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- 23.07.2001
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Ein Überfall kommt selten allein.
Mit Einsetzen der Dämmerung hatte es kurz aber heftig geregnet und nun erstickten tiefe, dunkle Wolken den letzten roten Hauch am Himmel.
Die Lichter der Straßenlaternen spiegelten sich in den Pfützen und verloren immer wieder den Kampf gegen die starken Scheinwerfer der großen Limousine, die den schwarzen Asphalt mit glänzendem Silber durchschnitten.
Langsam glitt der Wagen an gepflegten Hecken und großen, schmiedeeisernen Toren vorüber. Elegante Villen in dezent beleuchteten Parkanlagen.
Wie von Geisterhand öffneten sich die Flügel eines Tores und ließen den Wagen hindurch. Die Scheinwerfer erhellten eine breite Auffahrt. Leise knirschte der Kies unter den Reifen. Mit dem Ersterben des Motors kehrte Stille ein.
Gleichzeitig mit der Fahrertür schwang auch die Kofferraumhaube auf. Thilo Seemann stieg aus, zupfte seinen teuren, dunklen Anzug in Form und strich über den schütteren Haarkranz.
Er war mittelgroß und korpulent und den kleinen Lederkoffer zu angeln, der tief in das Gpäckteil gerutscht war, machte ihm schon etwas Mühe.
Es war still an diesem Abend, in dieser Gegend. Selbst der schwache Wind ließ die Blätter in den nahen Hecken nur leise rauschen, ebenso leise wie die Schatten, die sich nun aus den dunklen Ecken lösten.
Knirschende Schritte brachten Thilo Seemann die plötzliche Erkenntnis, dass er nicht allein war, genau in dem Moment, als ihn der gewaltige Schlag traf, der ihm die Luft nahm und herumschleuderte.
Sein Aufschrei war nur dumpf und kurz und erstarb mit dem Hieb in seinen Magen.
Wie eine schlaffe Puppe wurde er von kräftigen Händen herumgerissen und erneut getroffen.
Eine Faust traf ihn am Kehlkopf und jeglicher Laut erstarb in zischendem Röcheln.
Zu zweit standen sie über ihm, schwarz gekleidet, schwarz bedeckte Gesichter.
Die Tritte waren hart und eine Welle aus Schmerz ließ die Welt zu einem grauen Wirbel werden und in eine dumpfe, gefühllose Schwärze übergehen.
Irgendwann vertrieb ein mörderisches Stechen in seiner Seite die Dunkelheit und gleißendes Licht drang durch seine Lieder.
Thilo Seemann blinzelte und gewann schließlich gegen die blendende Helligkeit.
Konturen von geschmacklos bunten Bildern schälten sich heraus, ein Fenster mit einfachen Vorhängen und neben seinem Bett der kleine Schrank, auf dem eine Vase mit Blumen stand.
Seemann versuchte sich leicht aufzurichten, um den Strauß besser sehen zu können, als eine Stimme ihn innehalten ließ.
„Die sind von Deiner Frau.“
Er wandte sich schwerfällig um und vergaß dann für einen Moment die Schmerzen.
Inda Malu stand an seinem Bett und musterte ihn mit dunklen Mandelaugen. Sie trug ein helles, klassisches Kostüm, das gegen ihre erotische Ausstrahlung nur verlieren konnte. Ihre langen blauschwarzen Haare hatte sie zu einem Zopf gebunden, der seitlich über ihre Schulter fast bis zu den Brüsten reichte und ihr beinahe ein kindliches Aussehen gab.
„War sie denn schon hier?“
Seemann versuchte sich leicht aufzurichten.
„Sie hat Dich vor dem Haus gefunden und ins Krankenhaus gebracht.“
Die Inderin setzte sich auf die Bettkante und stopfte sein Kissen zurecht.
„Dann hat sie im Büro abgerufen und ich bin gleich hergefahren.“
Schweiß stand auf seiner Stirn und der zerzauste Haarkranz gab ihm fast das Aussehen eines Clowns, der im Moment allerdings keinen Spaß verstand.
