Ein Diskobesuch...mal anders
Ding Dang … „Das sind sie!“ Mila schaute aus dem Fenster in der Küche hinaus in die Einfahrt.
Ein Roter VW Polo fuhr herein. Kurz schaute sie auf die Uhranzeige der Mikrowelle , 9:30 „Und sie sind wieder zu spät“ dachte sie sich, lief mit klackerndem Geräusch über das Parkett zur Tür. Als sie sie öffnete stand ihr ein blondes Mädchen in ihrem Alter (16) im superkurzen Mini lackroten Riemchensandalen und gleichfarbigen Top gegenüber. Ihre geschminkten Lippen glänzten und funkelten mit ihrer Paillettenhandtasche um die Wette. Eine übertriebene Wolke von Vanilleparfum umgab sie und als sie Mila mit einem strahlenden Lächeln um den Hals fiel um ihr links und rechts einen angedeuteten Kuss zu verpassen überkam Mila die Übelkeit. Auch wenn Jana ihre beste Freundin war, Vanille in dem Maße war einfach unerträglich. Jana tippte hastig auf ihre schmale Armbanduhr und zog Mila hinaus. Erst als Mila zum wiederholten Male „Warte mal!“ rief drehte sie sich um. Mila riss sich los und stürmte noch einmal ins Haus um ihren Schlüssel und ihr winziges Täschchen zu holen. Draußen war es kalt. Sobald die Tür hinter den beiden ins Schloss gefallen war umhüllte die eisige Kälte ihre, nur von Nylon umhüllten, Beine mit einem eisigen Hauch und lies beide im selben Moment zu
zittern und bibbern beginnen. Eine Jacke oder einen Mantel hatte keine von ihnen an. Es war zwar Anfang Dezember und die Außentemperatur lag bei „kuscheligen“ 3C°, aber den Garderobenpreis von immerhin 2 Euro fanden beide ( besonders in Anbetracht ihres geringen Taschengeldes) einfach zu viel.
So kamen sie dann im Zittergang zum Auto. Einen finstere Gestallt schaute sie durch die verdunkelte Frontscheibe an und tippte mit wütendem Blick auf die Uhr neben dem Tacho.
Als beide eingestiegen waren ging die Fahrt los. Von harten Technobeats bis zur Filmmusik von Bonanza, ein Lied nach dem anderen. alles dröhnte in viel zu hoher Lautstärke aus den, bei jedem Beat vibrierenden Boxen. Stefan, der ältere Bruder von Jana und unser Fahrer schien sauer. Mürrisch kurbelte er das Fenster runter um sich eine Zigarette an zu zünden. Mila imaginierte und rekonstruierte in ihrem Kopf wie seine Gemütslage zu Stande gekommen könnte und schloss nach kurzem Nachdenken darauf, dass er wohl wieder zu seinen Kumpels ins „Technonova“ (das war ein für Drogenkonsum bekannter Club) wollte und wegen Janas Schmink- und Style-Session nun Verspätung hatte. Das Vibrieren der Boxen das auch auf die gesamte hintere Sitzbank überging kribbelte Mila am ganzen Körper und lies ihre, vorher von der Kälte aufrecht stehenden, Härchen am Arm nochmals wie elektrisch geladen in die Höhe ragen. Sie liebte das Gefühl wenn ca. einen Kilometer vor der Diskothek der Nervenkitzel ins Spiel kam. Es war wie jene ersten Küsse die sich im Magen so anfühlten wie eine Armada von Ameisen die in kilometerlangen Schlangen ein fast unerträgliches Kribbeln auslösten. Dieses steigerte sich sobald man in die Einfahrt vor dem hell erleuchteten Gebäude, aus dem, durch die dicken Wände abgestumpfte, Bässe drangen, einbog. „ Kaum zu glauben“ dachte Mila „ Tagsüber ist es ein unscheinbares tristes Gebäude und nachts wird es zur Pilgerstätte der partyhungrigen Jugend.“
Der rote VW hielt an. Zwei Autotüren öffneten sich und durch deren Türspalte schoben sich die roten Lackschühchen von Jana dann die schwarzen Leder Stiefel von Mila. Der Asphalt unter ihren Füßen sah aus wie vom Regen mit Lack glasiert und die Kälte drang erneut durch die hauchdünnen Strumpfhosen. Selbstbewusst klackernd stöckelte Jana voraus, zielstrebig in Richtung Eingang. Mila, selbstkritisch und mit unsicherem Gang hinterher, immer wieder ihr Outfit auf Mängeln untersuchend. Es war so weit, mit, bis zum Hals schlagenden Herzen, Schweißperlen auf der Stirn und der ,trotz der eisigen Kälte, aufkommenden Hitzewallungen liefen sie mit großen Schritten über den roten Teppich zur riesigen Eingangstür, die von ca. drei Türstehern bewacht war. Wie Stiere standen sie, mit auf dem Rücken oder der Brust verschränkten Armen, im schwarzen Anzug und Lackschuhen, die so glänzten wie ihre kahl geschorenen Köpfe. Mila und Jana zogen wie immer die bewerte Show ab. Sie hatten sich schon lange vor ihrem ersten Diskobesuch drei Pläne ausgedacht.
