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Ein regnerischer Tag
Als ich heute Morgen aufgewacht war, hatte es geregnet. Ich hatte eine Weile zugehört, wie die Regentropfen gegen mein Fenster prasselten. In meinem Körper war eine wohlige Wärme aufgestiegen, die mich müde gemacht hatte, sodass ich wieder eingeschlafen war.
Inzwischen ist es Nachmittag geworden. Ich sitze unten an der Bar und starre durch das kleine Fester auf das Bürogebäude gegenüber. Der Regen hat schwarze Flecken auf der grauen Hauswand hinterlassen.
Welcher Tag ist heute? Ich denke angestrengt nach, doch es fällt mir nicht ein. Ein Tag gleicht dem anderen, jede Woche ist wie die zuvor. Manchmal vergesse ich sogar, ob gerade Sommer oder Winter ist.
Da kommt Sandy gerade aus der Küche.
„Sandy, welcher Wochentag ist heute?“, frage ich sie.
„Heute ist Sonntag, Schätzchen“, antwortet sie und geht hinauf in den ersten Stock. Sonntag ist ein guter Tag fürs Geschäft. Nach dem Kirchgang und dem Sonntagsessen mit der Familie strömen die Kunden in Scharen herein. Ihren Frauen erzählen sie, sie würden sich mit ihren Freunden im Gasthaus treffen um Karten zu spielen. Zum Teil ist das sogar wahr. Die meisten Kunden sind Stammkunden, jeder kennt hier jeden. Sie spielen auch wirklich oft Karten miteinander, wenn gerade keines der Mädchen frei ist.
Plötzlich spüre ich eine Hand auf meiner Schulter. Ich zucke zusammen. Als ich mich umdrehe, sehe ich Charlie, den Chef, hinter mir stehen.
„Mein Gott, hast du mich erschreckt! Ich hab gar nicht gesehen, dass du hereingekommen bist!“, sage ich mit zittriger Stimme.
„Hast wohl wieder herum philosophiert, was? Dafür hast du aber jetzt keine Zeit mehr, wir öffnen in einer halben Stunde!“, entgegnet er mir leicht gereizt.
Ich nicke und lasse mich vom Barhocker gleiten. Meine Beine zittern und ich verspüre eine leichte Übelkeit. Ich brauche dringend einen Schuss. Die Zeit reicht nicht mehr, um zu Tom zu fahren. Vielleicht hat Monique ein wenig Stoff für mich? Ich gebe ihr ja auch immer etwas, wenn sie gerade auf dem Trockenen sitzt.
Langsam gehe ich die Treppe hinauf in den ersten Stock, wo die Privaträume der Mädchen liegen. Mir schwindelt, und ich muss mich am Geländer abstützen um nicht umzufallen. Ich klopfe vorsichtig an Moniques Tür.
„Was ist?“, höre ich Monique rufen.
„Hast du ein wenig Stoff für mich? Ich hab keine Zeit mehr um zu Tom zu fahren!“, antworte ich.
„Komm herein!“, ruft sie.
„Ich hab leider nur Koks da“, sagt sie, nachdem ich mich auf ihr Bett gesetzt habe.
„Das ist besser als nichts“, murmele ich und versuche, meinen Mund zu einem Lächeln zu verziehen.
Zwei Lines später fühle ich mich ein wenig besser. Ich gehe wieder nach unten, immer noch mit wackeligen Knien. Wenigstens ist das Übelkeitsgefühl verschwunden. An der Bar warten schon einige Kunden. Charlie zieht mich gleich zur Seite, als er mich sieht.
„Chantal, Meier hat schon wieder nach dir gefragt! Sei nett zu ihm!“, flüstert er mir zu.
Ich hasse Meier. Er ist ein Schwein. Er schlägt mich immer, bevor er mich fickt. Immerhin ist er großzügig. Ich laufe zu Meier hinüber und trinke ein paar Gläser Sekt mit ihm.
