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Ein Koffer Glück

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04.11.2005
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Ein Koffer Glück

Ein Koffer Glück


Der Rabe war eine erbärmliche Trinkhalle und eine eklige kleine Welt von Verlierern. Die Luft hier war zum in Scheiben schneiden. Ich hatte mich an den Tresen dieser reizenden kleinen Kneipe gepflanzt und saß schon bei dritten Mineralwasser. Ich achte beim Trinken selten so auf meine Gesundheit, aber mein Besuch in diesem Groschengrab für Sozialhilfeempfänger war auch nicht privater Natur. In der hinteren Ecke hüpfte ein Haufen angetrunkener Jungspunde grölend um einen nicht mehr ganz taufrischen Kickerautomaten. Dazu mischten sich das Geplärre Besoffener und das Schlagergedudel aus einer CD- Jukebox mit knarrendem Bass. Das Ding verseuchte den Berliner Kiez mit alpenländischem Musikschrott und wurde unentwegt von einem schwankenden Mitfünfziger mit Hartgeld bestückt. Ein nicht einschätzbarer Typ mit ausgewachsenem Fokuhila , ergrauten Sechstagesbart, Jeansweste und eingesautem T-Shirt saß mir an der hufeisenförmigen Theke gegenüber und beschimpfte dumpf und wüst eine alterslose Frau mit aufgequollenen Wangen, schlechten Zähnen und fettigem Haar, die apathisch Löcher in die schlechte Luft blickte. Dazu trank er Weißbier. Auf den Fingern seiner rechten Hand, die während der Standpauke oftmals ziellos gestikulierte, waren die Buchstaben
H E R T A eintätowiert. Ein wahrer Fan. Ich betrachtete ihn sorgenvoll, seine Aggressionen wuchsen mit dem Grad der Dumpfheit, an der sie abprallten. Wenn der Kamerad hier ausrastete und die Schmiere die Kneipe stürmt, dann hatte ich ein ernsthaftes Problem. Und dieses Problem hing zum Teil mit einem weinroten Diplomatenkoffer aus irgendeinem Istanbulbasar zusammen, der mir unter meinem Barhocker als Fußstütze diente und einen aus abgegriffenen kleinen Geldscheinen bestehenden Eurohundertausender beinhaltete. Ein anderer nicht unwichtiger Teil des Problems hieß Herr Kungel. Dieser Herr war geschätzte dreißig Jahre älter als ich, führte seine Geschäfte vor einem sechs Meter breiten Seewasseraquarium und war fest entschlossen, das Bargeld zu meinen Füßen an den Entführer seiner dreiundzwanzigjährigen Frau loszuwerden, der sich zur Übergabe seines Honorars dieses stinkende Loch am Prenzlauer Berg ausgesucht hatte. Zumindest stand dies auf einem DinA4 Blatt, das er mit Zeitungsbuchstaben beklebt hatte und meinem Auftraggeber absenderlos zukommen hat lassen. Bezüglich der Übergabe der Frau hatte er nichts erwähnt. Aber was nicht ist kann ja werden, dachte sich wohl der besorgte Herr Kungel, ging zu seinem Anwalt, der ging zu mir und ich ging zum Aquarium. Laut dem Schreiben war sowohl ihm als auch der Staatsmacht das Beiwohnen an dieser Transaktion untersagt. Ein alter Hut eigentlich. Schon tausend mal gelaufen und mindestens so oft schiefgegangen.
Kungel saß jetzt in einem Hotel am Alexanderplatz und zitterte um seine geliebte Lydia Ich zog ihr Foto aus der Jackentasche. Eine Atelieraufnahme in bester Ausleuchtung. Wenn man kein politisch korrektes Weltbild pflegt, dann sah sie aus wie ein Fickfilmsternchen. Strahlend blaue Augen in einem zu runden Gesicht. Eine künstliche Bräune, die auch so aussah, ein schmaler Mund, der auch lächelnd etwas verkniffen wirkte und saubere Reihen gebleichter Zähne sehen ließ. Viel Kajal und Wimperntusche. Das Haar in langen, sauber gedrehten blonden Korkenzieherlocken, deren Ansatz keine Färbung verriet. Aber solche Umsicht durfte man schon erwarten, wenn einen der Gatte zum Photographen schickt. Lydia Kungel, frisch gebackener Twen nebst ihrem Gemahl Hermann, Unternehmer mit dritten Zähnen. Die Situation ließ keine wirkliche Panik in mir aufkommen. Es gab kein Zeichen auf ein krummes Ding, aber die ganze Sache schien meinem Bauch nicht so richtig grad zu sein. Zudem war die Angelegenheit entschieden Polizeisache, egal was auf dem Wisch stand. Ihr ausdrücklich, fast schon panisch, befohlenes Fehlen war mir mehr als bloß unverständlich.

