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Ein längerer Augenblick
Es regnet.
Wie früher.
Warum hat man dann so eine melancholische Stimmung?
Es ist doch nur Wasser, das auf dem Boden prasselt, mal stärker, mal weniger.
Es ist komisch.
Ihr macht der Regen nichts aus. Sie nimmt nur den Kopf ein wenig tiefer und geht gelassen weiter.
Was sie wohl denkt?
Wie oft ich mich das selbst am Anfang schon gefragt habe.
Ich kann es natürlich nicht wissen, aber erahnen.
Ich liebe sie.
Oder nein, ich habe sie lieb. Was ist der Unterschied?
Viele Leute sagen, dass sie jemanden oder etwas besonders lieben.
Stimmt das?
Wer weiß es schon.
Ich nehme an, das weniger als ein Drittel der Leute, die so etwas sagen, es nicht so meinen. Man sagt es einfach nur, um die Bindung zwischen zwei Dingen zu unterstreichen.
Aber lieben sie wirklich?
Oder mögen sie nur?
Wie weit kann Liebe sich steigern?
Kann sie sich überhaupt steigern, oder hat man nur das Gefühl, dass sie es tut?
Kann sie wirklich von Tag zu Tag, oder von Jahr zu Jahr mehr werden? Wenn sie nach zehn Jahren immer noch wächst, wie groß kann sie am Anfang dann schon gewesen sein?
In ihrem Fall scheint es bei jedem Ritt eine Steigerung zu geben.
Der Regen wird ein wenig stärker, aber er prasselt nicht, es ist eher ein angenehmes Tröpfeln.
Ich beobachte sie. Nicht zum ersten Mal, nicht zum Letzten.
Wie gut es tut, endlich Gewissheit zu haben, dass es nicht das letzte Mal sein wird, dass ich sie sehe.
Sie ist aufmerksam; und zufrieden. Ich sehe es an ihrem Gesichtsausdruck.
Ich weiß, das es nichts gibt, das ich mehr liebe.
Ich wusste es schon ,als ich sie gesehen habe. Es hat sich mehr als gelohnt, um sie zu kämpfen.
Für einen Moment überlege ich.
Liebt sie mich genauso?
Kann sie das überhaupt. Ich denke schon, aber sie wird es vermutlich anders empfinden. Wenn sie mich sieht, weiß ich, dass sie sich freut.
Vielleicht, ja vielleicht ist ihre Liebe eine Art gesteigerter Freude.
Sie freut sich auch jetzt, obwohl es regnet.
Es ist schwer zu beschreiben.
Wenn man zuviel darüber redet, macht man es kaputt.
Aber wenn man nur denkt, geht nichts verloren. Deshalb denken wir beide lieber, als zu reden.
Eigentlich bin ich diejenige von uns beiden, die redet. Sie kann es nicht. Darüber bin ich irgendwie froh, so machen wir nichts kaputt.
Ihr Schritt wird schneller.
Ich lasse ihr ihren Willen. Ihre Ohren spielen und sie scheint zu fragen, ob sie schneller laufen darf. Einzig mit meiner Körperhaltung stimme ich zu.
Ich kann selber bestimmen, wann wir beide wo sind,muss niemand anderen mehr danach fragen. Sie gehört mir.
Sie nimmt den Kopf ein Stück höher, trotz des Regens.
Dann galoppiert sie an, aus dem Wald heraus, auf das offene Feld. Ich sitze ruhig auf ihrem Rücken, bewegungslos.
Über ihrem Kopf nur der Horizont,sonst nichts.
Wir bewegen uns darauf zu, ohne Worte und ich weiß, dass sie einzigartig ist.