„Man klaut mir das Auto, schlägt mich krankenhausreif und die lässt mich allein? Ich hätte hier verrecken können! Wo ist sie jetzt?“
„Reg´ Dich nicht so auf. Die Ärzte sagen, Dir ist eigentlich nichts passiert, außer ein paar Prellungen. Morgen bist Du wieder draußen.“
Seemann zog die Bettdecke ein Stück weg und betastete die blauen Flecke auf seiner fetten Haut.
„Sie sagte, sie muss sich um die Kinder kümmern, darum war sie auch froh, dass ich hier bin.“
Die Exotin grinste, wurde jedoch sofort wieder ernst und es dauerte einige Sekunden, bis sie weiter sprach.
„Schaff endlich klare Verhältnisse. Ich hab keine Lust mehr die heimliche Nummer zwei zu sein.“
Seemann betastete weiter sein Fett und stöhnte.
Inda Malu stand vom Bett auf und ging zurück in den Raum hinein.
Ihr Blick war ernst und entschlossen.
„Ich bin Deine Sekretärin und keine Nutte. Aber egal was, lange werde ich es nicht mehr sein. Deine Autofirma ist nicht die Welt für mich. Sag endlich Deiner Hausmutti was Sache ist, sonst mach ich das!“
Sie hatte die Tür erreicht und hielt noch einmal inne.
Seemann kam ihr zuvor.
„Wenn ich mich scheiden lasse, ist die Firma beim Teufel!“
Als sie darauf nichts weiter sagte, ergänzte er:
„Ich regle das, sobald ich hier raus bin, versprochen!“
Inda Malu verzog das Gesicht.
„Vergiss es nicht. Übrigens, wenn Du hier raus bist, sollst Du dich gleich bei der Polizei melden.“
Am nächsten Morgen saß Seemann angezogen und bereit auf seinem Bett. Er hatte die Füße ausgestreckt und sah gedankenverloren an die Decke, als die Tür leise knarrend geöffnet wurde. Christa schob sich vorsichtig herein und als sie ihn dort sitzen sah lächelte sie.
„Hallo Schatz, bin ich zu spät?“
Sie war eine leicht korpulente Frau mit offenen, freundlichen Gesichtszügen. Ihre kurzen, blonden Haare waren leicht zerzaust, was ihr ein etwas gehetztes Aussehen gab.
„Ich soll dich von den Kindern grüßen. Sie haben angedroht dich heute Abend zu löchern. Sie wollen alles ganz genau wissen, denn im Moment sind sie wegen Deiner Sache die Spannungsträger in der Schule.“
Sie trug Jeans und einen weiten Pullover darüber, an dem sie wie nebenbei herum rubbelte. Offensichtlich ein Fleck, den sie ihren Kindern zu verdanken hatte.
Vor dem Bett blieb sie dann stehen und machte eine auffordernde Geste. „Also, du Invalide, schwing deine Beine und komm.“
Seemann musterte sie einen Augenblick, dann nickte er zum Schrank hinüber. „Meine Tasche ist da drin. Ich soll noch nicht schwer tragen.“
Christa machte verwundert große Augen. „Bist du schlecht drauf?“
„Nein!“ Seemann war offensichtlich genervt. „Ich bin nur überfallen worden und noch leicht verletzt. Ich dachte, du wüsstest das.“
Er rutschte vom Bett, schlurfte zur Tür und maulte Christa an, die vor dem Schrank kniete: „Du kannst mich in der Firma absetzen.“
„In die Firma?“ Christa hielt inne und lehnte sich mit einem Bündel schmutziger Wäsche in der Hand an die Schranktür.
„Du solltest erstmal ein paar Tage zuhause bleiben und dich erholen.“
Seemann hatte schon die Zimmertür geöffnet und war schon fast draußen.
„Wir stehen fast vor der Pleite und ich soll mich erholen?“
Dann ging er.
Christa Seemann verharrte für Sekunden und schaute nachdenklich ins Leere. Dann erhob sie sich und folgte ihrem Mann.
Seemann hatte sich die Schlüssel eines kleinen Vorführwagens aus den Verkaufräumen geholt und war zur Polizei gefahren. Seiner Sekretärin war er nicht mehr begegnet und war froh darüber.
Die Aussage war schnell gemacht, denn er hatte eigentlich nichts gesehen und auch keinen Verdacht.
