Vin betrat den Vorraum der Kneipe und legte seine Waffen auf ein Tablett, dass anschließend mitsamt seiner Last in der silbrig-weißen Wand verschwand. Ein für das normale menschliche Ohr nicht wahrnehmbares Summen zeugte von einem Sicherheitsscan. Vin hätte auch dessen Suchstrahlen sehen können, doch die erweiterte Wahrnehmung war oft mit einem Schwindelgefühl verbunden. Zudem rannte man sich leicht mal irgendwo den Kopf an. Über der Tür zum Hauptraum ging ein grünes Licht an und Vin drückte die nun entriegelte Schleusentür auf. Der Raum den er nun betrat war rund, mit einer ebenfalls runden Bar in der Mitte. Leskett, ein Conmeraner von breiter Statur, stand hinter dem Tresen und blickte zu Vin herüber. Ein leichtes Nicken war die einzig sichtbare Begrüßung, doch Vin roch die Freude, die in dem alten Barkeeper aufkam. In dem zwanzig Meter durchmessenden Raum waren ansonsten noch gut zwei Duzend andere Gäste, von denen einige zwar neugierig zum Eingang blickten, aber schnell wieder das Interesse verloren. Mit weit ausholenden Schritten ging Vin zur Bar und setzte sich auf einen der gemütlichen Hocker, die sich sofort der individuellen Körperform anpassten, indem sie ihre Höhe und die Form der Sitzfläche veränderten. Leskett hatte seinen Drink bereits vorbereitet und schob ihn langsam über den Tresen zu Vin hinüber. Dieser ergriff das einfach geformte Glas mit dem bläulich grünen Inhalt und nahm einen vorsichtigen Schluck, während er Leskett in die Augen schaute.
„Was hast du alles dabei?“
„Das Übliche.“
„Das nehme ich dir nicht ab. Du warst im Relenniell Sektor. Nur wenige wagen sich im Moment zu den alten Schlachtfeldern. Sag schon, was gibt es.“
„Nanos. Allerbeste Qualität. Vierhundert Tonnen inklusive Hub und sechs Terapuls gut erhaltene Programme. Aber das Beste kommt erst noch. Ich hab den kompletten Assembler einer Drohnenkampfstation ausgebaut.“
„Das nenne ich einen großen Fang. Wundert mich, dass du das Schiff mit so was alleine lässt.“
„Das Zeug nutzt mir nichts, wenn ich es nicht loskriege. Das ist imperiales Zeug und nicht kompatibel mit meinem System. Sonst würde ich das sofort verbauen.“
„Verstehe. Ok, sagen wir sechshunderttausend sofort und noch mal das dreifache bei der Lieferung. Wann ...“
Leskett bracht mitten im Satz ab, drehte sich um und fixierte einen Mann der auf der anderen Seite des Raumes saß und an einem Drink nippte. Im nächsten Moment kippte der Mann vornüber. Das Glas kippte um und der Inhalt lief über die Beine des Fremden auf den Boden. Vin beobachtete eine Weile gedankenverloren die Arbeit der Reinigungsdrohnen, entschloss sich dann aber, die Unterhaltung weiterzuführen. Wieder blickte er Leskett in die Augen.
„Lästige Typen. Seit Kriegsbeginn tauchen immer mehr von dieser Sorte hier auf. Keine Ahnung von der Etikette und wenig Skrupel. Aber zurück zum Geschäft. Wann willst du wieder los? Ich hab einiges an Kapazität frei, aber ich muss planen können.“
„Sechs Monate. Ich lasse mir viel Zeit dieses Mal. Will ja nicht nur verkaufen, sondern auch tauschen. Ich brauche sechzehn Tonnen Nanos, den Typ solltest du ja inzwischen kennen. Mein Schiff hat einiges abbekommen. Zudem suche ich Besatzung.“
„Hört sich an als wäre der Ausflug nicht ereignislos verlaufen.“
„Wie wahr. Verdammte Piraten.“ Vin lächelte, was natürlich nicht von den Kommunikationslasern in seinen Augen übermittelt wurde, sondern ganz normal auf seinem Gesicht auftauchte.
„Aber es hat sich gelohnt. Nach diesem Fang werde ich wohl ausbauen können. Das hat aber Zeit, ich will nichts überstürzen.“
„Ok, Vin. Dann sagen wir sechzehn-zehn Systemzeit zu den üblichen Bedingungen. Hier, der geht aufs Haus.“
Leskett schob einen zweiten Drink über die spiegelglatte Oberfläche der Bar und nickte Vin zu. Dieser schob sein inzwischen leeres Glas zu dem Barkeeper und nickte ebenfalls. Dann ging Leskett auf die andere Seite der Bar und ließ Vin alleine zurück.
