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Ein heißer Sommer
Ein heißer Sommer
Es war Juli, eine ungewöhnliche Hitzewelle hatte das Land heimgesucht. Seit Wochen brannte die Sonne erbarmungslos von einem blauen Himmel. Kein Wölkchen war in Sicht, nicht der geringste Luftzug, der Erfrischung brachte.
Zu Beginn war die Wärme freudig aufgenommen worden. Kleine Kinder genossen es barfuss herumzutollen oder sich in den zahlreich, von ihren Eltern, aufgestellten Planschbecken abzukühlen. Derweil saßen ihre Mütter unter dem Sonnenschirm beisammen, sahen dem Spiel ihrer Kinder bei einem gekühlten Getränk amüsiert zu und tauschten den neusten Klatsch aus. Die Schulkinder bejubelten den ersten Tag, an dem es „hitzefrei“ gab, rannten strahlend nach Hause, um den Nachmittag im Freibad oder am Strand zu verbringen. Auch die Erwachsenen waren begeistert, konnten sie sich doch nach der Arbeit draußen mit ihren Freunden zum Grillen treffen, sich gemeinsam ein Feierabendbier genehmigen und über das tolle Wetter reden.
Doch mit der Zeit wurde die Hitze unerträglich. Das saftige Grün der Rasenflächen verwandelte sich in ein sprödes heufarbiges Gelb. Das Rot der Blumen, die ihre Köpfe hängen ließen, verblasste, die ausgetrocknete Erde zwischen ihren Stängeln wurde zu einem staubigen Grau.
Die Luft flimmerte, schien sich nicht zu bewegen, die Menschen stöhnten. Diese ständig hohen Temperaturen machten allen zu schaffen. Die älteren Damen, die sich gerne vor der Haustür im Schatten zum Klönen trafen, sahen erschreckend weiß aus, nur noch selten war aus ihrer Ecke ein Laut zu hören, meistens saßen sie nur da, wischten sich den Schweiß von der Stirn und dösten vor sich hin. Selbst die Kinder, die normalerweise immer draußen spielten, hielten sich lieber in ihren Zimmern auf oder lagen antriebslos vor dem Fernseher. Die Erwachsenen veranstalteten schon lange keine Grillpartys mehr, das Feierabendbier war von Wasser, still oder mit Sprudel, abgelöst worden. Doch die Getränkeindustrie konnte der Nachfrage kaum Herr werden, so dass sie ihren Einkaufsradius erweitern mussten, was wiederum bedeutete länger im Auto unterwegs zu sein. Alle litten unter Kreislaufbeschwerden und Müdigkeit. Selbst nachts sank die Temperatur nicht unter 20 Grad. In den stickigen Wohnungen fand man kaum Erholung. Wenn abends die Sonne unterging wanderte der Blick zum Himmel, ob nicht doch von irgendwo Wolken aufzogen. So Mancher sandte ein Stoßgebet zu einem Gott, an den die wenigsten glaubten, und wünschte sich Abkühlung. Natur und Menschen dürsteten nach Regen.
Bettina lag wach in ihrem Bett, neben ihr, der vierjährige Sohn Daniel, wegen der Hitze nur mit einer Unterhose bekleidet. Sie strich sanft über seinen Rücken, seufze, endlich war er eingeschlafen. In seinem Zimmer war es ihm zu warm gewesen und dass, obwohl sie die Vorhänge den ganzen Tag über geschlossen und das Fenster geöffnet hatte. Seit Tagen schon schlief er in ihrem Bett, wurde immer wieder wach, wollte etwas zu trinken oder war der Meinung einfach nicht schlafen zu können, so schlief auch sie mehr schlecht als recht. Ein leichtes Schnarchgeräusch verriet ihr, dass ihr Mann Dirk ebenfalls selig in die Traumwelt gesunken war. Leise, um die beiden nicht zu stören stand sie auf, ging in die Küche, um sich etwas zu trinken zu holen.
Länger als nötig ließ sie die Kühlschranktür geöffnet, genoss die angenehme Kühle auf ihrer Haut. Sie presste die Seltersflasche an ihre heiße Stirn und danach gegen ihren Bauch, ihr schien als saugte die Hitze ihres Körpers die Kälte in sekundenschnelle auf. Unruhig wanderte sie durch die Wohnung, als ihr plötzlich auffiel, dass sich die Vorhänge bewegten, sollte tatsächlich ein Wetterwechsel bevorstehen?
