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Ein Schauspiel im Regen

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14.12.2002
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Ein Schauspiel im Regen

Ein Schauspiel im Regen


Ich tastete nach der warmen Hand neben mir und streichelte seine Finger ohne die Augen zu öffnen. Es war vermutlich noch sehr früh. Ich blinzelte auf meine Armbanduhr: 6.00 morgens.
Es regnete, draußen konnte man kaum etwas erkennen außer den Tropfen, die die Scheiben herunterliefen. Das Geräusch des Regens hatte keine Chance mich zu beruhigen.
Ich hatte noch ein wenig Zeit, ein paar Minuten, wenn auch Ruhelose. Mit geschlossenen Augen konzentrierte ich mich auf seinen ruhigen Atem und den Regen im Hintergrund. Nur noch ein wenig länger, ein kurzer Augenblick. Ich setzte mich halb auf, legte meine Hand auf seine Brust und küsste seinen schlafenden Mund. Dass ich damit viel riskierte, wusste ich. Ein Kuss konnte ein Ende bedeuten, ein Aufwachen, ein Festhalten und dann unvermeidlich den Kampf.
Leise schlich ich mich aus dem Bett um mich im Halbdunkeln anzuziehen. Mein linker Schuh war absolut unauffindbar und so entschied ich mich nach einigen Minuten nervösen Suchens barfuß zu fliehen. Ich wusste meine Gedanken und Gefühle waren vollkommen destruktiv, unvernünftig, vielleicht sogar verrückt.
Aber gehen musste ich trotzdem.
„Adieu“, flüsterte ich und warf ihm einen letzten Blick. Als ich die Tür leise hinter mir schloss, schlief er noch immer.

Die kalte Morgenluft klärte meinen Kopf ein wenig. Die Straßen schienen einsam und verlassen. Meine Füße wurden augenblicklich kalt, aber ich mochte das platschende Geräusch beim Laufen.
Ich dachte an ihn, wie er noch schlafend in seinem Bett liegen würde, ruhig und tief atmend. Ich dachte daran wie er im Halbschlaf nach mir tasten würde nur um festzustellen das ich fort war, nicht bleiben konnte. Weil ich niemals bleiben konnte.
Ich war fast überrascht, als eine Träne meine Wange herunterrollte. Vielleicht nur der Regen. Vielleicht liebte ich ihn auch. Vielleicht.


Trotz meiner der sinnlosen Flucht, die ich immer wieder antrat und diesem seltsamen Gefühl von Angst fand ich es schön, durch die verregneten Straßen zu laufen, dem Geräusch meiner Füße zu lauschen und zuzusehen, wie die Stadt nach und nach erwachte.
Ich wusste, dass es so nicht weiter gehen konnte. Ich war in meinem Leben an einem Punkt angelangt der einen Ausweg verlangte, eine Möglichkeit außer der Flucht. Aber der Moment war zu schön, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen.