Aber wenn es dumm lief, dann tauchte die hier gleich auf. Der weibliche Kadaver am Tresen hatte in die Welt der Lebenden zurückgefunden und ihrem Begleiter ein frisches Glas Schnaps ins rot angelaufene Gesicht geschüttet.
„Du glaubst wohl, mit mir kannste alles machen, wa? Ick bin... ne Frau, verstehste, ne Frau. Du hass mir... zu respektieren, nich nur zu bumsen. Ick bin dir doch bloß n Fick, mehr bin ick dir doch nich...“. Ihre Stimme war tief, schon von vielen Klaren geölt.
Der Wirt, ein schlanker Hochgeschossener mit dürrem Gesicht, rotem Bürstenschnitt und Habichtsnase zapfte weiter, aber in seinen weit auseinanderstehenden Augen war Bewegung.
Der Hertafan zog auf. Die Wucht des Ausholens riss ihn fast vom Hocker.
Der Wirt stellte das Bier ab.
„Larry, ick habe Dir schon zich mal jesacht, Du sollst Dir benehmen. Wenne nich gleich Frieden jibst, denn hol ick die Streife.“, bällferte er über den Tresen.
Larry glitt ungelenk vom Hocker und fand schließlich seine Mitte. Seine unangenehme Stimme kam jetzt noch eine Stufe lauter.
„Du Arsch, wenn ick hier nich wär, denn könnste zusperren,,, zusperren könnste, du Wichser.“ Die Hertahand fuhr durch die Kneipe und blieb in Richtung eines Spielautomaten neben der Klotür hängen. „Deine Daddelmaschinchen hier, die hab ick locker schon ersoffen hier!“ Er stolperte weiter. „Den Tisch hier, dito! Die Stühle, dito“. Er nahm sich ein Glas Bier vom Tisch, sah es an. Der Besitzer ließ ein „Heda“ hören, verhielt sich aber lieber ruhig. Larry schien öfter durchzudrehen. „Die Gläser, ditooo!“, schrie er und klatschte es auf den Boden. „Alles meins, meins! Wenn ick hier nich saufen würde, dann gäbs des alles nich hier, vastehste? Vastehste?“ Er torkelte auf die Theke zu.
„Und dett von einem, der en Deckel lang wien Kilometer hat! Larry beruhig Dir oder du fliechst! Is mein Ernst“. Der Wirt war wieder zum Zapfen übergegangen. Larry schien wirklich öfter auszurasten.
„Ick geh jetzt scheißen und danach sauf ick weiter.“, verkündete er. „Scheißen auf mein Klo, den Arsch wisch ick mir mit mein verkacktet Klopapier und spülen wer ick det mit mein Wasser. Merks Dir Bruno, merk et dir!“. Die Hertahand stocherte in Richtung des Wirts.
„Jetzt pennt er wieder uffe Schüssel wech und ick kann morgen früh Weckdienst spielen.“, brummte der Wirt in meine Richtung.
Ich sah auf meine Armbanduhr. Kurz vor Neun. In ein paar Minuten würde irgendwas passieren. Die Prognose des Wirts erschien mir zu unsicher. Ich hüpfte vom Hocker, schnappte mir den Koffer und ging Richtung Toilette.
„Dett würde ick mir noch fünf Minuten verkneifen!“, hörte ich es von hinter der Theke.
„Geht nicht, ich hab zu viel von ihrem leckeren Mineralwasser drin.“, rief ich zurück.
„Denn sauf doch Bier, Mensch!“, war das letzte, was ich hörte, als sich die Tür schloss.
Ich fand mich in einem schmalen Gang wieder, der vielleicht in den Sechzigern das letzte mal Farbe gesehen hatte. Welche, war schwer zu sagen, jetzt war sie dunkelbeige. Staub und Spinnweben hatten sich in den Rissen angesammelt. Auf der linken Seite war eine steinalte schwere Holztür mit massiven Beschlägen, an denen der Rost ein lauschiges Plätzchen gefunden hatte. Kleine braune Brocken waren aus den Angeln gebrochen und hatten an Wand und Boden staubige Spuren hinterlassen. Was man dahinter fand, stand irgendwann mal über der Tür, war aber schwarz übermalt worden und schimmerte als Balken unter dem Anstrich durch.
Zur rechten gab es die altbekannten drei Türen. Männer, Frauen und Privat.
Aus der hintersten dröhnte mundgesungen das Lied von den zehn nackten Frisösen. Ich enterte den Raum. Er war klein. Anstelle von Urinalen gab es rechts eine Bodenrinne an der Wand und aus verkrusteten Düsen lief permanent Wasser nach unten und hinterließ dabei Kalkspuren auf den Fließen, die irgendein Schönredner mal champagnerfarben getauft hatte. Links gab es zwei graffitiverschmierte Kabinentüren. Larry stand vor einer und nestelte verzweifelt an der Verschnürung seiner Batikhose. Er bemerkte mich nicht
Ich horchte, auf dem Gang war niemand. Jetzt oder nie. Ich griff unter meine Jacke und stellte mit der linken den Koffer ab.
„Na Larry, wie iss es?“, fragte ich ihn.
Er zuckte zusammen. Glasige Augen sahen mich an.
„Bist ein Vertreter, oder was?“
Er torkelte auf mich zu.
„Oder willste hier in dein Koffer scheißen?“
Der gute alte Larry! Immer auf die ganz harte Tour.
Die Antwort kam in Form einer Colt Automatic .45, deren Griffkolben ich ihm auf den Nasenansatz krachen ließ. Pfeifend wich die Luft aus seiner Brust und er klappte nach hinten. Blut lief über seine Nase. Ich zauberte die Pistole wieder unter meine Achsel und griff ihn mir. Es war ganz einfach. Im wegsinken drückte er die Tür auf und ich musste ihn nur zwei, drei Schritte führen und er sank kraftlos auf die stinkende Toilettenschüssel. Ich schloss die Tür und verriegelte sie mit einem Fünfcentstück.
Den Koffer in der Hand, ging ich in die Kneipe zurück. Der Wirt hatte den Telefonhörer am Ohr und winkte mir linkisch.
Grade rechtzeitig, dachte ich mir.
„Ja?“
„Hör zu, du Penner, wo steckst Du?“
Die Stimme war männlich, jung und aufgeregt.
„Ich hab einem älteren Herrn auf die Toilette geholfen.“, sagte ich und machte dem Wirt ein Zeichen, mir meine Zigaretten zu geben.
Die Stimme am Telefon überschlug sich noch ein wenig mehr.
„Deine soziale Ader kannst Du gleich ausleben. Hier geht’s um ein Menschenleben, hast Du verstanden?“
„Jedes Wort, was soll ich tun?“
Der Wirt brachte mir die Zigaretten. Ich winkte mit der Hand einen Dank und steckte mir eine in den Mund.
„Ist die Polizei da?“
„Nein.“
„Sicher?“
Ich gab mir Feuer.
„Alles wie bestellt. Nur ein armer einsamer Mann mit einem Koffer voller Glück.“
„Spar dir deine Witze. Oder soll ich sie umbringen?“
Ich stieß eine tiefe Lunge Rauch aus.
„Ich mache keine Witze. Ich hab alles hier. Wie geht’s weiter?“
Kurze Pause, dann:
„Geh rechts aus der Kneipe und lauf hundert Meter grade aus. An der Straßenecke ist ein Taxistand. Fahr zum Munkertplatz. Hast Dus?“
„Munkertplatz, ok.“
Das ist eine Grünanlage mit einer Telefonzelle. In zwanzig Minuten ruf ich dich da an. Du meldest Dich mit Caipirinha!“ – klack.
Aufgelegt. Ich machte dem Wirt ein Zeichen. Er kam kassieren.
„Wie geht’s Larry?“, wollte er wissen.
„Wie sie gesagt haben, er schnarcht die Kabinentür durch.“
„Jesus!“, stöhnte er und verdrehte die Augen zum Himmel.
Im Rausgehen sah ich, dass Larrys Bett – und Trinkgenossin wieder in den Tiefen ihrer Seele angekommen war.