Es war bereits der zweite Autoraub und diesmal war er sogar verletzt worden. Er tat ihnen leid und man riet ihm, kleinere Autos zu fahren.
Unmittelbar danach hatte er die Stadt verlassen, war über Land gefahren und schließlich in einem tristen Industriegebiet gelandet, in dem sich überwiegend heruntergekommene Firmen in heruntergekommenen Gebäuden angesiedelt hatten.
Seemann ließ seinen Wagen langsam über die Straße rollen, wich Schlaglöcher aus und vermied es übermäßig Staub aufzuwirbeln.
Schließlich parkte er unter dem Vordach einer ehemaligen Tankstelle, die statt des Emblems einer Ölgesellschaft den schlichten Schriftzug -Elektronische Bauteile aller Art- trug.
Eine gute halben Stunde verbrachte er in dem Laden und verließ ihn schließlich mit zwei kleinen, glänzenden Kartons in der Hand.
Als er wieder auf die Landstraße fuhr, war es bereits Nachmittag und die Sonne stand hoch am Himmel. Irgendwann bog er von der Straße auf eine Schotterpiste ab, die zunächst von Wiesen und Äckern gesäumt war und schließlich in einem kleinen Steinbruch endete.
Seemann parkte geschützt hinter einer hohen Hecke und beobachtete eine Zeit lang das Gelände. Staubige Radlader und LKWs standen in einer Reihe vor provisorischen Geräteschuppen. Die Tür eines Bürocontainers stand offen und drinnen brannte schwach ein Licht, wohl eine Schreibtischlampe.
Seemann wartete geduldig, bis ein Mann den Container verließ, Fensterläden und Tür verschloss und schließlich mit einem kleineren Lastwagen davonfuhr.
Der Wagen war schnell außer Sicht. Das Brummen des Motors war bald vergangen und der aufgewirbelte Staub senkte sich.
Das billige Vorhängeschloss hielt dem Brecheisen nicht stand. Durch die offene Tür brachte die späte Sonne genug Licht, sodass Seemann den Stahlschrank sofort fand. Dieses Schloss war stabiler und für einen Moment war er ratlos. Dann fiel ihm der ungewöhnlich geformte Schatten auf, der von dem Schrank an die Rückwand geworfen wurde. Er untersuchte den Schrank genauer und sah, dass die Hinterseite nur mit einigen kleinen Schrauben befestigt war. Das Brecheisen kam wieder zum Einsatz und Seemann konnte sich von dem Inhalt bedienen.
Er nahm sechs der orangefarbenen Stangen und musste einen Moment in dem Durcheinander von Papieren suchen, bis er auch die kleine Schachtel mit den Zündern fand.
Minuten später fuhr er weiter über Land, durch zwei Dörfer hindurch, bis er in einen schmalen, asphaltierten Wirtschaftsweg einbog, der zunächst an Äcker und Wiesen vorüber führte und schließlich in einen dichten Laubwald eintauchte, um nach einer ganzen Weile vor einer imposanten Jagdhütte zu enden.
Die Sonne stand schon tiefer am Himmel und die langen Schatten der Bäume tauchen die Umgebung in graues Dämmerlicht.
Seemann öffnete einen Karton und zog ein kleines elektronisches Gerät hervor, das zum größten Teil aus einer Art Linse bestand. Dann verließ er das Auto und tauchte seitlich in das Unterholz ein.
Es dauerte eine Weile, bis er wieder zum Auto zurückkehrte.
Er startete den Wagen und fuhr ein gutes Stück zurück. Dann fischte er aus dem anderen Karton ebenfalls ein Gerät hervor, das er mit einem seitlichen Schalter zum Leben erweckte. Eine kleine Diode glomm auf.
Langsam lies er den Wagen wieder in Richtung der Jagdhütte rollen und behielt das Gerät dabei genau im Auge.
Ein gutes Stück vor der Stelle, an der er zuvor geparkt hatte, setzte ein grelles, blinkendes Stakkato ein.
Seemann schaltete das Gerät aus und fuhr davon.
Spät kam er in die Firma zurück. Die Werkstattore waren heruntergelassen und hinter den Scheiben war es dunkel. Allein der Ausstellungsraum war erleuchtet. Inda Malu saß im hinteren Bereich an einem Schreibtisch und arbeitete im Schein einer kleinen Lampe, die den übrigen Raum im Zwielicht ließ.
