Was ist neu

Ein bisschen Vogelhirn

Mitglied
Beitritt
24.05.2008
Beiträge
5
Zuletzt bearbeitet:

Ein bisschen Vogelhirn

"Ich muss dir was erzählen!"
Silkes Stimme am Telefon war wieder einmal bis zum Anschlag erfüllt mit diesem explosiven Mitteilungsdrang. Als ob die Worte gar nicht schnell genug aus ihrem Mund purzeln, durch die Leitung schießen und Sabines Ohr erreichen konnten.
"In meiner Badewanne saßen heute früh zwei große Spinnen", erzählte sie. "Garstige Viecher, das kann ich dir sagen. Fett und ein bisschen haarig und mit diesen langen, dünnen Riesenbeinchen. Zuerst hatte ich nicht den blassesten Schimmer, was ich überhaupt tun sollte."
"Und dann?", fragte Sabine, weil Silke eine abrupte Pause eingelegt und ihr Zeit und Gelegenheit gegeben hatte, diese Frage einzuschieben. Vermutlich aus rein dramaturgischen Gründen, um die Spannung zu erhöhen und den Fortlauf der Geschichte aus sich herauskitzeln zu lassen.
"Dann habe ich sie mit Insektenspray getötet. Schien mir ein besonders mieser und hinterhältiger Tod zu sein." Silke kicherte verhalten. "Fünf oder sechs satte Ladungen. Volles Rohr. Ich wollte sie den Abfluss hinunterspülen, aber das war mir dann plötzlich unheimlich. Also habe ich meine Arbeitshandschuhe aus dem Garten geholt, die Biester nach draußen getragen und sie vor meinen Ligusterhecken verbrannt. Feuerbestattung sozusagen."
"Ja", sagte Sabine, während sie, halb sitzend, halb liegend, mit der einen Hand das Telefon hielt und mit dem Zeige- und Mittelfinger der anderen abwechselnd zarte Kreise auf beide Schläfen malte. Ihr kleines Ritual gegen die Nachmittagsmigräne.
"Zuerst wollten sie nicht richtig Feuer fangen. Schließlich ging´s aber doch, weil die Härchen angefangen haben zu brennen, und dann haben sich die Beinchen ganz schnell gewellt und sind wie welkes Laub verkokelt. Übrig blieb nur noch so ein winziger verschmorter Rest. Das sah vielleicht merkwürdig aus! Wie verschmierte Asche. Jetzt hoffe ich nur, dass das keine Plage wird und nicht noch mehr von diesem Monsterkaliber in meinem Haus herumkrabbeln. Hast du etwa auch schon welche bei dir entdeckt?"
"Nein", antwortete Sabine. "Und ich besitze auch kein Insektenspray."
"Ach so." Silke kicherte erneut, nicht mehr ganz so verhalten wie beim ersten Mal. "Ich fahre übrigens gleich noch zum Getränkemarkt. Was dagegen, wenn ich danach auf einen Sprung bei dir vorbeikomme?"
"Nein."
"Du kannst es ruhig sagen, wenn es dir nicht recht ist."
Silke musste sich jedes Mal vergewissern, ob Sabine nichts dagegen habe. Und wie jedes Mal sagte Sabine: "Nein, das passt."
Sabine legte das Telefon auf das kleine Couchtischchen zurück und erhob sich. Das Klingeln hatte sie vorhin aus einem dünnen Schlaf gerissen. Sie gähnte. Der fade Geschmack im Mund blieb. Ein paar Traumränder, verwaschen und ausgefranst, klebten noch irgendwo in ihrem Kopf, Reste eines filigranen Gewebes, denen sie aber nicht weiter nachspüren wollte.
Beim Aufwachen war ihr erster Gedanke gewesen, Kiki könnte am Apparat sein. Fast gleichzeitig war ihr dann aber eingefallen, dass es in Toronto jetzt erst Vormittag war. Keine gute Zeit zum Anrufen. Andererseits war es längst überfällig, dass sie sich wieder einmal meldete. Kiki, nicht Roland. Wenn das Telefon klingelte in diesen Tagen, rechnete Sabine nicht mehr damit, dass es Roland war. Und wollte auch gar nicht, dass er es war. Und würde es auch niemals wieder wollen.
Das war ein enormer Schritt, fand sie. Ein Schritt wohin?
Sabine ging in die Küche und holte sich einen Becher Himbeerjoghurt aus dem Kühlschrank. An der Kühlschranktür klebten zwei Fotos von Kiki. Das eine war vom vergangenen Frühjahr und zeigte sie auf einem Liegestuhl im Garten, den sonnenentwöhnten, knochigen Körper in dem weißen Bikini mit dem roten Ahornmuster, den sie sich speziell für Kanada gekauft hatte. Ihre alte Katze Momo hatte es sich neben ihr gemütlich gemacht und beide blickten fast ernst in die Kamera, als ob sie dem Fotografen nicht so recht über den Weg trauten. Das andere Foto war auf Kikis Abifeier aufgenommen worden, genau in dem Augenblick, als sie von ihrem Schulleiter das Reifezeugnis erhalten hatte. Hier lächelte Kiki ihr sprödes Lächeln, das sie normalerweise für ihre Umwelt übrig hatte.
Sabine riss den Deckel von dem Joghurtbecher und leckte die Unterseite ab. Sie öffnete die Schiebetür und trat auf eine kleine Veranda, von der acht Steinstufen in den Garten und in einen schlaffen, brütenden Nachmittag führten. Eine weiße Katze mit grauscheckigen Streifen lag zusammengerollt auf der untersten Stufe. Das war Momos Lieblingsplätzchen, wo sie den größten Teil des Tages verschlief. Wenn sie einmal den Kopf hob, konnte man den Eindruck gewinnen, dass nichts, aber auch gar nichts auf der Welt von Interesse für sie war. Eine Sphinx ohne Rätsel, die in einen Tag ohne Konturen blinzelte.
Schön, einfach so in der Sonne zu liegen, fand Sabine, ein verführerischer Gedanke, einfach nicht mehr denken zu müssen.
Sie hockte sich auf den obersten Treppenabsatz und spürte die Hitze, die der Stein gespeichert hatte, durch den dünnen Stoff ihrer Shorts hindurch an ihrem Hintern. Die Kirschbäume warfen schon lange Schatten in der Nachmittagssonne. Der Rasen war stoppelig mit ein paar kahlen, vertrockneten Stellen. Es war Ende August, und der Sommer hatte sich entschlossen und verschwenderisch gezeigt und machte keine Anstalten, das Zepter vorerst aus der Hand zu geben.
Das Laub wird sich spät verfärben dieses Jahr, dachte Sabine und begann ihren Himbeerjoghurt zu löffeln.

