetzt sechs Uhr dreißig, wir haben Zeit bis Mitternacht, dass macht siebzehnanhalb Stunden, die uns zur Verfügung stehen. Pro Kiste braucht man ca. fünfzehn Minuten, wir können es aber locker in zehn Minuten, oder weniger schaffen, wenn wir reinhauen. Bezahlt wird, so oder so, die gesamte Arbeitszeit. Noch Fragen?“
Martin erwartungsvoll: „Nur Eine? Wie viel?“
Torben grinsend: „Zweihundert Euro, pro Stunde.“
Martin ungehalten: „Na dann. Los geht’s!“
Siebenanhalb Stunden und fünfundvierzig Kisten später. Torben ruft zu Martin: „Stell die Maschine ab, Digga! Es ist zwei Uhr durch. Pause!“
„Verdammt, dass wurde auch höchste Zeit, die Kisten herumzufahren ist ja easy, aber leider stehen die Teile nicht auf Paletten, dass macht die Sache nur unnötig schwer“, ächzte Martin.
„Recht hast du, aber wir liegen sehr gut in der Zeit, also setz' dich erst einmal und gönn' dir was Feines.“ Martin skeptisch: „Na dann lass mal hören, was du so Feines anzubieten hast.“
Torben wühlte in seinem Rucksack, holte ein paar, in Folie eingepackte Käsebrote, vier Bier und eine kleine Blechdose hervor.
„Ja, man, fett! Käsestullen und Bier!“, jubelte Martin.
„Hab doch gesagt, brauchst nix mitschleppen, es ist für Alles gesorgt.“
Martin kauend: „Etwas musst du mir noch verraten, Chef, warum ich?“
„Torben amüsiert: Was meinst du?“
Martin wieder: „Na, warum hast du mich ausgesucht mit dir mitzukommen und nicht einen deiner sonstigen Freunde, oder gleich den Kerl, der letztes Jahr mit dabei war?“
Torben nachdenklich: „Die Freunde mit denen ich sonst so herumhänge, haben echt nicht genug Power für so etwas, außerdem haben die meisten feste Arbeit und Kiddis, die Sonntags mit ihrem Papa spielen wollen, und um ganz ehrlich zu sein, warst du nur die zweite Wahl, denn mein Kumpel Ole, der auch vorheriges Jahr am Start war, hat sich letzte Woche tot gesoffen.
Ey, tut mir echt leid, Alter. entgegnete Martin bestürzt.“
Torben daraufhin: „Ist schon gut, woher sollst du das auch wissen. Ach egal, so dicke waren wir auch nicht. Bock auf Nachtisch?““
„Nachtisch klingt gut. Bonbons aus deiner Dose?“, fragte Martin, den das Bier schon etwas angedüselt hatte, woraufhin Torben seine Blechschatulle öffnete und Papers, eine kleine Tüte mit Gras und ein weiteres Tütchen, mit einem weißen Brocken darin, samt Rasierklinge zum Vorschein kamen. „Der Joint ist zum chillen und das Kokain für den Endspurt“, kommentierte Torben, während er drehte.
„Puh, Digga, die Tüte qualm ich mit, dass Andere lehne ich dankend ab. Den Trip spare ich mir fürs nächste Wochenende auf.“
„Biste 'n Mann oder ne' Muschi, Muchacho? Solange deine Urgroßeltern nicht auf der Titanic waren, brauchst du den Schneeberg nicht zu fürchten“, feixte sich Torben einen.
„Eisberg, es war ein Eisberg und kein Schneeberg, der die Titanic versenkt hat, Meister“. schlaumeierte Martin und Torben fragte: „Wo ist denn da der Unterschied?“
„Naja, Eis ist fest und Schnee, Schnee ist halt puffiger.“
Torben lachte schallend: „Puffiger? Deine Ausdrucksweise ist ja zuckersüß, Martilein..., Sekunde, ich werd' mal eben...(knistern)...uuuh, ja Mann..., dass ist wirklich guter Stoff. Der Joint beamt mal richtig gut.“ Torben nahm noch einen kräftigen Zug und überreichte die Tüte an Martin: „Jep...(hust)...der bringt 's...(husten, gefolgt von einem Schluck Bier)...aaah, so könnte ich tagelang durchackern.....scheiße, wie geil.....he he...mh...“
Torben neugierig: „Was überlegst du, Keule? Und hey, krall' dich mal nicht so fest da.“
Martin angeballert: „Naja..., hab gerade daran gedacht, ...wir verfrachten doch alle Kisten, die mit dem Jahr nullsechs datiert sind und dahinter steht in klein die Seriennummer SO1712, oder?“
Torben: „Richtig.“
Martin fährt fort: „Tja, jetzt pass mal auf,...als ich vorhin los war, um etwas zum hochhebeln zu suchen, musste ich fast bis zum Ende der Halle latschen.“
Torben verwirrt: „Ja und?“
Martin erläuternd: „Also dort wo ich die Brechstange gefunden hatte..., sind mir ein paar Kisten aufgefallen, die bereits mit dem Datum nullsieben bedruckt waren, allerdings, waren sie an der Seite, und jetzt halt dich fest..., auf das Jahr 1736 datiert, bei unseren wurde das alte Datum bereits entfernt. Abgekratzt.“
„Hmm..., ja gut Martin, wie gesagt, die Grimwalds sind schon etwas länger im Geschäft, diese Geizkrägen benutzen halt die alten noch einmal“, entgegnete Torben.
