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Ein Tag im September
Der Zug fuhr pünktlich in den Hauptbahnhof ein und kaum war er zum Stillstand gekommen, strömten die Menschen aus den Abteilen auf den Bahnsteig, um ihren eigenen Leben nachzugehen. Nachdem die Bahn sich geleert hatte, stieg sie aus und lief zielsicher Richtung Ausgang, obwohl sie vorher noch nie hier gewesen war. Die Blicke der Männer, die sie streiften, bemerkte die junge Frau nicht einmal, dazu war sie viel zu sehr in ihren Gedanken gefangen.
Als Ariane ins grelle Licht der Sonne trat, brauchte sie erst mal einen Moment, um sich zu orientieren und den Taxistand zu finden.
Sie lief auf das nächstbeste Taxi zu und als der Fahrer, ein großer Mann Anfang vierzig, sie bemerkte, richtete er sich auf und lächelte. Ariane lächelte zurück, zumindest probierte sie es, aber richtig gelang es ihr nicht. Kurze Zeit später saß sie auf der Rückbank und war auf dem Weg zur Ringkirche.
„Schönes Wetter heute und so warm für September, nicht?“, fing der Fahrer ein Gespräch an. Ariane sah ihm über den Rückspiegel in die Augen und antwortete nach einer Weile leise: „Ja, es sollte wohl passend sein zum Anlass.“ Der Mann war etwas verwirrt über diese Antwort und blickte sie im Spiegel an, doch sie hatte ihren Blick schon abgewandt und sah aus dem Fenster. Er überlegt kurz, entschied sich dann aber noch einmal ein Gesprächsthema zu finden: „Sind sie auf eine Feier eingeladen?“ Sie sah ihn erstaunt an. „Ich meine wegen Ihrem Kleid. Sie sehen nicht so aus, als wollten Sie sich auf die nächstbeste Wiese legen“, sagte der Fahrer grinsend. Der Anflug eines Lächelns legte sich auf ihr Gesicht, verschwand aber schnell, als sie antwortete: „Ein Bekannter heiratet.“ Ihr Ton ließ keine Zweifel daran, dass sie nicht mehr reden wollte und die restlichen Minuten der Fahrt verliefen schweigend.
Endlich angekommen, stieg sie aus und gab dem Fahrer ein großzügiges Trinkgeld, der daraufhin fröhlich weiterfuhr und die junge schweigsame Frau auch bald schon wieder vergessen hatte.
Jetzt war sie wieder allein und außerden noch spät dran. Die Trauung war für ein Uhr mittags angesetzt und inzwischen war es schon zehn Minuten später. Die Glocken läuteten nicht mehr und der Vorplatz der Kirche war menschenleer. Ein leiser Windhauch strich durch die Bäume, deren Blätter sich langsam verfärbten.
Langsam ging Ariane auf einen der Seiteneingänge zu. „Soll ich wirklich reingehen? Will ich mir das wirklich antun?“, fragte sie sich. „Es wäre so einfach wieder zu gehen. Niemand hat mich gesehen. Niemand weiß, dass ich hier bin. Niemand würde dummen Fragen stellen.“ Während all dieser Zweifel war sie der kleinen Eingangstür immer näher gekommen und blieb kurz davor stehen. Doch dann dachte sie an Lukas und öffnete kurzentschlossen die Tür.
In der Kirche war es angenehm kühl nach der brennenden Sonne, aber auch viel dunkler, so dass sie kurz am Eingang stehen bleiben musste, damit ihre Augen die Umgebung erkennen konnten.
Ein paar der Gäste in den nahegelegenen Bänken sahen Ariane kurz an, wandten aber schnell den Blick wieder Richtung Altar und schenkten ihr keine weitere Beachtung. Schnell setzte sie sich auf den nächsten freien Platz. Alle Bänke waren gefüllt und hätte sie sich umgesehen, wären ihr einige bekannte Gesichter aufgefallen. Ihr Blick war jedoch vollkommen auf das Paar vorne am Altar gerichtet.