In letzter Zeit, seit vier oder vielleicht auch fünf Wochen, kam Silke wieder öfter herüber. Seit Kiki nicht mehr da war, wenn man es genau nehmen wollte. Manchmal kam sie abends, mit einer Flasche Riesling oder Grauburgunder, die sie erst noch eine Weile in den Kühlschrank legten und später, auf der Steintreppe sitzend, tranken. Silke, mit der Schulter gegen die Hauswand gelehnt, meinte jedes Mal, dass man sie in dieser Stellung eigentlich malen müsse. Sabine sagte nichts, aber ihr wurde diese Art des Sitzens nach einer Weile lästig, weil sie immer wieder auf der Suche nach einer richtig bequemen Position scheiterte.
Oder Silke tauchte, so wie jetzt, schon nachmittags auf, gleich nachdem sie ihren Halbtagsjob in der Reha-Klinik oder irgendwelche Einkäufe hinter sich gebracht hatte. Dann trugen sie die alten Korbsessel in den Garten, rauchten im Schatten der Kirschbäume ein paar Zigaretten und tranken Rhabarberschorle, die Sabine vorher in eine Karaffe abgefüllt hatte. Rhabarberschorle war eines der In-Getränke dieses Sommers. Eine antialkoholische Unabdingbarkeit. Zumindest behauptete Silke, dass sämtliche bunten Lifestyle-Magazine das behaupteten.
Es konnte durchaus vorkommen, dass sie minutenlang schwiegen und die Stille wie die Dritte im Bunde zuließen, bis sie dann doch, oft blitzartig, lästig wurde und abgeschüttelt werden musste wie eine überreife Frucht vom Obstbaum. Aber bis es soweit war, konnten sie rauchend ihren eigenen Gedanken nachlauschen, zusehen, wie die Schwalben im tiefen Flug durch den Nachmittag schossen und manchmal fast die Bäume streiften.
"Rhabarberschorle verursacht Zahnbelag", sagte Silke, indem sie einer dieser kürzeren Schweigeperioden beendete. "Einen pelzig-stumpfen Zahnbelag. Zumindest bei übermäßigem Genuss. Rhabarber hat irgendwie einen ziemlich hohen Säuregehalt von irgendwas. Den genauen Namen habe ich vergessen, aber deshalb ist das so."
"Das wusste ich nicht."
"Hat mir gestern in der Klinik jemand erzählt."
"Rauchen ist auch nicht gerade gut für die Zähne."
"Stimmt!", nickte Silke und zündete sich eine Zigarette an. "Das ist erst meine dritte heute."
"Gib mir auch eine!"
Silke schob die Packung Zigaretten über den wetterfest lackierten Campingtisch und goss sich Rhabarberschorle nach. Sie hatte sehnige, braungebrannte Unterarme und kräftige Hände, die fest zupacken konnten. "Hast du mal wieder was von Kiki gehört?"
Sabine schüttelte den Kopf. Sie blies einen kümmerlichen Rauchring über den Tisch. Früher waren ihr solche Dinge mit staunenswerter Perfektion gelungen. Eigentlich schmeckten ihr Zigaretten in der letzten Zeit überhaupt nicht mehr, und sie überlegte sich jeden Tag, ob sie nicht wieder einen Entwöhnungsversuch starten sollte. Da war nicht einmal mehr die dünnste Spur von Genuss, sondern nur noch etwas Scharfes in der Kehle, auf das sie glaubte verzichten zu können. Wie man eben auf alles verzichten sollte, was einem nicht gut tut, dachte sie. Selbst wenn man sich daran gewöhnt hatte.
"Wann zuletzt?", fragte Silke.