Plan eins war der, der den Mädchen das geringste schauspielerische Talent abverlangte. Er verlief immer wie folgt:
Mila und Jana stolzierten selbstbewusst aber nicht hochmütig an den strengen Blicken der Türsteher vorbei und unterhielten sich während dessen über ein „Erwachsenenthema“ b.z.w. ein Thema von dem sie glaubten, dass Achtzehnjährige Gespräche darüber führen würden. Dabei gab es zum Beispiel das Thema „ABI“. Häufig dabei genutzt wurden Schlagwörter wie „Durchschnitt von …“, „Mündliche Prüfung“ und „ Leistungskurs“. Diese sollen dem Türsteher unmissverständlich klar machen, dass die Mädchen in jedem Fall volljährig waren und somit eine Ausweiskontrolle völlig unangebracht wäre.
Soweit der Plan.
Der zweite Plan trat immer dann in Kraft, wenn die gewünschte Wirkung nicht beim Türsteher erzielt wurde und er unbarmherzig mit seinem Arm den Weg zur Eingangstür versperrte, die verspiegelte Sonnenbrille mit dem Zeigefinger herunter schob und mürrisch (meist mit russischem Akzent und tiefer Stimme) „Ausweis!“ hervorbrachte.
Dann nahmen beide wie selbstverständlich ihre Ausweise heraus und hielten sie ihm unter die Nase. Dabei hofften sie dann, dass der Gute eine Rechenschwäche hatte und nicht ausrechnete, dass beide auf den Ausweisen gerade mal sechzehn waren. Leider war das nur selten der Fall. Dann gingen sie nahtlos über zu Teil drei. Jana, die bessere Schauspielerin von beiden, tat von einem auf den anderen Moment so als würde sie den Türsteher kennen.
Sie warf einen gekonnt unauffälligen Blick auf sein Namensschild und fiel ihm kurz darauf um den Hals. Darauf folgte ein Küsschen links und eins Rechts. Dann sagte Jana den auf dem Schild stehenden Namen und erkundigte sich: „ Na du wie geht’s dir denn? Hab dich ja ewig nicht mehr gesehen. Mensch, dass du jetzt hier arbeitest!“ dann wartete sie kurz den verstörten und verwirrten Blick des Glatzkopfs ab und fuhr vorwurfsvoll fort „ Wie du kennst mich nicht mehr???“. Darauf lief der vorher so stolze Stier meist mit den Worten: „ Doch klar! Jetzt wo du es sagst!“ rot an und machte augenblicklich den Weg frei.
Doch bei diesem Mal kamen sie mit Plan eins wieder mal problemlos durch.
