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Ein Erbe

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19.08.2001
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Ein Erbe

Die Schlüssel drehen sich klirrend im Schloss um. Leise schwingt die Tür auf, eine Hand schiebt sich durch den Spalt, sucht den Lichtschalter und betätigt diesen. Vom Sturm und dem dazugehörigen strömenden Regen, der draußen wütet, komplett durchnässt betritt Marion ihre Wohnung und schließt die Tür hinter sich. Sie wirft den Schlüsselbund auf die Kommode, zieht ihre nasse Jacke aus und schlüpft aus ihren triefenden Schuhen. Das letzte Mal war sie in ihrer Wohnung, als sie sich für die Bestattung ihres Mannes Karl vor zwei Wochen umgezogen hat.

Nach einem kurzen Rundgang in der Wohnung stellt sie fest, dass alles beim Alten geblieben ist. Warum sollte sich hier auch etwas geändert haben? Ihr Leben steht seitdem sie von Karl's Tod erfahren hat auf dem Kopf, aber hier ist nichts davon zu sehen.

Sie versucht angestrengt, die ganzen Fotos an der Wand zu ignorieren. Sie zeigen ihren Mann Karl und sie selber in allen möglichen Situationen. Zum wiederholten Male fragt sie sich stumm, wie sie das alles durchstehen soll. Wie so etwas von einem Menschen verlangt werden kann, der immer gedacht hat, dass seine Ehe noch ewig halten würde.

Karl war ihr erster und einziger Mann gewesen und sie hatte ihn bedingungslos geliebt. Mehrmals hatte sie versucht, sich selbst die Schuld an seinem Tod zu geben, doch er hatte darauf bestanden, diesen Flug zu buchen. Seit knapp zehn Jahren hatte er seine Verwandten in England, seine Mutter stammte aus London, nicht mehr gesehen. Aus heiterem Himmel hatte er ihr eines Abends eröffnet, dass er für ein paar Tage hinüber fliegen und seiner Verwandtschaft einen Besuch abstatten würde. Natürlich wusste er, dass sie nicht mitkommen konnte. Ihre Arbeit im Spital erlaubte es nicht, sich einfach so für ein paar Tage zu verabschieden. Halbherzig hatte sie versucht, es ihm auszureden, doch als sie den flehenden Blick in seinen Augen gesehen hatte, konnte sie nicht anders, als ihm zuzustimmen.

Nachdem sie sich einen Tee in der Küche gemacht hat, schnappt sie sich ihre Zigaretten und begibt sich auf den Balkon. Eigentlich hat sie vor mehreren Monaten aufgehört zu rauchen, aber wer zum Teufel sollte sie nun, da sie alleine ist, daran hindern? Den Rauch tief inhalierend, lehnt sie sich zurück und denkt an ihren Mann. Daran, wie sie sich kennen gelernt hatten und wie sie gedacht hatte, dass ihr vermutlich noch nie im Leben so ein Langweiler untergekommen war. Aus irgendeinem Grund hatte sie sich jedoch bereit erklärt, sich erneut mit ihm zu treffen und war ihm dabei mit Haut und Haaren verfallen. Sie hatte seine anfängliche Zurückgezogenheit beim ersten Mal einfach für Schüchternheit gehalten, wurde jedoch rasch eines Besseren belehrt. Sie waren bereits drei Jahre verheiratet gewesen, als sie das erste Mal auf eines seiner größten Leidenschaften aufmerksam wurde - das Glücksspiel.

Wie viele Spieler, hatte es Karl sehr lange vor ihr geheim halten können. Sie hatte auch nie den Eindruck gehabt, als würde er Unmengen von Geld verspielen, immerhin hätte sich das merklich auf ihre finanzielle Lage ausgewirkt. Jedoch war das Gegenteil der Fall. Sie lebten sehr gut und fuhren jedes Jahr zweimal auf Urlaub. Karl erwähnte jedes Mal einen Bonus, den er von seiner Firma erhalten habe, aufgrund guter Arbeit und sie hatte kein einziges Mal einen Grund gesehen, dies anzuzweifeln. Eines Tages hatte sie, als sie seine Hose waschen wollte, einen Beleg in der Tasche gefunden. Dabei handelte es sich um eine Auszahlung von 850 Euro im Casinopalast Wien. Als sie ihn abends darauf ansprach, hatte er ihr sofort die Wahrheit gesagt, aber auch hinzugefügt, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauche, immerhin hätte er alles im Griff.

Die nächsten Jahre hatte es oft Krach gegeben. Marion wollte nicht akzeptieren, dass ein erwachsener Mann sich dem Glückspiel dermaßen hingeben konnte und nannte ihn verantwortungslos. Obwohl sie ihn liebte, stellte sie ihm vor einigen Wochen ein Ultimatum – entweder seine Glücksspielautomaten, oder sie. Er entschloss sich für sie und schwor ihr, nie wieder zu spielen. Obwohl sie über seinen Entschluss sehr glücklich war, fiel ihr jedoch auch auf, dass sich Karl’s Wesen veränderte. Er saß nun öfter stumm auf dem Sofa, ohne etwas zu tun und starrte einfach nur in die Luft. Auch wenn er ihr gegenüber nie ein Wort darüber verlor, war sie sich sicher, dass ihm der Nervenkitzel des Spielens fehlte und es nichts gab, was diesen Platz auszufüllen vermochte. Als er dann mit besagtem Flugwunsch an sie herantrat, konnte sie gar nicht anders, als es nach anfänglichen Bedenken eine verdammt gute Idee zu heißen.

