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Ein ganz normaler Tag

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30.09.2005
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Ein ganz normaler Tag

Die Sonne lugt durch das kleine Fenster, das sich nicht öffnen lässt. Irgendwo in einer großen Stadt klingelt jetzt ein Wecker. Hier ist es still. Der Hahn ist vor 25 Jahren gestorben. In New York gibt es die ersten Staus. Geschäftsleute fluchen auf dem Weg zur Arbeit. Wie jeden Tag.
Hier ist es still. Ein Schmetterling lässt sich auf einem Veilchen nieder. In Berlin bestellt ein Chef bei seiner Sekretärin einen Kaffee. Extra stark. Wie jeden Morgen. Er schaut auf die voll befahrene Straße. Es hupt. Auf dem Bürgersteig fährt ein Moped an den Fußgängern vorbei. Der Motor ist laut. Hier ist es still. Der Schmetterling ist Braun mit orangen Flecken. Die Farben beißen sich mit dem Lila des Veilchens. Es interessiert niemanden. In Paris probiert die Frau des Bürgermeisters die neueste Mode an. Im ganzen Laden tönt Musik aus Lautsprechern. Die Bürgermeistergattin summt mit. Hier ist es still. Die Sonne hat ihren höchsten Stand erreicht. Es ist keine Wolke am Himmel. Der Wind fährt durch die hohen Gräser. Sie wurden schon lange nicht mehr gemäht. In Pearth sitzt ein kleiner Junge vor seinem Fernseher. Er isst Chips. Der leere Teller vom Mittagessen steht vor ihm. Die Flasche Cola ist fast leer. Er hat den Fernseher auf volle Lautstärke gestellt. Er will die Streitereien der Eltern nicht hören. Hier ist es still. Hier streitet niemand. Die Gräser wiegen sich im Wind. Die Ziege, die sie früher abgraste, stürzte eines Tages den Hang hinunter. In Florenz sonnt sich auf einem Balkon im dritten Stock eine junge Italienerin. Die Wäsche vom Nachbarbalkon flattert im Wind. Unten im Hof spielen Kinder. Sie fangen sich gegenseitig. Sie kreischen und rufen. Der Schall prallt an den Häuserwänden ab und schwebt im Hof. Hier ist es still. Es ruft niemand. Unten im Tal fließt ein Bach. Man hört ihn hier oben nur, wenn der Wind richtig steht. Der Wind steht nicht richtig. Eine Grille zirpt im hohen Gras. Der Schmetterling sonnt sich auf dem Veilchen. Die Farben beider passen nicht zusammen. Aber das ist ihnen egal. In Schweden trinkt eine Familie Tee und isst Kuchen. Die Oma ist aus dem Nachbardorf zu Besuch gekommen. Alle lachen und reden durcheinander. Hier ist es still. Keiner lacht. Die Kinder, die früher hier lachten, sind weg gezogen. In die Städte. Hier oben, sagen sie, ist keine Arbeit. Die Sonne steht jetzt kurz über den Bergen. Der Wind weht wieder leicht über die Bergwiesen. Er würde den gestressten Börsianern in Frankfurt gut tun. Aber sie kommen nicht hier her. Die letzten Wanderer waren hier vor 10 Jahren. Sie fahren jetzt lieber nach Hawaii oder ins Himalaja. Da ist mehr los. Abenteuer. Hier ist nichts los. Hier ist es still. In Madrid geht eine junge Familie in ein Restaurant. Dort ist heute Live-Musik. Es sind viele Menschen da. Sie tanzen zur Musik. Hier tanzt niemand. Früher kam immer der Nachbar zum abendlichen Musizieren. Er ist ausgewandert. Nach Australien. Hat dort einen interessanten Job gefunden. Die letzte Karte von ihm ist zwölf Jahre alt. Sie steht auf dem Fensterbrett. Die Sonne ist hinter den Bergen verschwunden. Sie hat ihre Arbeit für heute getan.
Auf Capri geht jetzt die Party-Time los. Aus allen Discos tönt Hip-Hop und R&B. Die Musik ist laut. Hier ist es still. Der Mond scheint auf die Wiesen. Der Schmetterling hat sich schlafen gelegt. Das Veilchen seine Blüte geschlossen. Auch der Wind hat sich zurückgezogen. Er will die Stille auf keinen Fall stören. Im Persischen Golf beschießen sie die Städte. Bomben fallen. Hier passiert nichts. Es ist kein Laut zu hören. Ich sitze am Bett meiner Großmutter. Halte ihre Hand. Sie hat ihre Augen geschlossen. Sie wollte diesen einen Tag noch erleben. Diese Stille und den Ort, den sie noch nie verlassen hat. Jetzt ist sie eingeschlafen. Ist still geworden. Hat sich der Umgebung angepasst.
Morgen wird der Schmetterling wieder auf dem Veilchen sitzen. Die Sonne ihn wärmen. Der Wind wird durch die Gräser fahren. Meine Großmutter wird das nicht mehr mitbekommen. Sie ist tot. Auf ihrem Gesicht ist ein Lächeln. Hier ist ihr zuhause. Ich lege ihre Hand auf ihren Bauch. Stelle die Karte vom Fensterbrett auf den Nachttisch. Neben ihre Brille. Ich mache die Gaslampe aus. Der Mond scheint durch das kleine Fenster, das sich nicht öffnen lässt. Ich schließe die Tür. Sie knarrt. Dann ist es ganz ruhig. Ich höre nur meinen eigenen Atem. Er geht schwer. Morgen werde ich hinunter gehen, ins Tal. Werde bis zum nächsten Dorf laufen. Dort wartet der Bus. Er fährt nur einmal in der Woche. Er fährt in die kleine Stadt. Ich werde zurück nach Hamburg fahren. Mit dem Zug. Nach Hamburg, wo so viel Lärm in den Straßen ist. Ich werde die Stille hier oben vermissen. Meine Großmutter.