Vor der Tür erwartete mich Sommerluft an Autoqualm, die in den Schluchten der Häuser einen Tag lang gekocht hatte. Jetzt lag sie zäh und schwer über der Stadt.
Die Love Parade war seit einigen Stunden endgültig vorbei und ein Haufen besoffener Raver in bunten Fetzen zog mir jubelnd entgegen. Ich folgte der knappen Wegbeschreibung und traf nach wenigen Minuten auf einen gerammelt vollen Taxistand. Die Droschken standen bis weit über die Markierung raus.
Ich ging zur vordersten und stieg auf der Beifahrerseite ein. Ein Mann um die vierzig saß hinterm Steuer und rauchte eine Filterlose.
„Hamm sie ne Taxe bestellt?“, fragte er mich.
Ich verneinte und er brummte was von verdammten Technobengeln.
„Acht Wagen hamm se bestellt. Janz eilich. Und jetzt stehen wer da und hamm den Salat. Keine Sau ist da.“
Mir ging die Berliner Schnauze langsam auf den Nerv und ich sagte ihm mein Ziel.
Der Daimler machte sich auf in die blaue Stunde. Durch das runtergelassene Fenster kam Technogewummer näher. Irgend so ein Schuppen warf grad die Neonbeleuchtung an. Ich sah nach vorne in eine fremde Stadt, die gemächlich an mir vorbei zog.
Egal, wie rum ich die Geschichte drehte, auf jeder Seite stank sie. Da war das ungleiche Ehepaar, der gebastelte Brief und eine Geldübergabe fünfhundert Kilometer vom Ort der Entführung weg. Denn geschnappt hatten sie sich die Kungel bei Nürnberg, wo sie auch wohnte. Das alles konnte als einigermaßen professionell herhalten. Mit mir jetzt hier eine Schnitzeljagd zu spielen, war auch nicht das Dümmste. Vielleicht war so irgendjemand abzuschütteln. Es gab bloß niemanden. Und dann einen Haufen Taxis zu bestellen, damit ich ja wirklich eins am angegebenen Ort bekomme, zeugte von Umsicht.
Das einzig unprofessionelle war der Hysteriker auf Leitung eins. Dem Knaben hatten derart die Nerven geflattert, das mir der Hörer fast aus der Hand gefallen war. Wenn es Geruchstelefon geben würde, ich hätte aus dem Lautsprecher den Gestank von frischem Angstschweiß riechen können.
Entweder war er ein ganz armer Tropf der die Hunderttausend so lebenswichtig brauchte, wie ein krampfgeschüttelter Schiffbrüchiger einen Holzbalken auf offenem Meer oder ihm ging langsam ein Licht auf. Vielleicht sah er am Horizont seines Verstandes ein reizendes Backsteingebäude hinter sauberen Betonmauern, wo die Fenster vergittert sind und blaue Hosen der letzte Schrei. Ein paar Jahre Vollpension als Dank für eine saudumme Geschichte mit einem gehörnten Ehemann, einer Schnalle als Liebchen und siedend heißen Hunderttausend als Startgeld in eine unbestimmte Zukunft. Das wären so Dinge, die einen Mann das Zittern kriegen lassen könnten, dachte ich bei mir.
Oder der Gatte hatte keine Hörner auf und die Taschen voller Schwarzgeld, das dringend ein lauschiges Plätzchen brauchte.
Die letzte Möglichkeit verwarf ich als erstes. In dem Fall hätte es wenig Grund zum Zittern für den Kidnapper gegeben und Kungel hätte sich für den Job auch sicherlich kein solches Nervenbündel gesucht.
Der Bankrotteur mit kriminellen Gläubigern im Nacken oder einfache Kleinkriminelle mit Muffensausen waren möglich, aller Erfahrung nach nicht mal unwahrscheinlich. Dann bestand wirklich Gefahr für Leib und Leben und dieser Abend konnte ein ganz und gar unschönes Ende nehmen.
Aber unter dem Strich warfen die Umstände ein günstiges Licht auf Möglichkeit zwei.
Die Kungels waren kein Ehepaar aus Liebe und sich bei Lydia einen Hang zur Vergnügungssucht vorzustellen, fiel nicht ernsthaft schwer.
Ich sah hoch. Wir kurvten durch ein Altbaugebiet, das genau so aussah wie das, in dem wir losgefahren waren. Alte Stadthäuser, die wenigsten saniert und viel zu herrschaftlich gebaut für die Leute, die heute darin lebten. Jeder Laden, jede Kneipe und manchmal auch ganz normale Wohnungen hatten die breiten Gehsteige bestuhlt und es saßen Dutzende von Menschen auf der Straße und tranken sich einen. Dazu das bunte Volk der Raver, das die Hauptstadt an diesem Wochenende wie eine Horde Heuschrecken überfallen hatte. Nur die wenigsten von ihnen sahen so aus, als wüssten sie noch, wo oben und unten ist. Und fast keiner sah so aus, als ob ihm das unangenehm war. Zielsicher rangierte der Fahrer den Wagen durch vollgeparkte Seitenstraßen. Schließlich blieb er stehen. Aus dem Fenster sah ich eine Grünanlage von der Größe zweier Fussballplätze, vollgestellt mit riesigen Laubbäumen, in deren Mitte ein wohlbekanntes, mattes, magentafarbenes Neonlicht schimmerte. Wir waren da. Der Blick auf die Uhr ergab vierzehn Minuten nach neun. Ich schnaufte durch, gab dem Fahrer einen Zwanziger und bat ihn zu warten.
Der Munkertplatz war eine nicht ungepflegte grüne Lunge im Asphaltdschungel einer Stadt, die mir persönlich viel zu groß war. Er erstreckte sich über die Länge zweier Häuserblocks. Ein geteerter, mit niedrigen Metallgittern gesäumter Weg lag im Licht der Straßenlaternen und führte auf einen alten schnörkeligen Sandsteinbrunnen, von dem die Telefonzelle vielleicht zehn Meter entfernt stand. Es gab ausreichend Mülleimer und einen kleinen Kinderspielplatz. Ein Haufen Freunde der Elektromusik saßen im Gras und ließen sich aus tragbaren Stereoanlagen beschallen. Ein deutlicher Haschgeruch lag in der Luft. Eine ältere Dame führte eine Dackelleiche spazieren und pöbelte das Jungvolk an. Ich setzte mich auf den Rand des Brunnens, nahm den Fernsprecher ins Visier und rauchte. In Gedanken zählte ich noch einmal die Häupter meiner Lieben.
Pünktlich bimmelte es bei der Telekom. Ich ging hin.
„Eierlikör.“
„Du bist ein ganz beschissener Witzbold, was?“
Ein Profi hätte aufgelegt und den ganzen Zauber verschoben. Der hier wollte es hinter sich bringen. Möglichkeit zwei kam zum Greifen nahe.
„Ich bin da und ernst wie immer. Ich habe nur vor lauter Aufregung das Codewort vergessen.“
„Hast Du das Geld?“
Das hatte er schon mal gefragt.
„Ja.“
„Also gut, du Clown. Fahr in den Bunkerclub.“
„Wo ist der?“
Seine Stimme klang ruhiger. Und das gefiel mir gut.
„Da wo dich das Taxi hinfährt, du Genie!“
Ich ließ ihm das letzte Wort.
„Da gibt es eine Chill out Zone. Geh genau da rein.“
„Gut.“
In dem Raum führt eine alte Stahlwendeltreppe nach unten. Sie ist abgeschlossen, aber ein Kerl wie du kommt da leicht drüber.“
„Vor allen Leuten?“
„Sei kein Feigling“
„Ich frag ja nur!“
„Kümmer Dich um Deinen eigenen Scheiss!“
Die Stimme wurde wieder schneidender.
„Die Treppe endet an einer Gittertür. Da schiebst Du den Koffer durch. Verstanden?“
Ich sagte, ich hätte verstanden.
„Wiederhols!“
Ich wiederholte es.
„Du hast eine halbe Stunde.“
„Wie geht’s Frau Kungel?“, versuchte ich das Gespräch zu bereichern.
„Der Alten geht’s prima!“, blaffte er.
„Ich will sie sprechen!“
„Es geht ihr gut!“
„Das frage ich sie lieber selber.“
„Die Bedingungen stell ich!“
„Hören sie, niemand kauft eine Katze im Sack. Lassen sie mich kurz mit ihr reden und alles passiert nach ihren Wünschen.“, sagte ich zu ihm. Schweigen. Dann, nach ein paar Sekunden: „Hallo?“. Es war eine Frauenstimme, jung , zögernd, bebend.
„Frau Kungel?“
„Holen sie mich hier raus!“, Ich erahnte den Schrei bereits im Aufkeimen und brachte den Hörer rechtzeitig vom Ohr weg.
„Frau Kungel, beruhigen sie sich... Frau Kungel, geht’s ihnen gut?“
„Ja, aber holen sie mich hier raus, bitte!“, weinte sie. Das letzte Wort klang beschwörend.
„Es ist gleich vorbei.“, sagte ich so ruhig ich konnte.
„Das muss reichen!“. Der Entführer war wieder dran.
„Eins noch.“, sagte ich. „Ihr Mann hatte eine Schwester, die mit elf Jahren gestorben ist. Ich will wissen, wie die heißt.“
„Moment.“
Ich hörte ihn meine Frage wiederholen.
Sie heulte die Antwort.
„Katharina.“, sagte er.
„Gut.“, sagte ich.
„Also, du schiebst den Koffer durch und ziehst Leine. Fährst wieder dahin, wo du jetzt bist und wartest. Ich ruf um halb elf an und sage dir, wo du sie abholen kannst.“
„Können sie vergessen. Ich will...“. Die Verbindung war tot.
Ich starrte den rosa Hörer an und hängte auf. Sorgenvolle Gedanken zogen klebrig durch mein Hirn. Vielleicht hatte ich ihn wirklich unterschätzt.
Mit einer frischen Zigarette im Mund stieg ich wieder ins Taxi. „Bunkerclub, kennen sie den?“
„Mann, von da komm wa doch.“, berlinerte es mir entgegen.
Ich machte ein fragendes Gesicht.
„Dett is die Disco bei den Taxistand, wo se einjestiegen sind.“. Sein Blick viel auf den Koffer. „Ick hoffe mal, dett is nix illejales.“
„Nur so ein blödes Gewinnspiel aus dem Internet.“, sagte ich.
„Aha.“
Wenn ich im gesagt hätte, ich würde Außerirdische jagen, dann hätte seine Antwort nicht anders geklungen.
Ich rauchte vor mich hin als das Handy klingelte. Kungel war dran.
Seine Stimme war die eines zerstörten Mannes.
„Wie geht es voran, Herr Volz?“
„Ich sitze in einem Taxi.“
Kurze Pause. „Ich verstehe. Was ist mit der Geldübergabe?“
„Ich bin auf direktem Weg.“. Ich versuchte, so gedämpft wie möglich zu reden, meinem Chauffeur schienen Elefantenohren zu wachsen.
„In einen Schuppen der Bunkerclub heißt. Da passierts. Und wenn sie mir gestatten, sauber siehts nicht aus.“
„Was meinen sie damit? Wann will er sie freilassen?“
„Er will eine Stunde später anrufen und mir Bescheid sagen. Wenn mich einer fragt, klingt das nicht gut.“
Seine Stimme wurde beschwörend.
„Hören sie, Herr Volz. Ich möchte, das sie ihm auf jeden Fall das Geld geben. Haben sie verstanden?“
Ich wollte etwas einwenden, aber er schnitt mir das Wort ab.
„Tun sie, was er ihnen sagt. Ich will Lydia auf jeden Fall heil wieder haben.“
„Wo ist dieser Club, von dem sie sprachen?“
„Beim Raben wo ich auf ihn warten sollte. Warum?“
„Ich komme dahin!“. Seine Stimme war jetzt wieder die eines Geschäftsmannes.
„Das lassen sie mal schön bleiben.“
„Hören sie, Herr Volz. Sie machen die Übergabe und ich stoße dazu. Wenn er sein Geld hat, machen wir den Rest zusammen. Da lasse ich nicht mit mir diskutieren. Ich treffe sie in diesem Club. Bis gleich.“. Und wieder einer, der mich mit klackend aus der Leitung schmiss. Fast hätte ich geschrieen, aber der einzige, der es gehört hätte, war jemand, den es nun wirklich nichts anging.
„Und sie sind sich janz sicher, das alles sauber ist?“, fragte der Fahrer.
„So sicher wie sie den Weg kennen!“, fuhr ich ihn an und wir verbrachten die restliche Fahrt schweigend.