Martin nachdrücklich: „270 Jahre alte Kisten? Das ist nicht dein Ernst! Wo war ich? Ach ja. Auf dem Rückweg bin ich mal das Regal durchgegangen.“
Torben ungeduldig: „Und was war diesmal Sherlock?“ „Die leere Reihe vor unserer Ladung hat auch eine Seriennummer, nämlich MO1812, dann kommt DI1912, MI2012 usw., checkst du das?“
Torben verwirrt: „Nee, is' mir etwas zu hoch, Einstein.“
Martin energischer: „Ist doch klar. Heute ist Sonntag der siebzehnte zwölfte zweitausendundsechs, also 2006/SO1712. Morgen ist Montag, der achtzehnte zwölfte, oder eben MO1812, kapierst du jetzt? Die Nummer mit den 66 Kisten läuft nicht nur einmal im Jahr, sondern jeden einzelnen Tag, ununterbrochen, seit 1736, nunmehr 270 Jahre lang!“
Torben überlegte lange, wendete sich schließlich an Martin: „Ich verstehe. Du, mein Freund hast eindeutig zu viel Shit gequarzt!“
Er lachte ununterbrochen, bis Martin nicht ohnehin konnte, als mitzulachen: „Ja, du hast vollkommen recht! Das ist echt Bullshit! Das Zeug ist Übel, geh mal pissen, beim arbeiten konnte ich es ja noch ausschwitzen, aber das Bier treibt ganz schön. Wo ist denn hier das Scheißhaus?“
Torben immer noch lachend: „Hier wirst du kein's finden!“
Martin drängelnd: „Und was jetzt? Wo warst du denn? Oder soll ich mich in irgendeine Ecke stellen? Genau, nehme mir einfach ein leeres Bier.“
Torben pikiert: „Is' richtig, und wir eiern dann mit den Pissbuddeln herum..., lass mal stecken! Und in die Halle wird auch nicht gestrullt, der rosig schnuppernde Bierurin muss den Grimwalds ja nicht unbedingt als erstes in die Nase kriechen, wenn sie zurück sind.“
„Hey Mann! Ich geh da ganz hinten hin, dass riecht nicht mal die Putzfrau“, zappelte Martin.
Torben rabiat: „Nein, vergiss es!“
Martin ungezügelt: „Alter! Ich piss dir gleich ins Maul, wenn du nicht bald rausrückst, was Sache ist!“ Torben lachend: „Falls dir 's noch nicht aufgefallen ist, aus allen Kisten ragt ein zwei Zentimeter langes Stück von irgend so einem Eisenrohr, oder etwas in der Art heraus, mit ca. fünf Zentimetern Durchmesser, dass sollte reichen für deinen Riesenschwengel.“
„Was? Kiste? Rohr? Du laberst nur Scheiße. Mist.“ Martin hatte weder Zeit noch Lust über die Sache nachzudenken und lief in Windeseile zu der Kiste die unten auf der Gabel des Staplers lag, und tatsächlich konnte er die rettende Öffnung ausfindig machen. Aaah, das war verdammt knapp. Martin zu Torben: „Dir ist schon klar, das ich hier auf die Handelsware von unseren Bossen pinkel? ...macht sich bestimmt nicht gut, wenn der antike Lampenschirm plötzlich gelb ist und stinkt, wie Sau.“
Torben beschwichtigend: „Halb so wild, glaub mir. Hättest du mal deinen Riechkolben ans Röhrchen gehalten, wüsstest du, dass dagegen dein Bierstrahl, wie eine Aromadusche duftet. Also mach! Auslaufen tut da auch nix, falls du das denkst, hab 's ja schon mehrmals getestet.“
Martin amüsiert: „Sind bestimmt nur irgendwelche Leichenreste, Digga. Apropos "Riechkolben ans Röhrchen"´..., mach mir doch mal ne Line klar, hab's mir anders überlegt.“
„RUMMS!“ Martin machte einen blitzschnellen Satz, weg von der Kiste, aus deren Inneren plötzlich ein wildes, dumpfes Klopfen tönte. Beide sahen sich erschrocken an, Martin aus sicherer Entfernung: „Verdammte Scheiße! Fuck! Hab ich mich verjagt, hätte fast einen Herzanfall bekommen. Was ist das?“ Torben bestimmend: „Schätze mal irgendein Tier, ein Hund oder so.“
„Martin aufgeregt: Spinnst du? Das ist doch kein Hund, denk doch mal nach Mensch. Wir allein kosten die Typen zusammen um die siebentausend Steine, und ich glaube kaum, dass selbst der perverseste, fetteste Rassehund so enorm teuer ist, und dann auf diese Art transportiert wird, jedenfalls nicht, wenn er noch was abwerfen soll. Warum auch? Das sind irgendwelche illegalen Exoten, die die da schmuggeln, hier ist wahrscheinlich das Zwischenlager.“
Torben fragend: „Bist du dir da sicher, Digga?“
„Was denn sonst? Was immer da drinnen herum vegetiert ist auf alle Fälle ein Lebewesen und kein barockes Möbelstück, dass sag ich dir. Ist doch klar; die Kisten sind Wasserdicht und haben dieses Rohrstück nach außen, dass ist hundertpro fürs Futter und die Luftzufuhr gedacht, logisch oder?“ Torben einlenkend: „Ja schön, dass ändert aber nichts daran, dass wir noch einen Job zu erledigen haben, Keule! Es ist gleich halb drei, also schwing deinen Arsch hier her und zieh dir endlich den Stoff in die Birne, damit wir durchstarten können!“
