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Ein Sommer noch
Nein. So machte das keinen Spaß - das mit dem Leben. Sie hatte schon so oft versucht das zu ändern. Es bunter zu machen, damit endlich der Frühling kommen konnte. Aber es hatte nie funktioniert. Es blieb Winter in ihrer schwarz-weißen Welt.
Sie saß in ihrer leeren Badewanne, die Beine angezogen, den Kopf auf den Knien, weil sie nicht wusste, wo sie sonst Ruhe finden konnte.
Zu ihren Füßen lag das Telefon. Eben hatte sie noch mit ihrer liebsten Freundin gesprochen. Worte des Zorns waren gefallen, von beiden Seiten, nicht mehr zurückzunehmen. In Wut aufgelegt und mit zerbrochenem Herzen.
Wie überflüssig.
Ihre zitternden Finger fuhren am Deckelrand der kleinen Dose entlang. Das weiße Plastik fühlte sich nicht real an. Ihr Körper fühlte sich nicht real an. Er war zu leicht, zu blass, zu zittrig. Als würde er zu Luft werden.
Jetzt nur ein bisschen beruhigen. Sie schraubte die Dose auf, betrachtete die kleinen blauen Tabletten und schluckte eine. Den Kopf in den Nacken gelegt, die Augen geschlossen, versuchte sie, nicht zu denken.
Schlechtes Gewissen kündigte sich trotzdem an. War es wirklich notwendig gewesen die Tablette zu nehmen? Wer brauchte schon eine Tablette, nur wegen eines Streits? Sie war so schwach. Ein schwacher Mensch. Sinnlos. Wertlos. Mutlos.
Sie ließ den Blick durch das Badezimmer wandern. Es war ihr Badezimmer, in ihrer Wohnung. Das erste Badezimmer, in dem sie sich wohl fühlen konnte. Hier gab es einen Schlüssel und niemand konnte zu ihr kommen, wenn sie duschte. Vor dem Schlüsselloch hing immer ein Handtuch, Hier konnte sie allein sein. Hier konnte sie niemand mehr anfassen - nichtmal mit den Augen. Und doch kamen bei diesem Gedanken Erinnerungen hoch. An ihre Kindheit. Eine Zeit, in der sie noch kein Bad mit Schlüssel hatte.
Unerwünscht. Hochgewürgt. Wie Erbrochenes. Und nicht runterzuschlucken.
Wieso wirkte diese verfluchte Tablette denn nicht? Es wurde einfach nicht besser. Sie musste noch eine nehmen. Oder noch zwei. Die ganze Packung. War doch egal. Nur runter damit.
Minutenlange Regungs- und Gedankenlosigkeit.
Mit der leeren Dose in der Hand, wurde ihr schlecht. Sie dachte an den letzten Sommer, als sie mit Freunden gefeiert hatte. An diesem Abend war ihr auch schlecht gewesen - vom Alkohol -, aber sie war sorglos gewesen, für diesen Abend. Warum konnte das Leben nicht wie der letzte Sommer sein? Gleich würde das Leben vielleicht gar nicht mehr sein. Zumindest ihres.
Panik. Was hatte sie getan? Das wollte sie doch gar nicht. Sie wollte doch nur ruhig werden, vergessen und aufhören zu zittern. Schwindel. Die Welt verschwamm vor ihren Augen und wurde immer grauer. So musste sich das anfühlen, wenn man plötzlich blind wurde. Ihr Kopf wollte nach Hilfe rufen, aber ihr Körper konnte nicht. Das Telefon. Sie griff danach. Mehrmals. Bis sie es endlich in der Hand hielt. Die Nummer vom Notruf. Wie lautete sie doch gleich? Verdammt - die Nummer! Einfach irgendwas wählen. Irgendwer würde abnehmen. Hoffentlich. Bitte. Sie wollte doch noch einen Sommer erleben. Das konnte es nicht gewesen sein. Nein, nein, nein, nein, nein... .