Ich erledigte den Automatismus aus zahlen, quittieren lassen und Rechnung einstecken und verließ das Taxi grußlos. Trinkgeld war gestrichen, der Kerl hatte mich angekotzt. Ich war stinksauer. Schubst mich doch alle rum. Benni Volz, der Bursche mit der dicken Knarre und dem dünnen Hirn. Er sieht gefährlich aus, aber in Wirklichkeit ist er ein Arsch. Schnauzt ihn am Telefon an, schmeißt ihn aus der Leitung und geht ihm auf den Senkel. Da muss er durch, der Junge. Sie haben eine Frau entführt? Spielen sie am Telefon die hysterische Kampfsau,, Benni liebt das. Sie fahren Taxi? Behandeln sie ihn ruhig wie einen Deppen. Der liebe Benni nimmts ihnen nicht übel. Sie haben ihn engagiert? Dann gehört er doch ihnen! Pfeifen sie auf seine Meinung, treten sie ihm auf die Füße und machen sie, was sie wollen. Es ist ihr Volz, ganz allein ihrer. Ich beschloss, die Zeit bis zum Amoklauf sinnvoll zu nutzen. Wenn der Kerl vom Telefon die Sache sauber durchzog, dann saß ich in spätestens drei Stunden in irgendeiner Kneipe und konnte mir mit ein paar scharfen Sachen das Hirn klistieren.
Doch zunächst mal stand ich in einem Haufen Wahnsinniger. Vor dem Bunkerclub war die Hölle los. Auf dem Gehsteig hatte sich ein DJ aufgebaut und schickte lautstarke Bässe auf die Gasse. Vor dem Eingang standen oder besser gesagt tanzten sich ein paar Dutzend Raver die Beine in den Bauch. Zerrissene Armeehosen, pinkfarbene Hotpants und Leibchen mit dämlichen Zeichen in allen Farben. Ihre Träger waren zugepumpt mit allem, was verboten war und hüpften über den Gehsteig, das es verboten gehörte.
Über dem Eingang pulsierte der Namen des Ladens in hundert Neonfarben an der Wand. Es war der selbe Schuppen, den ich im Taxi gesehen hatte. An der Tür selber war nichts los. Es war zu früh für großen Bahnhof, die Partygesellschaft trieb sich noch in der lauen Abendluft rum und der Club hatte noch keine halbe Stunde offen.
Ich zahlte einen Fünfer Eintritt und ließ mich blöd von einem Typen mit gepierctem Gesicht anglotzen. Sind sie die immer gleichen Trendtattoos, Bauch-, Lippen-, Ohr-, Augenbrauen- und Klitorisringe in ihrem extasyverseuchten Bekanntenkreis endgültig müde und sie suchen sie eine neue Form der Provokation? Kaufen sie sich einen Aktenkoffer.
Nach wenigen Metern ging eine schmuddelige geschwungene Treppe in die Tiefe. Folgte man ihr, so stieg man mit jedem Meter ein Stück tiefer in die Hölle. Die Temperatur nahm spürbar zu und auf halber Höhe kitzelten die Bässe schon das Zwerchfell. Und die Kundschaft hier schien basslastige Musik zu mögen. Unten angekommen ließ ich einen Tresen mit Energiedrinks und Szenebieren links liegen und wendete mich der Mitte des Raumes zu. Die Tanzfläche lag in dichtem Nebel und nur in den Salven des Stroboskops konnte man schemenhaft ein paar völlig durchgedrehte Tänzer erkennen. Vielleicht vierzig Gäste waren insgesamt da. Es herrschten tropische Temperaturen und die Beats kamen mit trommelfellzerstörender Lautstärke. Wer hier freiwillig mit mehr als seiner Unterwäsche rumlief musste Touareg sein. Wenn ich mich so umsah, waren keine Touaregs da. Mit meiner Jacke fiel ich hier auf wie die Kirsche auf der Sahnetorte.
Das Ambiente war absichtlich verrottet gehalten. Die Wände waren blanker rissiger Beton, der an manchen Stellen bereits rostzerfressene Armierungen sehen ließ. Im schnellen bunten Schein der Lichtanlage sollte es wohl avantgardistisch erscheinen. Die paar Stühle und Tische waren vom Sperrmüll oder aus Biergärten geklaut.
Neben der Tanzfläche erspähte ich einen in diffuses rotes Licht getauchten Durchgang, auf den ich zuhielt. Er führte in einen Korridor mit eingefärbten Kellerlampen, der nach wenigen Metern scharf rechts abbog und in einen kuscheligen Raum führte. Es war duster. Licht kam von wenigen kleinen Quellen. Lavalampen, ein kleiner Spot auf eine Discokugel und ein paar Neonstäbe. Dazu baufällige Nierentische und gammelige Sofas. Die Wände mussten hier wirklich Bunkerqualität haben, denn das Technogedonner fünf Meter weiter war nur sehr gedämpft zu hören. Eine tiefe, zornige Stimme proklamierte Protestballaden aus dem sonnigen Jamaica. Das DJ Pult war verlassen, wahrscheinlich kiffte er einen. Das einzig lebende Wesen war eine Frau in weiten Jeans und Herrenfeinrippunterhemd, die ihre Hüften verträumt zu den Reggaerhythmen schwingen ließ. Sie sah mich an und schenkte mir eine Art warmes Grinsen.
Links vor mir entdeckte ich ein kreisrundes, circa einen Meter hohes Metallgeländer. Ich ging darauf zu.
„Hier bist Du völlig falsch!“. Ihre Stimme voll und warm.
Ich drehte mich erschrocken um. Sie warf ihr langes helles Haar in den Nacken und lachte aus voller Kehle. Es war ein phantastisches Lachen. Aus tiefem Herzen, ein bisschen dreckig und keine Spur zu vulgär. Ich gab mir innerlich Entwarnung.
„Der Lieferanteneingang ist da vorne.“
Ihre Hand machte eine Geste nach irgendwo hin.
Sie war ziemlich betrunken.
Ich tippte mir mit dem Zeigefinger ans rechte Auge und bekam noch ein wenig Lachen zu hören, dann wendete ich mich dem Geländer zu. Es umgab eine Wendeltreppe, die vom Fußboden aus nach unten führte. Eine Tür war darin, aber die war abgeschlossen. Alles wie versprochen.
Ich schwang mich darüber, was der Frau ein vergnügtes Quietschen entlockte und schraubte mich die Wendeltreppe runter, an deren Fuß ich die angekündigte Gittertür fand. Sie war uralt, rostig wie alles hier und ich traute mich wetten, dass es keinen Schlüssel mehr für sie gab. Trotzdem hatte sich jemand die Mühe gemacht, eine schwere Kette mit Vorhangschloss mehrfach um den Rahmen zu legen. Sie aufzukriegen würde eine Ewigkeit dauern. Wenn ich den Koffer durchschob, dann konnte irgendjemand von der anderen Seite aus dem Irgendwo kommen, ihn unbehelligt nehmen und ins Nirgendwo verschwinden. Es sei denn ich wartete hier und erschoss ihn. Ich verwarf den Gedanken sofort wieder.
An seiner Stelle trat ein anderer in mein Hirn. Mit einem Schlag war der Festsaal meines Hirns hell erleuchtet. Ich stand hier in einem Bunker. Einem richtigen Bunker.
Einem gegen böse Weltkriegsbomben. Und da hinter der Tür lag ein unterirdischer Gang. Was macht so ein Gang an einem Bunker? Er verbindet ihn mit anderen Bunkern oder Luftschutzkellern. Es war nur so eine Idee, aber was ist ein Detektiv ohne Ideen? Vor meinem geistigen Auge sah ich eine Tür. Alt, grau gestrichen, die Griffe und Angeln längst verrostet. Die Tür im Raben. Mit dem schwarzen Farbbalken drüber. Luftschutzkeller. Vielleicht haben sie es nach dem Krieg nicht mehr sehen können und einfach überpinselt. Der Rabe lag genau am anderen Ende dieses Häuserblocks. Ich fragte mich, wie viel alte Zugänge noch existierten in diesem Block. Die meisten waren wahrscheinlich zugemauert oder eingestürzt. Es war einen Versuch wert, dachte ich. Wenn man es zeitlich richtig plant. Ich probierte ein bisschen mit dem Koffer. Am Rand der Tür waren zwei Gitterstäbe enger zusammengeschweißt als die andern. Ich drückte den Koffer da hinein. Er steckte ziemlich fest. Mit Mühe konnte man ihn aber durchziehen, wahrscheinlich würde er dabei ziemlich kaputtgehen, aber das war mir jetzt egal.
„Hey!“
Ich sah nach oben. Ein Frauengesicht mit hellen langen Haaren lugte über das Geländer.
„Machste denn da unten?“
Ich grinste sie an und ging die Treppe wieder hoch.
Sie stand jetzt direkt vor mir. Sie war hübsch. Dreißig Jahre, vielleicht ein bisschen älter. Ein herbes Gesicht. Stupsnase, Sommersprossen und süße Lachfalten um die Augen.
Ihr rot lackierter Zeigefinger hämmerte auf meine Brust.
„Du bist ein Drogendealer?“, fragte sie.
„Nein.“
Sie zog einen Flunsch. „Schade! Waffen?“
Ich lachte. „Ganz kalt!“
Sie dachte nach. „Was schweinisches?“
„Nein!“
„Uran! Plutonium oder so was. Ich hab dich erwischt. Du willst uns alle umbringen. Stimmts?“. Wieder klang ihr bezauberndes Lachen.
„Tiere.“, sagte ich.
„Tiere?“
„Ja. Tiger, Koalabären und die ganzen geschützten Viecher. Alles verboten und heimlich.“
Sie ließ ihre Augen rollern. „Und die hast Du in dem Koffer?“
„Artgerechte Haltung eben.“, sagte ich und ging an ihr vorbei.
„Machs gut, Daktari!“, rief sie mir hinterher. Ich sah mich um, sie schwang schon wieder über die Tanzfläche. Mit ihrer Linken machte sie eine Pistolenhand und schoss auf mich. Ich bekam noch ein mal den Zauber ihres Lachens zu sehen.
Ein Blick auf die Armbanduhr holte mich in die Realität zurück.