Martin zustimmend: „Wird gemacht, wohl ist mir trotzdem nicht dabei.“
Torben sarkastisch: „Du kannst die Hälfte von deinem Lohn ja dem Tierschutzverein spenden, wenn dich das beruhigt!“
Martin: „Witzig, trotzdem wird ab jetzt in die Flaschen gepisst, ok?“ Torben darauf: „Meinetwegen.“
Sechs Lines, und neunzehn Kisten später...Torben schob die vierte Kiste langsam in den Aufzug und wartete ungeduldig auf Martin, der die letzte für diese Fuhre bringen sollte. Nach einer Weile stapfte er schnellen Schrittes los, um nach ihm zu sehen: „Hey! Martin! Bist du eingepennt oder was, wo bleibst du Lahmarsch? Verdammt! Nur noch zwei Kisten, dass wird doch wohl zu schaffen sein.“ Torben bog um die Ecke, ihm stockte der Atem: „MARTIN! Bist du irre? Was machst du Penner da?“
Martin hatte die Brechstange angesetzt und war im Begriff die vorletzte Kiste gewaltsam zu öffnen. „Lass mich in Ruhe, Torben! Hilf mir lieber!“
Torben packte Martin am Arm und zog ihn von der Kiste weg. „Scheiße! Was ist los mit dir? Verrückt geworden? Ist dir das Koks nicht bekommen?“
Martin aggressiv: „Du hast doch keine Ahnung was hier abgeht! In den Kisten sind keine Tiere, sondern Menschen, Mann! Hast du gehört? MENSCHEN!“
Torben ungläubig, ruhig: „Menschen? Was redest du da? Hast du Hallos, oder was?“
Martin energisch: „Hallos? Nennst du das etwa Hallos?“ Martin klopfte dreimal laut gegen die Kiste. Stille. Dann: „KNOCK...KNOCK...KNOCK!“
Torben geschockt: „Aber wie...? Warum?“
Martin genervt: „Woher zum Teufel soll ich das wissen?“
Torben einlenkend: „Warte, ich hab’s! Das ist ein Affe. Ein Gorilla, oder so. Die sind schlau, glaub mir. Die haben so was drauf..., zurück klopfen und so.“
Martin: „Du solltest dich mal selbst reden hören..., Gorilla..., ich hebel’ jetzt diese Kiste auf, also steh mir besser nicht im Weg Kollege!“
Torben ermahnend: „Du musst ja wissen, was du tust, aber wenn dann King Kong auf deinem hohlen Schädel herumtrommelt, sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt!“
Martin: „Deine Gags waren auch schon mal besser. Sei's drum, ich gehe lieber dieses Risiko ein, als mich später ständig fragen zu müssen, was genau in diesen verfluchten Kisten gewesen ist.“ Martin setzte erneut die Brechstange an und lockerte, ringsum den Rand vom Holzdeckel, dabei entwich ein unbeschreiblich penetranter Gestank aus dem Spalt. Martin musste unterbrechen: „Bohah..., ich glaub, ich kotz gleich!“
Torben: „Hab’s doch gesagt, lass es lieber!“
Martin sauer: „Halt einfach mal dein Maul, ja?“ Martin steckte ein letztes Mal den Kuhfuß in den Spalt und hängte sich mit aller Kraft daran, der Deckel gab ruckartig nach und sprang von der Kiste. Nichts passierte. Torben und Martin beugten sich vorsichtig und langsam über den Rand.
Torben: „Scheiße! Oh, mein Gott! Verfickte Dreckssch...!“Martin hatte sich bereits abgewandt und kotzte sich die Seele aus dem Leib.
In der Kiste kauerte ein zerlumptes, stinkend, bibberndes Etwas-Ein Mensch. Aber schon bei der Frage ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte, konnte man sich nicht mehr sicher sein. Der ausgehungerte und blasse Körper war übersäht von Abszessen, Schürfwunden und lilablauen Flecken. Kot vermischte sich mit Blut, dass teilweise getrocknet, am gesamten Körper und den, mit dünnen Eisenplatten verkleideten Wänden haftete. Das noch frische Blut, sickerte aus zahlreichen Rissen, die sich an der pergamentartigen Haut fanden, ebenso wie aus tieferen Verletzungen, die sich das Opfer, anscheinend vor Angst und Panik selbst zugeführt haben musste. Die Arme lagen schlaff im Schoß, in dem sich auch einige Maden gesammelt hatten. Das Gesicht blickte starr in die Luft, als hätte es seit Wochen darauf gewartet, dass Irgendwer den Deckel dieser Folterkammer öffnen würde. Die Augen waren rot geadert und ragten heraus. Ein Blick in den offen stehenden Mund verriet, warum ein beherzter Schrei nicht mehr möglich gewesen wäre: die Zunge wurde herausgeschnitten. Der Rachen war wegen des Wassermangels, rau und ausgetrocknet. Einzig, ein leises pfeifen brachte die Lunge noch zustande, um den sich näher am Tode als am Leben befindlichen "Menschenrest" nicht sterben zu lassen.