Die Musik nahm ich anfangs gar nicht war, oder ich hielt sie für einen Teil meiner Phantasie, der Soundtrack zu meinen Gedanken. Erst als ich den jungen Mann auf der Brücke sah, neben sich ein kleines Radio, wurde sie mir direkt bewusst. Es war eine sehr alte Version von Louis Armstrong, Somewhere over the rainbow.
Der Song passte zu dem Wetter, dem Regen und der kämpfende Sonnenschein zwischen den Wolken.
Vielleicht war das der Grund, weshalb ich ihn ansprach.
Ich flüsterte „Hallo“, eine aufdringliche Begrüßung hätte den Moment zerstört.
Er war groß und schlaksig, längere dunkelbraune Haare, nur seine Augen konnte ich nicht erkennen, weil er auf das Wasser schaute.
Er drehte sich auch nicht um, als ich mein „Hallo“ wiederholte, etwas lauter und fragender. Nachdem er immer noch nicht reagierte, stellte ich mich neben ihn und schaute ebenfalls von der Brücke herab auf das Wasser.
Ich zuckte etwas zusammen als er doch anfing zu sprechen „Sie werden der letzte Mensch sein, mit dem ich reden, wissen Sie das?“ Seine Stimme klang rau, aber angenehm. Er war offenbar Franzose denn die Betonung legte er wie im Französischem, eine Spannung lag hinter den Worten, so als wäre jeder Satz ein kleines Geheimnis. Ich liebte diese Art von Accent, und hatte mir unzählige französische Filme angesehen, ohne ein Wort zu verstehen, nur um den Stimmen zu lauschen.
„Das ist doch klischeehaft“, antwortete ich. „Junger Mann auf Brücke, kurz davor sich in die Tiefe zu stürzen.“ Ich lächelte etwas, obwohl ich wusste, dass ich mich auf sehr dünnes Eis begab.
Erst jetzt sah er auf, sehr dunkle braune Augen, und hob die Augenbrauen. „Ich werde nicht gleich von der Brücke springen. Hier sehen sie, das sind die Tabletten, todsicher.“
Er zeigte mir eine weiße Packung mit vielen kleinen Pillen. „Mit denen im Blut werde ich nie wieder auftauchen.“ Dramatisch drehte er sich wieder zum Wasser. Ich musste ungewollt lächeln.
„Und Sie? Ist es nicht etwas kalt und unbequem für einen Spaziergang so früh am Morgen?“ Er sah an mir herunter, auf meine nackten Füße, die mitten in einer Pfütze standen.
Mein Lächeln verschwand augenblicklich. „Ich brauche nur etwas Zeit für mich.“ Er hob noch einmal seine Augenbrauen, offenbar sehr ungläubig. Ich fühlte mich ertappt.
„Gut, ich bin geflohen. Ich konnte nicht eine Minute länger bleiben und hatte keine Zeit, meine Schuhe zu finden.“
„Geflohen...“, wiederholte er murmelnd. „Vor einem Mann?“
„Vor dem Aufwachen mit einem Mann“, berichtigte ich ihn. Er nickte scheinbar verständlich. „Also ist er ein schlechter Mensch?“
„Nein“, entgegnete ich hastig.
„Dann mögen Sie ihn einfach nicht, aber er mag Sie?“
„Nein“, grummelte ich. „Ich mag ihn sehr.“
„Dann verstehe ich ihr Problem nicht“, entgegnete er trotzig und schüttelte um das zu unterstreichen den Kopf.
„Ja, das hatte ich auch nicht erwartet“, antwortete ich genauso trotzig. „Ich habe einfach Angst. Aber das müssen Sie nicht versteht. Sagen Sie mir lieber, Angst sei normal oder ich solle einfach auf den Richtigen warten und dann geht das vorüber.“
Ich wurde wirklich trotzig, obwohl ich es anfangs nur spielen wollte. Ich hatte längst aufgeben, verstanden zu werden.
Er antwortete nichts mehr, sondern schüttelte nur weiter den Kopf, was mich etwas wütend machte.
„Was ist denn mit Ihnen, hm? Ich springe zumindest nicht gleich von der Brücke.“
Im gleichem Moment tat mir der Satz leid, denn er guckte unglaublich betrübt.
„Selbstmord ist nur ein Weg, den man gehen kann. Ich könnte bleiben, aber da bleibt nicht viel. Keine Arbeit, keine Möglichkeiten, aus und vorbei, da verabschiede ich mich lieber frühzeitig.“
Ich dachte kurz darüber nach. „Kennen Sie diesen Satz nicht? Nimm immer den Weg, der dir weitere Wege öffnet? Wenn Sie jetzt entscheiden zu springen, haben Sie keine anderen Entscheidungen mehr offen. Springen Sie nicht, könnten Sie leben und immer noch springen.“
„Sie fliehen“, entgegnete er, nur halb überzeugt, „das ist nun auch nicht das Richtige. Obwohl Sie sich wahrscheinlich Tausend Wege damit offen halten.“ Er wartete kurz ab, dann strahlte er plötzlich, richtete sich auf und rief geradezu enthusiastisch: „Lass uns die Rollen tauschen. Ich bin Sie und Sie sind ich.“
Ich lächelte erst unsicher. Dann zog ich meine Mundwinkel nach unten, sah auf das Wasser und murmelte theatralisch „Das Leben ist so tragisch. Ich sollte lieber springen, als mit Ihnen hier zu plaudern.“
Er runzelte die Stirn und antwortete mit einer lächerlich hohen Stimme „Oh mein Gott, ich liebe ihn, aber lieber renne ich weg, sonst entgeht mir noch eine andere Chance“
Ich versuchte stumpf und unbeeindruckt zu gucken. „Gib mir die Pillen, und spreche deine letzten Worte“ Meine Stimme schwankte, weil ich versuchte, das Lachen zu unterdrücken.
„Oh“, kreischte er, „ich sollte auch gleich welche nehmen, weil ich ihn so liebe, und er mich auch, wie fuuuurchtbar!“
Plötzlich konnte ich das Lachen nicht mehr zurückhalten, ich stand barfuß in der Pfütze, im Hintergrund Louis Armstrong und ich konnte mich nicht mehr halten vor Lachen. Er fiel mit ein, ein tiefes gurgelndes Lachen, was mich an meinen Vater erinnerte, wenn man ihn kitzelte, bevor er verschwand. „Sie sollten Schauspieler werden“ schluchzte ich unter Lachtränen. „Oder Schriftsteller. Oder Clown.“ „Ja!“, lachte er, wurde dann plötzlich ernst und fügte hinzu „Und Sie sollten zurückgehen.“ Ich wischte mir die Tränen von der Wange, umarmte ihn mit einem unglaublich befreiendem Gefühl und wir beide verließen die Brücke. Er mit seinem Radio auf seine Seite und ich in die Richtung, von der ich gekommen war.