"Letztes Jahr an Silvester", antwortete Sabine.
"Wie bitte?"
"Da wollte ich mit dem Rauchen Schluss machen."
"Ich wollte wissen, wann du zuletzt etwas von Kiki gehört hast."
"Ach so." Sabine runzelte die Stirn. Sie starrte auf ihre Zigarette, als ob sie von ihr eine Antwort erhoffte. "Vor zehn Tagen ungefähr."
"Machst du dir Sorgen?"
"Nein. Ja." Das Korbgeflecht des Sessels knackte leise, als Sabine sich zurücklehnte und die Beine übereinander schlug. "Nein, eigentlich nicht."
"Sie ist bestimmt okay", meinte Silke. "Sie ist verdammt reif für ihr Alter. Das war sie immer schon."
"Ja."
"Du, ich habe dir das noch nie gesagt, aber mal ganz im Ernst: Wenn ich eine Tochter hätte, dann sollte sie ein bisschen so sein wie Kiki. Und dass sie diese Stelle als Au-pair-Mädchen in Kanada so unbedingt wollte, finde ich einfach klasse. Und mutig. Warum habe ich das eigentlich nicht gemacht, als ich in ihrem Alter war? Menschenskind, Sabsi, warum wollten wir beide das damals nicht machen?"
"Weiß nicht. Ist schon lange her."
"Kiki wird nicht mehr dieselbe sein, wenn sie zurückkommt", fuhr Silke fort. Sie redete sich jetzt langsam in Fahrt. "Mit all den Erfahrungen und Eindrücken. Und ich mache jede Wette, dass sie hingerissen sein wird von Toronto. So direkt am Ontariosee und gar nicht weit von den Niagarafällen. Und die Familie, für die sie arbeitet, hat tatsächlich ein Segelboot?"
"Ja, aber davon mal abgesehen ist es eine streng orthodox lebende jüdische Familie. Nur koscheres Essen und so weiter."
"Hm, kein unreines Fleisch." Silke kniff die Augen zusammen. "Kein Schweineschnitzel für zwölf Monate."
"Auch keine Cheeseburger", sagte Sabine. Sie fasste im Stillen den Entschluss, dass das ihre letzte Zigarette für lange Zeit sein würde. "Koschere Küche trennt vor allem Fleischprodukte von Milchprodukten. Es gibt irgendeine Bibelstelle, die besagt, dass Jungtiere nicht in der Milch ihrer Mutter gekocht werden dürfen. Kiki hat mir das letzte Mal erzählt, dass es in ihrer Küche sozusagen alles doppelt gibt: Pfannen, Töpfe, Geschirr, Besteck, einfach alles."
"Damit Fleischiges und Milchiges getrennt zubereitet werden können?"
"Ja." Sabine drückte ihre halb gerauchte Zigarette im Aschenbecher aus. "Schmeckt nicht."
Silke machte ein abwägendes Gesicht. " Ist sicher nur Gewohnheitssache. Mir hat mal jemand erzählt, dass die jüdische Küche sehr lecker sei."
"Ich meine die Zigarette." Aus dem Aschenbecher stieg ein letzter Rauchfaden, hauchdünn und sich widerstandslos in Nichts auflösend.
"Ach so." Silke kicherte. Sie klopfte sich eine neue Zigarette aus ihrer Schachtel. Als sie sie angezündet und den ersten Lungenzug absolviert hatte, setzte Sabine zum Sprechen an, aber Silke war einen winzigen Tick schneller.
"Kiki hat überhaupt alles gut verkraftet, oder?", fragte sie. "Die letzten acht Monate, meine ich."
Die letzten achtzehn Jahre, sagte sich Sabine. Kiki hat sie wahrscheinlich besser verkraftet als ich. Ganz sicher sogar.
