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Ein Kinderspiel

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19.01.2005
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Ein Kinderspiel

Ein Kinderspiel

Der Weg vor mir ist in goldenes Licht getaucht, und obwohl ich dieses Licht eigentlich jeden Abend sehe, habe ich es noch nie wirklich wahrgenommen. Erst heute beginne ich zu verstehen, warum romantische Menschen Sonnenuntergänge lieben.

Romantische Menschen. Ich gehöre nicht dazu. Eigentlich gehöre ich auch nicht zu den Menschen, die Spaziergänge machen; dazu habe ich nun wirklich keine Zeit. Meine Zeit widme ich ausschließlich meiner Arbeit. Ich weiß nicht, warum ich gerade heute Abend eine Ausnahme mache.

Der Wind ist kalt, und ich ziehe meinen Mantel enger um mich. In der Ferne sehe ich ein Pärchen, das mir händchenhaltend entgegenkommt. Ich drehe mich um und gehe zurück.

Am Wegrand liegen braune Blätter, die der Herbst übrig gelassen hat. Ich sehe mich zwischen ihnen am Wegrand liegen, weggeworfen, schmutzig, sterbend.

Ich erreiche das Ende des Parks und streife ziellos durch die Straßen meiner Heimatstadt. Vor meinen Augen sehe ich noch immer das Bild der beiden Menschen, die Hand in Hand durch den Park gingen. Wie lange ist es wohl her, dass mich jemand berührt hat – abgesehen von einem Händedruck?

Im Fenster eines geparkten Autos sehe ich plötzlich mein Gesicht. Verbissen und mürrisch . Meine Mundwinkel sind nach unten gezogen, und mein Blick wirkt traurig und verbittert. Sehe ich etwa immer so aus?

Schnell gehe ich weiter. Ich versuche ein Lächeln aufzusetzen, aber es will mir nicht gelingen; auch ohne einen Spiegel weiß ich, dass es aufgesetzt und unnatürlich aussieht. Das Lächeln fühlt sich unnatürlich an.

Plötzlich merke ich, dass mir die Straße, in der ich mich befinde, bekannt vorkommt. Und als ich nach links schaue, erinnere ich mich. Als Kind habe ich in dieser Gegend gewohnt, und vor mir liegt der Spielplatz, auf dem ich damals fast jeden Nachmittag gespielt habe. Auf den ersten Blick fällt mir auf, dass die Rutsche eine andere Farbe hat, und die Bänke wurden umgestellt. Außerdem wirkt der ganze Spielplatz viel kleiner als ich ihn in Erinnerung hatte, aber das ist sicher nur Einbildung. Mein Gott, ich bin bestimmt seit zwanzig Jahren nicht hier gewesen...

Ich schaue mich um. Die Straße ist menschenleer; auch hinter den Fenstern sehe ich niemanden. Mittlerweile ist es fast dunkel. Ich nähere mich der Rutsche und beginne, die unglaublich schmalen Stufen hinaufzusteigen. Meine Füße finden kaum Platz darauf, und ich muss aufpassen dass ich nicht abrutsche. Als ich oben stehe, blicke ich mich noch einmal um, aber auch jetzt ist niemand zu sehen. Ich rutsche. Und ich hatte völlig vergessen, wie viel Spaß das macht!

Schon nach kurzer Zeit bin so sehr ins Rutschen, Schaukeln und Klettern vertieft, dass ich alles um mich herum vergesse. Ich bemerke nicht, dass es längst dunkel ist, und ich kümmere mich nicht mehr darum, ob mich jemand sieht oder nicht. Sollen die Leute doch denken, was sie wollen! Seit vielen Jahren habe ich nicht mehr so viel Spaß gehabt wie heute Abend, und als ich nach ich-weiß-nicht-wieviel Zeit den Spielplatz verlasse, bin ich so glücklich wie schon lange nicht mehr. Ich fühle mich richtig leicht und entspannt, und ich glaube, ich strahle über’s ganze Gesicht. Wer hätte gedacht, dass ein Kinderspielplatz mein Leben so verändern könnte!

Ich glaube, seine Augen sind blau, aber so genau erkenne ich das im Licht der Straßenlaterne nicht. Als er näher kommt, wird er langsamer; er lächelt mich an. Ich fühle, das ich schon zurückgelächelt habe, bevor ich mich dazu entschlossen habe.

 

Hallo Julia,

und herzlich willkommen bei uns :)

Zu Anfang bei deiner Geschichte dachte ich "oh Gott, ist das theatralisch". Es liest sich etwas übertrieben depressiv. Erst bei

Wie lange ist es wohl her, dass mich jemand berührt hat – abgesehen von einem Händedruck?
findet die Geschichte ihren eigenen Rhytmus, ihr Thema und beginnt mit der eigentlichen Handlung. Das meiste zuvor liest sich sehr typisch, bezieht sich nicht direkt auf den Text und ist einfach viel zu aufgeplustert - die eigentliche Handlung beschreibst du eher minimalistisch.

Nun ja. Sobald der Text eben weiß, was er sein will (d.h. ab zitierter Stelle) machst du einen gewaltigen Satz nach oben - die Qualität deines Textes steigert sich konsequent mit zunehmender Handlung. Der Schluss ist sogar sehr gut, weil du es schaffst, ein wunderbares Happy End zu erzeugen, ohne ins Kitschige abzurutschen - was bei dem Set (endlich wieder glückliche Person trifft im Dunkeln potentielle zukünftige Liebe) sicher nicht einfach war. Ist dir aber wunderbar gelungen.
Zum Schluss war ich daher mehr als positiv überrascht - mein Rat ist also, den Anfang sehr zu kürzen, und schneller an die eigentliche Handlung heranzuführen.

Viel Spass beim Schreiben,
Anea.

 

Hallo Anea,

vielen Dank für deine Kritik! :)

Im Anfangsteil wollte ich die Stimmung der Protagonistin darstellen und auch erklären, warum sie so depressiv ist (also dass sie völlig auf ihre Arbeit fixiert ist und sich privat von anderen Menschen abkapselt, aber insgeheim menschliche Nähe und Wärme vermisst). Ich sehe aber ein, dass es etwas schnulzig geraten ist und auch nicht besonders originell... Ich habe den ersten Teil jetzt etwas zusammengefasst und mich würde interessieren, ob es jetzt besser ist... aber ist der Text jetzt nicht etwas zu kurz?

liebe Grüße und vielen Dank,
Julia

 

Viel besser so. :)

Zu kurz finde ich es nicht - ich schreibe auch immer eher kurze Geschichten. lass dich von der Länge nicht beeinflussen, wenn die Handlung stimmt...

 

Hallo Julia,

ich weiß zwar nicht, wie deine erste Geschichte war, aber diese Fassung ist dir gut gelungen.
Ich konnte mich beim Lesen in den Prot hineinversetzen. Oftmals kann man Kraft tanken, wenn man an die Stellen seiner Kindheit zurück kommt und sich in die damalige Zeit zurückversetzt.
Auch das Ende rundet die Geschichte ab und ist dir gut gelungen.

Gibt nicht zu meckern von meiner Seite aus.

Viele Grüße
bambu

 

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