Im Club war die Musik weiterhin im Infernobereich und ich marschierte im Stechschritt zum Ausgang. Plötzlich ging das Stroboskop wieder an und ich sah Kungel keine zwei Meter vor mir stehen. Er blickte sich panisch um, die Lichtblitze schienen ihn zu verwirren. Unsere Blicke trafen sich und ich sah seinen Arm abgehackt auf mich zukommen. Ich umrundete ihn und sprintete zum Ausgang.
Draußen immer noch die gleiche Veranstaltung. Ich rempelte einen der Tänzer heftig an und spurtete los ohne mich weiter umzusehen. Die Zeit lief und nicht für mich.
Die Gedanken fuhren Karussell in meinem Kopf. Kungels Befehl, den Kidnapper auf jeden Fall auszuzahlen und sein plötzliches Auftauchen waren das letzte Mosaiksteinchen, so schien es. Das Bild, das sie ergaben, war nicht die Lösung. Das Bild war ein riesengroßes, knallgelbes Schild mit der feuerroten Aufschrift: Achtung Verarsche! Und ich hatte mich lang genug vereiern lassen. Hinter mir krähte eine Stimme meinen Namen. Er schrie lauter als es seine alten Stimmbänder vertrugen. Es war mir egal, ich rannte einfach weiter.
Ich erreichte den Raben in weniger als drei Minuten. Vor der Tür stemmte ich kurz die Arme in die Hüften und sah den Rauch sämtlicher Zigaretten meines Lebens an mir vorbeiziehen. Zumindest hatte Kungel aufgehört zu schreien.
Ich stieß die Tür auf. Viel hatte sich nicht verändert. Die selbe beschissene Volksmusik und Larrys Walross saß Gott sei Dank alleine da. Lediglich die Kickerspieler waren wohl tanzen gegangen. Während ich zur Klotür ging, rief mir der Wirt irgendwas saloppes zu. Ich ignorierte ihn und stieß auch diese Tür heftig auf.
Keine Sekunde zu früh, konnte ich feststellen. Wenn die Szenerie ein Suchbild in einer Rätselzeitung gewesen wäre und die Aufgabe geheißen hätte: Suchen sie den Kidnapper und sein Opfer - wir alle hätten versagt. Denn das Pärchen, das gerade in trauter Eintracht kichernd die alte Luftschutzkellertür zuschob, passte nicht auf die Beschreibung, jemand anders war nicht da. Und in dem weinroten Aktenkoffer, den sie ihn der Hand hielt, hätten ja auch die Strapse für die Hochzeitsnacht sein können. Lydia sah außerhalb des Photoateliers besser aus, aber nicht viel. Sie trug ein blaues Minikleid, Jeansjacke und rote Baumwollballerinas. Sie hatte die Haare hochgesteckt und etwas viel Lippenstift aufgelegt. Als sie mich in der Tür stehen sah, gackerte sie ausgelassen und legte verschwörerisch ihren Zeigefinger über ihre Lippen. Ihre Lausbubenhaftigkeit war eine Spur zu aufgesetzt.
Der Begleiter war kaum älter als sie und wollte irgendwann mal Rocker werden. Schwarze Bikerstiefel zu Bleichjeans mit gekaufter Fadenscheinigkeit. Eine dunkle Antiklederjacke. Alles sah so sauber aus wie bei Lorenzo Lamas auf der Harley Davidson. Als er sich umdrehte, wäre ihm vor Schreck fast die Sonnenbrille aus der friseurgepflegten braunen Mähne gefallen. Ein einziger Haarstreifen verlief da, wo andere zwei Augenbrauen hatten. Hohe Wangenknochen, eine scharfe Nase mit der richtigen Proportion und ein Dreitagesbart, an dem er garantiert eine halbe Stunde rumrasiert hatte. Sein Mund aus zwei vollen Lippen und braune Augen voll glühendem Feuer rundeten den Kuschelrocklover vollends ab.
„Ach du Scheiße!“, zischte er mit einer Stimme, die ich heute schon zu oft gehört hatte.
„Schön, dass wir uns mal persönlich treffen.“, sagte ich.
Die reizende Lydia hatte zu der Unterhaltung nichts beizutragen. Sie stand einfach mit ihrem Kindergesicht da.
Der harte Mann reagierte schnell. Sein linker Arm fuhr um ihren Hals und der rechte holte eine stupsnäsige Magnum aus seiner Jackentasche, deren Mündung er an ihre Schläfe presste.
„Na komm, Arschloch, lass uns durch!“, presste er heraus.
„Lass mich durch, heißt das.“, sagte ich ungerührt. „Du gibst doch hier allein den Ton an, oder?“
Der Satz hatte gesessen. Seine Augen sahen jetzt nicht mehr feurig aus, nur noch verwirrt. Dafür loderte in ihren die blanke Angst.
„Roland? Roland, lass mich los, was machst du eigentlich?“
„Lass sie los, Roland. So wie deine Hände zittern geht die Kanone noch los.“
„Ich knall sie ab! Verlass Dich drauf.“ Er ging einen Schritt auf mich zu.
In der Kneipe hörte ich wieder meinen Namen schreien. Dann flog die Tür auf und Kungel kam rein gestolpert. Er sah die Situation und schrie.
„Lydia!“
Er schrie scheinbar gern anderer Leute Namen.
„Hermann...“, schluchzte sie.
Die beiden sahen sich an, sie lächelte verzweifelt, er lächelte unsicher.
„Es tut mir so leid.“
Sie sagte es nicht, sie hauchte es. Mir wurde fast warm ums Herz.
Der Junge mit dem großen Revolver drückte sie fest an sich und hielt die Magnum auf mich.
„Klugscheißer! Beschissener Klugscheißer.“ Er schüttelte den Kopf. „Da hat sich aber einer für wirklich ganz pfiffig gehalten, was?“ Das letzte Wort schrie er in dem Tonfall, den er auch gern am Telefon drauf hatte.
„Aber was denn?“, sagte ich. „Ich hab bloß eine Nase für Schlaumeier. Das liegt daran, dass ich so ein sensibler Kerl bin.“
„Du bist gleich ein sensibler ganz toter Kerl.“
„Und Du bist auf jeden Fall kein Kidnapper. Die lassen nicht ihre Geiseln das Lösegeld tragen.“
Warum die das nicht tun, lernte er sofort. Lydia rammte ihm die Schmalseite des Koffers zwischen die Beine. Sie wusste eben, wo man bei Männern was erreicht.
Roland klappte kurz genug zusammen, dass sie sich losreißen konnte und an mir vorbei auf ihren Gönnergatten zustolperte. Den Koffer ließ sie einfach fallen. Kungel, der noch immer nicht zu begreifen schien, was hier wirklich vor sich ging, schloss sie aus vollem Herzen in seine Arme.
Ich wollte auch nicht ganz faul sein und griff nach der Automatic. Es dauerte einen Augenblick zulange, denn der hübsche Junge erholte sich schnell und wir brachten unsere beiden Schießeisen derart gleichzeitig in Anschlag, das wir beim Synchronschwimmen eine Eins mit Stern eingeheimst hätten. Wie zwei geile Kater belauerten wir uns mit ausgefahrenen Krallen über die Visiere der Pistolen. Er sah mich wutschnaubend an und ein schmerzlicher Geistesblitz sagte mir, ich würde schießen müssen. Ich würde ihn töten müssen, bis zum letzten Augenblick noch voll Hoffnung, das anders kommen würde. Aber seine Augen sagten, wie es kommen würde und ich würde warten bis zu dem Moment, wo sein Zeigefinger zuckte. Der Finger hatte noch nie so zucken müssen und würde vielleicht einen Moment zögern und dann würde meiner sich bewegen. Er würde nicht zucken, er würde das kleine Stückchen Stahl, an das er sich klammerte, einfach nach hinten drücken und der hübsche Junge vor mir würde sterben. Eine 45er aus dieser Entfernung war der sichere Tod – für eine Magnum galt allerdings dasselbe.
Er ging in die Knie und seine Linke angelte sich den Koffer. Sein ganzer Plan war den Bach runter gegangen, die Komplizin geborgen im Trocknen. Wenn sie ihn sausen ließ, dann konnte sie den Inhalt dieses kleinen hässlichen Koffers jeden Monat ausgeben. Sie stand in meinem Rücken, aber ich platzierte irgendwo eine Wette, dass sie ihn mit Verachtung ansah. Vielleicht wollte er einfach nur einmal in seinem Leben einen Hundertausender in seiner schönen Hand halten.
„Du hast ausgeschissen, Schlaumeier!“. Seine Stimme war belegt mit Hass. „Und wenn’s das letzte ist, was ich tue, aber du hast ausgeschissen.“ Ganz langsam kam er wieder hoch und seine Rechte hielt den Revolver so wie eine Kobra ihren Kopf vor dem Zubiss. Die Luft brannte. Ich verwendete das kleine bisschen Aufmerksamkeit, das ich entbehren konnte, darauf, ein gutes Ende zu finden. Es gab keines.
Ein ekelhaftes, fast schrilles Knallen erfüllte den Gang. Ein ausgefranstes Loch erschien in seiner Brust, Blut spritzte auf mich und ich spürte beinahe den Luftzug einer Kugel, die mich um Haaresbreite verfehlte und hinter mir den Putz der Wand spritzen ließ. Roland kippte einfach nach vorne und gab den Blick frei.
Ich hatte ihn weder gesehen noch gehört und dabei trampelte, schwankte und schnaufte er wie ein betrunkener Elefant. Larry stand am Ende des Ganges und hielt sich am Kondomautomaten fest. Blutströme waren über sein narbiges Gesicht geflossen und getrocknet, seine Hose war voll nasser Flecken und seine Fußballhand fuhr wieder ziellos durch die Gegend. Dabei hielt sie eine schwarze Pistole.
„Watt in deinen Koffer is, intressiert mir einen Dreck!“, grölte er. Er war sichtbar im Delirium, begriff weder, was er getan hatte, noch was zu tun war. Aber wo er schon dabei war, machte er einfach weiter. Ein zweiter Schuss löste sich. Neben mir die staubte die Wand.