Marion steckt sich die nächste Zigarette an und atmet blauen Rauch aus. Die Teetasse ist leer, vor ihr gießt es immer noch wie aus Kübeln vom Himmel. Das Geräusch des Regens hat eine beruhigende Wirkung auf sie. Sie raucht ihre Zigarette bis zum Filter hinunter, ehe sie sie ausdrückt und den Balkon verlässt.

Am Morgen des Abflugs war Karl in unglaublich guter Stimmung gewesen. Er war sehr früh aufgestanden, hatte Frühstück zubereitet und es ihr ans Bett gebracht. Es war eine unglaubliche Erleichterung für sie ihn so zu sehen, nachdem er die letzten Wochen sehr niedergedrückt gewirkt hatte. Nach dem Frühstück hatte sie sich fertig gemacht und er hatte sich ein Taxi bestellt, das ihn zum Flughafen bringen sollte. Vor dem Haus hatte er sie umarmt und ihr gesagt, wie sehr er sie liebt. Nach dem Abschiedskuss war er ins Taxi eingestiegen und hatte ihr beim Wegfahren noch zugewinkt. Das sollte das letzte Mal sein, dass sie ihren Mann lebend sah.

Warum das Flugzeug abgestürzt war, konnte keiner so richtig beantworten. Irgendein Riss in einer Tragfläche hatte zu Komplikationen geführt. Als dann auch noch Probleme mit den Triebwerken aufgetaucht waren, hatten die Piloten einen Notlandungsversuch auf einem kleineren französischen Flughafen unternommen. Das Flugzeug krachte auf die Landebahn und schlitterte nahezu ungebremst weiter, ehe es sich überschlug und über einen Kilometer weiter brennend zum Stehen kam. Alle 131 Passagiere kamen dabei ums Leben, unter ihnen Karl.

Marion geht ins Schlafzimmer und öffnet eine Lade der Kommode, in der sie ihre Nachthemden aufbewahrt. Das Kuvert liegt immer noch da, so wie sie es zurückgelassen hat. Der Brief kam drei Tage nach dem Flugzeugabsturz. Sie öffnet ihn und zieht einen schmalen dünnen Papierstreifen und einen handgeschriebenen Zettel heraus. Mit einem Kloß im Hals liest sie Karl’s letzte Zeilen an sie. Er versichert ihr erneut, wie sehr er sie liebte und dass er am Flughafen gar nicht anders konnte, als diesen Lottoschein zu kaufen. Dass es ganz bestimmt das allerletzte Mal sei und sie mit Glück möglicherweise schon bald Millionäre sein könnten. Dass er den ausgefüllten Lottoschein mit diesem Brief mitschicke und sie doch bitte so nett sein soll, ihn am Freitag auf einen Gewinn zu überprüfen. Mit diesen Worten und der Grußformel „Ich liebe Dich“ endet der Brief.

Marion nimmt den Lottoschein und verlässt das Schlafzimmer um sich am Balkon erneut eine Zigarette anzuzünden. Zitternd faltet sie den Lottoschein auseinander und betrachtet den abgegebenen Tipp. Es ist nur ein einziger. Die Zahlen ergeben alle einen Sinn für sie:

3 – Ihr Geburtsmonat
6 – Sein Geburtsmonat
18 – Der Geburtstag seiner heiß geliebten Mutter
24 – Sein Geburtstag
27 – Ihr Geburtstag
33 – Seine Lieblingszahl die sich auf einigen seiner T-Shirts befand

Während sich ihre Hand zitternd in den Lottoschein gräbt, bemerkt sie, wie heiße Tränen über ihre Backen rinnen. Ein einziger Tipp beim Euromillionen Spiel. Mehrfachjackpot. Sie hatte die Zahlen am Tag seiner Beerdigung überprüft. Immer und immer wieder. 113 Millionen Euro. Karl’s Gewinn. Sein Erbe.

Sie verlässt den Balkon, dreht alle Lichter in der Wohnung ab und legt sich auf ihrem Bett auf Karl’s Seite. Den Lottoschein fest in der Hand drückt sie ihre Wange in den Polster um seinen Geruch in sich aufzunehmen.

Während draußen der Sturm weitertobt, befeuchten Marion’s Tränen den Polsterbezug immer mehr, ehe sie sich schließlich in einen unruhigen Schlaf flüchten kann.

 

Hallo grOOvekill@,

eigentlich eine nette Geschichte. Doch eines stört mich dabei und zwar die Rückblenden.
Sie sind zwar für den Verlauf der Geschichte notwendig, aber soviel ich weiß, kann man da auch Dialoge einbauen und sie so schreiben, als würde sie noch einmal vor dem inneren Auge ablaufen.
Dabei entfielen die Zeitenformulierungen mit dem hätte und hatte . Sie lesen sich sehr umständlich. Wie du an dem folgenden Beispiel siehst, zieht sich dieses Wort durch die ganzen Rückblenden.