Sile ließ sich von der ausbleibenden Antwort nicht irritieren. "Das...also, sie ist doch insgesamt irgendwie gut klar gekommen mit allem? Sofern man damit gut klar kommen kann."
"Sie ist alt genug dafür", erwiderte Sabine. "Und du hast schließlich selbst ganz richtig bemerkt, wie ungeheuer reif sie für ihr Alter ist. In ihrem Alter beschmieren Töchter keine Wände mehr, wenn ihnen der Vater davonläuft. Und soviel ich weiß, hat sie auch keine toten Spinnen im Garten verbrannt."
Silke zupfte sich einen unsichtbaren Fussel oder Tabakkrümel von ihrem T-Shirt. "Das meinte ich auch nicht."
"Ich weiß genau, was du meinst. Aber sie hat ihr Abi einwandfrei hingekriegt. Und wenn es ihr tatsächlich mies ging, hat sie zumindest mit mir nicht darüber gesprochen."
"Kommt sie an Weihnachten heim?"
"Darüber haben wir noch nicht nachgedacht. Das sind noch fast vier Monate.Sie muss ja für die zwei Kinder in der Familie da sein."
"Hey, Sabsi, willst du damit etwa sagen, dass du an Weihnachten allein sein wirst? Also wirklich, wenn das so ist, dann..."
"Ich sage dir doch, dass ich es noch nicht weiß."
Momo kam träge über den Rasen geschlichen, wie auf einem ungeliebten Kontrollgang, zu dem sie sich selbst hatte zwingen müssen. Sie musterte die beiden Frauen aus müden Augen, gemischt mit einer gehörigen Portion Resignation, als wären sie zwei Störenfriede, mit deren Existenz sich eine Katze eben abfinden muss. Silke ließ ihre linke Hand locker über die Armlehne hängen und rieb kurz die Fingerspitzen aneinander. Momo kam zu ihr, dehnte sich mit aufreizender Langsamkeit und drückte den Rücken gegen ihre leere Hand. Als Silke das warme Fell streichelte, spürte sie eine kurze elektrische Entladung. Momo zuckte zurück und lief weg.
"Sie mag mich nicht", meinte Silke. "Sie hat mich all die Jahre nicht gemocht."
"Kiki?"
Silke stöhnte auf. "Nein, ich rede von der Katze."
"Sie wird nicht schlau aus dir. Das ist alles."
"Bei ihr weiß man auch nicht, woran man ist."
"Momo ist eine ehrliche Haut. Katzen sind ehrlicher, als man allgemein annimmt. Wahrscheinlich vertraut sie dir nicht."
Silke warf Sabine eine scheelen Blick zu. "Ich hab´s nicht verdient, dass man mir vertraut. Meinst du das?"
"Gesundes Misstrauen ist manchmal besser als ungesunde Naivität."
"Komm, Sabsi, lass das", murmelte Silke leise, gerade so, dass Sabine es noch hören konnte. "Bitte. Ich will das jetzt nicht." Sie hatte ihr Kinn auf die linke Hand gestützt, mit der rechten hielt sie die Zigarette. Ihre rehbraunen Augen fixierten hartnäckig den Aschenbecher, den sie beide vor so vielen Jahren nach einem Abendessen im China-Restaurant am Sportpark geklaut und unter Rolands Sakko nach draußen geschmuggelt hatten. Damals, als sie fast jedes Wochenende irgendwo zum Essen oder Trinken oder Tanzen ausgegangen waren. Zu viert.
"Ich lasse es ja schon", sagte Sabine. Ihr fiel das Netz spinnwebfeiner Linien auf, das sich um Silkes Augen herum entspann und ihr Gesicht nicht weniger interessant erscheinen ließ. Auf ihrer Oberlippe glitzerte etwas, ein paar Schweißperlen, die Sabine mit widerwilliger Faszination musterte. Schweiß auf diesen Lippen, die sich so selbstverständlich zu einem Schmollmund verformen konnten. Silke wusste, dass Männer ihren Schmollmund mit den sanft geschwungenen, weichen Lippen mochten. Immer schon gemocht hatten. Und Sabine wusste es auch.
