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Ein heißer Chat
Ein heisser Chat
Ein heisser Chat
Okay, hier bin ich, ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll, denn irgendwie ging das alles so schnell, die Ereignisse überstürzten sich purzelbaumartig und wirbelten mich derart durcheinander, dass ich noch immer ziemlich verwirrt bin und es noch gar nicht fassen kann, dass ich jetzt in der Hölle bin. Ja, in der Hölle, ganz unten, genau dort, wo es echt unangenehm heiß ist. Und lieber Leser, falls dieses, mein Geschreibsel je an die Oberfläche gelangen sollte bevor es sich in Rauch und Asche verwandelt und ich meine wertlosen Gedanken nicht für nichts und wieder nichts zu Papier gebracht habe, betrachte meine nun folgende Geschichte als Warnung eines Verzweifelten, der verhindern will, dass dieses Grauen, das mich erst lockte, dann heimsuchte und mich schließlich ganz nach unten zerrte, wo ich nun bis in alle Ewigkeit exquisite Schmerzen allererster Güte erdulden und Flammen inhalierend schreien muss, niemals eine weitere unschuldige Seele in einem ihrer nicht so seltenen schwachen Momente erhascht und kreischend in die brennende Tiefe schleift.
Im Frühling war noch alles normal, die Bäume und Sträucher hatten ihre graue, blattlose Winterdepression fast überstanden und die Lichttherapie schien erste Erfolge zu zeigen, so munter knospete das Grün vor meinem Fenster dahin. Fast vermochte ich zu sagen, dass dieses Fenster, welches zwischen mir und dem blauen Himmel, den blendend gelaunten Pflanzen, den tanzenden Molekülen der Luft, die von den durch kein Wölklein getrübten Sonnenstrahlen angefeuert einen Walzer nach dem anderen tanzten und alles um sich herum mit ihrer guten Laune ansteckten, dass jenes Fenster viel mehr ein Spiegel war, in dem sich meine innere Stimmung reflektierte.
Es war genau so ein Tag an dem ich nichtsahnend mit dem Grauen konfrontiert werden sollte. Ich saß vor meinem Computer, das Fenster leicht gekippt, der Blumenvorhang wogte im Takt mit dem Wind, der frisches Leben in den Raum brachte und sich mit dem Aroma des Rotweins vermischte, der sich in einem halbvollem Glas gleich neben der Tastatur befand. Ich schloss die Augen, lehnte mich in meinen Sessel zurück, ließ ihn ein wenig zurückschaukeln und verschränkte die Arme hinter meinem Kopf. Tief atmete ich die Frische ein und genoss die Zufriedenheit in mir. Ist das Leben nicht schön? Ich knipste den Computer an, nippte an meinem Wein, während der gute alte Bill Gates seine Bits und Bytes da drin arrangierte und sich vorbereitete, mich mit dem Internet, dem magischen Tor in die weite Welt, zu verkabeln und mich omnipräsent zu machen. Omnipräsent war genau das richtige Wort, bereit und zur Verfügung jeder gutaussehenden jungen Frau, die willig war, mit mir, der sich Allmächtiger nannte, einen Chat zu wagen und in die ungeahnten Tiefen einer getippten Konversation zu stürzen.