Karl war ihr erster und einziger Mann gewesen und sie hatte ihn bedingungslos geliebt. Mehrmals hatte sie versucht, sich selbst die Schuld an seinem Tod zu geben, doch er hatte darauf bestanden, diesen Flug zu buchen. Seit knapp zehn Jahren hatte er seine Verwandten in England, seine Mutter stammte aus London, nicht mehr gesehen. Aus heiterem Himmel hatte er ihr eines Abends eröffnet, dass er für ein paar Tage hinüber fliegen und seiner Verwandtschaft einen Besuch abstatten würde.

Halbherzig hatte sie versucht, es ihm auszureden, doch als sie den flehenden Blick in seinen Augen gesehen hatte, konnte sie nicht anders, als ihm zuzustimmen.

ich glaube es muss hier sogar hat statt hatte heißen, da du die Geschichte in der Gegenwart schreibst.
Willst du die Rückblende allerdings im indirekten Stil schreiben, kann man mE nach dem zweiten Satz mit der Vergangenheitsform weiterschreiben, da würde auf alle Fälle die umständliche Schreibweise wegfallen. Bin mir aber nicht sicher.

Noch ein paar Kleinigkeiten:

Die Schlüssel drehen sich im klirrend im Schloss um.

erstes im wegstreichen

Wie viele Spieler hatte es Karl sehr lange vor ihr geheim halten können.

Komma nach Spieler

Eines Tages hatte sie, als sie seine Hosen waschen wollte,

seine Hose

– entweder seine Glückspielautomaten,

Glücksspielautomaten

Zusammenfassend kann ich sagen, dass mit die Idee der Geschichte gut gefallen hat, doch der Stil der Rückblenden nicht so mein Geschmack ist.

Viele Grüße
bambu

 

Hi Bambu,

danke für's Feedback. Die Rückblenden wirken schon etwas störend, da muß ich Dir Recht geben. Dennoch wollte ich keine Dialoge einbauen. Wie ich die Rückblenden allerdings modifizieren kann, damit das "hatte"-Problem beseitigt wird, weiß ich im Moment noch nicht wirklich. Mir ist es, ehrlich gesagt, erst aufgefallen, nachdem ich Deinen Kommentar dazu gelesen habe. :)

Mal sehen. Ich schlaf am besten eine Nacht drüber und mache mir Gedanken dazu.

 

Hallo grOOvekill@,

etws behäbig finde ich die Umsetzung des Plots. Das mag an der Form der Rückblenden liegen, oder daran, das du trotz Tod und Gewinn, trotz Liebe und Sucht fast weitestgehend auf Gefühle verzichtest und die so auch nicht entstehen können. So erzählst du eine Geschichte ohne uns in die Welt zu entführen.
So wird zwar auch die Ironie in der Sentimentalität über den Kopf erfasst, lässt aber irgendwie recht kalt. Ich konnte mich nicht mal über das Erbe für sie freuen. Sicher hätte auch sie lieber ihren Mann behalten.

als sie das erste Mal auf eines seiner größten Leidenschaften aufmerksam wurde
eines seiner
das Glücksspiel
dem Glücksspiel
Wie viele Spieler, hatte es Karl sehr lange vor ihr geheim halten können.
Hier: vor seiner Frau, denn die vielen Spieler haben es ja nicht alle lange vor ihr geheim gehalten

Vom Plot her gut hat mich die Nüchternheit nicht so sehr überzeugt. Und von "heißen Tränen" habe ich inzischen zu oft gelesen.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo Groovekill,

eigentlich muss ich mich den anderen Kritikern anschließen. Die Gefühle kommen eindeutig zu kurz, die Rückblenden nehmen der Geschichte die Spannung. Ich glaube, es würde der Geschichte helfen, sie anders zu erzählen. Warum muss die Frau unbedingt darüber nachdenken, wie alles abgelaufen ist? Warum kann es nicht einfach passieren? Also der Mann eröffnet, dass er nach England möchte - sie diskuttieren darüber - deine Prot. denkt an das Glücksspiel und daran, dass sie ihm England jetzt nicht verbieten möchte etc. Schließlich stürzt das Flugzeug ab, die Frau ist natürlich sehr erschüttert und bekommt schließlich den Brief mit dem Lottoschein. Sie kontrolliert die Zahlen - et voilá! So hätte die Geschichte mir wesentlich besser gefallen.
Die Schuldgefühle der Frau kann ich nicht nachvollziehen. Klar denkt sie, dass sie es ihm hätte ausreden können - aber sie konnte nichts dafür. Es war seine eigene Idee. Natürlich bekommen die Schuldgefühle eine besondere Dramatik, wegen des hohen Gewinnes, der Karl nun entgeht - aber auch dafür kann deine Prot. nichts.

LG
Bella

Alle 131 Passagiere kamen dabei ums Leben, unter ihnen Karl.[/QUOTE]

Eigentlich unnötig.

 

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