Da stand er, seiner Braut zugewandt, so dass Ariane sein Gesicht sehen konnte; sie hatte ihn seit über einem Jahr nicht mehr gesehen, aber er hatte sich nicht verändert. „Warum machen Anzüge Männer noch attraktiver als sie eigentlich sind“, fragte sie sich ärgerlich, „und warum in Gottes Namen wirken Frauen in einem weissen Hochzeitskleid noch schöner und strahlender?“
Die Zeremonie fing an und das Brautpaar drehte sich zum Altar. Der Pfarrer begann und sie wartete darauf, dass er endlich die magischen Worte sprechen würde: „Und wenn jemand etwas gegen diese Verbindung einzuwenden hat, dann soll er jetzt sprechen oder für immer schweigen.“ Ariane wusste, dass sie niemals den Mut haben würde etwas zu sagen, aber trotzdem war dieser Satz ihre letzte Hoffnung.
Ihre Gedanken schweiften ab zu dem Moment ihres Kennenlernens in dem kleinen Café. Er hatte ihr seinen halben Kaffee übergeschüttet, als er nach dem Zucker auf ihrem Tisch griff. Zur Entschuldigung hatte er sie zum Essen eingeladen.
Sie hatte sich schnell in ihn verliebt; in seine warme herzliche Art mit dem wunderbaren Lachen, seinen Humor, seine ruhige Weise Probleme zu lösen und in noch hundert andere Dinge, die ihn ausmachten. Ariane hatte gedacht, dass es ihm genauso ginge und eine Zeit lang waren sie auch glücklich gewesen - bis zu dem Moment, in dem er Maria traf, die Frau, mit der er jetzt vorm Altar stand.
Ariane schüttelte den schmerzhaften Gedanken ab und konzentrierte sich wieder auf die Trauung. Kurz darauf sprach der Pastor die ersehnten Worte und alles ging ganz schnell:
Das Brautpaar wandte sich leicht der Menge zu, um zu überprüfen, dass auch ja niemand etwas einzuwenden hatte und dann begegneten sich ihre Blicke. Er schien erstaunt sie hier zu sehen, verwirrt was er tun sollte und Arianes Herz schlug schneller bei diesem Blick, so hatten sie sich früher oft angesehen – früher, als sie noch glücklich waren...
Plötzlich begann Stimmengemurmel in der Kirche, denn der Bräutigam war vom Altar weggegangen – ohne seine Braut, wie Ariane bemerkte – und ging zügig das Mittelschiff entlang direkt auf sie zu. Sie war inzwischen aufgestanden und sah ihm ruhig entgegen, während sie innerlich fast einen Herzstillstand hatte. Nun stand er vor ihr, sah sie mit diesem unwiderstehlichem Lächeln an, streckte ihr seine Hand entgegen und sagte „Lass es uns noch mal versuchen?“
„Ja Heiko, ich will!“ Die lauten Worte schreckten Ariane aus ihrem Tagtraum und es dauerte ein paar Sekunden, bis sie erkannte, dass die Trauung inzwischen schon ein ganzes Stück weitergegangen sein musste. Und sie bemerkte auch, wie glücklich und verliebt Heiko die Frau an seiner Seite ansah, als er ihr den Ring über den Finger streifte. Wahrscheinlich hätte er Ariane nicht mal erkannt, wenn sie direkt neben ihm gestanden hätte. Heiko war glücklich und seine Frau strahlte.
In diesem Moment wurde ihr klar, dass es keine gemeinsame Zukunft für sie geben würde, aber komischerweise machte ihr dieser Gedanke, der ihr vor einer Stunde noch das Herz gebrochen hätte, nichts mehr aus.
Er hatte ihre kurze Begegnung schon längst als schöne Erinnerung abgelegt und es war Zeit, dass sie das endlich auch tun würde und Heiko ziehen ließ!
Leise schlich sie sich durch die selbe Seitentür aus der Kirche. Die Sonne schien ihr ins Gesicht und der Wind fuhr ihr durch die langen Haare, als sie begann Richtung Bahnhof zu laufen. Es war ein viel zu schöner Tag um ein Taxi zu nehmen.
Auf ihrem Rückweg war sie stolz - sie hatte geschafft, was sie gewollt hatte: Einen Schlussstrich ziehen! Und was ihr noch viel besser gefiel, ihr Herz war wieder frei – frei für Lukas. Bei dem Gedanken an ihn machte sich ein Kribbeln im Bauch breit. Er hatte solange versucht ihr Herz zu erobern und sie hatte ihm keine Chance gegeben. „Das wird sich jetzt ändern“, dachte sie, „wir müssen es langsam angehen lassen, aber es kann funktionieren.“ Und zum ersten Mal seit sie von Heikos Hochzeit erfahren hatte, lächelte sie aus tiefstem Herzen.