Ein guter Plan
Ein guter Plan
Perfekt!
Tony würde erst morgen wieder in Frankfurt landen, er selbst würde in einer Stunde in seiner Stamm-Nische im Blue Motion Club sitzen und sich bis zur ‚Chill Out Time’ um fünf Uhr früh immer unter genug Zeugen befinden. Karl kontrollierte nochmals die simple, aber hochwirksame Vorrichtung. Er hatte ein einfaches Frotteehandtuch an die Tür gelegt, das zusammen mit dem Teppich beim Öffnen der Tür für eine statische Entladung sorgte. Solch ein Funke langte für eine Gasexplosion. Mit Genugtuung beobachtete Karl den kleinen Funken am unteren Ende der Tür beim Öffnen. Selbst wenn nach der Explosion noch verwertbare Spuren übrig blieben würde man unmöglich feststellen können, warum dort ein Handtuch auf dem Boden lag. Wahrscheinlich waren weder das Handtuch noch der Flur nachher noch da. Überall im Haus waren Gasleitungen und im Keller unter der Garage war ein grosser Reservetank für Engpässe. Alle von Karls Problemen würden mit einem Knall erledigt sein. Zufrieden mit sich und seinem Plan drehte er den Gashahn auf und verliess das Haus durch die Garage, vor dessen Tür er ebenfalls ein Handtuch platzierte. Sicher ist Sicher. Jessica war so freundlich, ihren Zweitwagen mit Zündschlüssel stets startklar in der Garage zu haben. Auf dem Weg zum Club dachte er noch einmal an die turbulenten Wochen zurück, die mit einer Silvesterfeier begannen.
Karl langweilte sich. Seit diese Jessica die Firma von ihrem verstorbenen Vater übernommen hatte mussten auf einmal Betriebsfeiern stattfinden. Ausgerechnet mit seinen spiessigen Kollegen musste er Silvester verbringen. Und Frau Pfeiffer, die fette Alte von der Poststelle, würde wieder versuchen, ihre hässliche Tochter an ihn zu verkuppeln. Wie gern würde er ihr und den anderen ins Gesicht schreien, dass er schwul war. Die ganze Welt war inzwischen tolerant in dieser Beziehung und es war sogar ‚in’, einen Schwulen zu kennen. Aber diese Leute hier waren geistig alle von der Sorte, die Karl ‚Musikantenstadl-Schauer’ nannte. Also Augen zu und durch. Doch dann war plötzlich Tony wie ein Engel auf der Feier erschienen. Gross, muskulös und braungebrannt, wie aus einer Anzugwerbung. Er war der Vize-Direktor einer anderen Filiale und nun im Hauptsitz und Jessica direkt unterstellt. Als Karl ihn sich zwei Wochen später endlich wegen einer Unstimmigkeit in den Akten anzusprechen traute, war es um ihn geschehen. Nach all diesen Tucken und Zicken, mit denen Karl seine letzten Beziehungsdramen erlebt hatte war dieser männlich markante Zuchtbulle genau das, was er brauchte. Bereits drei Tage später konnte Karl erneut zu seinem Traummann ins Büro. Er hatte festgestellt, dass Jessica bereits seit mehreren Jahren Unsummen an Geld abzweigte. Mit einem Netzwerk aus Scheinfirmen und Pseudolieferungen hatte sie inzwischen etwa 13 Millionen Euro Schwarzgeld erbeutet. In einer Firma, die riesige Mengen Material an Ämter und andere staatliche Einrichtungen lieferte, hatte Jessica problemlos die Firma und die Kunden abzocken können, auch weil sie als Tochter des Chefs natürlich freie Hand hatte. Als Karl Tony die Unterlagen präsentierte war dieser sprachlos. Bei diesem Zusammentreffen im Büro waren Tony aber auch Karls Blicke aufgefallen. Nie würde Karl diesen Satz vergessen:
„Entschuldigen Sie, dass ich darüber jetzt nicht nachdenken kann, aber Ihre Anwesenheit lenkt mich ab.“
Zwei Stunden sprachen sie über Gott und die Welt, dann verabschiedeten sie sich mit einem Kuss.
