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Eier - nein danke
Mit einer anmutigen Bewegung strich Ilonka ihre feuerroten Löffel glatt. Der Osterhasendirektor, der ihr gegenüber saß, seufzte leise:
"Was machen wir nur mit dir?"
Ilonka zuckte nur allerliebst mit ihrem Näschen.
"Vor einem Monat wurdest Du in die Eiermalstube eingeteilt. Nach zwei Wochen mussten wir Dich herausnehmen, weil alle Eier mit Herzchen verziert waren."
"Herzchen sind doch schön."
"Das ist wohl richtig. Aber außerdem stand auf allen Eiern 'Ich liebe Ilonka' - wir mussten die Produktion von zwei Wochen unter Preis verramschen."
"Das tut mir wirklich leid."
"Ich weiß, Du kannst nichts dafür, aber mit deinem roten Fell verdrehst du allen Rammlern den Kopf."
"Ich möchte aber gar nicht alle Männer verdrehen."
Der Oberrammler ging gar nicht erst auf diesen Einwurf ein. Ihn plagten andere Sorgen:
"Seit zwei Wochen bist Du in der Schokoladeneierproduktion und seit zwei Wochen sehen alle Schokoladeneier aus wie Schokoladenherzen. Was sollen wir mit 50.000 Schokoladenherzen. Der Valentinstag ist längst vorbei."
Ilonka zuckte wieder mit ihrem Näschen und ließ ihre wunderschönen feuerroten Löffel ein wenig hängen.
"Kannst du dich nicht einfach für einen Rammler entscheiden, damit hier Ruhe im Betrieb einkehrt? Ich wüßte sonst nicht, wo ich dich unterbringen soll."
"Und wenn ich einfach zu Hause bleibe und nicht arbeite?" Ilonka schaute den Osterhasendirektor hoffnungsvoll mit ihren großen ausdrucksvollen Augen an. Aber der ließ sich nicht beeinflussen:
"Das ist leider nicht möglich. Alle Hasen sind verpflichtet, von Weihnachten bis Ostern in der Eierproduktion zu arbeiten. Und dieses Jahr liegt Ostern sehr früh. Da brauchen wir wirklich jede Pfote."
Ilonkas Löffel sanken immer tiefer. Selbst ihr süßer Puschel hing traurig herunter. Sie seufzte nur leise und einige dicke Tränen suchten sich einen Weg über ihre zarten Wangen:
Am liebsten würde ich auswandern, so weit weg, wie nur möglich."
"Das wäre dann Australien, aber da gibt es keine Osterhasen."
"Nein, das wäre ja toll." Ilonka wurde ganz aufgeregt, aber der Direktor bekam dies gar nicht mit. Die verschiedenen Ostereierbräuche waren sein Hobby und wenn er erst einmal anfing, zu erzählen, war er kaum zu stoppen.
"In Australien bringen die Bilbys die Ostereier. Das sind eine Art kleine Känguruhs mit langen Ohren, einer spitzen Schnauze und einem Beutel für ihre Kinder. Deshalb heißen sie Beuteltiere." Der Osterhasendirektor wühlte in einer Schublade und zeigte dann Ilonka das Bild eines Schokoladen-Bilby.
"Kann ich nicht nach Australien auswandern?"
"Das würde ich dir nicht raten. Früher gab es keine Kaninchen in australien, die sind von den Europäern eingeführt worden und sind eine Landplage. Deshalb mögen die Australier auch Hasen gar nicht und haben den Bilby an Stelle des Osterhasen. Und was willst Du denn schon in Australien?"
Ilonka seufzte: "Ich will gar nicht nach Australien. Mein rotes Fell verdreht allen Rammlern Augen und Ohren. Deshalb will ich weg von hier."
"Das ist ja richtig und der Eierproduktion würde es wohl gut tun, wenn Du nicht hier wärest. Aber woanders hast du die gleichen Probleme. Dein samtweiches rotes Fell kannst du doch nicht ausziehen."
Ilonka schaute argwöhnisch auf den Direktor, ob sich seine Ohren auch schon verknoteten. Aber er sah sie nur freundlich an.
"Ich habe eigentlich gar kein rotes Fell. Sobald Ostern vorbei ist, wird mein Fell wieder braun wie bei den anderen Hasen."
"Was hat denn deine Fellfarbe mit Ostern zu tun? Das verstehe ich nicht."
"Ich glaube, ich bin allergisch gegen Eier. Schon als Kind mochte ich keine Eier. Meine Mutter hat immer einige Eier in mein Moosnest gelegt, damit ich mich an sie gewöhne. Aber erst habe ich nur grüne und blaue Flecken bekommen und jetzt wird mein Fell immer ganz rot und juckt, wenn ich in die Nähe von Eiern komme."
Der Osterhasendirektor schaute Ilonka erstaunt an: "Dein Fell wird von Eiern rot? Dagegen müssen wir was unternehmen. Auswandern ist keine schlechte Idee. Komm mal mit."
Der Direktor ging mit Ilonka zu einer bunten Weltkarte, die an einer Wand hing.
"Die Länder sind aber nicht richtig", meinte Ilonka nach dem ersten Blick. Schließlich hatte sie sich in der Hasenschule für Erdkunde interessiert und kannte die große Weltkarte, die im Klassenraum hing, sehr genau.
"Die Farben zeigen ja auch nicht Länder an, sondern die Verbreitung unterschiedlicher Ostereierbräuche."
"Hier bei dem großen blauen Land ist ein Osterhase aufgemalt."
"Ja, die blaue Farbe bedeutet, dass der Osterhase die Ostereier bringt. Hier die grüne Farbe, da kommt der Storch und bei der gelben bringt der Fuchs die Eier."
"Nein, da will ich nicht hin," zeterte Ilonka, "Füchse mag ich gar nicht leiden."
"Diese Bräuche sind heute auch kaum noch bekannt. Inzwischen bringt der Osterhase in den meisten Ländern die Eier. Deshalb müssen wir ja so viel schaffen."
Ilona schaute sich während der Erläuterungen des Direktors weiter die Karte an. "Die sehen ja süß aus." Sie zeigte auf einige rot gefärbte Länder im oberen Teil der Karte. Dazu waren zwei puschelige gelbe Küken gemalt.
"Das sind Osterküken. Die bringen in Skandinavien die Ostereier. Diesen Brauch gibt es auch heute noch."
"Da möchte ich hin."
Der Osterhasendirektor besorgte alle nötigen Papiere, Ilonka packte ihre Koffer und schon nach zwei Wochen fand sie in Schweden ein neues Zuhause. Sie heiratete einen stattlichen Rammler und wenige Monate später tummelte sich eine große Schar kleiner Häschen in ihrem Nest. Ilonka hatte jetzt das ganze Jahr über ein braunes Fell wie jeder andere Hase. Auch ihr Nest unterschied sich nicht von anderen Hasennestern - mit einer Ausnahme. Neben dem Nest hing ein Verbotsschild. Es war aber kein Schild 'Einfahrt verboten' oder 'Halteverbot'. ZWar hatte es auch ein rotes Kreuz wie das Halteverbotsschild, aber dahinter war ein Ei gemalt. Und alle Tiere, die zu Besuch kamen, verstanden soft, dass Eier in diesem Nest nicht erlaubt waren. Und wenn die Osterküken zum Osterfest kamen, brachten sie für jedes Hasenkind einen Schokoladenosterhasen. Denn mit Eiern wollte Ilonka nichts mehr zu tun haben.