 

Hallo Rosa,
eine tolle Geschichte!
Ich hab sie meiner Familie vorgelesen und herausgekommen ist, dass sie bei jedem andere Gefühle ausgelöst hat. abhängig von den jeweiligen Erfahrungen, Empfindungen…
Zwei Welten, die beide ihre Berechtigungen haben, wobei die eine an Beachtung verliert, obwohl sie doch diese große Bedeutung hat. Vielleicht verliert sie auch mit dem Tod der Großmutter für die Protagonistin… dann aber sicher nicht für immer.
Sicher wird eine Zeit kommen, wo sie auch diese Welt wieder mehr beachten wird, vielleicht mit viel Melancholie.
Jedenfalls ein Text, der Gefühle auslöst.
Für mich war es ein kleines Erlebnis.

Kleine Fehler sind drin, aber die aufzuzählen ist jetzt nicht passend.

Gruß
3

 

Hallo rosa,

ein herzliches Willkommen auf kg.de.

Eine besinnliche Geschichte, die du hier zum Einstand geliefert hast. Sie hat mir gut gefallen und regt mE zum Nachdenken an.

Zu dem Aufbau, oder vielmehr zum Äußeren der Geschichte hätte ich noch einiges zu sagen.
Ich würde den Satz "Hier ist es still." irgendwie herausheben. Vielleicht indem du ihn immer alleine in eine Zeile stellst. Diese dauernde Wiederholung hat etwas für sich und muss mE auch deutlich gemacht werden.
Ein zweiter Vorschlag: Mach mehr Absätz. Das geht bei dieser Geschichte hervorragend. Immer wenn du in ein anders Land schaltest, mache einen Absatz. Gehst du wieder zurück, was du ja meistens mit dem Wiederholungssatz machst, einen erneuten Absatz machen.
Das ist für das Lesen leichter und verschafft der Geschichte auch ein besseres Aussehen. Einen Text, der in einem runtergeschrieben ist, liest man wesentlich schwerer. Wenn man mal kurz nicht aufpasst, dauert es immer eine Weile, bis man wieder die Stelle zum Weiterlesen gefunden hat. Daher sind Absätze auch sehr hilfreich.

Das wäre es erstmal von meiner Seite. Wenn du die Struktur des Textes gelockert hast, ist es dann auch leichter, dir einige Fehler aufzuzeigen, die sich in die Geschichte geschlichen habe.

Viele Grüße
bambu

 

Dieser Text, das Experiment mit den vielen kurzen Sätzen, Szenenwechseln, der ständigen Wiederholung von "Hier ist es still", will mir nicht recht zusagen. Vermutlich, weil es den kurzen Sätzen nicht gelingt, wirklich ein Bild zu erzeugen, weil sie auf mich aneinandergereiht wirken. Das schafft natürlich eine Distanz, die vermutlich auch beabsichtigt ist: Die Nichtigkeit der großen Betriebsamkeit auf der einen Seite, die Wichtigkeit der Ruhe und der Toten auf der anderen Seite.

Für die Monotonie, die mich gestört hat, ein Beispiel:

rosa schrieb:
In Schweden trinkt eine Familie Tee und isst Kuchen. Die Oma ist aus dem Nachbardorf zu Besuch gekommen.
Hier gefiele mir (in etwa) das besser: "Mit dem Mund voller Schokoladentorte erzählt Oma Svensson in Stockholm ihrer Enkelin Svenja von den weißroten Zuckerstangen ihrer Kindheit." Du kannst das vermutlich besser: weniger Distanz, mehr Bilder.

Und hier noch einige Kleinigkeiten:

  • dass sich nicht öffnen lässt - "das"
  • Kaffe - "Kaffee"
  • Es hubt - "hupt"
  • ist Braun mit orangenen Flecken - "braun mit orange (orangefarbenen) Flecken" (orange ist undekliniert)
  • Die Sonnen hat - "Sonne"
  • Himalaja. Da ist mehr los. - Im Himalaja ist mehr los?
  • zu Hause - "Zuhause"
  • Ich lege ihre Hand auf ihren Bauch - Mir gefiele "Ich lege ihr die Hand auf den Bauch" besser.

 

Hallo,
ich möchte mich für eure Komentare bedanken. Die Fehler habe ich versucht zu verbessen, ich hoffe ich habe alle gefunden. Ich finde es immer schwer meine eigenen Fehler zu erkennen, ich überlese sie allzu gern...
Zu dem Aufbau der Geschichte möchte ich anmerken, dass ich extra so wenig Absätze gemacht habe. Ich weiß, dass dies schwer zu lesen ist, aber hätte ich bei jedem Szenenwechsel einen Abschnitt gemacht, so wäre die Geschichte, m.M. nach, zu sehr auseinander gezogen worden. Außerdem drückt der Blocksatz(in dem ich sie eigentlich geschrieben habe) die Unruhe, die trotz "Stille" in ihr herrscht, am besten aus.
Mit den knappen Sätzen hatte ich wirklich eine gewisse Distanz beabsichtigt. Steht doch "die Welt" heute im allgemeinen (leider) in großer Distanz zueinander. Längere Sätze haben manchmal, m.M. nach, zu viel zu sagen, aber "hier ist es stil"... ;)
Ich hoffe, es nimmt mir niemand übel, wenn ich erst einmal nur versucht habe alle, Fehler zu beseitigen und eure anderen Verbesserungsvorschläge nicht berücksichtigt habe.
Lg Rosa

 

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