Ja, ich war ein Chatter. Kein Junkie, der Tage und Nächte vor dem Monitor klebte, viel mehr ein Genießer und Gelegenheitstyp, wie das Glas Wein neben mir eine Gelegenheit war und kein Vorbote von Leberzirrhose und Herz-Lungenmaschinen. Ich muß zugeben, dass ich, was das Chatten anging, wohl kaum mehr als ein Anfänger war, der gerade mal die ersten Schritte ohne Gehhilfe dahinstolperte. Oft vergriff ich mich im Namen, HeisserStecher, DonSteifo oder Schleckmachine, erzielten nicht den erhofften Effekt einer fruchtbaren Unterhaltung, sondern halfen mir die Einsamkeit dieses verschrumpelten Außerirdischen mit dem glühendem Finger, der immer telefonieren wollte, zu verstehen. Rasch lernte ich, mir andere Namen zuzulegen, die auf Frauen wirkten wie eine Blüte voller Honig auf einen Schwarm Bienen. Auf einmal wollten sie mich alle, und ich war, ganz nach Darwin, plötzlich gezwungen zu selektieren. Gottgleich machte ich mich daran, jeden Abend die Beste aus der Masse herauszupicken und den Rest den Stechern und Steifos zum Fraß zu überlassen, um mich voll und ganz meiner Auswahl zu widmen und sie mit wortgewordenen Degenstreichen in ein aufregendes Duell der Sprache zu verwickeln. Bei der Auswahl selbst folgte ich wohl eher meiner Nase, wog die Worte meiner Gegenspielerin ab, focht sie mit ein paar Zeilen schwindling und wenn sie dann noch Kraft hatte und voller Phantasie kontern konnte, dann hatte sie schon fast eine Revanche erreicht. Gewinnen konnte natürlich keine. Bei der Auswahl, die ich hatte, konnte ich meinen Fedehandschuh in alle Richtungen tippen und nach Lust und Laune mit Worten um mich werfen. Hatte ich eine würdige Gegnerin gefunden, die mir tänzelnd parieren, konnte sie nur noch Übergewicht oder die Tatsache, dass sie am Arsch der Welt wohnte, von meinem Turnierplatz fegen. Was öfter geschah als mir lieb war, denn oft war es richtig verteufelt: da unterhalte ich mich stundenlang tippend mit einer netten Blondine, und nach und nach bricht das Eis und darunter kommt ein Fossil zum Vorschein, das fünfhundert Kilogramm wiegt und die Wohnung nicht verlassen kann, weil es Angst hat, auf dem Weg nach draußen zu verhungern. Aber so lernte ich vorsichtig zu sein, zwischen den Zeilen zu lesen und Stolperschnüre zu umgehen. Und je öfter ich chattete, desto feiner wurden meine Sinne und immer schönere Blumen vermochte ich mit meinen Worten zu begießen, was mir aber nie genug war, und dieser Ehrgeiz sorgte dafür, dass sich meine Ziele ganz von selbst immer höher und höher steckten. Wusste ich doch, dass irgendwo da draußen meine Prinzessin darauf wartete, von mir angetippt zu werden. Sie galt es zu finden, und Darwin, kombiniert mit meiner feinen Nase für die besten Blüten, würde mich, mehr früh denn spät, zu ihr führen.
An jenem perfekten Frühlingstag, an dem alles Normale enden sollte, fand ich sie. Meine Fahrkarte in die Hölle. Ganz harmlos war sie zu Beginn, eine kurze Umschmeichelung und sie war mir verfallen. Durch meine gesammelte Erfahrung fragte ich sie ohne große Hoffnung von wo sie denn sei. Und, oh Wunder, sie wohnte nur fünf Minuten von mir entfernt. Das machte mich natürlich stutzig, viel zu schön und makellos kam mir das vor, die Sache schrie geradezu nach einem Haken. Also richtete ich meine imaginäre Verhörlampe in das Gesicht meiner unbekannten Nachbarin, die nur ein paar Häuserblocks weit entfernt zu wohnen schien und fragte charmant aber präzise Informationen ausschneidend wie ein Laser, ob da im Hintergrund nicht sabbernde Drillinge in der Wiege lägen, möglicherweise Hunde, Meerschweinchen oder anderes niederes Getier die Luft verpesteten, oder gar ein Ring am Finger als warnender Hinweis auf einen Nebenbuhler-zu-Tode-prügelnden Ehemann stecken sollte. Geschickt pfeilten mir ihre Antworten aus dem Bildschirm entgegen und nagelten mich fest. Sie schien sauber zu sein. Und auf den Mund, oder besser, auf die Finger, war sie wohl auch nicht gefallen. Der Schein mochte trügen, aber eine vorsichtige Hoffnung stieg langsam in mir hoch. Jetzt konnte es nur noch am Äußerlichen scheitern, was wenn sie potthässlich war und neben meinem gottgleichem Antlitz zu Asche zerfallen würde? Die Verlegenheit wollte ich uns beiden ersparen, also zwang ich sie mit einem Lächeln sich selbst zu beschreiben. Als