Dann gehen wir in eine der Lounges. Ich muss mich ausziehen, mich auf den Boden knien und den Kopf senken. Meier beschimpft mich. Er nennt mich eine „Sauhure“ und den „Abschaum der Menschheit“. Danach schlägt er mich. Er schlägt mich nie ins Gesicht- Charlie hat ihm das verboten. „Die Kunden sollen nicht gleich beim ersten Anblick der Nutten verschreckt werden“, hat Charlie Meier erklärt. Also gibt Meier mir meist einen Stoß in die Rippen und prügelt auf meinen Rücken ein. Manchmal tritt er mich auch. Dann wirft er mich aufs Bett und fickt mich schnell und brutal. Nachdem er gekommen ist, lässt er sich in die Kissen zurücksinken. Er beginnt zu heulen. Zwischen seinen Schluchzern presst er Entschuldigungen hervor. Immer wieder erklärt er mir, wie Leid es ihm tue. Sobald er sich beruhigt hat, zieht er sich wieder an, legt das Geld auf den Tisch (es reicht meistens für eine Tagesration Heroin) und verabschiedet sich mit den Worten: „Dann bis nächste Woche“.
Ich bleibe noch eine Weile liegen und starre auf die Decke. Ich versuche, alles zu vergessen, an nichts zu denken.
Dann stehe ich auf und gehe an die Bar. Ich gebe Charlie seinen Anteil und erkläre, dass ich wegmüsse.
„Jetzt nicht, Chantal! Du siehst doch, dass der Laden gerammelt voll ist!“, sagt er genervt.
„Charlie, bitte! Ich brauch einen Schuss! In einer Stunde bin ich wieder da!“, bettele ich.
„Du hast erst Pause, wenn alle Kunden bedient sind! Das weißt du doch! Wenn dir das nicht passt, dann kannst du auch auf den Straßenstrich gehen!“, brüllt er.
„Ja, Chef, ich weiß“, flüstere ich und gehe wieder an die Arbeit. Ich bediene noch zwei, drei Kunden und laufe dann hoch in Moniques Zimmer um mir noch eine Line zu ziehen. Ein paar Minuten später geht es mir etwas besser. Meine Beine zittern nicht mehr. Aber ich weiß, dass ich es nicht mehr lange ohne Heroin aushalten kann. Ein paar der Mädchen hier behaupten, sie seien sauber. Aber das ist Blödsinn. Ohne Stoff erträgt man diesen Job nicht. Meistens ist der Stoff auch Schuld daran, dass man diesen Job überhaupt hat. Zumindest bei mir war es so.
Heute muss ich noch lange warten, bis ich zu meinem Schuss komme. Zwischendurch laufe ich immer wieder in Moniques Zimmer um ein wenig Koks zu schnupfen. Trotzdem wird die Gier nach Heroin immer stärker.
Ich habe noch sehr viele Kunden an diesem Tag. Irgendwann höre ich auf zu zählen. Ich schließe einfach die Augen und denke an früher. Ich denke an meine Mutter, die mir immer mit der Hand über die Haare strich und mich „Mäuschen“ nannte. Ich denke an meine Freundin Pia, mit der ich im Sommer im Garten Ball spielte und im Winter Schneemänner baute. Ich denke an meinen kleinen Bruder, der wohl inzwischen seine Ausbildung abgeschlossen hat.
Irgendwann kommt Charlie zu mir und sagt, ich könne Pause machen. Ich stehe vom Bett auf, muss mich aber gleich wieder setzen, weil mir schwarz vor Augen wird. Charlie holt Monique, die mir aufhilft und ein Taxi für mich ruft.
Monique begleitet mich nach draußen. „Nicht mehr lange, dann bist du bei Tom“, sagt sie und fährt mit der Hand sanft über meinen Rücken.
Vor der Eingangstür hat der Regen eine Pfütze hinterlassen. Ich verspüre große Lust, hineinzuspringen, so, wie ich es als Kind oft gemacht habe. Doch ich finde keine Gelegenheit mehr dazu. Das Taxi kommt gerade.