Er war auf die Distanz ein leichtes Ziel. Der Colt brüllte einmal. Larry drehte sich um die Achse und knallte der Länge nach hin. Ich ging auf ihn zu.
„Nehmen Sie den Koffer, schnell!“, zischte ich Kungel zu und kickte das Ding mit der Hacke nach hinten.
Ich hörte, wie die Tür zur Kneipe aufging. Hörte die Stimme des Wirts brüllen und wie sich das Publikum die Zehen platt trat um einen Blick zu erheischen.
Larry lag röchelnd am Boden, die Kugel hatte Gulasch aus seiner rechten Schulter gemacht. Ich hob die Pistole auf, es war eine Tokarev, eine kleine lumpige 7.65er. Russischer Militärscheißdreck, den man zu Wendezeiten von besoffenen Rotarmisten für einen Fünfziger und zwei Schachteln Marlboro hatte kaufen können. Ihrem Ruf als wandelnde Ladehemmung war sie leider nicht gerecht worden. Oder zum Glück? Was wusste ich denn? Schieß oder schieß nicht, Du wirst es bereuen.

Ich hatte die halbe Nacht Zeit, mir zu überlegen, warum Polizeibüros immer gleich grauenhaft sind. Ich fand keine Antwort und vom stundenlangen freundlichen Dreinblicken taten mir langsam die Mundwinkel weh. Wenn es ihm genauso ging, ließ er es sich nicht anmerken. Er hieß Löblein, war Kriminalinspektor und ein junger, drahtiger und semmelblonder Schwabe, den diese Metropole nicht dazugebracht hatte, das aus seiner Sprache vollständig zu streichen. Ich mochte ihn ganz gern, denn er machte seinen Job ohne Allüren und ging mir nicht mehr auf die Nerven als er musste. Er war ein guter Bulle. Er konnte nett sein ohne einen bösen Bullen um Mithilfe bitten zu müssen. Das Private wie ich sich in Kapitalverbrechen mischen, gefiel ihm nicht, aber das trübte unsere Unterhaltung nicht übermäßig. Er hatte mich die Geschichte zig mal zu Brei kauen lassen und ich hatte ihm den Gefallen getan. Nur zwei Dinge verschwieg ich vehement. Es tat nichts zur Sache, das die Entführung eine Finte war, und mir das Wissen zu beweisen, dabei hätte ich ihm gerne zugesehen. Ich war mir sicher, dass die Kungels irgendwo auf diesem Korridor diesen Umstand auch nicht breit traten. Es änderte ja auch nichts am Sachverhalt.
Dass ich Larry auf dem Klo zusammengeschlagen hatte, nun das wussten nur Larry und ich. Ihm würde es, falls er sich überhaupt daran erinnerte, niemand glauben und ich würde es niemandem sagen. Zumal er ja überzeugt war, seinen Peiniger erledigt zu haben.
Löblein zog an einem Zigarillo. Seine verständnisvollen Augen sahen mich an.
„Im Grunde glaube ich Ihnen, Herr Volz.“ Die Kungels stützen Ihre Geschichte und der Wirt hat ausgesagt, die ersten beiden Schüsse hätten anders geklungen wie der Dritte.“
Er wog meine Colt und die Tokarev nachdenklich in den Händen.
„Und wenn ich mir die Artellerie hier so ansehe, dann denke ich, das die sogar ein Laie am Gesang unterscheiden kann. Herrgottnochmal, wozu schleppen sie so ein Monster mit sich rum?“. Sein Gesicht blieb freundlich, die Frage war es nicht.
Ich sah in meine fast leere Zigarettenschachtel, schnappte mir die Letzte ihres Stammes und brannte sie an. Ich erwiderte seinen Blick und sagte:
„Ich hasse es, auf jemanden zu schießen. Aber wenn ich muss, schieße ich und bin froh, wenn ein Treffer reicht.“
Die Antwort gefiel ihm nicht. Ich nahm es ihm nicht übel, mir gefiel sie auch nicht.
„Reicht´s öfter?“, fragte er mich mit finsterer Miene.
„Bisher hat´s gereicht, ja. Aber für das Gesetz der großen Zahl reicht´s nicht.“
„Ich verstehe.“, sagte er und verstaute die Eisen in einem Karton. „Wir werden ihre Waffe überprüfen. Wenn sie sauber ist, kriegen sie sie wieder. Wenn nicht, brauchen sie sie nicht wieder. Klar?“
Ich sagte klar und war entlassen.