dann Zeile für Zeile ein getipptes Bild auf dem Bildschirm und vor meinem inneren Auge entstand war die Entscheidung eine leichte. Hässlich, mit grauen, zerfledderten Haaren, die nur mit wenig Erfolg die vielen Warzen in ihrem Gesicht verdeckten, schwarze Zähne, gegen die kein Mundspray eine Chance hatte, sage und schreibe zweihundertfünfzig Kilo schwer. Auf dem Rücken, tippte sie, wuchsen ihr eine Unzahl von grünen mit Saugnäpfen und Krallen bewehrte Tentakel und ansonsten schuppte ihre Haut auf dem ganzen Körper und abgesehen von ihrem grausigen Äußeren hatte sie ihren Speichelfluss und ihre Blase kaum unter Kontrolle, weshalb ihr der Sabber aus dem Mund lief (der sich in den Haaren ihrer Warzen verfing, um dort langsam zu trocknen) und sie nach öffentlicher Herrentoilette stank. Ich verliebte mich sofort in sie. Die Dame hatte Humor! Ich wollte natürlich sofort ein Foto von ihr haben, jedoch brachte sie mich mit der Ausrede, jeder Film würde schmelzen, wenn er mit ihrem Anblick belichtet würde, zum Lachen. Aber sie sähe wirklich gut aus und ich würde es sicher nicht bereuen, sie zu treffen. Ich drehte mich eine Runde mit meinem Drehsessel und nippte zufrieden an meinem Glas Rotwein. Draußen schien es plötzlich noch heller und glänzender zu sein als zuvor. Sie wollte mich treffen, ohne dass ich meine Finger quälen musste, sie erst dazu zu überreden. War da ein Haken? Hatte ich etwas übersehen? Eine unscheinbare finstere Spalte? Sprösslinge von Zweifel begannen ihre Wurzeln in mein Gehirn zu treiben. Ich starrte auf den Bildschirm und las mit Verzückung ihre Worte. Ob sie nicht meine Nummer haben könnte, sie würde mich gerne anrufen, wenn es mich nicht stören würde. Die Zweifel bissen auf Granit und verzogen sich. Zehn Sekunden später stand meine Nummer auf dem Schirm und eine halbe Minute danach klingelte mein Telefon. Einmal. Geh nie nach dem ersten Mal ran, lass sie zappeln. Zweimal. Abgehoben. Da hörte ich zum ersten Mal ihre Stimme, und ihr Klang schien die Moleküle in der Luft zum swingen zu bringen, das war die Stimme einer Frau, nein, einer Lady, die nur einen Hauch, ein kaum hörbares Flüstern benötigte, jeden Mann in ihrer Nähe in ein williges Hormon zu verwandeln. Ich wollte nicht einmal dagegen ankämpfen, lehnte mich in meinen Sessel zurück, sah aus dem Fenster und während sie sprach verlangsamte sich die Zeit, die Wolken blieben stehen, Blätter raschelten nicht mehr im Wind sondern wogten zufrieden mit der Stimme dieser Göttin mit. Wenn sie so aussah wie sie klang, schoss mir durch den Kopf, ich würde wohl töten, nur um einen einzigen Blick auf sie werfen zu dürfen. Ich musste sie unbedingt kennen lernen. Am besten sofort. Ich brütete blitzschnell einen Plan aus, wie ich sie am einfachsten zu einem Treffen überreden konnte. Am besten ein Ort, an dem sie sich wohl und sicher fühlen konnte, mit anderen Worten, ein Platz, der aus ihrer Sicht vollkommen harmlos und somit gar keine Bedenken aufkommen lassen sollte. Meine Wohnung stand außer Frage, schon allein, weil sich der Staub bereits verfestigte und sich Geschirr von einer Woche in der Küche türmte. Der Supermarkt. Der war perfekt. In der Nähe, ein öffentlicher Ort und zudem bestens geeignet schnell eine Kehrtwende zu machen, sollte dies notwendig sein. Ich berieselte sie mit dem Vorwand, dass ich noch einkaufen gehen müsste und streute ganz harmlos und nebenbei ein, dass wir uns dort gleich treffen könnten, wo wir doch schon beide in der Nähe waren. Stille am anderen Ende der Leitung. Die Moleküle beendeten ihren Swing und die plötzlich schwarzen Wolken türmten sich am Himmel vor dem Fenster auf. Hatte ich was falsch gemacht? War ich zu vorschnell? Verdammt, so eine glasklare Chance und ich vermassele sie, dachte ich mir und quetschte den Telefonhörer bis das Plastik knackte. Ein Flüstern. Swingendes Flüstern. In dreißig Minuten. Vor dem Supermarkt. Gewonnen! Die Wolken verpufften fröhlich und verabschiedeten sich mit einem lachendem Regenbogen, um dann den Himmel wieder der Sonne zu überlassen. Das lief perfekt. Besser konnte es gar nicht laufen. Ich lies das Telefon elegant in die Ladestation hinter mir gleiten, machte eine halbe Drehung mit dem Sessel schnappte mir mein Glas und kippte den Rest Wein mit einem Schluck hinunter.