„Was machen wir jetzt?“ resignierte Torben.
Martin der langsam seinen Mageninhalt wieder unter Kontrolle bekam, sammelte sich kurz und erwiderte schließlich: „Was meinst du? Wir holen das arme Schwein da raus, was sonst...(hust)...komm, hilf mir.“ Torben verstört: „Leck mich! Ich fasse das nicht an, mach es selbst. Wer von uns wollte denn unbedingt diese scheiß Kiste öffnen? Du! Das wolltest DU! Arschloch!“
Martin entsetzt: „Das meinst du doch nicht im ernst, Torben. Ich fasse einfach nicht, was du da von dir gibst.“
Torben ernst: „Kannst du dir vorstellen was die Grimwald's mit uns machen, wenn sie herausbekommen, dass wir von der Scheiße hier Wind bekommen haben?“
Martin: Ist mir egal, was die machen. Wir schlagen den Typen einfach die Fresse zu Brei. „Du sagtest doch, dass sie keine Knarren oder so etwas bei sich haben.“
„Eben das, habe ich nicht gesagt, Martin..., ich sagte nur, dass sie uns schon nicht über den Haufen schießen würden, aber...“
Martin: „Was aber? Sag schon Torben, mach den Mund auf, verdammt.“
Torben: „Der Große. Er hat eine. Ich habe das Halfter hervorlugen sehen, wollte nur nichts sagen, um dich nicht nervös zu machen.“
Martin: „Scheiße, Mann! Okay, pass auf: Hol dein Handy. Wir rufen jetzt die Bullen an!“
Torben kleinlaut: „Auf meinem ist kein Saft mehr.“
Martin: „Dann hol eben mein 's und das Ladekabel!“
Torben: „Erstens bin ich nicht dein Bimbo, du Wichser und zweitens...“
Martin extrem angespannt: „Was denn noch?“
Torben: „Hier gibt es keine Steckdosen.“
Martin: „Fuck! Egal. Wird schon reichen für einen Anruf. Geh schon, ich versuche derweil heraus zu bekommen, wer das in der Kiste ist. Vielleicht hilft uns das irgendwie, oder willst du das machen?“ Torben: „Bin schon weg. Dein Pin?“
Martin: „Mach ich gleich selbst. Und jetzt geh!“
Martin sah wieder über den Rand, in die Kiste, der widerwärtige Gestank hatte sich nicht verflüchtigt, war aber erträglicher geworden. Die Augen der Gestalt drehten sich unnatürlich zu ihm, die zerschlissenen und spröden Lippen hauchten ein leises: „Aahhh…“
Martin: „Oh, Mann! Ist ok..., alles in Ordnung. Wir holen sie hier raus. Mein Name ist Martin Zimmer,...und sie sind...oh Verzeihung...“ Eine zitternde Hand streckte Martin ein verschmiertes Portemonnaie entgegen. Martin der einfach nicht die richtigen Worte finden konnte sagte: „Oh danke.“ Als er die Geldbörse öffnete, viel ihm als erstes ein Familienfoto auf, auf dem zwei kleine Kinder und ein Pärchen zu erkennen waren, sie posierten gemeinsam auf einer langen Wippe.
Martin: „Das sind wohl ihre Kinder, die sind wirklich süß...und ihre Frau, die sieht echt scharf aus, sie werden sie bestimmt bald wiede...“, Martin unterbrach seinen Satz, und er sah in das nunmehr schmerz verzogene Gesicht, der wirklich unglaublich zu leiden scheinenden Person. Das kleine bisschen Flüssigkeit, dass ihr Körper gerade noch entbehren konnte, bildete eine einsame und womöglich auch die letzte Träne, welche zäh an der vernarbten Wange herunter floss. Die knochige Hand lenkte sich mechanisch in Richtung des Fotos, ein krummer Finger tippte auf eine bestimmte Stelle des Bildes.
Martin schockiert: „Oh Gott, dass sind sie, ...sie sind die Frau auf dem Bild!“
Martin durchsuchte das Portemonnaie nach weiteren Anhaltspunkten, konnte aber weder eine Bankkarte, noch einen Ausweis ausfindig machen: Haben sie irgendeinen Hinweis dabei, wo sie wohnen? „Ihre Familie? Wo ist sie jetzt?“ Der Finger der Frau schmierte langsam ein Wort an die Kistenwand: HOCH Martin begriff schnell: „Sie wollen hoch, aufstehen. Warten sie, ich helfe ihnen.“ Martin griff der Frau unter die Arme, bis ihr Kopf über den Kistenrand lugte: „Aaahh...“ Ihr Kopf drehte sich in Richtung des Aufzuges, ihr Finger deutende auf den selbigen und bestätigte Martins entsetzliche Vermutung. Wahrscheinlich ihre gesamte Familie, musste diesen Perversen zum Opfer gefallen sein. Fast zeitgleich kam Torben zu ihnen geeilt. Auf einmal, brach die Frau in Martins Armen ohnmächtig zusammen, da er keine Wahl hatte, ließ er sie vorsichtig zurück in die Kiste gleiten.
