Ein steiniger Weg
Ein steiniger Weg
Er liebte sie. Sie liebte ihn auch, das wusste er. Er wusste es mit Sicherheit. Er glaubte es zu wissen. Zumindest hoffte er es. Sie sagte es zwar, aber meinte sie es auch noch? Er wusste es nicht. Er wusste rein gar nichts.
Seit ein paar Tagen verhielt sie sich anders. Er mochte es nicht, wie sie mit ihm am Telefon sprach. Man hört, wenn bei einem vertrauten Menschen etwas in der Stimme liegt, was nichts Gutes verheißt. Telefongespräche waren das einzige, was sie zurzeit voneinander hatten.
Er war vor knapp einem Monat ins Ausland gegangen, nun bereute er seine Reise. Sie war dort geblieben, was sie nicht bereute, und es gefiel ihr sehr gut dort. Wenn er wieder zurück kommt, sind sie wieder zusammen. Ein einfacher Plan.
Bis vor kurzem hatte sie sich immer über seine Anrufe gefreut, und im Moment kam es ihm nicht so vor, als ob das der Fall wäre. Auch als er sie heute angerufen hatte war mehr Kälte in ihrer Stimme als je zuvor gewesen.
Während des Telefonats ging er in der Bucht spazieren, nah am Wasser. Es gab weit und breit keinen Sand, nur Steine. Kleine, Große, Flache, Spitze, Glatte und Raue, das ganze Sortiment. Ab und zu hob er einen Stein auf und warf ihn nach den Felsen, die aus dem Wasser ragten. Er fühlte sich unwohl. Traurig, wie auch wütend, und vor allem allein. Er warf einen flachen Stein, der sein Ziel verfehlte. Er liebte sie, liebte sie ihn auch?
Vor ihm sah er einen faustgroßen Stein am Boden liegen und griff danach. Er war schwer und rund, annähernd Ballförmig. Er lag vor allem gut in der Hand. Er würde einen guten Wurf damit landen. Nach den Felsen wollte er ihn nicht werfen. Es war ein Stein zum Scheibeneinwerfen. In seinem Kopf ließ er verschiedene Szenarien ablaufen. Er warf den Stein durch eine Windschutzscheibe, durch ein Fenster im zweiten Stock eines Hauses, nach einem dieser lästigen Walker, oder nach einer Möwe. Er war traurig und er war wütend. Alles wäre ihm recht gewesen.
Das Telefongespräch war zu Ende und er begab sich auf den Rückweg in die Stadt. Der Stein nahm mit der Zeit seine Körperwärme auf, weil er ihn bereits seit geraumer Zeit mit sich trug.
Er würde damit den Schädel ihres Liebhabers einschlagen. Das würde er tun, dachte er sich. Dafür war der Stein da, aus diesem Grund hatte er ihn gefunden. Hatte sie einen Liebhaber? Blödsinn. Sie liebte ihn.
„Jetzt wirf ihn schon weg!“, befahl er sich selbst.
Er verließ die Bucht mit dem Stein, fest in seiner Hand.