Ich stand auf den Stufen des Reviers und blickte in eine regennasse warme Sommernacht. Meine Uhr zeigte halb sechs und ich hätte gern eine Zigarette gehabt. Ich war müde und fühlte mich scheußlich. Ich konnte mich nicht entscheiden, wer mir mehr leid tat, ich oder die Welt. Mein Hals war wundgeraucht, meine Zunge ein trockner Klumpen. Meine Augen hätten weinen müssen, taten es aber nicht. Ich hasste mich dafür.
Ein Vibrieren in meiner Tasche. Ich holte das Telefon raus und las die Nachricht. Sie war von Kungel.
auch wenn sie mich für dumm halten manchmal ist die illussion besser wie die wahrheit. haben sie dank
Er war ein alter verzweifelter Mann und konnte sich seine Illusionen kaufen. Man zahlt für alles im Leben seinen Preis. Er konnte sogar andere Leute diesen Preis mitzahlen lassen. Roland lag im Leichenschauhaus, Larry im Krankenhaus und irgendwann im Gefängnis. Und Kungel spielte seiner Gemahlin wahrscheinlich grade gepflegt an der Kachel rum. Es war einerlei, aber ordentliche Rechtschreibung und Satzzeichen hätte man schon erwarten können. Ich hatte keine Kraft mehr, mich aufzuregen.
Mir war alles egal. Ich schlurfte in die Nacht und wurde nass. Es war mir egal. Ich hatte keine Zigaretten mehr. Geschenkt. Ich wusste nicht wohin. Es interessierte mich nicht.
„Hey Daktari!“
Ich wirbelte herum. Da stand sie, einen Meter von mir weg. Ihre nackten Füße standen in einer Pfütze, ihre Klamotten trieften vor Nässe und ihre blonde Mähne hing in schweren Strähnen von ihrem Kopf. An ihrer Hand baumelte ein Paar ehemals weißer Leinenturnschuhe. Seit ich sie verlassen hatte, hatte sie nicht nur Fruchtsaft getrunken, das war deutlich zu riechen. Aber ihr Lachen hatte immer noch die selbe Herzlichkeit wie vor Stunden und wenn man ein Fass Bier in sie geschüttet hätte würde sich daran nichts ändern.
„Wohin willstn?“. Ihre Stimme lallte aber es schwang Unternehmungslust darin.
„Frühstücken?“.
„So richtich schön mit Kaffee und Semmelchen?“. Sie klang gelangweilt.
„Ich dachte mehr an Bier und Schnaps!“
„Juhu!“, sagte sie leise und hängte sich bei mir ein.

