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Ein Krimi zum Träumen
Es war kalt. Ich zog meinen langen Mantel fester um mich. Durch den schneidenden Wind steuerte ich direkt auf die Gotenbank zu. Es war mal wieder Weihnachten und ich auf dem Weg, einen Geschenkgutschein über 50 € bei der Bank einzulösen.
Jedes Jahr das Selbe.
Wie jedes Jahr an Weihnachten, wenn ich mich für die nächsten drei Feiertage bei meinem schmierigen Chef verabschiedete, hatte ich nach dem viel zu langen, unangenehmen Händedruck einen Gutschein von der Firma über 50 € in meiner Tasche gefunden, der Chef hatte mir zugezwinkert – verführerisch, wie er meint – und hatte mich mit leisem Bedauern durch die Tür in die Feiertage verschwinden sehen.
Ich hasste meinen Chef.
Er war der Meinung, der wohl begehrenswerteste Mensch auf Erden zu sein und mich mit seinem schleimigen Gehabe einwickeln zu können.
Armer Irrer!
Ich war zwar einsam, aber nicht SO verzweifelt! Darüber hinaus war er der größte Geizhals, den ich je kennen gelernt hatte.
Ich nahm den eigentlich fast wertlosen Gutschein immer nur deshalb an, weil ich sonst kein Weihnachtsgeld bekam und es das einzigste für mich Lohnenswerte jedes Jahr an Weihnachten war.
Denn ich hatte nicht so wie andere eine nette Familie, mit denen ich an Weihnachten gemütlich zusammensitzen konnte, unter dem bunt geschmückten Weihnachtsbaum, um schöne Lieder anzustimmen und Geschenke auszupacken.
Das Einzige was mir von meiner zerpflückten Familie übriggeblieben war, waren mein jüngerer Bruder der schon wieder wegen irgendwas im Knast saß, und meine Mutter in der Klinik, die den gewaltsamen Tod von meinem Vater nie verkraftet hatte.
Freunde, mit denen ich am Heilig Abend die vielleicht gemeinsam gebackenen Plätzchen essen konnte, hatte ich auch keine, denn ich war von meiner Arbeit so eingenommen, dass keine Zeit mehr für feste Freundschaften blieb.
Ein Haustier hätte ich mir halten können, doch selbst dazu hatte ich zu viel zu tun und abgesehen davon habe ich eine schreckliche Tierhaarallergie.
Aber ich hatte mich an die Einsamkeit gewöhnt.
In meiner bescheidenen 2-Zimmerwohnung herrschte eine Ordnung nach meinen Regeln und auch sonst hatte alles, was ich tat, einen geregelten Ablauf. Ich aß immer um die selbe Zeit, ich schaute mir immer die gleichen langweiligen Sendungen im Fernsehen an und ich ging sogar immer exakt um die gleiche Zeit ins Bett. Irgendeine kleinste Änderung hätte mich schon meilenweit aus der Bahn geworfen.
Doch eigentlich wünschte ich mir nichts sehnlicher als das.
Ich konnte ja unmöglich ahnen, wie schnell sich mein größter Wunsch erfüllen sollte, allerdings ganz anders als ich dachte.
Ich trat aus der kleinen Nebengasse auf den Vorplatz vor der Gotenbank und steuerte direkt auf die gläsernen Eingangstüren oberhalb der marmornen Treppe zu. An der Seite der einzigen großen Straße, die an diesem Platz endete, hielt ein weißer Lieferwagen mit getönten Scheiben.
Merkwürdig.
In ihm saß ein schlechtgekleideter Mann der offenbar auf etwas wartete.
Während ich mir noch Gedanken machte auf was dieser Mann warten könnte, glitten die Glastüren der Bank auf und ich konnte Schreie und aufgeregte Stimmen aus dem Innern vernehmen.
Aus der Tür stolperten zwei großgewachsene, breitschultrige und maskierte Männer die mit prallgefüllten Säcken bepackt waren. Der eine hielt mit einer Waffe die Angestellten in der Bank in Schach, während der andere ihn mit antreibenden Worten zum Wagen jagte.
Der erste Mann war bereits die Treppe hinuntergestürzt und rannte in Richtung Wagen, als der Mann mit der Waffe plötzlich auf halbem Wege auf der Treppe stolperte und mit der bewaffneten aus versehen seine schwarze Maskierung streifte. Für einen Sekundebruchteil kam darunter ein entstelltes Gesicht mit einer breiten Narbe auf dem unrasierten Kinn und ein feuerroter Haarschopf zum Vorschein.