Dreißig Minuten. Genug Zeit, unter die Dusche zu hüpfen, mich ordentlich zu rasieren, und ein wenig sündteueres Eau de Toilette an mir zu verschwenden. Ich lief ins Schlafzimmer und verbrachte ein paar qualvolle Minuten vor dem Kleiderschrank, in denen ich versuchte mir auszumalen, was meiner flüsternden Dame wohl am besten gefallen würde. Ich entschied mich für ein dezentes grünes T-Shirt und eine beige Hose, locker und leger aber nicht respektlos, perfekt passend zu einem sommerlichen Tag und die besondere Gelegenheit. Dann noch schnell zweimal mit der Bürste über die Schuhe und fertig war ich. Bereit? Ja, und ein klein wenig nervös, ich wollte doch nicht zu cool wirken. Ich beschloss die paar Minuten, die es zum Supermarkt waren, zu Fuß zu gehen, ein wenig Bewegung konnte sicher nicht schaden und mit dem Auto fahren, bei dem wunderbaren Wetter? Ich warf mir die Sonnenbrille auf die Nase und schlenderte voller Erwartung los.
Leichtfüßig ließ ich mich zuerst durch die schmale Gasse treiben, die schon nach ein paar Metern in die Straße mündete an deren Rändern eine Reihe von Kastanienbäumen eine schnurgerade Allee bis zum Supermarkt bildeten. Ich blickte in die Baumwipfel und ließ mich von den Sonnenstrahlen blenden, die durch das grüne Blätterwerk flackerten, begann den hüpfenden Lichtmustern auf dem Gehweg nachzutänzeln und fühlte mich wie Gene Kelly sich vor über fünfzig Jahren gefühlt haben musste, als er durch den Regen tanzte. Nur, dass mein Schirm vor Leben sprießendes Blattwerk und die Regentropfen warme Sonnenstrahlen waren.
Der Supermarkt war wirklich nur ein paar Minuten weit weg und fast schneller als es mir lieb war, spazierte ich schon über den Parkplatz vor dem Laden, unauffällig mit meinen hinter der Sonnenbrille versteckten Augen das Gelände absuchend, ob SIE vielleicht schon hier war und mich bereits erwartete. Es war nicht gerade Hochbetrieb, der Parkplatz war nicht einmal halb gefüllt. Das stand ich nun. Mitten auf dem Parkplatz vor einem Supermarkt, und hatte alles im Sinne, nur nicht, etwas einzukaufen. Eine Mutter mit ihren zwei Kindern im Schlepptau schob ihren Einkaufswagen durch die Schiebetür, sie warf mir einen kurzen Blick zu, und plötzlich kam ich mir hier vollkommen deplaziert vor. Und ich war mir sicher jeder, aber wirklich jeder, konnte es mir ansehen. Dieser Typ ist nicht hier, um einzukaufen. Mit dem stimmt was nicht. Mit dem stimmt ganz gewaltig was nicht. Kindermörder! Kindermörder! Ich bekam ein flaues Gefühl im Magen und spürte stechende, verurteilende Blicke, die sich von hinten in meinen Rücken bohrten. Ich beschloss, mich nicht umzudrehen sondern möglichst unauffällig zu wirken und schob deswegen ganz beiläufig meine Hände in die Hosentaschen und stupste zwei, drei Kieselsteine vor mir auf dem Boden herum. Wo blieb sie nur? Keine Panik, dachte ich mir, ich bin ja erst seit zwei Minuten hier. Aber wie sollte ich sie erkennen? Wir hatten uns doch kein Erkennungszeichen ausgemacht! Andererseits konnte sicher jeder aus meinem immer unsicherer werdenden Herumgestehe herauslesen, dass ich auf jemanden wartete. Und da ich offensichtlich die einzige wartende Person hier auf dem Parkplatz war, konnte das nur bedeuten, dass sie noch nicht hier war. Danke für diese Weisheit, Doktor Watson! Was würde ich ohne Sie bloß machen? Und wenn sie mich versetzte? Oder, noch viel schlimmer, sie mich kichernd aus der Ferne beobachtete und es ihre schadenfrohen Blicke waren, die mich von hinten stachen und tausend kleine Löcher in mein Selbstbewusstsein bohrten? „Die kommt ja doch nicht! Geh heim! Vergiss sie!“ keifte der kleine klischeebehaftete Teufel auf meiner rechten Schulter und sprang dabei zornig auf und ab. „Aber, wenn sie die Liebe deines Lebens ist?