Der Freihändler blickte sich im Raum um und musterte die anderen Gäste. Keiner von denen hatte etwas von dieser Unterhaltung mitbekommen und der wenig mitleiderregende Kerl mit der peinlich nassen Hose war der einzig Dumme gewesen, der versucht hatte sie zu belauschen. Vin hatte die eingeatmeten Minidrohnen inzwischen eingehend untersucht, doch nichts an ihnen war in irgendeiner Weise interessant. Standartmodelle der Galactron und wenig einfallsreich. Mit so etwas kam man hier Draußen nicht sehr weit. Vor allem dann nicht, wenn man sich mit den Großen anlegen wollte.
Vin erblickte niemanden im Raum, der aussichtreich schien. Ohnehin hatte er lieber weibliche Besatzung. Doch es blieb noch viel Zeit für die Suche und Trenia bot immerhin 35 Milliarden Seelen zur Auswahl. Langsam setzte er das Glas an seine Lippen und nahm einen großen Schluck von dem kühlen Getränk. Er kannte Leskett nun schon seit über dreißig Jahren und hatte in ihm einen unschätzbaren Verbündeten gefunden. Souverän schaffte der Conmeraner den schwierigen Balanceakt zwischen der Handelsunion und den Freihändlern. Mit Geld war eben fast alles möglich, vorausgesetzt man wusste wo man es hineinspritzen musste. Die richtige Vene zu finden überlebten viele schon gar nicht. Vin blickte sich in der Bar um. Sie änderte jeden Monat ihr Aussehen, von der Grundform über die Farben der Inneneinrichtung bis hin zu kleinen Details wie den Mustern auf dem Tresen oder dem Reflexionsverhalten der Spiegel an den Wänden. Bei seinem letzten Besuch war der Raum noch ein leicht unregelmäßiges Fünfeck gewesen und hatte grüne, von bläulich getrübten Spiegeln behangene Wände gehabt. Nun hatte das ganze einen eher sterilen Eindruck. Die perfekte runde Form und die weißen Wände wirkten wie das Innere eines Hospitals. Die Spiegel hätte man genauso gut für Fenster in einen Nachbarraum halten können. Unwillkürlich erinnerte sich Vin dabei an einen alten Film den er einmal gesehen hatte. Horror war eigentlich nicht so sehr sein Fall, denn den hatte er schon im ganz alltäglichen Leben. Nur knapp hatte er dieses letzte Abenteuer überlebt, ganz im Gegensatz zu zwei Mitgliedern seiner Besatzung. Lyklitt vermisste er dabei am meisten. Sie war eine hervorragende Pilotin gewesen und Vin hatte einen verwandten Geist in ihr gefunden. Wie er selbst war sie das Kind von Freihändlern und hatte praktisch ihr ganzes Leben zwischen den Sternen verbracht. Vielleicht hätten sie beide eines Tages selbst Kinder gehabt.
Vin verdrängte die Erinnerungen, denn sie schmerzten nur. Sein Glas war inzwischen leer und er beschloss es dabei zu belassen. Ohne sich noch einmal umzublicken verließ er die Bar, nahm am Ausgang seine Waffen entgegen und trat in den großen Fußgängertunnel, der das Stadtzentrum von First Landing von West nach Ost in gerader Linie durchzog. Daher war es auch nicht möglich die Enden des hell erleuchteten Tunnels zu sehen, denn die waren hinter dem Horizont verborgen. Das Laufen ohnehin nicht gewohnt, betrat Vin das Förderband in der Mitte des gut zweihundert Meter breiten Tunnels und wechselte dort schnell zu einer der schneller laufenden Bahnen in der Mitte. Er hätte auch die Schnellbahn nehmen können, doch er wollte Menschen begegnen. Geistesabwesend starrte er die Leute an, die ihm auf dem Fahrband auf der anderen Seite entgegen kamen. Die meisten waren Menschen normaler Statur. Einige wenige waren schlaksiger und hochgewachsen, sie kamen von Welten mit einer niedrigeren Gravitation. Andere dagegen waren gedrungener, hatten einen breiten Körperbau und kamen daher eindeutig von Welten mit einer höheren Schwerkraft. Sie alle konnte er schon von vorneherein aussortieren. Planetenbewohner eigneten sich nicht für seine Zwecke. Dann waren da noch die feineren Unterschiede beim Rest. Conmeraner erkannte er an ihrer weißlichen Haut, die dennoch gesund wirkte und ihren meist langen Haaren. Doch Leskett war der einzige Conmeraner den er kannte, der nicht die übliche Arroganz und den Rassenhass dieses Volkes an den Tag