Ein Nachmittag mit Wollsocke
Sie nannten ihn Manni. Eigentlich hieß er Manfred. Und eigentlich war Manfred ein ganz normaler Typ. Morgens stand er immer pünktlich auf und abends ging er pünktlich ins Bett. Dazwischen versuchte er, die Zeit totzuschlagen.
Denn der Kiosk, den sein Vater ihm vererbt hatte brachte nichts mehr ein. Den kleinen Laden hatte er vor zwei Jahren nach Vaters Tod schließen müssen. Seitdem verbrachte er seine Tage damit, die gesamten Fernsehprogramme durch zu zappen. Barbara Salesch, Oliver Geissen und Britt waren seine täglichen Begleiter.
Manni lag auf dem Sofa. Der Fernseher lief. Dennoch hatte er das Gefühl von tiefer Unruhe. Die Sendungen begannen ihn zu langweilen. Aber etwas Besseres lief nicht. Die guten Sendungen kamen immer erst am Nachmittag, seine daily soaps. Manfreds Augenlider wurden schwer. Im Halbschlaf registrierte er noch, wie Alexander Hold den miesen Vergewaltiger für die nächsten fünf Jahre einbuchtete. Seine Wurstfinger erschlafften und die Fernbedienung fiel ihm aus der Hand. Großmutter saß auf der Couch und strickte. Manni saß mit weit aufgerissenen Augen daneben. Fasziniert sah er zu, wie Masche für Masche ein Muster entstand. Großmutter schaute auf und sagte: „Damit deine Füße nicht frieren.“ Sie lächelte. Der Mund wurde immer breiter. Eine Socke wuchs aus Großmutters Mund. „Damit du es warm hast“, nuschelte sie. Manni schrak auf.
„Ernestine liebt ihren Mann nicht mehr und will sich von ihm trennen.“ Die Worte aus dem Fernseher nahm er kaum wahr. Warum träumte er von Großmutter? Sie war schon seit Jahren tot. Er setzte sich auf. „Du Arschloch!“, ertönte es aus dem Fernseher. Manni konnte sich nur mit großer Anstrengung ein Bild vor Augen rufen, wie Großmutter ausgesehen hatte. Sie hatte ein weiches Gesicht, eingerahmt von silbrig glänzenden Locken, die Manni schon damals so fasziniert hatten. Aber eigentlich konnte er sich nur noch so richtig an ihren Geruch erinnern, den würde er nie vergessen. Sie verströmte einen Duft von getrockneten Feigen vermischt mit einem Hauch Kölnisch Wasser. Immer wenn Manni weinte drückte sie ihn an ihre Brust, die sich anfühlte wie eine halbvolle Wärmflasche. Und dann war da dieser beruhigende Geruch. „Jackie, der Vaterschaftstest hat mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,999 Prozent ergeben…“, rief Britt. Manni stand auf. Irgendwo musste doch noch ein Foto von Großmutter zu finden sein. Er durchwühlte seine Kisten, in denen er alte Fotos aufbewahrte. Fotos aus Urlauben mit seinen Eltern, als er noch ein Kind gewesen war. Ein wehmütiges Gefühl stieg in ihm auf. Vater und Mutter, beide waren nicht mehr da. Aus seinem Leben verschwunden. Doch wo war dieses Bild von Großmutter? Die Suche lohnte sich. Nach einer Weile hielt er das Foto in den Händen. Großmutter, die auf dem alten Sofa saß und eine Socke strickte. Ein Lächeln machte sich auf Mannis Gesicht breit. „Großmutter“, sagte er liebevoll.
„Du altes Machoschwein“, tönte es aus dem Fernseher. Manni schaltete den Apparillo aus, obwohl in fünf Minuten Verbotene Liebe anfing. Er musste sich setzen, die Erinnerungen drückten ihm schwer auf das Herz. Wäre Oma noch am leben, wäre bestimmt alles anders gelaufen, da war sich Manni sicher. Mit wässrigen Augen und zittrigen Fingern suchte er weiter in den Kisten. Er wusste gar nicht genau, was er suchte. Warum hatte er nicht schon längst die Fotos sortiert und sie ordentlich in Alben eingeklebt? Alle seine Erinnerungen waren lieblos in diesen großen Kisten verstaut.
