Mitglied
- Beitritt
- 22.11.2004
- Beiträge
- 3
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 5
Ein ganz normaler Tag
Als der Wecker klingelte lag Linda bereits seit Stunden mit geöffneten Augen im Bett. Mit einem gekonntem Handschlag traf sie den Schnabel des künstlichen Hahns. „Schmeiß endlich diesen Scheiß-Wecker weg!“ dröhnte es von oben. „Schmeiß dich doch selber weg!“ grummelte Linda und schlüpfte in ihre Schlappen. Heute würde sie sich durch nichts aus dem Konzept bringen lassen, denn heute war ihr Tag. Der Tag, dem sie so sehnsüchtig entgegengefiebert hatte. Heute würde sie ihn endlich sehen. Und nicht nur das- sie hatte es tatsächlich geschafft sich mit ihm zu treffen. Gut, von einem romantischen „Dinner For Two“ konnte nicht wirklich die Rede sein, denn schließlich würde außer ihnen beiden noch ihr Chef und die Chefsekretärin dabei sein. Und abgesehen von der Tatsache, dass er sie vermutlich noch nicht einmal kannte, würde das Treffen höchstens eine halbe Stunde dauern. Dreißig Minuten Zeit, ihn mit ihrer unbestechlichen Weiblichkeit und ihrem scharfsinnigen Intellekt gepaart mit einem Schuss Coolness willenlos zu machen. So oder so ähnlich jedenfalls hatte Linda es sich schon tausend mal in ihren Träumen vorgestellt. Auf jeden Fall würde ihr dieser kleine Hormonschub ihren tristen Büroalltag versüßen.
Voller Elan hüpfte sie über ihre Kleiderhügel am Boden und schob die neue Madonna Scheibe in den Cd- Player. „ Bey, bey American Pie“ trällerte sie aufgeregt mit, während sie ihre Jeans in Größe 29 suchte, die sie sich extra neu gekauft hatte. „ Was Madonna kann , kann ich schon lange“ dachte sie trotzig und quetschte sich in die stretchige Hüftjeans. Gut, bequem sitzen ließ es sich mit diesem Teenie –Fummel nicht, aber sie würden ja auch alle an einem großem Tisch sitzen, er würde ihre Rolle über dem Reißverschluss also sowieso nicht sehen können. Und wenn sie vor ihm stehen sollte, würde sie einfach den Bauch einziehen und die Brust rausstrecken. Denn eins war klar, ein schlankes Bein machte die Hose allemal. Jetzt fehlte nur noch ein passendes Oberteil. Es müsste jetzt schon ein wenig seriöser sein, sonst käme sie wohl zu sexy rüber, dachte sie und wühlte immer noch laut singend in ihrem Kleiderschrank herum. Das war es- triumphierend hielt sie sich eine schwarze tief ausgeschnittene Bluse mit Trompetenärmeln vor die Brust. Wenn sie doch bloß nicht so zerknittert wäre, stellte Linda verbittert fest und begann sogleich damit, das Bügeleisen aus der Küche zu holen. Hastig stöpselte sie den Stecker in die Dose unten an der Wand. Jetzt musste halt der Teppich als Bügelbrett herhalten, für größeren Aufwand war keine Zeit mehr, wie ihr der Blick auf den Hahn verriet. Schnell drückte Linda noch auf Repeat, um ein weiteres Mal mit Madonna um die Wette zu singen. „Ruhe da unten! Da kräht ja der Hahn noch besser!“ ertönte es wieder von oben. Hätte Linda spätestens jetzt gewohnheitsmäßig irgendwas obszönes zurück geschrieen, waren ihre Gedanken jetzt bei ihm. Sie dachte daran, wie er das erste Mal in das Großraum- Büro ihrer Firma gekommen war und sie nach dem Büro ihres Chefs gefragt hatte. Sofort war sie fasziniert von seinen tiefen, braunen Augen und der Art, wie er sein Mund schief legte, wenn er lächelte. Na schön, wenn ich schon nicht an George Clooney rankomme, so ist dieser hier doch ein ziemlich gutes Imitat, dachte sie sich und versuchte von dem Tag an irgendwie an „Clooney Zwei“ ranzukommen. So war es dann auch nicht verwunderlich dass sie sich spontan für die Arbeitsgruppe „ Go Out- Go Back“ meldete, in der die neuesten Türen des Typs „Go Out“ ihres Arbeitgebers wieder vom Markt genommen werden sollten, da an ihnen der kleine, aber nicht weiter wichtige Defekt festgestellt wurde, dass sie nicht öffneten im Falle eines Brandes. Für diese Aktion hatte sie sich also gemeldet, wohl wissend dass sie dadurch „Clooney Zwei“ treffen würde, da dieser Produktmanager war, wie sie nach kurzem recherchieren herausgefunden hatte. Und heute war schließlich der euphorisch erwartete Tag des Meetings. Erschrocken fuhr sie aus ihren Gedanken, als ihr der wohlbekannte Geruch von verbrannten Teppich in die Nase stieg. Na ein Glück lag die Bluse nicht dazwischen stellte sie erleichtert fest und stöpselte das Bügeleisen wieder aus. Wie sie so ihren Teppich sah, musste sie ein wenig vor Stolz schmunzeln. Denn allmählich bildeten die vielen eingebrannten Dreiecke auf ihrem Teppich ein richtig hübsches Muster. Vielleicht würde sie doch irgendwann eine berühmte Aktionskünstlerin?