An der Kasse bekamen beide eine Eintrittskarte und ein monoton klingendes „ Viel Spaß“ von einer rauchenden Kartenverkäuferin mit tief schwarzen Augenringen Mitte fünfzig und mit Mundwinkeln die fast bis auf Kinnhöhe herabhingen. Sofort wurden sie von der sanften Umarmung der stickigen Wärme gepackt und die rauchig schmeckende Luft machte ihre Kehlen trocken. Das Licht war schummrig und trotz der enormen Größe dieser Disko war es irgendwie gemütlich und edel. Kronleuchter von gigantischen Ausmaßen hingen wie leuchtende Sahne Häubchen von der, von barocken Reliefs gesäumten Decke.
Ihr erster Gang war immer der auf Toilette. Denn dort konnte man ungestört von fremden Blicken in seiner WC- Kabine die Strumpfhose richten den Rock richtig zupfen und den Ausschnitt des T-Shirts noch etwas herunterziehen. Alle weiteren Verschönerungen und Korrekturen fanden dann vor dem großen Spiegel der Toilette, unter der kritischen Beäugung der Freundin, statt. Mit haarlackbetonierten Harren und lip-glossbenetzten Lippen stolzierten dann beide zur R’n’B Halle. Für alles andere hatte Jana kein Interesse, was Milas Chance, an diesem Abend etwas anderes zu hören als Black Musik und R’n’B, gegen Null laufen ließ. Gerne hätte sie in der Schlagerhalle ein wenig rumgealbert, völlig unharmonisch zur Melodie getanzt und die Texte bis zur Heiserkeit mitgekreischt. Wie an Karneval. Aber Jana hatte, wie sie sagte einen „Ruf“ zu verteidigen und so schritten beide grazil und mit ernster Mine, welche, laut Jana eine mystisch anmutende und erotische Atmosphäre aufkommen ließ. In der R’n’B Halle angekommen war die Luft schon sehr viel heißer und den Mädchen stieg der unverkennbare Geruch des Kunstnebels, der die Tanzfläche in einen vulkanisch dampfenden Kraterschlund verwandelte, in die Nase. Aus den riesigen Boxen, die wie Schwarze Bullen um die Tanzfläche verteilt waren und die Luft ins schwingen und vibrieren zu bringen schienen, sagten Rapper ihre englischen, zum Beat abgestimmten Verse auf, die von Drogen und dem harten Leben in den Gettos von New York erzählten. Es wunderte Mila warum manche sagten sie könnten sich mit dieser Musik identifizieren, dabei war keiner von ihren Bekannten wirklich Drogenabhängig und genau so wenig kämpften sie in einem Getto mit Waffen ums tägliche Überleben.
Noch skurriler empfand Mila die Tatsache, dass ein ganzer Raum gefüllt mit Menschen zu diesem Lied, was doch eher zum Nachdenken anregen sollte, mit Cocktails feierte und ausgelassen tanzte.
Jana hatte sich inzwischen schon umgeschaut, nach Bekannten, Freunden und Ex-Freunden, die sie in Traubenform schnell um sich versammelt hatte. Auffällig affektiert machte sie beim erzählen große Gesten, lachte laut und zog einen nach dem anderen auf die, in bunte Farben getunkte Tanzfläche. Als sie umringt von dieser Traube schon eine Weile betont weiblich die Hüften und den restlichen Körper rhythmisch zur Musik „gebogen“ hatte, schien ihr aufzufallen, dass Mila nicht mehr an ihrer Seite war. Noch tanzend ging sie locker auf die Bar zu wo sei einen Cocktail bestelle und die Zeit nutzte, in der der Kellner den Sex -on the-beach schüttelte und mixte, um sich unauffällig, immer noch zur Musik wippend, nach Mila umzuschauen. Als sie schließlich den, mit Schirmchen und Orangenscheiben decodierten Drink bezahlte und sich umdrehte sah sie Mila, bunt gepunktet von dem farbigen Scheinwerferlicht, die sich durch die neblige Wüste aus Menschenmassen hindurchzwängte. Jana sprang auf sie zu schnappte sich ihre Arme und riss sie im Takt von links nach rechts und ließ sie dann los mit aufforderndem Blick. Mila überwand ihre Scheu, vor anderen zu tanzen und wippte zaghaft von einem aufs andere Bein. Sie mochte das Tanzen nicht und wenn sie sich umblickte begann sie zu zweifeln ob sie diese Diskothek überhaupt mochte. Sie roch den Schweiß in der Luft und sah dazu, die sich lasziv bewegenden Mädchenkörper die vom Tanzstil nah an eine Choreographie in einem R’n’B Musikvideo auf Mtv herankamen. Überhaupt hatte Mila das Gefühl in einem Film zu sein. Aber sie fühlte sich nicht als Schauspielerin und Mitwirkende. Ihr kam es eher so vor, als wäre sie umgeben von schönen und reichen Akteuren und Aktressen. Alle tanzten ausgelassen und bewegten sich gekonnt, sodass man hätte denken können, das die Melodie selbst, unsichtbar die makellosen Körper bewegte. Mila fühlte sich fehl am Platz. Sie war keine dieser von Melodie bewegter Schauspieler. Ihr kam es eher so vor, als hätte sie bei einem Preisschreiben einen Tag am Set gewonnen und dürfte alles beobachten. Aber teilnehmen… das war nicht drin.