Etwas in mir erstarrte.
Der Gangster hatte schnell geschaltet und schon verdeckte der schwarze Stoff seinen Kopf wieder.
Obwohl der Mann schon weitergehetzt war stand ich noch wie versteinert da und starrte auf die Stelle, an der eben noch sein Gesicht gewesen war. Ich konnte mich einfach nicht von dem Gedanken an diesen Anblick lösen.
Doch damit hatte ich einen großen Fehler begangen. Während ich noch so dastand und auf die Treppe starrte, startete der Motor des Lieferwagens und die beiden Männer sprangen mit ihrer Beute hinein.
Der Rothaarige mochte mich eben in seiner Eile übersehen haben. Dafür sah er mich nun umso deutlicher, wie ich da mitten auf dem verlassenen Vorplatz stand und in seine Richtung schaute. Aufgeregt zeigte der andere Verbrecher auf mich und gestikulierte wie wild mit der Waffe herum.
Der Vernarbte sprang auf, stieß die Tür des Wagens auf und zog ein Messer.
Dann begann er zu rennen.
Das reichte um mich aus meiner Starre zu reißen. Ich fuhr herum und raste mit sich fast überschlagenden Schritten auf die Gasse zu, aus der ich eben gekommen war.
Ich hatte Todesangst. Wie ein Alptraum zogen die Bilder aus der Vergangenheit an mir vorbei.
Ich sah meinen Vater wieder, der sich schützend vor meiner noch jungen Mutter aufgebaut hatte um sie mit seinem Leben zu verteidigen.
Ich sah wieder die hässliche verzerrte Fratze und den wilden roten Haarschopf.
Ich sah wieder, wie der Einbrecher auf meine Eltern zusteuerte und mich, das kleine heulende Bündel in der Ecke, überhaupt nicht zur Kenntnis nahm.
Ich sah wieder, wie er meinen Vater mit seiner Pistole erschoss und wie mein Vater in seinen letzten Regungen das Messer, das er zur Verteidigung aus dem Messerset in der Küche genommen hatte, erhob und das stoppelige Kinn des Einbrechers mit einer tiefen Wunde verzierte.
Das alles konnte ich sehen, im Bruchteil von Sekunden, und das Grauen schien mich zu übermannen. Doch ich konnte meinen Schreckensvisionen nicht weiter nachgehen, denn plötzlich hörte ich hinter mir den Motor des Lieferwagens. Ich vernahm das quietschen der Reifen, als der Wagen in voller Geschwindigkeit in die enge Gasse einbog und die wütenden Schreie des Messermannes, der direkt hinter mir war.
Rechts vor mir tauchte eine dunkle Öffnung in der Mauer auf und dankbar, vielleicht doch noch eine Chance zu bekommen, sprintete ich hinein. Zu meinem Glück gehörte die Öffnung zu einem kleinen dunklen Torbogen, der in eine weitere Gasse führte.
Ich warf einen angstvollen Blick nach hinten, doch der Messertyp war verschwunden. Ich stolperte noch ein paar Schritte in die düsteren Schatten des Torbogens und blieb dann verwundert stehen.
>Der Mann war doch gerade hinter mir gewesen. Wie kann es sein, dass er auf einmal wie vom Erdboden verschluckt ist?<
Ein plötzlicher Ruck an meiner rechten Schulter riss mich aus meinen Gedanken. Ich wurde grob gepackt und tiefer in die Schatten gezerrt. Eine kalte Klinge schnitt sich schmerzhaft in meinen Hals.
Der Gangster! Jetzt war ich endgültig erledigt!
Panisch versuchte ich dem festen Griff zu entkommen und um Hilfe zu rufen. Da presste sich eine große, schwere Hand auf meine Mund und schnitt mir die Luft ab, bevor ich schreien konnte. So ertönte nur ein dumpfes „Mmpf!“.
Der Druck auf meiner Kehle verstärkte sich und ich konnte einen warmen Hauch in meinem Nacken spüren. Eine gedämpfte Stimme zischte: „Sei still, oder willst du dass wir erwischt werden?! Und mach nicht solche Zicken, ich kann dich sonst nicht festhalten!“
Merkwürdig, so eine sanfte, tiefe und warme Stimme hätte ich diesem Mörder gar nicht zugetraut. Aber das half mir jetzt auch nicht weiter.