Als Linda endlich fertig angezogen war stand ihr der Schweiß in Perlen auf der Stirn. In einer viel zu engen Hose und schicken neuen High- Heels herumzulaufen war eben doch kein Zucker schlecken. Schnell puderte sie sich noch das glänzende Gesicht, viel Farbe brauchte sie nicht, war sie die letzten Tage doch immer in das Solarium um die Ecke gegangen. Gut, ein bisschen rötlich wirkte ihr Gesicht schon, aber wieso oft Geld ausgeben, wenn man sich schon beim ersten Mal auf die Turbo- Bank legen konnte?
Als Linda die Tür hinter sich abschloss war es bereits so spät, dass sie sich darauf einstellen musste unpünktlich im Büro anzukommen. Madonna war auch nicht immer pünktlich- und hatte es ihr etwa geschadet? Ganz im Gegenteil, so würde ihr Auftritt erst richtig zur Geltung kommen, dachte sie und ging schnellen Schrittes auf den Bürgersteig. „Guck´ma da isse Hannelore! Sieht wieder aus wie ein explodierter Fruchtsalat!“ hörte Linda noch von dem unverschämten Obermieter , der ihr lachend aus dem Fenster hinterher schaute. Ja, ja Neid der Besitzlosen dachte sie sich. In Wahrheit bist du doch nur scharf auf mich! sinnierte Linda und spuckte als unterstützende coole Geste ihr Kaugummi aus. Leider traf sie nur die Spitze ihres High –Heels, der auch zugleich eine starke Saugfestigkeit bewies, als sie versuchte ihn abzuschütteln. Unglücklicherweise trat sie sogleich auf ein Werbeblättchen einer Stromgesellschaft mit den Lettern: „ Gegen den Strom schwimmen heißt nicht immer untergehen!“ Was für eine blöde Werbung dachte sich Linda und sah besorgt auf ihren unfreiwillig geschmückten Schuhabsatz. Egal, für solche unerquicklichen Angelegenheiten war jetzt keine Zeit mehr.
Schnaubend kam Linda fünf Minuten später im Büro an. Die langweilige Gabi von der Wartungsabteilung kam ihr auf dem Flur entgegen. „ Wie siehst du denn aus?“ fragte sie entsetzt und rückte sich mit dem Zeigefinger die viel zu große Brille zu recht. Ganz so als ließe sich das obskure Erscheinungsbild vor ihr mit dem Einstellen ihres Brillengestells verändern. „ Ach Gabi Mäuschen, heute ist mein Tag“ flötete Linda und lief weiter in Richtung Chefzimmer.
Während Linda immer noch auf dem Weg zur Besprechung war, warteten Klaus Kaufmann, Chef der Abteilung, seine Sekretärin und der Produktmanager bereits ungeduldig in seinem Büro. Das war ja mal wieder klar, dachte Kaufmann sich . Seine Frau warf es ihm ständig vor und nun sollte sie wieder einmal Recht behalten. Er war einfach zu gutmütig. Wie konnte er nur glauben diese impertinente Figur von Sachbearbeiterin würde ihn bei diesem Projekt unterstützen können? Gut, er hatte keine andere Wahl, schließlich war sie die einzige die sich dafür gemeldet hatte, doch musste man denn immer auf das Fallobst zurückgreifen, wenn kein frisches dabei war? Oder vielleicht war sie doch nicht so dümmlich, wie er immer angenommen hatte? So klang ihm immer noch der Satz des letzten Arbeitgeber-Seminars „ Chef sein und trotzdem Mensch sein!“ in den Ohren, der lautete: „ Erkenne das Potential jeden Arbeiters!“ Hatte er ihr Potential einfach nur noch nicht erkannt? Räuspernd schaute er in die Runde und lächelte dem Produktmanager entschuldigend zu. Just in dem Moment öffnete sich die Tür und Klaus Kaufmann wünschte sofort, er hätte einmal auf seine Frau gehört.
