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Ein Moment der Stille (Neufassung)

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03.04.2005
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Ein Moment der Stille (Neufassung)

Ein Moment der Stille. Diese Stille.
Ich bereue nichts, wollte die Zeit nie missen. Ich habe dich gelebt. Du warst mein Licht und schenktest meinem Geist Frieden.
Habe ich mir mehr gewünscht?


***​

Sehkraft, gebunden in schwerer Dunkelheit versunkener Lider. Meine Besinnung schwindelt leicht. Keine Lösung, als das Licht nur grell erscheint. Horizontale, Vertikale - Achsen brechen. Ich kann dich nicht sehen. Meine Glieder verkrampfen in Schmerz, doch er hilft mir das Bewusstsein aufrecht zu erhalten. Ich versuche die blutverschmierte Kante zu greifen, die mein Ohr zerbarst, doch rutsche ab und falle zurück. Der Sturz verrückt meine Sicht. Wimpern, gerade zur Decke. Deine Augen sind offen - siehst du mich?! Kannst du mich... Sieh mich an!!
Ich muss schreien. Ich scheine zu schreien. Unter dumpfem Grollen nehme ich ganz leicht die Resonanz in meinem Hals wahr. Kein Ton. Ich fasse mir ans Ohr, ertaste einen Riss. Ich falle, falle erneut; überstrahlendes Licht jagt den Schmerz direkt ins Nervensystem, als stieße ein Speer ins Hirn.
Der ausgelöste Bildertaumel verwischt von Schönheit in Tod, es erscheint alles behaftet mit Unerträglichkeit, als klebe es vor Blut. Weiße Orchideen, brennend in braun aufgegangen oder verwelkt, Bäume, die nach Stürmen brach liegen, als Hindernisse, weite Wiesen voller Leben, verdorrt in Wüsten. Menschen ohne Augen, frei zur Einsicht in ihr hohles Inneres, halb verwest, eigentlich tot. Sonne schwingt um und zurück und weg. Hoffnung verdirbt, ohne Sonne, ohne Licht, verdirbt alles. Kannst du sehn, dich in dieser Leere, die blasse, graue Welt?

...hallo?

Ein herausgelöster Schrei unterbricht den Schock und wirft mich zurück, nicht weit genug, Richtung Rand, mit dem Kopf auf den Tisch - der Hals knickt verrenkt in die Ausgangsposition - ich schreie, schreie sie an. Wo ist der Ton? Warum sagt sie nichts, warum höre ich nicht, was sie sagt? Ihr Körper schwimmt im Bild, doch klart erneut auf, als mir ein erbebendes Schütteln die Tränen aus den Augen reißt. Die Spannung in meiner Brust kehrt zurück. Diese Kraft, die frei wird im Brand meiner Seele, in der Zucken die Mimik zur Fratze entstellt, in der der Körper statisch darbt und der Geist in schluchzender Qual über Nichts aufschreit. Ich kann deine Hand nicht fühlen.
Ich rolle mich auf den Bauch und versuche hinüber zu dir zu gelangen. Dein Vorbote gerinnt mir an den Handflächen. Blut kriecht mir entgegen und breitet sich langsam auf dem Parkett aus. Dein ganzer Körper ist gebettet in rot. Dein Fuß, ich kann ihn schon berühren. Ich muss meine ganze Kraft aufwenden, muss zu dir, muss aufhören zu schreien. Mein linker Arm ist taub. Ungehindert vom Fleisch, scheinbar mühelos durch den harten Knochen hat sich die Marmorecke ins Innere meines Hirns gerammt. Langsam quillt es gegen die Schädeldecke. Ein Gefühl von Druck. Das linke Bein erstarrt. Mein Hals trägt schwer... langsam ermüdet auch die rechte Hälfte, doch ich schaffe es, deinen zuckenden Arm zu fassen und dich umzudrehn. Dein Kopf klappt zur Seite.
Der Glanz deiner Augen ist versiegt, versiegt im Nichts. Tränen, gewandet in rot laufen über die Wangen, in den Mund. Deine Züge sind verzerrt vor Spannung, dieser Spannung.
Du bist frei. Ruhe, ruhe vor dem Geist.
Ich müsste lachen, ließe es mein Körper zu, ob des aufgerissenen Lochs in deinem Kopf. Es sitzt an eben der gleichen Stelle, wie das Meine.
Dies ist der Moment, mein Moment. Dein Tod scheint logisch. Meine Zeit vergeht mit deiner.
Sie werden uns finden. Sie würden es schwerlich begreifen, zerrieben sie nur erst unser Blut zwischen ihren Fingerkuppen und spürten den Tod. Selbst, wenn wir es erklären wollten.
Ich war nicht da. Ich konnte dir nicht helfen. Es war meine Schuld. Ich war nicht da. Du hast die Berührung meiner Hände nicht gespürt, meiner Haut, meiner Wärme.