“ jammerte der klischeetriefende Engel auf der anderen Seite und packte seine Harfe aus. Ich wollte mich schon umdrehen und zornig abziehen, und hätte es auch getan, wäre da nicht dieser Konflikt zwischen meinen Beinen und meinem Geist gewesen in dessen Mitte der Rest von mir hilflos auf der Stelle herumstakste. Da erstarrte ich. Die Schiebetüren des Supermarkts glitten lautlos auseinander und da trat SIE heraus. Nein, sie trat nicht einfach heraus, sie ERSCHIEN. Eingehüllt von sanftem Licht, dessen biblisches Strahlen sogar ihre blonden Haare wie eine Brise hoben, setzte sie anmutig wie eine Gazelle einen Fuß vor den anderen und erschien im Freien. In Zeitlupe neigte sie ihren Kopf leicht zur Seite, um ihn dann zurückzuwerfen, dass das viele Licht nur so in ihrem Haar staubte und dieses sich, wie von leuchtendem Feenstaub umhüllt, auf ihre Schultern senkte. Ihre Augenlider senkten sich über das gleißende Blau ihrer Pupillen, und als sie wieder nach oben zwinkerten, zogen ihre Lippen ein Lächeln und drehte sich das leuchtende Blau in meine Richtung. Das war genau in dem Moment, als ihr Kopf explodierte. Ihr Körper machte noch einen Schritt und fiel dann kerzengerade um. Aus dem Loch auf ihren Schultern sprudelte eine Fontäne von Blut auf den Asphalt. Das war nun keine Zeitlupe mehr, alles schien stillzustehen, eingefroren in den Schock, der meinen Kopf überschwemmte. Rot. Links. Ich wandte meinen Blick nach links. Meine Schulter blutete. Mehr rot. Unten. Ich sah auf den Boden. Da lag mein linker Arm. Irgendwo in der Mitte des Oberarms zerfetzt und abgetrennt lag er neben mir auf dem Boden wie ein Apfel, der von einem Baum gefallen war. Und der Stumpf an meiner Schulter besudelte ihn mit meinem Blut. Das tut gar nicht weh, war das Erste, das ich dachte. Wie die Dinge sich doch entwickeln können, war das Zweite. Eigenartig kam mir allerdings vor, dass sich der Himmel plötzlich verdunkelte, ein dämmriges Rot ihn durchzog und die Wolken zu brennen anfingen. Eine Woge blies mich von hinten an, heiße Luft getränkt in Fäulnis und Verwesungsgeruch umhüllte mich. Der Gestank war so dicht, dass ich ihn fast sehen konnte, als er gelb wie Eiter in meine Nase kroch und mich zum Würgen brachte. Ich hörte ein Keuchen, das klang als ob ein sterbender Wal seinen letzten Atem aushauchte. Ich wurde von dem feuchten Luftgebräu betäubt, dessen Quelle zweifellos hinter mir und diesmal näher als zuvor war. Schluckend und versuchend meinen Mageninhalt nicht neben meinem Arm abzuladen, drehte ich langsam meinen Kopf über die Schulter und zwang meine Augen aus dem letzten Winkel nach hinten zu schauen. Zuerst sah ich ein rauchendes Rohr, eine Schrotflinte, schoss es mir durch den Kopf. Eine Elefantentöterschrotflinte, das Ding war riesig! Meine Augen folgten zitternd dem rauchenden Lauf und mussten sehen, was die Flinte hielt. Was meinen Arm und den Kopf der armen Frau weggeschossen hatte. Was diesen grauenvollen Atem in meinen Nacken blies. Weswegen der Himmel zu brennen begonnen hatte. Dieses Ding! Ihre Beschreibung passte perfekt! Das Tentakel, welches die Flinte umschlang, war mit Dornen besetzt, die zuckend pulsierten, als ob sie die umgebende Luft beißen wollten, und hing an einem Körper, der auf tausenden von kleinen Tentakeln saß, die sich auf dem Asphalt in meine Richtung saugten und krallten. Ich konnte keinen Kopf ausmachen, es endete bei den Schultern aus denen auch diese widerwärtigen Tentakel wuchsen, die sich wie Schlangen wanden. Seine Vorderseite war mit offenen Geschwüren und haarigen Warzen übersät, und der reine Horror überkam mich, als ich bemerkte, dass diese Warzen sich öffneten und Augen aus ihnen hervorkamen, die mich in ihrer Hundertschaft anglotzten. Plötzlich öffnete sich der Körper und etwas wie ein Mund faltete sich auseinander, auf seinen Lippen klebten noch mehr von diesen Augen dicht aneinander gedrängt wie Fischeier, und dahinter klappten fadenartige, fingerlange Zahnreihen hervor. „Du gehörst mir!