Ich war am Ende.
Was für eine Ironie des Schicksals. Sollte ich genauso sterben wie mein Vater damals? Von den Händen eines Mörders? Ohne dass mein Leben bisher einen Sinn gehabt hätte?
Gegen meinen Willen musste ich schluchzen und fing am ganzen Körper an zu zittern.
Ich schämte mich. Ich wollte nicht wie ein hilfloses Mädchen dastehen und rumheulen,
während mein Mörder sich Gedanken machte, wie er mich am besten um die Ecke bringen könnte.
Doch genau das tat ich. Ich stand mit dem Rücken zur Wand, hinter mir ein Gangster, der mich jeden Moment töten konnte und ich fing an zu heulen; als ob ihn das interessieren würde.
Sicherlich labte er sich gerade an meiner Angst, wie ein Raubtier, das den letzten Atemzügen seines Opfers lauscht bevor es zum tödlichen Stoß ansetzt.
Der Griff wurde gelockert.
Ich war zu perplex um irgendwie zu reagieren.
Vermutlich wollte der Verbrecher mich nur in Sicherheit wiegen, sodass meine Überraschung dann größer wäre, wenn er zustieß.
Doch das tat er nicht.
Stattdessen flüsterte er mir sanft ins Ohr: „Du brauchst keine Angst haben, hier bist du sicher.“
Keine Angst? Hatte der Typ, der mich mit dem Messer bedrohte da gerade tatsächlich gesagt, ich solle KEINE ANGST haben??!!
Ich glaubte ich spinne! Ich stand kurz davor getötet zu werden und mein Mörder sagte mir, ich solle keine Angst haben!
Ein hysterisches Lachen drang mir aus der Kehle und der Griff verstärkte sich wieder und die Hand presste sich wieder fester auf meine Mund. „Hör endlich mit diesem Schwachsinn auf, oder ich muss dir wohl oder übel weh tun. Ich versuche hier, unser Leben zu retten, und du bemühst dich nach Strich und Faden, uns auffliegen zu lassen. Was denkst du dir dabei?“
Ich konnte es nicht glauben. Wovon zum Teufel REDETE dieser Kerl da hinter mir?
Ein lautes Geräusch ließ mich zusammenzucken. Auf dem kleinen Stück Straße, das ich aus meiner Zwanglage sehen konnte tauchte eine weiße Wand auf, gefolgt von einem dunklen Schatten.
Der Lieferwagen blieb stehen und der Schatten drehte sich um und zeigte in unsere Richtung: „Da muss sie langgelaufen sein. Ich kriege diese Schlampe, koste es was es wolle!“
Die Stimme war rau und kratzig und hörte sich verzerrt vor rasender Wut an.
Der Schatten rannte los.
(Der Mann hinter mir zog mich nun so fest an sich, dass ich seine angespannten Muskeln unter seiner dicken Winterjacke spüren konnte.)
Der Schatten steuerte zuerst direkt auf uns zu, doch dann schwenkte er nach rechts und rannte auf der anderen Seite des Torbogens hinaus.
Ich konnte Sirenen von der Seite des Torbogens hören, wo gerade der Typ verschwunden war, dann Schüsse, Türknallen, hastige Schritte und dann nur noch zornige Stimmen.
Der Lieferwagen auf der anderen Seite fuhr mit quietschenden Reifen an, blieb dann allerdings sofort wieder stehen, und auch dort wurden wütende Stimmen laut. Sie entfernten sich jedoch rasch.
Als auf beiden Seiten des Torbogens, unter dem der Unbekannte und ich, immer noch fast von Schatten unsichtbar gemacht, standen, die Geräusche verebbt waren, konnte ich nur noch meinen rasenden Herzschlag hören. Außer meinem Herzschlag konnte ich auch noch ein anderes Herz wild pochen hören, ganz nah hinter mir.
Mein Retter stieß mich ein Stück von der Wand fort, drehte mich um und schaute mir tief in die Augen.
„Mein Auftrag ist erledigt. Jetzt kann ich Weihnachten endlich genießen, das Fest der Liebe.“
Und mit diesen Worten küsste er mich impulsiv.