Lass mich die zarten Linien deiner Lippen zeichnen. Ich will... ich strecke unerträglich die niedergerissene Hand aus, versuche... dein Gesicht zu errei

***​

Ich kann dir nicht folgen. Ich will dir folgen.
Du fühlst dich einsam, fehl, wo du stehst. Du kannst deinen Platz nicht ausmachen und fliehst. Vor wem? Doch nur vor dir selbst. Die Menschen, die dich zärtlich berühren, die dir Mut zusprechen im Angesicht deiner gemarterten Seele, sie sind es, die du übersiehst, entschließt du dich erst.
Ich lebe dich. Weißt du das nicht? Deine kleinen Schritte, deine zierlichen Hände, die Erfahrung, die dein kleiner Körper spricht. Der liebevolle Ausdruck deines entstellten... dein Gesicht. Dein Gesicht, ich will es zärtlich betten und befeuchten, ein nasses Tuch, und es abreiben, aber so, dass die Feinheit deiner Haut sich erhält. Willst du für mich lachen? Ich kann nicht atmen ohne Licht...
Es ist meine Schuld. Ich fiel, ich fiel doppelt, zwei gingen zu Boden.
Ich frage nicht, warum.

Schmerz pulsiert im Herzen, deines hast du ausgebreitet.


***​

Meine Augen werden weit, die Starre entlassen, die Beine in Brand gesetzt, du suchst, Hilflosigkeit schwillt in den Augen, ich springe auf, ich renne, dein Inneres schreit vor Spannung, verzieht dein Gesicht, ich renne in Hast, deine Zartheit zerreißt - der Tisch verfehlt knapp die Schläfe, versenkt den Schädel knackend ein wenig nach innen, ein watschender Stoß Blut bespritzt den Rand. Der zurückbleibende Knall hallt nur kurz und versiegt im Nichts.

Ich falle, ich falle doppelt. Zwei gehen zu Boden.


***​

Es scheint mir, als schwebe mein Verstand gen Himmel, ich versuche, ihn zu halten. Sie schluchzt, hält starr den Kopf zum Start. Ihr Blick durchdringt mich, meiner heftet an ihrer Hand. Das Gefühl ihres Schmerzes erfüllt den Raum, die Statik der Depression hat in diesem Augenblick mein Gemüt erfasst, die Beine gelähmt, ich sitze fest. Sieh das Glimmen in meinen Augen, das wohlwollende Aufblitzen eines Lächelns, fällt in Verzweiflung. Ich will dich fassen und einschließen, sodass Fühlen deinen Verstand vernebelt und erweicht. Er trägt rot und redet, redet auf dich ein. Er fühlt nicht, er verharrt in Trauer, in Melancholie. Kann er dir wirklich sagen, wer du bist? Was kann er sagen?
Hier und jetzt erscheint es uns beiden gleich, so wie es immer war; die Gedanken laufen über Kreuz und halten inne in Stille, dieser beginnenden Stille, die du erflehst; nun lösen sich deine Züge.