“ fauchte mir das Tentakelding entgegen. Womit habe ich da bloß gechattet, fuhr mir durch den Kopf und ich beschloss schleunigst davonzulaufen. Ein schrilles „Du kommst mit mir!“ fraß sich in meine Ohren, und diesmal hörte ich den Knall des Elefantentöters bevor ich getroffen wurde. Mein schönes grünes T-Shirt wurde nach vorne gerissen, meine Gedärme flogen durch den Stoff und platzen meterweit vor mir auf dem Boden auf. Ich konnte meine eigene dampfende Scheiße riechen während ich vornüber hinfiel. Im Fallen, bemerkte ich, dass der Asphalt um mich herum zu kochen anfing und bereits blubbernde Blasen warf. Um mich geparkte Autos rosteten schneller dahin als ihre Reifen auf dem heißen Boden schmolzen. Ich sah, wie die Bäume um mich welk wurden, sich krank bogen und in eine faulende Suppe verwandelten, aus der sogleich schlimmstes Unkraut wucherte, dessen Blätter brannten während sie sich entfalteten. Ich schlug mit der Nase auf dem Boden auf, sie brach sofort, aber das war noch das geringste meiner Probleme. Das Ding kam näher und ich spürte wie sich tentakelige Krallen um mein Bein schlossen und sich in meinem Fleisch festsetzten. Die Erde bebte und hinter mir brach der Boden auf, glühende Gesteinsbrocken flogen durch die Luft und Flammen und tosender heißer Wind schossen aus dem Loch, das sich auftat. Und das Ding begann mich dort hin zu schleifen. Ich versuchte schneller zu bluten, um rascher zu sterben, aber es gelang mir nicht. Die Schmerzen waren höllisch, als ich durch den flüssigen Asphalt gezogen wurde, aber dann hob mich das Ding hoch in die Luft und warf mich über seine Schulter und ich versank in einem stinkenden Meer von Tentakeln, die mich sogleich umschlangen und mir meinen schreienden Mund stopften. Es kletterte in das Loch und das letzte, was ich von meiner schönen Welt sah, war dass sogar der Mond und die Sterne brannten. Dann schloss sich die Erde über mir und es wurde dunkel.
Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, was auf dem Weg nach unten geschehen ist, ich musste wohl etwas weggetreten gewesen sein oder mein Gehirn versucht, mich vor allzu grausigen Erinnerungen zu schützen. Als ich wieder zu Sinnen kam, bemerkte ich als erstes diese Schmerzen, und die waren, wie soll ich sagen: exquisit. Ein richtiger Muntermacher. Und hier unten ist man gut beraten, Schmerz und Qual als etwas Positives zu sehen, denn etwas anderes gibt es hier nicht. Anfangs brüllte ich mir die Seele aus dem Leib und fiel von einem Psychotraumata ins nächste, weil mein Fleisch brannte und sich das Höllenfeuer in mich hineinfraß, aber langsam lernte ich den Schmerz zu differenzieren, verschiedene Niveaus und Qualitätsgruppen zu erkennen und ihn schlussendlich als einen Freund, der mich nie allein lassen würde, zu betrachten. Warum ich hier bin, weiß ich nicht, aber das weiß wohl keine der vielen Seelen hier unten wirklich. Vielleicht ist Chatten an sich schon ein Grund in die Hölle verbannt und bis in alle Ewigkeit lebend gegrillt zu werden, andererseits, vielleicht bin ich wegen etwas da, woran ich mich nicht oder noch nicht erinnern kann, und der Höllendämon, der mich hier runtergezerrt hat, schien bloß einen eigenartigen Sinn für bösartigen Humor gehabt zu haben, was seine Methoden anging. Wer weiß, vielleicht darf ich hier wieder weg, wenn ich herausfinde, was ich angestellt habe. Aber wie lange werde ich das noch wollen? Wie gesagt, die Schmerzen hier sind wahrhaft exquisit.