Sie hatte Seemann bemerkt, sah jedoch nicht auf, als er einen Stuhl heranzog und sich setzte.
„Morgen regele ich das mit meiner Frau.“
Die Inderin lehnte sich zurück. Ihr dichtes, offenes Haar schien mit dem Dunkel des Raumes zu verschmelzen. Ihr ernster Blick wirkte noch bohrender.
„Ich habe nicht mitgezählt, wie oft hast du mir das schon versprochen?“
Sie senkte den Blick und schien sich wieder auf ihre Arbeit zu konzentrieren.
Seemann erhob sich.
„Ich weiß, aber morgen ist ein für allemal Schluss.“
„Und wie willst du das machen? Mit ´ner tränenreichen Aussprache, wonach du gleich wieder zu ihr zurück gekrochen kommst?“
„Keine Aussprache. Ich erledige das anders.“
Seemann wandte sich ab und verließ das Büro.
Es war früher Nachmittag, als eine große, graue Limousine von der breiten Allee in die schmale Straße eines Industriegebietes abbog. Das Wochenende war nahe und man hatte bereits Feierabend gemacht. Eine ungewohnte Stille lag über der Gegend.
Der Parkplatz einer Firma, die mit großen Schriftzügen Kunststoffteile anpries, war völlig leer. Der Wagen rollte aus und der Motor erstarb.
Seemann zog sein Handy aus der Jackentasche und hielt einen Moment nachdenklich inne, bevor er wählte. Seine Stimme klang barsch.
„Christa? Ja, ich bin´s. Du musst mir helfen. Ich bin hier in einer Besprechung und kann nicht weg. Der Wagen, mit dem ich hier bin, muss dringend ausgeliefert werden. Du musst das für mich übernehmen.“
Seine Frau schien Einwände zu haben und Seemann musste seinen Redefluss für einen Moment unterbrechen.
„Nein, das hat keine Zeit! Das gibt Folgeaufträge und könnte uns retten. Ich hab mir schon gedacht dass ich es nicht schaffe, deshalb habe ich den Schlüssel schon auf das Vorderrad gelegt.“
Er beschrieb noch den Weg zu dem Wagen und weiter zur Jagdhütte im Wald.
„Beeil dich!“
Dann brach er die Verbindung ab.
Seemann hatte sich hinter einer Lagerhalle auf eine niedrige Mauer gesetzt und gewartet.
Es dauerte eine ganze Weile, bis ein Taxi Christa zu dem Parkplatz brachte.
Seemann trat hinter einen Busch und beobachtete durch die Zweige seine Frau.
Kaum eine Minute brauchte sie, um den Sitz einzustellen und die Wegbeschreibung zu studieren, bis sie davon fuhr.
Danach zog er sich wieder zurück und wartete. Die Minuten wurden endlos lang.
Wohl eine viertel Stunde später griff Seemann zum Handy und bald zuckte Blaulicht
an den Häuserwänden. Mit Streifenwagen wurde das Gelände abgesperrt. Uniformierte und zivile Beamte untersuchten Spuren. Seemann saß in einen Einsatzwagen und beschrieb den Überfall mit viel Phantasie.
Der Beamte ihm gegenüber war noch keine Dreißig und sah eher aus wie einer von den jungen Leuten, die auf den Straßen herumlungerten und wegen deren man lieber den Gehweg wechselte. Jetzt sah er nicht cool aus und trotz der Pomade hing ihm eine Strähne des schwarzen Haares im Gesicht. Die Bomberjacke trug er offen und Seemann konnte die Waffe sehen.
Der Polizist war konzentriert und bemühte sich, aus Seemanns Redefluss die wesentlichen Aussagen herauszufiltern und in sein Notebook zu tippen, das er vor sich auf dem kleinen Klapptisch hatte.
„Eine Frau?“ Der junge Mann sah auf. „Und wie kommen Sie darauf, dass da eine Frau dabei war? Sie sagten doch, sie hätten niemanden gesehen und alles lief hinter ihrem Rücken ab.
Seemann atmete tief durch und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Er war tatsächlich aufgeregt und das kam ihm jetzt zu Gute.