Torben: „Sorry, hab es nicht gleich in deiner Jacke gefunden, was ist mit ihm?“
Martin riss Torben wutentbrannt das Handy aus der Hand: „Er ist eine sie, du Arschloch. Was..., was hast du da? Du Idiot hast gerade eine durchgezogen, oder? Was zum Henker stimmt nicht mit dir?“ Verlegen wischte Torben sich den weißen Koksschnodder unterhalb seiner Nase weg: „War halt nervös“, verteidigte sich Torben.
Martin angeekelt: „Ach, und jetzt ist es besser? Reiß dich einfach mal zusammen. Ach, vergiss es.“
Martin wählte die Nummer der Polizei, es klingelte: „Toll, ich hör jetzt schon das Akkugepiepe, hoffe es reicht.“
„Hallo, Polizeiwach...KLACK!“
„Scheiße! Scheiße! SCHEISSE! Das gibt es doch nicht!“ Martin schmetterte sein Handy mit voller Wucht auf den Betonboden, „Scheiße!“
Torben laut: „Hey, Alter beruhige dich. Ruhig. Wir könnten ihnen eh nicht sagen, wo wir genau sind.“ Martin außer sich: „Ist doch FUCKEGAL! Dann hätten sie eben den Anruf zurückverfolgt. Scheiße.“ Torben: „Hätte hilft uns aber gerade nicht besonders, findest du nicht? Wir brauchen einen Plan.“ Martin: „Was du nicht sagst, Hannibal. Mein Plan sieht aus wie folgt: Wir latschen schnurstracks zum Aufzug, fahren von dort ins Erdgeschoß, befreien die anderen, suchen einen Ausgang und sehen zu, dass wir das Weite suchen.“
Torben: „Jetzt bist du endgültig durchgeknallt und wenn da noch mehr von diesen beschissenen Menschenschlächtern auf uns warten, dann laufen wir ihnen geradewegs in die Arme! Willst du das? Außerdem hast du dich vorhin einmal umgesehen? Wo sollen wir hinlaufen? Da draußen ist absolut nichts, oder hast du sonst noch ein Haus oder so was gesehen. Glaub mir, das läuft nicht!“
Martin: „Mist! Ich sage das ja ungern, aber du hast vermutlich Recht. Hast du was Besseres anzubieten?“ Torben: Vielleicht. „Pass auf, wir packen vorerst den Deckel zurück auf die Kiste und...“
Martin unterbrach sofort: „Moment! Du willst was?“
„Lass mich gefälligst erst mal ausreden, kannst dich später noch beschweren.“ Martin schwieg. Torben fuhr fort: „Wir packen also den Deckel wieder drauf und verstauen die Kiste wie gehabt im Aufzug. Du wischt die Kotze von dir auf und sammelst die Handyüberreste ein, ganz so, als wäre nichts gewesen. Wenn dann die Grimwald's kommen lassen wir uns einfach ausbezahlen, fahren nach hause. Es schneit bestimmt nicht mehr so heftig, wie heute Morgen. Wir merken uns einfach den Weg hierher und wenn wir in Sicherheit sind, rufen wir relaxt und vor allem anonym die Polizei an, so ist jedem geholfen, uns und den armen Teufeln in den Kisten..., was sagst du?“
Martin: „Das stinkt gewaltig, dass sage ich.“
Torben: „Dann rück mal mit Plan B raus, du Genie.“
Martin: „Ganz einfach. Wir verstecken uns bei der Tür..., wenn dann diese Wichser nichts ahnend reinkommen, ziehe ich dem Großen eins mit der Brechstange übers Hirn und du trittst dem kleinen Dreckssack in die Eier. Wir schnappen uns die Schlüssel, steigen in den Wagen und fahren direkt zu den Bullen, fertig.“
Torben: „Na schön, machen wir es so wie du willst, aber...“
Martin: „Was aber?“
Torben: „Denk daran, nur der winzigste, der allerkleinste Fehler, bei der Nummer und wir kriegen ne Kugel direkt zwischen die Augen. Und die Leute in den Kisten kannst du auch vergessen, ist es dir das Wert? Denk drüber nach, Mann..., wirklich.“
Martin überlegte lange, dann: „Okay, okay. Also Plan A ist wohl die einzige, sichere Lösung.“
Torben: „Na also, dann los Digga! Wir haben jetzt noch ganze fünf Stunden bis Mitternacht. Und das sollte uns reichen.“
Als Torben und Martin den Deckel gerade auf die Kiste legen wollten, schlug die Frau unvermittelt die Augen wieder auf. Panisch suchte sie den Blickkontakt zu Martin, dieser stammelte: „Wir holen Hilfe, versprochen. Es geht nicht anders, halten sie bitte durch, bitte.“ Der Deckel senkte sich endgültig. Nachdem die Kiste vor dem Aufzug abgesetzt wurde, wandte sich Torben Martin zu: „Ich erledige das hier, hol du die letzte vom Regal!“ Einige Zeit später kam Martin zurück. Torben: „Wo warst du? Gab es irgendwelche Probleme?“
Martin sichtlich irritiert: „Nein, keine Probleme. Im Gegenteil. Es ging ganz leicht.“
Torben: „Spinat gefrühstückt was? Jetzt mach schon!“
Martin: „Willst du gar nicht wissen warum?“
Torben: „Na, warum?“
Martin: „Ich habe in die Kiste geschaut.“