 

Hallo captncab,

eine schöne Geschichte, die ich gerne gelesen habe, auch wenn mir der Stil bekannt vorgekommen ist, so hat er doch seine eigene Attraktivität.

Der Text ist für eine Kurzgeschichte lang.
Aber kurzweilig.

Der erste Absatz ist flott und salopp geschrieben.
Wenn ich auch nicht weiß was „Fokuhila“ ist.
Die kompakte Formatierung schreckt etwas ab. Hab überlegt ob ich überhaupt reinlese. Aber dann flutschte es.
Auch wenn es authentisch ist – Dialekt in Geschichten, die nicht ausdrücklich so geschrieben sein sollten, stört. Das hält zu viel auf. Aber hier … geht eigentlich gut runter.

Persönliche Anrede, zumindest die Höflichkeitsform wird immer noch groß (nur ein Hinweis – keine Belehrung) geschrieben, auch wenn man sich’s beim DU überlegen kann.
Na gut. Sehe gerade, alles Flüchtigkeitsfehler. Und davon eine ganze Menge. Ungefähr ab hier: „ … „Hören sie, niemand kauft eine Katze im Sack. Lassen sie mich kurz mit ihr reden und alles passiert nach ihren Wünschen.“, sagte ich zu ihm. Schweigen. Dann, nach ein paar Sekunden: „Hallo?“. Es war eine Frauenstimme, jung , zögernd, bebend …“.
Wie du selbst schreibst: „ … aber ordentliche Rechtschreibung und Satzzeichen hätte man schon erwarten können …“ *lol*

Weiter so!

Gruß Charly

PS
Willkommen auf KG.DE und viel Spaß beim Hobby!

 

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