„Stimmt, es hat auch keiner was gesagt aber riechen konnte ich.“
„Sie haben den Überfall gerochen?“
„Wenn Sie so wollen ja! Ich konnte riechen, dass einer kein Deo benutzt. Mit dem hätte ich nicht gern in einem Auto gesessen.“ Seemann verzog das Gesicht.
„Deshalb war das Damenparfüm auch umso deutlicher. Außerdem kenne ich es von meiner Frau. Ich hatte ihr dasselbe geschenkt.“
Seemann war ein guter Schauspieler und ein guter Erzähler. Noch bevor die Spurensicherung fertig war, hatte er seine Aussage gemacht, und man brachte ihn in die Stadt zurück. Dort ließ er sich vor einem Straßenkaffee absetzen. Die meisten Tische waren frei und er setzte sich abseits. Das erste Bier stürzte er gierig hinunter, ließ sich dann aber bei dem zweiten Zeit.
In Gedanken ging er noch einmal seine Aussage durch und fand keine Schwachstelle.
Ohne darüber nachzudenken, hatte er das Handy in die Hand genommen und spielte damit. Ihm kam der Gedanke, Inda Malu anzurufen und sie einzuweihen.
Er wählte, doch bevor die Verbindung aufgebaut war, brach er ab. Er war sich nicht sicher wie sie reagieren würde. Diese Situation musste in einem direkten Gespräch geklärt werden.
Seemann starrte versonnen das Telefon an. Es würde nicht lange dauern bis die Polizei anrufen würde um zu melden, dass sie den Wagen gefunden hätten.
Er hoffte, sie würden sich Zeit lassen.
Es war mittlerweile früher Abend geworden und Seemann ließ sich von einem Taxi zur Firma bringen.
Das Licht des Schauraumes mit den Neuwagen strahlte bis auf die Straße. Ein junges Paar stand vor dem Schaufenster und diskutierte über einen Kleinwagen, der in der Ecke, nahe der Scheibe stand.
Seemann schloss eine Seitentür auf und betrat die Büroräume. Alles war dunkel und still.
Auf seinen Schreibtisch hatte Inda Malu eine Unterschriftenmappe gelegt. Er las das erste Schreiben und unterzeichnete. Dann schlug er die Mappe wieder zu, lehnte sich zurück und starrte gedankenverloren durch die Glaswand, in den Verkaufsraum. Das junge Paar stand noch immer vor dem Schaufenster.
Dann zerriss das Signal des Handys die Stille. Seemanns Puls raste und seine Hände zitterten dermaßen, dass er Probleme hatte die richtigen Tasten auf dem Telefon zu finden.
Die Stimme des jungen Polizisten erkannte er sofort wieder.
„Herr Seemann.“ Der Mann machte eine kleine Sprechpause, als müsse er nach den richtigen Worten suchen. Herr Seemann, wir haben Ihr Auto gefunden. Würden Sie bitte gleich zu uns ins Präsidium kommen?“
Seemann zwang sich zur Ruhe und als er tief durchatmete, verdeckte er die Sprechmuschel mit der Hand. Ihm war, als müsste man sein Herz durch das Telefon klopfen hören.
„Sie haben den Wagen gefunden? Das ist ja toll! Natürlich komme ich.“
Er versuchte sich einige Minuten zu beruhigen und seine Nerven unter Kontrolle zu bringen. Dann machte er sich auf den Weg.
Der junge Polizist saß an einem alten Schreibtisch und sah erschöpft aus. Mit einer müden Handbewegung bot er Seemann einen Platz an, nahm eine graue Mappe vom Tisch und lehnte sich zurück.
„Sie haben meinen Wagen gefunden?“ Seemann war die Ruhe unangenehm.
„Ja, so kann man es sagen.“ Der Beamte schaute nachdenklich von der Akte auf.
„Sie sagten, bei dem Überfall sei eine Frau dabei gewesen.“
„Nun, ganz genau kann ich das natürlich nicht sagen. Ich habe Damenparfüm gerochen und deshalb denke ich, dass eine Frau dabei war.“
Der junge Mann nickte verhalten.
„Es war eine Frau dabei. Sie hatten Recht. Das wissen wir nun.“
Die Atmosphäre war bedrückend ruhig.