Oh, dieses berauschende Gefühl! Die Schmetterlinge!
Das war nun zwei Wochen her. An diesem Wochenende wollten sie zum ersten Mal weitergehen. Diese Zeit hatte Tony sich ausgebeten. Wegen einer gerade erlittenen schmerzhaften Trennung, wie er sagte. Inzwischen hatten sie auch beschlossen, das ergaunerte Geld irgendwie selbst in die Finger zu bekommen. Doch dazu mussten sie erst noch Jessica loswerden oder erpressen. Mit der Gasexplosion in ihrer Wohnung wäre nicht nur seine verhasste Chefin aus dem Weg, ausserdem könnten er und Tony mit dem Geld ein neues, unbeschwertes Leben in der Karibik verbringen. Das war Karls Geschenk an Tony.
Karl riss sich aus seinen Gedanken. Vor ihm lag der Club. Er sah auf die Uhr. Bereits jetzt müsste die Gasmenge für ein schönes Feuerwerk ausreichen. Irgendwann demnächst würde Jessica Feierabend machen. Gerade wollte er aussteigen, als vor ihm Tony vorbei lief. Karl dachte erst an eine Halluzination, aber es war ganz klar Tony. Karl sprang aus Wagen und rief ihm nach.
„Tony, mein Schatz, was machst du denn hier?“
Wie angewurzelt blieb Tony stehen. Dann drehte er sich langsam um und grinste Karl an.
„Liebling! Ich habe dich gesucht. Mein Meeting war früher zu Ende und ich wollte dich überraschen. Komm ins Auto, und muss dir etwas Tolles zeigen!“
Karl war ganz aufgeregt. Er stieg zurück in seinen Wagen und entriegelte die Beifahrertür.
„Was ist es? Ich bin schon ganz aufgeregt!“
Dann spürte er einen Stich im Oberschenkel. Verdutzt blickte er nach unten und sah die Spritze, die Tony in der Hand hielt. Tony lächelte ihn mitleidig an.
„Und ich dachte, ich müsste dich erst aus diesem Schwuchtel-Schuppen rauslocken. Tut mir leid, Karl, aber du hättest es fast versaut. Warum musstest du auch unbedingt diese Bücher kontrollieren? Gute Nacht!“
Noch bevor Karl irgendwie reagieren konnte wurden seine Glieder schwer und er konnte die Augen nicht offen halten. Seitlich kippte er vom Fahrersitz. Tony stieg aus und ging ums Auto. Niemand sonst war auf dem dunklen Parkplatz. Tony schob Karl auf den Beifahrersitz, schnallte ihn an und nahm selbst hinter dem Steuer Platz. In ein paar Stunden würde der Versager wieder zu sich kommen, aber dann waren Geld und Tony schon auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Ein letztes Mal fuhr Tony auf den Parkplatz seiner Firma. Jessica kam gerade aus dem Haus und sah den Wagen. Sie stutzte. Dann kam sie ihm Stechschritt auf das Auto zu. Tony liess das Fenster herunter. Sie schrie ihn an:
„Wie kommt mein Auto hier her?“
Tony stieg aus und sah sich den Wagen genauer an.
„Scheisse, du hast Recht! Dieser Trottel muss ihn dir geklaut haben. Ich wusste, dass er dich nicht leiden kann, aber das geht fast zu weit.“
Jessica lief um den Wagen und stieg hinten ein. Genervt schaute sie auf den schlafenden Karl.
„Jetzt müssen wir den auch noch rumkutschieren. Naja, wir lassen ihn halt im Wagen, wenn wir zu unserem Flugzeug gehen. Dann kann es uns ja egal sein. Und jetzt fahr schnell noch bei mir vorbei, das kleine Büchlein mit den Daten aller Nummernkonten liegt noch in der Küchenschublade. Du kannst ja dort schnell mit dem Wagen in der Garage warten.“