ich springe auf


***​

Licht, spärliches Licht, das mein Gesicht nur fahl in die Einsamkeit zurückwirft. Ich stelle mir das Zimmer vor; es muss fast romantisch anmuten, wie gedämpfte Wärme den Raum umschließt und die süße Melancholie, die, uns beiden zueigen, Gefühle von Stärke frei werden lässt, die andere Menschen in den Verfilmungen suizidal endender Dramen nur blass in sich einzuziehen versuchen. Nervosität streckt mir die Glieder von Schritt zu Schritt. Nacht umhüllt die Bäume, die Sträucher, die Menschen, die auf den Straßen wandern in Perversion. Auf langen Wiesen sollen sie laufen, auf matschigen, zerklüfteten Feldwegen, auf Asphalt. In schwarz gleicht alles der Leere, die sie, fort vom Tage, in sich tragen. Die weißen Wände umrunde ich leicht, gelange zur Schwelle, auf der ein grüner Teppich die Ungewissheit Willkommen heißt. Gerade reicht meine Hand zur Klingel; die Tür steht offen.

hier und jetzt erscheint es uns beiden gleich


***​

„Was... hallo?“
Schweigen verhüllt nicht lange den Tisch, den Stuhl, auf dem ich sitze, noch die Situation, die ins Leere greift. Du, was, wieso höre ich dich nicht? Wieso kann ich nicht hören, was du sagst? Nur die Luft, die ich keuche und halte, als lege ich mein Ohr auf die Erde.
„Ich komme.“
Das Telefon fliegt neben die Halterung, ein wilder Blick durchfährt das Zimmer, vorbei an den weißen Wänden, dem Regal mit den Büchern, dem Flur – dort bleibt er stehn. Schnell, nur schnell, raus, zum Kleiderstand.
Ich greife die Weste, zwänge mich hinein, überprüfe grob die Brieftasche und den Schlüssel durch den Stoff. Es bleibt keine Zeit, das obere Licht zu löschen, auch nicht im Zimmer.
Wo sind die Schuhe?
Die Tür fällt ins Schloss und ich flüchte hinaus.

Ich sehe noch Licht, spärliches Licht.


***​

„Ich kann das nicht mehr.“
Was soll ich dazu sagen? Lange, lange habe ich es versucht. Ich lebe dich, du weißt das. Du gibst mir Kraft.
„Ich werde sterben.“ Es durchfährt mich wie ein Schock. „Dein Gefühl hat dich getrügt.“
Von all der Vertrautheit sind wir uns doch hier am ähnlichsten. Die morbide Wirklichkeit unserer Geister, der Idealismus, den wir jeden Tag aufs Neue gebrochen sehen von Gesellschaft, Regeln, Grenzen, Unfreiheit, tritt in diesen Situationen am ehesten zu Tage, in der wir in unserer depressiven Melancholie den Tod ersehnen, um das Leben spüren zu können. „Hallo?“ Ein schmaler Grad.
Es muss ihr ewig lange weilen, seit ich etwas sagte. „Ja, ja... ich bin noch da.“
„Ich stell mir dich grad vor.“, ihre Stimme klingt resigniert, apathisch, ausgemergelt.
„wie du da so sitzt“, sie hat lange gekämpft, „an dem großen Tisch.“, mit sich selbst.
„Erinnerst du dich an das, was ich sagte?“
Ich weiß nicht genau, was sie meint, bin aber zu niedergeschlagen, um einen kraftvollen Gedanken ausführen zu können, „Nein. Ich weiß nicht. Was meinst du?“
„Über die Freiheit?“ Selbstmord. Der Weg in die Freiheit, der dich entscheiden lässt nicht wie du sein willst, sondern ob du sein willst. Deine Worte künden von einem langen beschwerlichen Weg durch die Verzweiflung, von dem du nie angenommen hast, ihn je beschreiten zu müssen, wie du meintest. „Ja.“ ,Zerrieben sie nur erst...’, ruft mein Gedächtnis. „Ich erinnere mich.“ ,Manches vergeht eben.’
Der Sinn schwingt mir ewig nach. Dein Verstand, der alles für nichtig erklärt, weil die Menschen auch nur Tiere sind, weil sie auch Fehler machen, weil Nichts perfekt sein kann und Nichts den Tod bedeutet.
Der Hörer fällt.

Wieso höre ich dich nicht?


***​

Zweisames Glück.

Ein Moment der Stille.