Sie schob die Gardine zur Seite und setzte sich aufs Fensterbrett, es war noch dunkel, sie konnte einige Sterne erkennen, waren das Wolken dort hinten am Horizont?
Ein leichter warmer Wind strich durch ihre feuchten Haare, sie schloss die Augen und genoss den Augenblick, der nach kurzer Zeit vorbei war. Wieder nichts.
Der Morgen war drückend schwül, sie fühlte sich nicht wohl.
„Du bist blass“, meinte Dirk „geht es dir nicht gut?“ Er zog sie in seine Arme.
„Ich weiß nicht, ich fühle mich als ob ich auf Watte gehe“, antwortete sie während sie seine Thermoskanne mit Tee füllte.
„Leg, dich doch hin, so lange der Lütte noch schläft, ich kann das hier auch alleine.“ Liebevoll knabberte er an ihrem Ohr.
“Ja“, hauchte sie und verschwand im Schlafzimmer.
Dirk räumte die Küche noch schnell ein wenig auf, bevor er sich auf den Weg zur Arbeit machte. Er warf einen Blick aus dem Fenster und dachte irgendwie erscheint mir die Sonne heute nicht so strahlend, wer weiß vielleicht regnet es ja doch noch mal.
Als Bettina erwachte war sie total verschwitzt, ihr leichtes T-Shirt klebte an ihr, sie hatte das Gefühl kaum atmen zu können. Daniel saß neben ihr und blickte sie träge an.
„Ich will nicht in den Kindergarten.“ Fast bittend kamen die Worte über seine Lippen.
Sie stöhnte leicht, besondere Lust ihn per Fahrrad den langen Weg in die Kita zu bringen hatte sie auch nicht, deshalb knurrte sie auch nur „Ich auch nicht“. Streckte sich und sah in das nun grinsende Gesicht ihres Sohnes.
„Willst du essen?“
Er nickte heftig. Sie standen auf und begaben sich in die Küche, in der es so drückend warm war, dass sie glaubte Dirk hätte das Fenster geschlossen, sie schob die Gardine zur Seite, das Fenster war offen. Ihr Blick suchte den bedeckten Himmel ab, sollte es heute regnen?
Nachdem sie gefrühstückt und verzweifelt versucht hatte Daniel dazu zu bewegen sich anzuziehen, sank sie mit Kopfschmerzen aufs Sofa und schloss die Augen. Ach, warum sollte er ein T-Shirt anziehen ist doch egal, wenn er nur endlich Ruhe gab, sie hörte noch wie er den Fernseher einschaltete und dann schlief sie ein.
„Mama, Maaaamaaaa“
„Was?“
Sie schreckte hoch, ihr Herz schlug heftig, wie lange hatte sie geschlafen?
„Was ist los? Wo bist du?“ Schnell stand sie auf.
„MAMA, es regnet“, krähte Daniel. Er stand mitten in seinem Zimmer und wies mit der Hand zum Fenster.
„Es regnet“
Tatsächlich es regnete. Erst waren es nur ein paar Tropfen, die aus prall gefüllten Wolken fielen und auf dem ausgetrockneten Boden zerplatzen. Doch bald fielen sie zahlreich und strichen den Asphalt in einen silbrigen Glanz, auf dem ausgedörrten Erdboden bildeten sich kleine Pfützen. Bettina nahm Daniel auf den Arm und stellte sich ans offene Fenster, der Kleine streckte die Hände hinaus und kicherte wenn die warmen Tropfen seinen Arm berührten.
„Wollen wir rausgehen?“
„Au ja“, stimmte er zu. Sie liefen die Treppen hinunter, traten auf den Hof und tanzten im immer heftiger werdenden Regen, drehten sich im Kreis, strecken die Zunge heraus um den Regen zu schmecken, küssten sich immer wieder und lachten.
Sie waren nicht die einzigen auf dem Hof, alle Bewohner des Mietshauses waren aus ihren Wohnung gekommen, freuten sich über das erfrischende Nass. Die Kinder tapsten mit ihren nackten Füßchen in den Pfützen, jauchzten vergnügt und strahlten seit Tagen mal wieder übers ganze Gesicht. Auch die Erwachsenen hatten ihr Lachen und ihre Sprache wieder gefunden, jeder war sich sicher endlich war es vorbei.
Natur und Menschen saugten den Regen auf wie ein Schwamm.
In dieser Nacht schlief Daniel nach langer Zeit mal wieder ruhig und friedlich in seinem Bett ein.
Für seine Eltern wurde diese Nacht, nach langer Zeit, mal wieder eine heiße Nacht...