Auch Felix Stein konnte zunächst nicht glauben, was er sah. Jetzt hieß es Fassung zu bewahren und ein freundliches Gesicht aufzusetzen. Waren es nicht schließlich diese Eigenschaften, die aus ihm den Produktmanager gemacht hatten, der er heute war? Schon in der Schule war er der Schleimer, den alle anderen Kinder mieden. Doch hatte denn niemand erkannt, dass er durch gute Noten glänzen musste, um sein schreckliches kleines Geheimnis vor dem erfolgreichen Vater zu verheimlichen? Bis heute war er stets der charmante, aufstrebende Typ, der gelegentlich eine hübsche Freundin hatte. Diese Beziehungen scheiterten natürlich alle irgendwann an der Firma, wie er gern zu rechtfertigen wusste. So hatte sein Leben bis dato eine nette Kopie eines Werbespots wiedergegeben, wären da nur nicht die kleinen Wochenendausflüge in die eine oder andere Schwulenbar gewesen. Gewiss hatte er auch schon Beziehungen zu andern Männern aufgebaut, doch diese zerbrachen stets an seiner Angst, entdeckt zu werden. Als Felix nun diese Person vor sich stehen sah, konnte er nicht anders, als gewisse Sympathien für sie zu empfinden. Er wusste nicht genau warum, aber irgendwas in Felix sagte ihm, dass diese Person sein Leid beenden könnte. So grotesk sie auch dastand, spiegelte sie nicht genau die Maskerade wieder, hinter der er sich seit jeher versteckt hatte? Wie schaffte es diese Frau , so viel Mut und Selbstsicherheit aufzubringen und so kostümiert in einer seriösen Besprechung aufzutauchen? Und anscheinend machte es ihr noch nicht einmal etwas aus, denn sie strahlte über das ganze Gesicht.
Klare Sache, dachte sich Susanna Brand, als sie beobachtete, wie Felix Stein Linda anstarrte. Vulgäre Schlampen erreichen eben doch mehr Aufmerksamkeit als intelligente Frauen, die sich seit Jahren abarbeiten, um in der Hierarchie der Firma eine Leitersprosse weiter hoch zu klettern. Felix Stein, er wäre ihre Chance gewesen um aus dem tristen Alltag ihrer 45 qm Wohnung auszubrechen. Sie wusste wenigstens wie man zu seinen Absichten kam, ohne es auf diese direkte Art zu veräußerlichen wie diese abstoßende Frau vor ihr. Niemand hatte ihr je angemerkt ,dass sie vom anderen Ende der Stadt kam, wo alles nach Urin stank und die Wände mit Floskeln innerer Unzufriedenheit beschmiert waren. Hatte sie sich etwa all die Jahre um den Anschein einer gesellschaftstauglichen Frau von Welt bemüht, damit ihr jetzt dieses Flittchen den Rang ablief? Und warum in aller Welt, klebte an ihrem Arm ein dreieckiges Stück irgendwas ?
Den Teppichfetzen bemerkte Linda erst, als sie sah dass diese komische Sekretärin ihr stirnrunzelnd auf den rechten Arm starrte. Sofort versuchte sie ihn abzureißen, doch dieses fiese Stück wollte einfach nicht abgehen. Alles nervöse zurren und ziehen half nicht und ehe sie sich versah, hatte sie sich ihre Bluse bis zum Hals aufgerissen. So stand Linda nun da, mit ihrem prall ausgefülltem BH- Körbchen in glänzend Gold, hochrotem verschwitztem Gesicht, eingequetschten Zehen unter denen ein Kaugummi langsam hart wurde und einer Bauchrolle, die sich den Weg aus der Hose suchte. Entschuldigend blickte sie in die entsetzten Gesichter. „ Muss mich mal schnell frisch machen...!“ nuschelte Linda und lief begleitet durch die Tränen, die ihr über die Wangen rollten aus dem Raum. Felix Stein, der die ganze Szene mit Mitgefühl betrachtet hatte, fühlte sich plötzlich unwohl angesichts der betretenen Stille, die nun herrschte. Klaus Kaufmann räusperte sich und spielte in seinen Gedanken krampfhaft jeden auflockernden Scherz durch, der ihm einfiel. Hilfesuchend blickte er zu seiner Sekretärin, die süffisant lächelnd aus dem Fenster starrte. Gerade als er seinen zurechtgelegten Satz zum Beste geben wollte, geschah etwas, womit wohl niemand der anwesenden Personen gerechnet hätte.
„ Gegen den Strom schwimmen heißt nicht immer unterzugehen!“ Und seltsamerweise drang dieser einfache Satz an die Gemüter aller Anwesender. Da stand diese Person vor ihnen, diese Jean D`arc der Büroangestellten und verkörperte das, was sie schon immer sein wollten- frei.
Inmitten ihres grauen Büro-Alltags brachen ihre harten und mühsam angeeigneten Fassaden ein Stück weit auf und öffneten sich für Lindas kleine welt.
Als Linda abends nach Hause kam, wunderte sie sich immer noch, dass das Meeting so gut für sie gelaufen war. Was hatte sie sich bloß dabei gedacht, noch mal in das Büro reinzustürzen um dann diesen blöden Werbespruch raus zuposaunen? Na ja, es schien ja gut angekommen zu sein, bot ihr Felix Stein am Abschluss sogar an, in Zukunft für ihn zu arbeiten. Völlig erschöpft schaltete sie den Fernseher ein. Eine Polit-Talkrunde fiel sich gerade gegenseitig in das Wort und Linda drückte entnervt auf die Austaste. Man kann ja doch nichts ändern, dachte sie sich und drehte Madonna auf volle Lautstärke.
Ende.