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Ein Schritt nach draußen

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10.09.2007
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Ein Schritt nach draußen

Als Dominik noch einmal zuschlagen wollte, packte man ihn am Kragen und schob ihn in Richtung Ausgang. Einige Kneipengäste applaudierten. Jemand brüllte: „Richtig so, der Penner kann draußen weitermachen.“ Er erhielt einen Stoß, der ihn durch die geöffnete Tür in den Schnee stolpern ließ. Einen Moment lang stand er unschlüssig auf dem Gehweg. Dann schrie er: „Komm raus, du Arschloch, ich hau dich weg!“ Als keine Reaktion kam, riss er die Tür auf. Schwaden von Rauch und Musik kamen ihm entgegen, aber schon war der Typ wieder da und schlug ihm auf die Nase. Es blitzte kurz auf vor Dominiks Augen und Blut lief in seinen Mund. Die Tür krachte zu.

Langsam drehte er sich um und stapfte den Gehweg hinunter. Ein Fahrrad stand an einer Laterne, in deren Licht die Schneeflocken wirbelten. Dominik trat zu, so fest er konnte. Vor seinem Haus schmiss er einen Zeitungsautomaten um, bevor er endlich durch den kalten Hinterhof zu seiner Wohnung marschierte.

Er warf seine Jacke auf den Boden und ging in die Küche. Im Kühlschrank schimmelten Salami, Käse und Butter neben zwei Flaschen Bier. An der Tischkante schlug er den Kronkorken ab und setzte sich in der Dunkelheit ans Fenster. Mit Küchenrolle kratzte er das getrocknete Blut aus dem Gesicht. Wenn er richtig getroffen hätte, wäre das übel für dieses Schwein ausgegangen. Er hielt sich die kühle Flasche an die Nase und grübelte.

Plötzlich weckte ihn ein heller Lichtschein. Und da sah Dominik mitten in der Nacht direkt in die hell erleuchtete Küche seiner Nachbarin hinein. Sie war völlig nackt. Mit hochgezogenen Augenbrauen nahm er einen Schluck Bier. Sie war tatsächlich komplett entblößt. Er musterte sie und fand, dass sie nicht schlecht aussah. Ob sie ihn hier in der Dunkelheit sehen konnte? In ihrem Wohnzimmer brannte hinter vorgezogenen Gardinen Licht. Wahrscheinlich war ein Typ da und sie hatten gerade gebumst. Sie kam näher ans Fenster und kramte in einer Schublade herum. So sah er ihre Brüste von der Seite. Sie gefielen ihm. Schließlich verließ sie die Küche, um hinter vorgezogene Gardinen zu verschwinden. Das Licht ließ sie brennen. Dominik saß noch eine Weile mit seinem Bier da, aber sie kam nicht zurück. Merkwürdig, dachte er und ging schlafen.

Am nächsten Tag verließ er mit Kopfschmerzen das Haus und kam mit Kopfschmerzen zurück. In seiner Stirn pochte der graue Himmel und er wollte sich einfach nur hinlegen. Als er vor dem Briefkasten im Hausflur die Einkäufe absetzte, öffnete sich die Tür zum Innenhof. Die Nachbarin kam in einem dunklen Wintermantel herein, auf den ihre braunen Locken fielen. Er schluckte. Es war sie, eindeutig. Sie ging direkt auf ihn zu, sah kurz auf und lächelte. Er versuchte zurückzulächeln. Während sie ihre Post durchsah, stopfte er die Werbung zurück in den Briefkasten. Dabei warf er einen schnellen Blick auf ihr Namensschild. Susanne Klinge. Als er durch den Innenhof ging, dachte er über die Situation nach. Hatte sie ihn erkannt? Schon möglich. Vielleicht hatte sie ihn sogar abgepasst. Er warf die Tür hinter sich zu und legte sich ins Bett.