legte. Fa’arn dagegen waren im Durchschnitt einen Kopf kleiner als der durchschnittliche Mensch und hatten meistens hell bis dunkelgrüne Haut und glänzend schwarze Haare. Außerdem waren ihre Augen leicht geschlitzt und nach außen hochgezogen. Auch sie kamen nicht in Frage, er brauchte eine Crew die ohne besondere Ansprüche auskam. Er hatte keine Lust an den Lichtwerten in seinen Schiffen herumzuspielen nur weil irgendwer in der Besatzung Chloroplasten in seinen oberen Hautschichten produzierte. Dann gab es da noch die Exos, angefangen bei den Kathz, die man beinahe überall in der Peripherie antraf. Bei dieser Spezies, die wohl am ehesten mit Katzen vergleichbar waren, Vin vermutete dass daher auch die Namensgebung herrührte, gab es ebenfalls Unterschiede, die jedoch nur ein geübtes Auge erkannte. Jeder Kathz gehörte einem Klan an und trug dessen Symbol auf den zahlreichen Schmuckstücken überall am Körper. Ansonsten trugen sie selten Kleidung, wenn überhaupt dann nur Rüstungen, denn der evolutionäre Schritt weg vom Fell war bei ihnen wohl nicht nötig gewesen. Ansonsten ähnelten sie in ihrer Statur auf verblüffende Weisen den Menschen, vom Gesicht und den Beinen einmal abgesehen. Ihre Frauen konnte man sogar als attraktiv bezeichnen, wenn man etwas exotischere Neigungen hatte. Aber auch sie schloss er, wie die meisten anderen Exos, aus ähnlichen Gründen aus wie die Fa’arn. Nun blieben aber immer noch viele übrig, bei denen er mit seiner normalen menschlichen Wahrnehmung keine weiteren Unterschiede mehr feststellen konnte. Hier bedurfte es den zahlreichen kybernetischen und bionischen Modifikationen mit denen er mehr wahrnahm als ein Normalsterblicher. Problemlos konnte er so auch Klone, Droiden und Kranke aussortieren. Eine Stunde war er auf dem Band unterwegs, dann gab er die Suche auf. Hier würde er ewig suchen können, bessere Chancen hatte er am Raumhafen. Doch es blieb nicht mehr viel Zeit. Er musste rechtzeitig am vereinbarten Treffpunkt sein um das Geschäft zu beenden. Außerdem fühlte er sich unwohl mit einem so wertvollen Credstab in der Tasche. Zumindest war er sicher, dass er wertvoll war. Leskett hatte noch nie eine Zahlung vergessen. Schnell verließ Vin das Förderband und begab sich zu einer der Bahnstationen auf der Seite des Tunnels.
Zwei Stunden später hatte er First Landing hinter sich gelassen. Die halbdurchsichtige Kabine des Bahnwagens ermöglichte Vin einen hervorragenden Blick auf die hinter im liegende Großstadt. Bis zum Horizont dominierte sie die Landschaft, die praktisch keinerlei natürliche Merkmale mehr hatte. Bewachsene Dächer und der blaue, von weißen Wolken überzogene Himmel waren das einzige, was daran erinnerte, dass dieser Planet nicht eine einzige Stadt darstellte. Vin wandte seinen Blick nach vorne. Die Bahn führte schon seit einer ganzen Weile über das Wasser hinweg und weiter draußen auf dem Ozean tauchten die Umrisse des gewaltigen OLT aus dem Dunst auf. Seine breite Basis erinnerte an die größten Gebäude von First Landing, doch keiner der Türme der Stadt führte 40.000 Kilometer in die Höhe.
Eine Anzeige tauchte in seinem Sichtfeld auf. Eigentlich hatte er den HUD deaktiviert, doch wichtige Meldungen tauchten trotzdem auf. In diesem Fall war eine Nachricht mit hoher Priorität eingetroffen. Vin wandte sich von der eindrucksvollen Aussicht ab und starrte auf den Boden um das durchscheinende Display besser erkennen zu können. Die Nachricht war aufwändig verschlüsselt, also verschwendete Vin keine Zeit. Nach einigen Minuten hatte er den entsprechenden Code gefunden, das verriet ihm auch, dass die Nachricht von Leskett stammte. Noch ein paar Minuten vergingen, dann konnte er die einfache Textnachricht lesen. Wie erwartet war es ein völlig harmloser Text, dessen Inhalt Vin nicht weiter wahrnahm. Stattdessen ließ er das gesamte Textbild anzeigen und ging dann nach dechiffrierte dann mit einem Code weiter, den er nirgendwo auf Datenträgern gespeichert hatte, für den Fall das es jemandem gelingen sollte ihn zu hacken.