„Herr Seemann.“ Der Polizist neigte sich wieder vor, schaute sein Gegenüber direkt an und schien nach Worten zu suchen. „Die Frau, die den Wagen gefahren hatte, war Ihre Frau!“
Seemann rasten in diesem Moment tausend Gedanken durch den Kopf. Offiziell wusste er noch nichts von ihrem Tod, und durfte nicht zu betroffen wirken.
Also bemühte er sich zunächst tiefes Erstaunen zu zeigen und machte Anstalten, empört aufzuspringen.
„Meine Frau? Seemann wurde laut. „Nun machen Sie keine blöden Witze! Meine Frau begeht doch keine Überfälle!“ Seemann wirkte nun glaubhaft empört und wurde lauter. „Wie kommen sie auf so einen Schwachsinn?“
Wieder war es still während der Polizist in der Akte blätterte. Wie oft musste dieser junge Mensch schon Angehörigen eine schlimme Nachricht überbracht haben. Und es würde nie leichter werden.
„Es tut mir leid, Herr Seemann, aber wir irren uns wirklich nicht.“
Schließlich griff er zum Telefon und bat die andere Seite zu ihm ins Büro zu kommen.
Ein leises Knarren lenkte Seemanns Aufmerksamkeit auf die Tür zu seiner Linken und es schien, als söge sie mit jedem Zentimeter, den sie sich öffnete, Farbe aus deinem Gesicht.
„Thilo.“ Christas Stimme war leise und sie blieb zunächst an der Tür stehen. „Warum machst du solche Sachen?“
Christa ging vor und setzte sich neben ihren Mann, dessen Herz mit so gewaltigen Schlägen das Blut durch die Adern trieb, dass es schmerzte wie die Hölle.
Der Gedanke an die Hölle war passend, denn für einen versuchten Mord ging es geradewegs dort hin. Jedenfalls für einige Jahre.
Der Schweiß brach ihm aus und er war froh, dass seine Frau ihn nicht berührte. Sie würde sein Zittern spüren.
„Herr Seemann, das war versuchter Betrug!“ Der Beamte hatte sich wieder in seinen Stuhl zurückgelehnt.
Seemanns Gefühle fuhren Karussell. Hatte der Mann da eben Betrug gesagt? Sie hatten die Bombe nicht entdeckt und dachten er wollte für den Wagen doppelt kassieren?
„Thilo, ich weiß dass es Schwierigkeiten im Geschäft gibt, aber die lassen sich doch so nicht lösen.“
Seemann saß da, schwieg und wusste nicht was er empfinden sollte.
Nach einer Weile lösten sich seine Spannungen und er konnte erneut seine Aussage machen. Er sprach von den geschäftlichen Problemen und dass die Verzweiflung ihn zu dieser Handlung getrieben hatte.
Christa zeigte Verständnis und versuchte den Polizeibeamten zu milden Formulierungen im Protokoll zu bringen.
Thilo Seemann unterschrieb schließlich seine Aussage, worauf man ihm erklärte, dass er nun gehen könne. In den nächsten Tagen würde sich die Staatsanwaltschaft bei ihm melden.
Beide erhoben sich zum gehen, doch Seemann hielt noch inne.
„Der Wagen, können wir den mitnehmen?“
Der Polizist schaute ernst.
„Nein, das können Sie nicht.“
„Aber den brauchen Sie doch nicht mehr. Sie haben mein Geständnis ...“
Christa legte ihrem Mann die Hand auf die Schulter.
„Mach dir deswegen keine Sorgen. Ich konnte hier ja nicht weg und wusste, dass der Kunde wichtig war, deshalb habe ich deine Sekretärin gebeten, den Wagen auszuliefern.“
Seemanns Augen wurden groß. Er sank wieder zurück auf den Stuhl und griff sich ans Herz.
„Und? Ist sie gefahren?“
„Natürlich ist sie gefahren ... Thilo, was hast du?“
Seemanns Hände krallten sich in die Brust. Statt Worte kam Röcheln und dann sackte er zu Boden. Der Beamte stürzte hinzu und gemeinsam bemühten sie sich um Thilo Seemann.
Dann wurden seine Augen groß und starr.