Der Tag zog vorbei. Er trank eine Flasche Wein, sah eine DVD und schlief lange. Ein Klingeln weckte ihn. Sofort sprang er auf und dachte: Susanne Klinge. Er wankte in den Flur zur Tür. Der Postmann. Ob er ein Päckchen annehmen könne. Als er unterschrieb, erschrak er: Es war für sie. Er setzte sich in die Küche. Es war groß wie ein Schuhkarton und sehr leicht. Er schüttelte es und meinte, ein leises Rascheln zu hören. Kein Absender, nur ihr Name und ihre Adresse. In ihrem Fenster war kein Licht. Daran änderte sich auch nichts, als es Abend wurde.

Noch einmal sah er sich das Paket an. Vielleicht könnte er das Klebeband abmachen, hineinschauen und neues darüber kleben. Im Küchenschrank fand er zwischen Bindfäden, Zetteln und Gummibändern tatsächlich Tesa, das die selbe Farbe hatte. Als er es gerade ablösen wollte, kam ihm ein Gedanke. Sie hatte ja eine Benachrichtigung bekommen. Was, wenn sie genau in dem Moment hierher käme? Wenn sie sähe, dass hier Licht brannte? Er könnte ja nicht so tun, als sei er nicht zuhause.
Er blickte an sich herab. Auf diesen Moment wäre er denkbar schlecht vorbereitet. Zu seinem Unterhemd trug er eine Baumwoll-Trainingshose mit Farbflecken vom Anstreichen, löchrige graue Socken und Badelatschen. Wie würde das aussehen! Schon vor den Briefkästen hatte er mit Alkoholfahne und nach Kneipe stinkenden Klamotten keine gute Figur gemacht. Irgendwann würde sie klingeln – auf diesen Moment musste er vorbereitet sein. Er ging ins Badezimmer. Während er Wasser in die Wanne einließ, schnitt er sich seit langer Zeit wieder einmal die Nägel. Er kratzte sich im Gesicht, blickte in den fast blinden Spiegel und beschloss, sich zu rasieren. Dann betastete er seinen Bauch. „Könnte mal wieder ein paar Runden laufen,“ murmelte er. In der Küche blickte er in ihr dunkles Fenster. Sie war nicht da.

Dominik ging an diesem Abend noch weg und wankte spät nach Hause. Knappe dreißig Euro hatte er am Spielautomaten verloren. Bis Ende des Monats musste er nun mit dem Geld aufpassen. Vielleicht würde er wieder ein paar Stunden Kisten schleppen müssen. Als er in den Innenhof kam, brannte Licht in ihrem Fenster. Einen Moment lang blieb er stehen und schlich dann in ihren Seitenflügel. Im Treppenhaus war es ruhig. Er lauschte im Dunkeln an ihrer Tür. Vorsichtig strich er mit der Hand über den hölzernen Rahmen. Im oberen Stockwerk knackte es. Schnell huschte er die Treppe hinunter. Wieder in seiner Wohnung, stellte er sich ans Fenster. Sie erschien nicht, bis er irgendwann zu müde wurde und ins Bett fiel.

Am nächsten Tag wurde es nichts mit Joggen. Aber er duschte und wusch seine Wäsche. Ein Bekannter, der bei dem Umzugsunternehmen arbeitete, hatte gute Nachrichten: Er konnte die nächsten zwei Tage aushelfen. Morgen mindestens fünf Stunden, übermorgen vielleicht länger. Gut gelaunt fasste er einen Entschluss. Wenn sie nicht kommen würde, dann eben er. Also schnappte er sich das Paket und lief die Treppe hinunter. Durch den Innenhof in den Seitenflügel. Als er vor ihrer Tür stand, biss er die Zähne zusammen. Er strich sich durchs Haar, drückte auf die Klingel und hörte es in der Wohnung schellen. Nach einem Moment der Stille hielt er das Ohr an die Tür. Nichts. Es war zum Verzweifeln. So drehte er sich wieder zur Treppe um. Er würde dieses Paket noch loswerden.