"Ich habe ihm überhaupt nichts bedeutet", sagte Silke, keine Spur lauter als vorher. "Nicht so viel, verstehst du?" Sie ließ ihr Kinn los, schnippte mit den Fingern und stieß ein verächtliches Schnauben aus, das sich Sabine unter die Haut bohrte.
"Er hat doch nur sein Spiel getrieben, Sabsi. Von Anfang an. Mit dir am längsten. Und mit all den anderen, von denen wir vermutlich gar nicht alle kennen."
"Vermutlich."
"Und mit mir zum Schluss eine Zeitlang. Das lässt sich nicht rückgängig machen, so beschissen es auch ist und so beschissen ich mich auch fühle. Aber verdammt nochmal, Sabsi, glaub mir, es ist gut, dass er weg ist."
"Wenn ich es lasse, musst du es auch lassen", meinte Sabine. Sie schenkte von der Rhabarberschorle nach, erst Silke und dann sich selbst, und dann tranken sie schweigend, wie zum Zeichen eines wortlosen Bundes. Sprachlos mit dem unsäglich Unsagbaren. Der Saft war inzwischen warm geworden und schmeckte abgestanden. Die Schwalben schossen durch den Nachmittag. Sabine kam es vor, als ob sie nur um Haaresbreite an den Kirschbäumen vorbeiflogen. Für einen Moment fragte sie sich, ob es wohl möglich wäre, dass eine dieser Schwalben ihren Flug falsch koordinieren könnte, in vollem Tempo gegen den Baumstamm krachte und sich dabei ihr kleines, dussliges Vogelhirn zermatschte.
"Weißt du, was ich gelesen habe?", fragte Silke und drückte ihre Zigarette aus. "Neuropsychologen haben herausgefunden, dass der Genuss von Schokolade intensiver ist als ein Kuss. Sie haben Hirnreaktionen und Herzfrequenzen von Testpersonen untersucht. Ein Schokoladenkick lässt das Herz demnach höher schlagen, als wenn dir ein Mann das Gaumenzäpfchen poliert. Von dem Blitzgewitter im Gehirn ganz zu schweigen."
Sabine sah immer noch eine trübe Masse Vogelhirn an ihrem Kirschbaum kleben. Nur ein bisschen, kaum der Rede wert, aber doch deutlich sichtbar, und es würde dort kleben bleiben, bis der erste heftige Regenguss nach diesem langen Sommer es wegspülen würde.
"Aber Schokolade ist nicht gut für die Zähne."
"Wie bitte?"
"Nichts." Sabine schüttete die warme Rhabarberschorle ins Gras und leckte sich über die Lippen, als ob sie sie getrunken hätte. "Manchmal redest du eine ziemlich große Scheiße. Eine ziemlich große, schöne, gequirlte Scheiße."
"Du auch."
"Stimmt."
Silke stützte beide Hände auf ihre Oberschenkel. "Ich geh´ dann mal."
"Schon?"
"Wir könnten doch mal wieder Inliner fahren. So lange das Wetter noch hält. Das haben wir schon eine Ewigkeit nicht mehr gemacht. Und hinterher kochen wir bei mir etwas Leckeres. Etwas Leckeres und absolut Unkoscheres."
"Ja."
"Aber bitte sag´ es mir, wenn du es nicht wirklich willst, Sabsi!"
Sabine sah zuerst auf die leer getrunkenen Gläser und dann direkt in Silkes Augen. "Nein, das passt", sagte sie.