Die Sonne hatte sich komplett durch die Wolken gekämpft als ich zurück zu seiner Wohnung ging. Ich zog mich leise aus und legte mich vorsichtig neben ihn, meine kalten Hände auf seiner warmen, gleichmäßig atmenden Brust. Ich küsste ihn und er öffnete etwas die Augen. „Guten Morgen“, wisperte ich. Er lächelte.

 

Nun, die Idee, die in der Geschichte steckt, die hat was.
Du schreibst flüssig, es liest sich leicht. Von da her hat mir die Geschichte gut gefallen.
Jetzt kommt das Aber. ;)

Der Meinungsumschwung der beiden auf der Brücke kommt zu schnell. Einen solchen Sinneswandel kann ich nicht nachvollziehen und damit auch nicht glauben.

Fanny schrieb:
Die kalte Morgenluft klärte meinen Kopf ein wenig. Die Straßen schienen einsam und verlassen. Meine Füße wurden augenblicklich kalt,
Füße wurden kalt ... klingt gar nicht gut. Außerdem ist zuviel kalt zu kurz hintereinander.

 

Tag Fanny,

insgesamt eine nette Geschichte, die Szene, als die beiden sich gegenseitig nachspielen fand ich witzig und hätte für meinen Geschmack noch etwas länger sein dürfen.
Ob das realistisch ist, wage ich zu bezweifeln – ich kann mir nur schwer vorstellen, dass jemand, der sich gerade umbringen möchte, der Sinn nach Theaterspielen steht.
Vielleicht hätte ich mir auch noch mehr Hintergründe gewünscht, z. B. warum deine Protagonisten solche Bindungsangst hat und welche Beziehung sie überhaupt zu dem Typ hat, vor dem sie wegrennt. Anfangs klingt nämlich alles nach einem One-Night-Stand – ich war richtig überrascht, dass es nicht so war. In diesem Fall solltest du aber mehr über die Beziehung der beiden schreiben, denn sonst wirkt es auch komisch, warum der Mann sich immer wieder auf sie einlässt, wenn er doch weiß, dass sie in der Früh abhaut. Und warum hat sie überhaupt den Schlüssel zu der Wohnung, in der er lebt?
Na ja, du siehst, es gibt noch ein paar Ungereimtheiten in deiner Geschichte, die du ausräumen solltest.


Es regnete, draußen konnte man kaum etwas erkennen außer den Tropfen, die die Scheiben herunterliefen.

Etwas holprig, vielleicht könntest du hier eine andere Formulierung finden und so auch das „die die“ verhindern.

Ich wusste meine Gedanken und Gefühle waren vollkommen destruktiv, unvernünftig, vielleicht sogar verrückt.

Ich wusste, (Komma)
Nach Ich meine, Ich denke, Ich finde ... steht immer ein Komma.

„Adieu“, flüsterte ich und warf ihm einen letzten Blick.

Hier fehlt ein Wort.

Die Straßen schienen einsam und verlassen.

Wieso „schienen“ – sind sie es oder nicht?

Ich dachte daran wie er im Halbschlaf nach mir tasten würde nur um festzustellen das ich fort war, nicht bleiben konnte.

Ich dachte daran, (Komma)
festzustellen, (Komma) dass (Wenn du „das“ nicht durch die Wörter dieses, welches oder jenes ersetzen kannst, dann wird es mit zwei s geschrieben.)

Ich war in meinem Leben an einem Punkt angelangt der einen Ausweg verlangte, eine Möglichkeit außer der Flucht.

angelangt, (Komma) der

Die Musik nahm ich anfangs gar nicht war, oder ich hielt sie für einen Teil meiner Phantasie, der Soundtrack zu meinen Gedanken.

wahr
- außerdem muss es „den Soundtrack zu meinen Gedanken“ heißen

Er war groß und schlaksig, längere dunkelbraune Haare, nur seine Augen konnte ich nicht erkennen, weil er auf das Wasser schaute.

Hier fehlen auch Worte z. B. „... schlaksig und hatte längere dunkelbraune Haare. Nur seine Augen blieben mir verborgen, weil er auf das Wasser schaute.“

Ich zuckte etwas zusammen als er doch anfing zu sprechen „Sie werden der letzte Mensch sein, mit dem ich reden, wissen Sie das?“

... zusammen, (Komma) als.... (Vor als steht in den meisten Fällen ein Komma)

Seine Stimme klang rau, aber angenehm.

Etwas seltsam, dass sie sich nach dem vorherigen Satz über den Klang seiner Stimme und dem Akzent Gedanken macht. Normalerweise hätte man doch in einem solchen Augenblick andere Gedanken.

Er war offenbar Franzose denn die Betonung legte er wie im Französischem, eine Spannung lag hinter den Worten, so als wäre jeder Satz ein kleines Geheimnis.

...Franzose, denn

Ich wischte mir die Tränen von der Wange, umarmte ihn mit einem unglaublich befreiendem Gefühl und wir beide verließen die Brücke.

befreienden

Liebe Grüße, Bella

 

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