Als er am Treffpunkt ankam, war der Umzugswagen schon da. Sein Kollege warf ihm ein paar Arbeitshandschuhe zu, drehte sich zu den drei Gestalten um, die rauchend vor dem LKW standen und wies mit dem Daumen auf ihn: „Dominik“. Sie nickten mürrisch. Arschlöcher, dachte er nur. „Welcher Stock?“ „Dritter. Kein Aufzug“ Der Kollege grinste. Dominik stapfte hinter ihm die Treppe hoch. Die Arbeit zog sich hin. Die Schubladen waren nicht richtig ausgeräumt und das schwule Pärchen schraubte noch in der Wohnung herum, während sie Möbel und Kisten in den LKW luden. Nach einiger Zeit schmerzten ihm Beine und Schultern, aber er dachte ans Geld. Er schwitzte wie verrückt, trank in einem Zug eine Flasche Cola aus und rauchte eine Zigarette. Dabei dachte er wieder an Susanne und das Paket. Vielleicht klingelte sie ja gerade jetzt – Pech gehabt! Nun war er nicht da. Er drückte die Kippe aus und schnappte sich einen Karton. Nach gut sechs Stunden waren sie fertig.

Durch verirrte Schneeflocken wankte er von der Kneipe nach Hause. Als er vor der Haustür angekommen war, näherte sich aus der Ferne eine Gestalt. Endlich erkannte er Susanne. Jetzt gab es kein Ausweichen. Er tat, als müsse er nach dem Schlüssel suchen. Als sie auf seiner Höhe war, spielte er überrascht, „oh, hallo,“ und hielt ihr die Tür auf. „Hallo“, lächelte sie. Schweigend gingen sie in Richtung Innenhof; eine merkwürdige Situation. Da gab er sich einen Ruck: „Du, ich glaube, ich habe ein Päckchen für dich.“ Sie drehte sich zu ihm um. „Aha?“, fragte sie langsam. Er schluckte. „Ist für dich abgegeben worden.“ Sie dachte nach. „Ja. Ich hatte eine Karte im Briefkasten.“ Er wurde etwas selbstsicherer. „Hab sogar schon versucht, es vorbei zu bringen.“ „Nett von dir.“ Sie wirkte ein wenig angetrunken. „Wenn du willst, kann ich es dir jetzt geben.“ Nach einem Moment nickte sie. „Klingt gut.“ „Ich bring es vorbei,“ schob er hinterher, als ihm einfiel, wie es bei ihm aussah, „eine Minute!“ „Okay, bis gleich“, murmelte sie und verschwand im Innenhof. Er stieg zu seiner Wohnung hoch und hatte einen Ständer wie schon lange nicht mehr. Im Treppenhaus hinterließen seine Schuhe dicke Pfützen. Ihre Tür war angelehnt. Er schob sie vorsichtig auf. Sie hängte gerade ihren Mantel auf. Oh ja, sie sieht klasse aus, dachte Dominik.

Am nächsten Morgen wachte er früh auf. Er lag nicht in seinem eigenen Bett und musste zu diesem Umzug nach Steglitz. „Du hast es ja noch gar nicht aufgemacht,“ sagte er. „Was denn?“, gähnte Susanne. „Das Paket.“ Sie rieb sich die Augen, sah ihn unbestimmt an und blickte auf den Tisch, auf dem das Päckchen lag. Dann wickelte sie eine Decke um ihren Körper, stand auf und schnitt das Klebeband auf. Er lehnte sich zurück und beobachtete sie. Sie blickte irritiert in die Kiste. „Was ist es?“, fragte er. Es raschelte. Zwischen zerknülltem Zeitungspapier zog sie einen Schlüssel heraus. „Was ist das?“ „Keine Ahnung,“ murmelte sie, „sieht fast aus wie mein eigener.“ Ihre Haare waren völlig zerzaust. „Komisch,“ meinte er, „probier doch mal.“ Sie stand auf und ging zur Wohnungstür. Er hörte, wie der Schlüssel am Schloss kratzte, dann kam sie zurück. „Passt nicht,“ murmelte sie und zuckte mit den Schultern. Dominik sah auf die Uhr. „Hör mal, ich muss jetzt los. Sehen wir uns später noch?“ Sie blickte ihn an. „Ich muss bei einem Umzug helfen,“ stammelte er. „Ich schreibe dir meine Handynummer auf... du kannst ja nachher vorbei kommen, wenn du willst.“ Sie sagte nichts, starrte nur auf den Schlüssel. Dominik stand auf, ging zum Schreibtisch und kritzelte seine Nummer auf einen Zettel.

Nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, duschte sie lange und räumte auf. Als sie das leere Paket wegwerfen wollte, fiel ihr etwas auf. Sie nahm den Zettel mit Dominiks Nummer vom Schreibtisch. Strich das Papier glatt, das um das Päckchen gewickelt war. Die Schrift war dieselbe. Sie lief zum Fenster. Gegenüber brannte kein Licht. Sie warf sich eine Jacke über und ging durch den Hof zum gegenüberliegenden Flügel. Lauschte an der Tür, aber nichts war zu hören. Vorsichtig probierte sie den Schlüssel. Es klickte; die Tür schwang langsam auf. Susanne sah direkt in Dominiks Wohnung hinein. In den Flur, die angrenzende Küche und geradeaus, ins Schlafzimmer. Es herrschte unglaubliches Chaos. Der Boden war mit Kleidungsstücken und alten Zeitungen bedeckt; die Tapeten waren schmutzig und es roch nach Zigarettenrauch. Das wollte sie nicht sehen. Sie zog die Tür zu und lief die Treppe hinunter. Den Schlüssel warf sie über die Mauer zum angrenzenden Haus. „Scheiß Psycho,“ murmelte sie und hörte das Klirren.

 

Hallo TeBeEm!

Herzlich willkommen auf kg.de!

Deine einerseits kühle und sachliche, andererseits ab und zu mit sinnlicher Detailfreude vorgebrachte Beschreibung eines Ausschnitts aus dem Leben eines für unsere Zeit typischen Losers hat mir ziemlich gut gefallen. Schön hinbekommen hast du auch, das, was sich im Inneren der Protagonisten abspielt, nur an ihren äußeren Handlungen zu zeigen. Keine psychologisierenden Innenschauen, du erzählst nur die Fakten und verwendest dafür einen gut dazu passenden zurückhaltenden Stil. Auch das Unvermögen der Helden, eine sexuelle Begegnung auch zu einer intimen zu machen bzw. die Kälte ihrer Begegnung, kommen sehr authentisch rüber. Der Schritt nach draußen, ein Schritt wieder in ein normales Leben, gelingt dem Helden nicht.

Fehler und Anmerkungen:

Schwaden von Rauch und Musik stießen ihm entgegen
Das „stießen“ stört mich hier, denn von Musik und Rauch hat man keine derart „harte“ Vorstellung, außerdem hast du kurz vorher auch „Stoß“.
Dominik trat zu so fest er konnte.
Komma: ... zu, so ...
neben zwei Falschen Bier.
Flaschen
An der Tischkante schlug er einen Kronkorken ab
ich denke, hier passt eher der bestimmte Artikel: also „den Kronkorken“
öffnete sich die Tür vom Innenhof.
besser: „zum Innenhof“
Im Küchenschrank fand er zwischen Bindfäden, Zetteln und Gummibändern tatsächlich Tesa, das die selbe Farbe hatte.
Was für ein Zufall, wo er doch selbst das Paket geschickt hat! ;)
und lief die Treppe herunter
meiner Meinung nach: „hinunter“
Susanne sah direkt in Dominiks Wohnung hinein.
Klingt ein bisschen ungelenk, besser würde ich finden: Susanne konnte den Großteil von Dominiks Wohnung überblicken.

Ein guter Einstand! :)

Gruß
Andrea

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Andrea!

Vielen Dank für das nette Willkommen und ganz besonders für Deine Kritikpunkte, die ich alle sehr gut finde und übernehmen werde. Nur die letzte, ungelenke Bemerkung werde ich wahrscheinlich so stehen lassen, weil sie ein bisschen weiter geht, als alle anderen Formulierungen, die ich erwägt habe. Freue mich aufs weitere Verweilen in diesem Forum!

Beste Grüße
TeBeEm

 

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