„Watcher“
Nur ein Wort, doch es sagte alles. Leskett hatte es vermieden einen der Spitznamen für die Agenten der Handelsunion zu verwenden, was zeigte, dass die Lage mehr als ernst war. Vin blickte sich in der Kabine um. Wie üblich hatte er einen Einzelwagen genommen, doch der fuhr dennoch im Verbunde mit einem Duzend weiterer Einzel- oder Gruppenwagen. Die Luft war rein, nur Vins eigene Partikeldrohnen waren zugegen, zuzüglich der längst überrumpelten Partikel der Bahnsicherheit. Vin aktivierte den HUD vollständig und erhöhte den Kontrast. Einige Sekunden später hatte er die gängigen Scans durchgeführt. Kein Ziel- oder Richtstrahl war auf diesen Wagon gerichtet, so blieb also nur noch ein Weg. Vin aktivierte das Backupsystem, lud sicherheitshalber noch einmal sein Profil und ging dann die Aufzeichnungen durch. Keine Abweichungen. Verdammt, dachte Vin, will Leskett mich auf den Arm nehmen? Aber halt, eine Möglichkeit gab es noch. Doch das würde unweigerlich Aufmerksamkeit erregen. Dennoch beschloss Vin, auch diese Möglichkeit zu überprüfen. Immer noch regungslos stand der in der Kabine, rein äußerlich lies nichts auf die komplexen Rechenvorgänge in seinem implantieren Computer oder die aufwändigen Sensoraktivitäten schließen. Doch nun bewegte sich Vin. Mit einer weit ausholenden Geste schien er einen großen Ballen aus Luft zu formen und anschließend einzuatmen. Dann schloss er die Augen. Als er sie wieder öffnete war sein Blick durchscheinend, so als würde er in eine andere Welt blicken.
Da war es. Seine Befürchtung war also doch berechtigt gewesen. Auf der anderen Seite der Kabine war ein kleines Wurmloch zu sehen. Es bewegte sich mit der gleichen konstanten Geschwindigkeit wie der Wagon, daher war anzunehmen, dass der Kinet mit im Zug war, nur in einer anderen Kabine. Vin erschlaffte und sein Blick wurde wieder fester. Ein Schweißtropfen ran über seine Stirn und während er sich setzte überprüfte er den Vorrat an Partikeln. Die orange Farbe der angezeigten Prozentzahl verriet ihm schon das Dilemma. Doch er hatte keine Wahl. Per Gedankenbefehl sandte er eine weitere Welle von Partikeln in die Luft der Kabine, die daraufhin schnell Kurs auf den Partikelspender des Bahnsicherheit nahmen. Es würde allein die Hälfte der Partikel kosten, das System zu infiltrieren, er konnte also nur hoffen dass seine Beobachter nicht auf diesen Fall vorbereitet waren. Ansonsten wären seine Partikel nur ein willkommenes Fressen für ihre Interceptor. Es dauerte einige Minuten, dann kamen die ersten Daten herein. Wie es aussah, hatte er Glück gehabt. Seine Partikeldrohnen hatten alle relevanten Informationen gesammelt ohne entdeckt zu werden. Er pfiff die restlichen Einheiten zurück und bewertete seine Situation dann neu. Vier Personen, einer davon offensichtlich ein Kinet, warteten gleich in der nächsten Kabine. Sie waren nicht alleine, insgesamt dreißig Humanoide waren in dem Wagon. Der Kinet hielt das Wurmloch aufrecht und sammelte die Daten, die anderen hielten nur Wache, doch nicht gut genug wie es schien. Vin lächelte, immer bekam er die Anfänger ab. Seine Tarnung war einfach zu perfekt. Bis zum Ende der Reise verhielt er sich ruhig, wagte sogar ein kleines Nickerchen. Doch sobald der Zug anhielt hob er seinen rechten Arm und aktivierte den Minilaser den er ums Handgelenk trug. Das Wurmloch war zweifellos noch immer an der gleichen Stelle und als der Strahl mitten im Raum verschwand, sah er seinen Verdacht bestätigt. Nach dem Aussteigen konnte Vin den Tumult im Nachbarwagen nicht ohne ein Schmunzeln beobachten. Nein, der Geruch von verbranntem Fleisch war durchaus nicht immer angenehm. Die Anzeige seines HUDs zeigte ihm, dass noch immer genug Zeit blieb um das Rendezvouz nicht zu verpassen. Es würde ihn wundern wenn die Handelsunion heute noch einen weiteren Versuche unternehmen würde ihn zu beschatten. Beinahe ausgelassen ging er durch die von Menschen überfüllte Bahnstation und betrat den nächsten Lift zur Orbitalbasis.