Torben: „Das ist ein Scherz, oder? Nicht schon wieder.“
Martin: „Die Kiste…“
Torben: „Ja, Martin, was ist damit?“
Martin: „Sie ist leer.“
Torben trocken: „Wirklich? Faszinierend, echt.“
Martin: „Wundert dich das denn gar nicht? Ist die einzige in der nichts ist, dazu noch die letzte.“
Torben: „Wie du dir denken kannst, mein Freund, wundert mich heute, verdammt noch mal, überhaupt nichts mehr...äh...tust du mir bitte einen Gefallen, ja?“
Martin: „Was denn? Hol mir mal eben meinen Rucksack, ich glaube wir könnten beide noch ne Tüte vertragen, um zumindest ein wenig von dem scheiß Horrortrip herunter zu kommen. Ich hebel’ derweil die letzte Kiste vom Gabelstapler und schieb sie in den Aufzug, wenn er zurück ist.“
Martin: „Gute Idee, bis gleich.“ Martin ging zum "Pausenplatz" und schnappte sich Torbens Rucksack.
„Di di dim“, tönte es aus dem Rucksack.
Martin stand kalter schweiß auf der Stirn: „Was zum...“
„Oops“, rutschte es Torben heraus, der urplötzlich hinter Martin stand, in seiner Hand baumelte die Brechstange: „Hab ich doch glatt vergessen es auszuschalten. Zu dumm, wirklich.“
Martin: „Aber du sagtest doch…“
Torben: „Das kein Saft mehr drauf ist? Richtig, das habe ich gesagt...ach, machen wir uns doch nichts vor; du hast den Braten doch schon längst gerochen, stimmt 's? Schade, hätte gern noch einen mit dir durchgezogen, bevor ich dich in die Kiste werfe.“
Martin: „Aber warum?“
Torben: „Ich mag dich irgendwie..., zu zweit smoken macht mehr Fun, weißt du.“
Martin: „Scheiße! Das meine ich nicht.“
Torben: „Nee, ist schon klar. Magst du mal eben in den Rucksack greifen? Komm schon..., bitte, sonst macht sich der Anrufer noch Sorgen um mich.“
Martin griff, wie in Trance, in den Eastpack und holte das Handy heraus, drückte auf die OK-Taste und hielt es sich ans Ohr: „Hallo?“
(Handy): „Torrrben bist du drrran? Wirrr fahrrren jetzt los..., rrred schon.“
Torben: „Wenn es dich nicht stört, übernehme ich das mal eben, Kumpel.“ Martin warf Torben das Handy im hohen Bogen zu und rannte weg so schnell er konnte vorerst um sich zu verstecken.
Torben fing das Handy auf, blieb aber ruhig stehen: „Hallo Brüderchen...nein, hier ist alles in Ordnung...reg dich ab, ich hab’s im Griff...sicher, bis ihr da seid, ist alles erledigt...wie bitte? Ach, so...ja...dann nehme ich zwei Chicken und zwei Cheeseburger...richtig, ohne Eis...ok...bis nachher.“ „Klick“
Torben schritt genüsslich und mit rotierender Brechstange in seiner Hand durch die Halle: „Martin...MAAARTILEIN...hörst du mich? Natürlich hörst du mich. Also..., du solltest wissen, dass ich dich früher oder später sowieso erwische.“ Torben nahm seine Zigarettenschachtel aus der Brusttasche und zündete sich in aller Ruhe eine Kippe an. „Machs dir lieber einfach und komm aus deinem nutzlosen kleinen Versteck, ja? Geb' dir auch nen letzten Joint aus..., mmh. Tja, wie es aussieht, fällst du nicht drauf rein. Gab schon andere, du wirst lachen..., da hat das wirklich funktioniert, aber du bist da schlauer. Hab ich schon in der Christal-Bar gemerkt, als der Barkeeper dich bescheißen wollte...Ach so, falls dich das im nach hinein interessiert, eigentlich hatte ich an dem Abend ein ganz anderes Ziel im Auge, hätte mich doch tatsächlich fast mit so einer Schwuchtel angefreundet, dann hab ich dich aber am Bahnsteig gesehen, als du gerade deine letzten armseligen Kröten zusammen gekratzt hast, für die Bahntickets, da wusste ich bereits, dass du perfekt für den Job hier geeignet bist. Im Abteil schließlich sind wir uns dann näher gekommen. Wie war das noch gleich? Ach ja, du hast mich sogar zuerst angesprochen, hab ich recht? Ey Mann, dreh mal die scheiß Mucke leiser, meintest du und ich darauf. Sicher. Sorry Alter, aber der Sound erinnert mich an die Heimat. Bin gerade hier her gezogen, hab Geburtstag und bin halt gerade etwas durch den Wind. Für nen Assi warst du eigentlich recht verständnisvoll: Ja, Mann, dass kenne ich irgendwoher. Bin wegen meinem Studium hier, usw. Das Ende vom Lied war, wie du sicher noch weißt, dass ich dich in die Cristal-Bar eingeladen habe, wo wir dann auf meine Kosten den Abend verbracht hatten. Darum wusste ich auch, du würdest nicht nein zu dem Job sagen, du brauchtest Geld, und standest irgendwie in meiner Schuld. Klappe zu, Affe tot, sag ich dazu. Hmmm...“