In dem Moment, brachten diese, in Milas Kopf schwirrende Gedanken zusammen eine neue Erkenntnis hervor.
Sie schaute sich um. Quetschte sich durch die Körpermasse immer tiefer in das Nebellabyrinth.
Dabei beobachtete sie genau die Menschen die um sie herum tanzten. Alle hatten eins gemeinsam. Alle guckten an sich selbst herunter. Es war unfassbar in einem Raum, wie er voller kaum sein konnte, war jeder alleine. Nun, im Nahen, sah sie die angestrengten Gesichter, verschwitzt und konzentriert auf die Bewegungen, gesteuert, nicht von der Lust am Tanzen sondern von reiner Arroganz und Selbstverliebtheit. Sie schaute sich weiter um und sah die Mädchen, die wie dressierte Hunde auf Befehl von den schwarzen Boxen, die das vom DJ gesagte laut im Raum verteilten mit dem hintern wackelten, sich lasziv an der Tanzstange versuchten oder gehorchend in die Knie gingen und sich mit herausgestreckter Brust wieder erhoben. Es war billig und erbärmlich. Mila wurde schwindelig. Ob dies von der stickigen Luft oder durch die überraschende Erkenntnis, dass es hier mehr Schauspieler als in Hollywood geben musste und diese perfekten Mädchen nur hörige Sklavinnen waren, bedingt war. Sie lief die, mit rotem Teppich bezogenen Treppen hinauf vorbei an etlichen auf sich selbst fixierten Mädchen und Jungen.
Die Toiletten waren alle nicht besetzt. Mila sperrte sich in eine ein und setzte sich auf den geschlossenen Klodeckel. Tief atmete sie ein und aus, genoss die verhältnismäßige Stille. Keine Röckchen, keine Musikvideos, keine DJ-Befehle, keine Nebelschwaden, keine bunten Farben sondern Stille, Isolation, Frieden und Luft zum atmen. Vor ihr an der Tür hing ein Plakat, welches die große Playboyparty in dieser Diskothek ankündigte. Mila las die Aufschrift und war entsetzt. „ Scharfe Mädels tanzen im Playboybunnykostüm daneben ein junges Mädchen (höchstens 20) mit Katzenblick und Bunnykostüm. Mila wollte endgültig nicht mehr in dieser Disko bleiben. Eine Pilgerstätte für Hörige und selbstfixierte Möchtegernstars. Ein Etablissement in dem die Fleischgewordenen „Bunnyfantasien“ der Männer frei(-zügig) herumlaufen dürfen obwohl jeder weiß, dass hier (trotz Einlass ab Volljährigkeit) auch fünfzehnjährige ihre ersten Party Erfahrungen machen.
Mila wollte nur nach Hause. Von der Telefonzelle in der Toilette rief sie ein Taxi. Sie sagte Jana nicht Bescheid, dass sie weg fuhr. Sie hätte es eh nicht verstanden.