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Ein Soldat auf dem Fluss
Leigh sprach in seinem gedehnten, melodiösen australischen Dialekt und blickte mich mit leuchtenden Augen an. „Ich wollte immer einen kleinen Laden aufmachen. Kuchen, Kekse, guter Kaffee und die Inneneinrichtung mit großen, dunklen Holztischen, auf denen weiße Tischdecken liegen. Meine Frau kann wunderbar kochen, aber der Kuchen und die Kekse… da bin ich der Spezialist.“ Als er das Gebäck erwähnte, schaute Leigh in die Dunkelheit. „Wunderschön hier. Man kann kaum das Ufer sehen… nur, wenn Licht in den Pfahlhäusern brennt – wie viel Uhr ist es?“ Ich schätzte die Zeit, indem ich mit den Achseln zuckte, meine Augenbrauen hochzog und vier Finger in die Luft hielt.
„Das kann sein“, sagte Leigh und nickte.
„Was machst du, wenn du wieder in Australien bist?“ fragte ich.
„Ich gehe nach Afghanistan, das wird mein dritter Einsatz im Ausland sein.“ Leigh blickte mir fest in die Augen.
„Dein dritter?“ fragte ich und erschrak darüber, wie laut ich sprach, da es sehr still war und wir nur das Motorgeräusch aus dem Schiffsrumpf hören konnten.
„Ja, mein dritter. Ich war schon in Ost-Timor und im Irak. Aber beide Male nur sehr kurz. Jetzt werde ich für ein Jahr am Rand des Hindukusch stationiert sein.“
„Und was ist deine Aufgabe dort?“
„Oh, das ist eigentlich ziemlich easy.“
Ich wunderte mich, was Leigh damit meinte. „Warum gehst du dorthin?“
„Ich habe mich… gemeldet.“
„Ich verstehe.“
„Ja, ich bekomme 60.000 australische Dollar nach meinem Einsatz, von dem Geld will ich mein Cafe aufbauen.“
Wir schwiegen und tranken Bier. Ich fand meine vietnamesischen Zigaretten auf dem Boden der Terrasse, die uns zwei Meter über dem Wasserspiegel des Flusses trug. Ich bot Leigh eine Zigarette an, aber er winkte ab. „Ich rauche nur, wenn ich an der Front bin.“
„Hast du schon mal jemanden getötet?“
„Ja.“
Erneut setzte ein kurzes Schweigen und ich hörte wieder den Motor, der mir immer leiser vorkam.
„Aber ich kann nicht darüber reden.“
„Ich verstehe.“
Leigh nickte, als ob er ebenfalls verstehen würde, dass ich ihn überhaupt danach gefragt hatte. „In zwei Stunden sind wir an der kambodschanischen Grenze.“
„Da könntest du recht haben“, erwiderte ich und schaute wieder zum Ufer. Es war schon etwas heller geworden und ich konnte jetzt ein paar Details der kleinen Häuser erkennen.
„Was hast du für einen Rang? Ich meine, hast du selbst den Befehl über andere Soldaten?“ Ich erwartete, dass Leigh, wie in einem Film über die Ausbildung von amerikanischen Soldaten für den Krieg in Vietnam, seinen Rang und seine Einheit wie automatisiert herunterrasseln würde. Er antwortete jedoch sehr leise.
„Ja, über ein paar Soldaten.“ Er trank einen Schluck Bier und berührte kurz mit Zeigefinger und Mittelfinger der rechten Hand seinen Mund. Er redete weiter, jetzt wurde er währenddessen jedoch immer schneller und seine melodiöse Stimme wurde eintönig. „…Und ich würde nicht einen einzigen Augenblick zögern, einen von ihnen zu erschießen, wenn er eine Gefahr für die anderen wäre. Nicht eine Sekunde würde ich zögern!“ Leigh atmete schwer und warf seine Bierdose in den Mülleimer, der zwischen uns stand und der fast gänzlich mit den Dosen der anderen Fahrgäste gefüllt war. Leighs Dose rutsche den Haufen herab und blieb am Rand des Mülleimers stecken. Plötzlich wurde mir wieder bewusst, dass wir die einzigen wach gebliebenen Fahrgäste waren. Alle anderen waren schon in den Schlafsaal gegangen, in dem zehn Doppelbetten untergebracht waren.
„Aber wenn du einen von ihnen erschießt, verlierst du doch einen Mann, der in einem anderen Augenblick wichtig werden könnte…, “ sagte ich und bemerkte, wie unpassend mein Gedanke war, den ich einfach nur laut ausgesprochen hatte.
„Du verstehst nicht, Jacob.“ Leigh sprach meinen Namen deutsch aus. „Du verstehst nicht. Ich kann niemanden in Gefahr bringen. Ich würde sofort schießen!“ Er sprach mittlerweile sehr laut und ich sah Leigh nicht an, weil ich befürchtete, er könnte eine Geschichte erzählen, die ich nicht einzuordnen wüsste. Ich legte meine leere Dose auf den Berg im Mülleimer, steckte die Zigaretten in die Brusttasche und stand auf. „Ich gehe ins Bett, eine Stunde Schlaf kann nicht schaden.“
„Ja, ich gehe auch gleich. Die Betten im Boot sind wirklich gut. Ich habe sie mir vor ein paar Stunden angesehen“, murmelte Leigh, ließ seinen Kopf gegen die Lehne seiner Liege sinken und blickte in den Himmel, der seine schwarze Farbe verloren hatte. Ich ging zur Treppe, drehte mich aber noch einmal um und sah, dass Leigh sich wieder nach vorn gebeugt hatte, um nach einer frischen Bierdose zu greifen, die zwischen seinen Füßen stand. Er blickte auf, schaute mich träge an und lächelte verlegen. „Jacob, warte… Ich trinke noch ein Bier. Bleibst du noch?“ Er war betrunken.
Ich schüttelte mit dem Kopf. „Nein, danke, ich bin wirklich müde…vielleicht morgen…“
„Ist schon in Ordnung, …aber könntest du mir vielleicht eine von deinen Zigaretten geben?“