„Ist schon irgendwie komisch was wildfremde Leute im Suff so alles von sich Preis geben..., ich weiß so viel über dich Martin..., dass du fast mal deinen besten Freund zu Tode geprügelt hast..., wie hieß er noch gleich? Sven, oder? Was noch? Ach ja, dass du deine Ex-Freundin Jennifer, nie wirklich geliebt hast und sogar, dass du mit deinem Vater mal auf Kaninchenjagd warst, aber nicht genug Mumm hattest, dem Mistvieh das Fell über die Ohren zu ziehen, obwohl dein Vater es dir stundenlang erklärt hatte. Er war richtig angepisst, oder? Genau wie ich gerade. Hab dir ja gesagt, du sollst einfach deine scheiß Arbeit machen! Dann wäre das alles ganz schnell gegangen, hätte dir einfach einen Schlag auf den Hinterkopf gegeben. Jetzt muss ich hier einen auf Predator machen, du beschissener, kleiner Angsthase, aber ich krieg' dich. ICH KRIEGE DICH! Ich weiß genau was du wissen willst. Die Frage, die dir ununterbrochen im Kopf herumschwirrt: WARUM? Wir haben ja noch ein paar Stunden. Ich sag dir gerne warum. Vor hunderten von Jahren sind wir Grimwald's..., oh ja richtig, ich vergaß zu erwähnen, dass ich auch einer von ihnen bin, aber das nur nebenbei. Also, unsere Familie ging damals einen..., nennen wir es mal...Deal ein. Du fragst dich jetzt wohl mit wem?“
„Dem wohl miesesten, hintertriebensten und härtesten Motherfucker, der Weltgeschichte. Nein, es ist nicht Bush..., oder Hitler. Vielleicht ja Puff Daddy, oder wie der Penner sonst heißt. Tja, aber das kommt nicht ganz mit der Zeit hin, was? Jedenfalls lief der Deal damals folgender Maßen: Ewiges Leben für alle hundertzweiundsechzig Familienmitglieder, doch der Preis war hoch. Es wurde von uns verlangt, pro Angehörigen, jeweils ein unschuldiges Leben, also das eines anderen Menschen, als Gegenleistung zu opfern und das täglich. Du kannst dir sicherlich vorstellen, dass es nicht immer leicht war Opfer zu finden, außerdem waren wir zwar gegen das Alter, Krankheiten und sogar Seuchen immun, jedoch nicht gegen Schwerter, Gift oder Knarren. So reduzierte sich unser Clan über die Jahrhunderte auf gerade mal noch 66 Familienmitglieder. Wie das Leben halt so spielt. Alle Leute kamen in Kisten und wurden mit Seilen zu ihrem Bestimmungsort herabgelassen, aber durch die Jahre wurde unser "Unternehmen" um einiges moderner, jetzt kommen die Kisten in den Aufzug und von dort direkt in die Hölle. Ja, du hast richtig gehört, zum Belzebub geht die Fahrt. So trampel’ ich jetzt schon mehr als fünfhundert Jahre auf dieser wunderschönen Erde herum, und nicht, wie du auf Grund der Kisten gemutmaßt hast erst zweihundertsiebzig Jahre. Einige der Kisten mussten im lauf der Zeit tatsächlich ausrangiert werden, sind verschwunden. Oder weiß der Teufel was, im wahrsten Sinne des Wortes sozusagen, aber soll ich dir was stecken, Martin? Dieses Leben ist zum Kotzen, jeden einzelnen Tag sind wir dazu verdammt zu ackern, um irgendwo irgendwelche Opfer aufzutreiben. Geldprobleme gibt es sicherlich nicht, die Grimwald's konnten schon immer gut mit Geld umgehen, dass war sogar früher noch einfacher, als wir mehrere waren und die Menschen anonymer gelebt hatten als heute, aber was nützt all der Reichtum, wenn man ihn nicht wirklich genießen kann? Da helfen auch die unzähligen Handlanger die Weltweit in unserem Dienst stehen und uns den Großteil der Ware liefern wenig..., es ist eine Qual, ob du es glaubst, oder nicht.“
Martin: „DANN HÖR DOCH EINFACH AUF UND VERRECK ENDLICH, DU VERDAMMTES SCHWEIN!“
Torben: „Das Mäuschen hat also Pieps gemacht..., verdammt ist richtig, aber sterben? HAST DU NUR DIE GERINGSTE AHNUNG, WAS UNS ALLE IM JENSEITS ERWARTET DU ARSCHLOCH? Du willst wohl auch ewig leben, was? Aber lass dir sagen, pro Tag sterben um die hundertfünfzigtausend Menschen und zehntausende verschwinden spurlos, wieso also glaubst du, du wärst so etwas Besonderes, Martin? ICH WEISS JETZT WO DU STECKST. Mach dich bereit Martin.“
Martin, der hinter einer Kiste kauerte flüsterte zu sich selbst: „Das tue ich Torben.“
Torben näherte sich Martins Versteck. Martin rief: „HIER OBEN, DU WICHSER!“
Torben sah hinauf. Martin stemmte mit aller Kraft eine der leeren Kisten über den Rand des Regals. Sie fiel, doch Torben schaltete schnell und versuchte aus der Gefahrenzone zu hechten.