 

Hi Golio,

du hast mich da auf einen wichtigen Punkt aufmerksam gemacht. Es kommt im Moment noch nicht so richtig raus, warum eigentlich der Protagonist stirbt. Der Rest der Geschichte ist eigentlich einfacher konzipiert, als vorher. Auf Grund einer regen Diskussion in der ersten Fassung kam es ja erst zu dieser Neubearbeitung. Ich werde trotzdem noch einmal drüber lesen und versuchen, den von dir angebrachten Kritikpunkt zufriedenstellend zu lösen.

Grüße dir,
fallen

 

Hi,
du hast eine schöne Art, die ganzen Gefühle, den innneren Monolog und die Atmosphäre darzustellen. Manchmal aber kam es mir an ein paar Stellen etwas krampfhaft vor oder irre ich mich da?

Auf jedenfall gefiel mir inhaltlich deine Geschichte ausgesprochen gut. Sie gibt einem Gelegenheit über den Tod nachzudenken, ohne melancholisch zu werden, zumindest ist es so bei mir.
Zwar hatte sie keine "richtige" Handlungen, aber ich denke so wie du es beschrieben hast, kann man sich mehr in den Menschen hineinfühlen und seine Gedanken teilen.

Lg Mel

 

Hoi Leutz,

ich will die Gelegenheit nochmal nutzen und ausführlich zu der Geschichte Stellung beziehen, was nicht heißen soll, dass mein Kommentar lang wird.

Diese Geschichte, wie ich es bereits erwähnte, soll vom Selbstmord abhalten eben auf Grund der exzessiven Brutalität, dem "Gemetzel", was Golio ja angesprochen hat. Inhaltlich gesehen geht es um die Geschichte zweier Liebender, die die Verzweiflung auseinandertreibt. Dabei ist ganz klar : Sie bringt sich um. Doch was ist mit ihm? Ich könnte, will diese Frage aber nicht beantworten. Es ist mehr oder weniger klar und lässt sich interpretieren. Vielleicht will ich ja, dass ihr euch darüber das Hirn zermartert? ;>

Ein wichtiger Punkt, den ich beachtet sehen will, ist der Hauptaspekt der Geschichte. Er hat sich in dieser Neufassung verlagert von der absoluten Tragik des Augenblicks zu einer langwierigen Martertour des Verstandes. Psychischer Druck, der den Protagonisten erfasst. Das ganze ist idealistisch aufgebaut, es gibt viele verschiedene Symbole, Sätze, die nicht schlichtweg den Wortlaut meinen, der sie repräsentiert.

Ein weiterer wichtiger Punkt, den ich fast anmerken wollte, war, dass diese ganze Geschichte anachronistisch ist. Die einzelnen Abschnitte werden rückwäts erzählt, das ist klar. Dabei sind die in Absätzen eingefügten Schlusssätze eines jeden Textabschnitts rückbezüglich auf den vorherigen Abschnitt und verdeutlichen den grundlegenden Aspekt des chronologisch nachfolgenden Abschnitts, sodass die Geschichte schlichtweg aneinander gebaut werden könnte, indem man einfach alle Abschnitte verkehrt herum aneinanderbaut - jedoch ohne die Schlussabsätze zu verwenden.

Der Text handelt von Sorge, von Depression, von Hilflosigkeit und von unendlicher Liebe, die den Protagonisten den Tod der Freundin verstehen und akzeptieren lassen.

Was will sie? Was kann er ihr geben? Die zärtliche Berührung der Hände, des Körpers, das Ausstrahlen von Wärme. Das ist die Leere, die einen jeden ausfüllt und diese Leere ist die Kluft, als sie sich gegenüberstehen.

Es ist sehr speziell, dass ich soviel dazu sage. Ich denke, man sollte sich die zeit nehmen, über eine Geschichte länger nachzudenken. Ich packe da immer sehr viel Symbolik rein und versuche auf kurzen Abschnitten viel Sinn unterzubringen. Eigentlich möchte ich nicht zuviel dazu sagen.

Eines möchte ich aber anmerken : Die Geschichte ist im Vergleich zur ersten Version sicher einfacher geworden. ;>


Nun gut. Ich danke euch für eure bisherigen Kritiken und hoffe auf mehr Anmerkungen.

Grüße euch,
fallen


p.s.: Wo sind die Kritiker der ersten Version?

 

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