Während er wühlte schweiften seine Gedanken ab. Vater, der lallend auf dem Sofa saß und seine Mutter anbrüllte: „Du Schlampe! Vögelst wohl alles, was dir in die Quere kommt.“ Dann Omas warme Stimme: „ Lass gut sein, Ernst“. Plötzlich hielt Manni inne. Er fühlte etwas Weiches in seinen Händen. Seine Finger erstarrten. Ein seltsames Gefühl nahm von seinem Körper Besitz. Ohne einen Blick in die Kiste zu werfen zog er seine Hand zurück. Er zwang sich, die Glotze wieder anzuschalten. Normalerweise hätte er sich brennend dafür interessiert, ob Mona jetzt wirklich mit ihrem Stiefvater ein Verhältnis anfangen würde. Aber heute konnte er sich nicht wirklich auf die Sendung einlassen. Immer wieder lenkten sich seine Blicke auf die Kisten mit dem verheißungsvollen Inhalt. „Wenn du mich wirklich liebst, dann würdest du mich verstehen.“ Der attraktive Mann auf der Mattscheibe flehte verzweifelt sein Gegenüber an.
Sein ganzer Körper kribbelte. Dieses konnte kaum an der „Tena“-Werbung liegen, die im Fernseher ein glückliches Leben für inkontinente Frauen über 40 verhieß. Langsam schaute er hinab um den Inhalt in seinen Händen zu begutachten. In den Händen hielt er eine wollene grüne Socke. Ein Glücksgefühl durchfuhr ihn. Erst dieser Traum und dann diese Socke, was hatte das zu bedeuten? Versuchte Großmutter, Kontakt mit ihm aufzunehmen? Er hatte so etwas schon einmal auf Neun Live gesehen, so etwas war möglich. Manni versuchte, ganz tief in sich hinein zu hören. Vielleicht würde er so eine Antwort finden. Doch eine Antwort blieb aus. Manni roch an dem Socken. Da war noch eine Spur von Feige. Seine Finger spannten sich fester um den Strumpf. Das wohlige Kribbeln verstärkte sich. „Oma“, flüsterte er zärtlich, „Ich vermisse dich.“
Wieder dieses Bild: Vater, der Mutter anschreit. Großmutter, die daneben steht und versucht, Frieden zu stiften. „Wir dürfen niemandem von unserer Liebe erzählen“, tönt es aus dem Fernseher. Manni strich liebevoll über die Socke. Sie fühlte sich so weich an. Er konnte es nicht lassen, die Socke in seinen Händen hin und her zu kneten. Er sog dessen kaum vorhandenen Duft tief ein. Er atmete aus und wieder ein, begleitet von einem rasselnden Geräusch aus seiner Kehle. „Kaufen Sie! Und wenn sie jetzt anrufen erhalten sie einen tollen Handwärmer gratis“, lachte der Synchronsprecher der amerikanischen Verkaufssendung. Manni hörte es nicht mehr. Längst war seine Erregung sichtbar geworden. Seine Hose konnte nicht mehr zurückhalten, was sich 35 Jahre lang angestaut hatte.
Dieses Mal schaute keiner zu, dieses Mal war er alleine. Keiner, der ihn ertappen konnte. Er stöhnte auf. Seine Erregung steigerte sich. Manni konnte sich kaum zurückhalten. Die Socke hielt er röchelnd in den Händen. Langsam, ohne dass er es bewusst registrierte, öffnete Manni seine Hose und holte seinen erigierten Penis hervor. Seufzend umfasste er ihn. Mit der anderen Hand streifte er sanft die Wollsocke über sein aufgerichtetes Geschlecht. Seltsam, dieses Gefühl erinnerte ihn undeutlich an seine Kindheit. Es war sein Geburtstag, sein fünfter Geburtstag. Oma hatte ihn warm angeblickt und ihm ein Geschenk überreicht. Dann brach die Erinnerung ab.
„Die Zahl der erwerbslosen Menschen in Deutschland nimmt zu. Eine Hoffnung auf Besserung gibt es laut Finanzminister Hans Eichel in den nächsten Monaten nicht“, ließ Ulrich Wickert verkünden. Manfred ließ sich durch diese Hiobsbotschaft nicht beirren. Seine Hand glitt im Rhythmus der Erkennungsmelodie von „Wetten dass…“ über sein sockenbedecktes Glied. Obwohl der Takt der Melodie im TV gleich blieb wurde Manni immer ungehaltener und rubbelte so schnell, dass sich Fasern des liebevoll gestrickten Strumpfes lösten. Da waren sie wieder, die Erinnerungen. Wie Großmutter ihm zärtlich das Geschenk, die Wollsocken, über die kalten Füße zog. Manni war heiß. Er stöhnte und ejakulierte in die wollene Socke.
„Wette gewonnen“, rief Thomas Gottschalk lautstark.