„BABOOM!“ Die Kiste hatte Torbens Bein erwischt, er krümmte sich vor Schmerzen: „Dreckiger Bastard!“ Martin hangelte sich das Regal hinunter und trat ihm mit voller Wucht ins Gesicht. Torben umklammerte die Brechstange und schlug sie Martin hart gegen sein Schienbein, welches unter der Wucht sogleich zerbrach. Martin: „UUAAHHhh!“ Wahrscheinlich weil er mit Adrenalin voll gepumpt war, besann er sich auch sofort wieder und zog sich mit den Armen in die Richtung, in der seine Jacke liegen musste. In ihr lag sein Taschenmesser. Torben setzte derweil den Kuhfuß an, um sich von der zerbersten Kiste zu befreien. Martin hatte bereits seine Jacke erreicht, sein Messer herausgeholt und setzte sich in eine aufrechte Position. Torben kam eilig hinterher gekrochen und brachte sich ebenfalls in Position.
Torben: „Darf ich um diesen Tanz bitten, mein Freund?“
Martin lächelte verklärt: „Klar, immer doch. Aber Vorsicht, ich trete meinem Tanzpartner gern mal auf die Füße.“
Torben: „Also los, zeig was in dir steckt.“ Schreie und lautes poltern hallte durch die Wände nach außen. Danach...
> STILLE <
Mitternacht, die entriegelte Tür öffnete sich unter lautem quietschen..., die Brüder betraten das Gebäude. „Es ist rrruhig...zu rrruhig...Moment, derrr Aufzug!“Die beiden liefen in die Richtung aus der das Geräusch kam. „Verflucht, Torben!“ rief der Große, als er seinen Bruder erschöpft an der Wand lehnen sah, seine Hand rutschte gerade vom roten Schalter herunter und fiel in seinen Schoß. Seine Kleidung war zerrissen und er sah aus wie ein blutiges Steak. Sie griffen ihrem Bruder unter die Arme und trugen ihn zum Kombi. Als sie ihn auf der Rückbank verstaut hatten, schlossen sie das Tor und stiegen in den Wagen. Er fuhr los. Nach einer Weile richtete sich Torben auf. Der kleinere Grimwald würdigte ihn eines kurzen Blickes und kommentierte: „Torrrben, du siehst echt beschissen aus, dein Gesicht ist vollerrr Blut. Esse' errstmal was. Grimwald reichte ihm eine Papiertüte mit Burgern und 'ner Cola ohne Eis. Derrr Pennerrr hat dirrr ganz schön zugesetzt, ...wie hieß die kleine Rrratte noch?“
„Martin.“ kam die Antwort von der Rückbank. Der größere Grimwald sagte etwas: „Krankenhaus?“
„Nein, bieg nicht ab...bleib auf derrr Landstrrraße. Wirrr müssen ihn errrst einmal waschen, sonst gibt es späterrr zu viele Frrragen. In zwei Stunden kommt die neue Lieferrrung ins Lagerrr...Rrrupert wirrrd nicht errrfrrreut sein, wenn errr errrfährrrt, das errr den Rrrest des Monats fürrr dich einsprrringen muss. Verrrdammt Torrrben, das wirrr das letzte Opferrr noch schuften lassen, ist zwarrr hilfrrreich, aberrr auf dauerrr zu rrriskant. Du weist wie strrraff das alles orrrganisierrrt ist...noch ein weiterrrerrr Ausfall und wirrr alle könnten drrraufgeh...“Noch bevor die Predigt ihren Höhepunkt erreichte, wurde sie von einem lautem Lachen unterbrochen. Grimwald sah erbost hinter sich: „Torrrben, was zum...?“
Die Spitze eines Taschenmessers stach plötzlich in den Hals vom kleineren Grimwald, wurde aber sogleich herausgedreht und fand sofort danach die Kehle des erschrockenen Fahrers, der darauf das Steuer verriss. Der schwarze Kombi kam ins schleudern und drehte sich rasant um die eigene Achse, während er unaufhaltsam die Straße verließ. Der letzte instinktive Reflex, des größeren Grimwald's, ließ ihn vom Gas zur Bremse wechseln, woraufhin der dichte Schnee alsbald für ein schnelles Ende der unkontrollierten Fahrt führte. „DAS IST FÜR EUCH IHR WICHSER!“ brüllte Martin, der sich Torbens Gesicht von seinem eigenen zog. Er hatte es Torben regelrecht über die Ohren gezogen.
ENDE