 

Hallo Nadann,
eine schöne, gut geschriebene Geschichte. Den gesellschaftlichen Aspekt würde ich aber gern erklärt bekommen.

Ab und zu Rechtschreibfehler - der Text ist mir jetzt zu lang zum Suchen...


Ein Bild hat sich mir eingeprägt:

Es konnte durchaus vorkommen, dass sie minutenlang schwiegen und die Stille wie die Dritte im Bunde zuließen, bis sie dann doch, oft blitzartig, lästig wurde und abgeschüttelt werden musste

wie eine überreife Frucht vom Obstbaum.
würde ich weglassen, weil es die Eingangsmetapher abschwächelt.

Gruß
Kasimir

 

Hallo!
Ich habe die beiden Beiträge gerade gelesen.....DankeschönI....Auf die Suche nach Tippfehlern werde ich mich vielleicht selbst demnächst mal machen....
...Kasimir hat natürlich recht...Bei genauerer Überlegung passt der Text wohl eher in die Rubrik "Alltag"....Ich wollte ihn hier einfach mal reinstellen und bin mir selbst nicht sicher, ob sich nicht vielleicht sogar eine längere Erzählung daraus egeben könnte......

 

Gut, dann verschiebe ich das mal nach 'Alltag' ...................................................................................................................................................................................................................................................................................Von 'Gesellschaft' nach 'Alltag' verschoben!

 

Hallo, Nadann,
habe deine Geschichte sehr gerne gelesen, fand sie plastisch und überzeugend. Diese kleine Szene zwischen den beiden Frauen birgt sicher Stoff für mehr. Du verpackst die Stimmungen in schöne Bilder, die das Ungesagte greifbar machen, z.B. die Vorstellung vom zermatschten Vogelhirn bei der äußerlich fast lethargischen Sabine. In einer längeren Erzählung könntest du den Konflikt sicher gut verdeutlichen. Mir gefällt auch der Schluß gut, weil er keine Hopplalösung anbietet. An die Fehler solltest du wirklich noch rangehen, sie mindern echt die Qualität.
LG;
Jutta

 

Hallo Jutta,
vielen Dank für deine Nachricht. Ich bin gerade etwas in Eile, aber ich denke, dass ich einige Tippfehler noch korrigieren konnte.
Liebe Grüße aus Stuttgart!

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom