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Ein Tag in der Wüste
Sie kennen das sicher: Gerade eben gingen Sie noch gemütlich mit ihrem Hund Gassi, im nächsten Moment sitzen sie in der Wüste fest, weit und breit keine Menschenseele, die Sonne scheint heißt von oben herab und sie denken darüber nach, eben genannten Hund zum Mittagessen zu verspeisen, um nicht am Hungerstod zu sterben. Blöde Situation. Besonders, weil man doch in der Wüste eh mehr Durst als Hunger hat. Echt blöde Situation.
Ein kleines Wüstentier krabbelt an mir vorbei, ein Skorpion. Vielleicht giftig. Ich halte Rex zurück, damit er sich nicht mit dem tödlichen Tierchen anlegt. Ich vermute nämlich, vergiftetes Hundefleisch ist ungenießbar. Der kleine Wüstenskorpion krabbelt weiter seines Weges.
Ich überlege, was ich jetzt tun soll. Herumstehen bringt nichts. Also werde ich wohl auf Oasensuche gehen müssen. Ich krame in meiner Hosentasche herum, ziehe mein Handy heraus. Kein Empfang.
Es gibt zwei dunkle Geheimnisse über Handys.
Erstens: Wenn es wirklich darauf ankommt, es überlebensnotwendig ist, haben sie – natürlich - keinen Empfang. Blöde Technik.
Zweitens: Moderne Handys haben alles integriert, was man in ein so kleines handliches Gerät integrieren kann. Radio, MP3-Player, Fotoapparat, Adressbuch, Uhr, Navigationsgerät, Wecker, WLAN, Speicherkarten, Bluetooth, drei Zoll TFT-Display, Infrarot, USB-Schnittstelle. Man kann über sein Handy die neusten Nachrichten, die aktuelle Wetterlage, Sportübertragungen, Gewaltvideos, Erotikbilder und Fernsehshows sehen, seine Büroarbeiten erledigen, Aufsätze schreiben, Lieder komponieren, chatten, E-Mails abrufen. Man kann sogar mit seinem Handy telefonieren. Aber trotzdem hat es noch kein Mensch geschafft, einen Kompass in ein Handy zu integrieren. Ein einfacher, kleiner Kompass. Wie soll man denn – beispielsweise in der Wüste, in die man gerade durch Zufall hingeraten ist, ohne so recht zu wissen, wie – wissen, ob man auch nicht die ganze Zeit im Kreis läuft? Sau blöde Technik.
Rex hechelt heftig vor sich hin. Noch etwas warten, dann muss ich ihn nicht einmal mehr schlachten. Ich schaue gen Himmel. Die Sonne steht hoch über mir und Rex. Na toll, Mittag. Bis zur Dämmerung sind es noch Stunden. Ob ich die Hitze solange aushalte? Ich versuche die Himmelsrichtung anhand des Sonnenstands abzulesen. ‚Im Osten geht die Sonne auf, blabla‘. Aber in welche Richtung soll ich denn nun gehen? Dann muss ich die Sache eben wie ein richtiger Erwachsener lösen. Auf gut Glück. Ob ich Rex dazu bringen kann, den richtigen Weg zu erschnüffeln?
Nach meiner Handyuhr bin ich nun schon seit drei Stunden unterwegs, und habe immer noch keine Oase gefunden. Mein Magen knurrt, ich hab Durst. Ich habe Rex immer noch nicht geschlachtet; immer wenn ich kurz davor bin, schaut er mich mit seinen großen Augen an, und dann kann ich einfach nicht mehr weiter machen. Was ist das? Dort hinten! Eine Oase? Oder doch nur eine Fata-Morgana? Kennt man ja aus Filmen; der Held denkt, er hätte es endlich geschafft, und dann war alles nur Einbildung. Egal, einfach auf das beste hoffen und mit dem schlimmsten rechnen. Tatsächlich, eine kleine Oase, mitten in der Wüste. Ich springe in das kühle Nass (hoffentlich gibt es hier keine Piranhas oder so). Rex bellt vor Freude. Ich bin mir nur nicht sicher, ob er sich mehr über das Wasser oder mehr darüber freut, nicht von mir geschlachtet zu werden. Was nun? Die Sonne steht schon tief am Himmel. Bald wird es Nacht. Wird es nachts nicht immer eiskalt in der Wüste? Und kommen da nicht auch die bösartigen Tierchen raus? Mist… weiterlaufen oder hier warten? Aber auf was? Besseres Wetter? Eins muss man der Wüste lassen, das Wetter ist hier immer ausgezeichnet. Ich entschließe mich dazu weiterzulaufen. Die Sonne versinkt hinter dem Horizont. Plötzlich ist es ziemlich kalt geworden. Ich zittere, bin die Kälte nicht gewöhnt. Doofer Rex mit seinem Fell. Hat der es gut. Ich bin müde. Ob ich mich einfach irgendwo hin legen kann, ohne gleich gefressen oder vergiftet zu werden? Mir bleibt nichts anders übrig als es zu riskieren. Rex, du wirst Wache halten, verstanden?
Die Sonne geht auf. Ich lebe noch. Ich wurde von etwas immer lauter werdendem geweckt. Etwas von weit weg kommt auf mich zu. Ein Kamel? Es ist ziemlich schnell. Wie schnell können Kamele laufen? Mist, wo ist Google, wenn man es braucht? Es ist ein Auto. Ein Taxi. Ein Taxi, mitten in der Wüste. Ich tue einfach mal so, als wäre das nicht seltsam. Ich strecke meinen Daumen raus, winke dem Taxifahrer zu. Der gelbe Wagen hält neben mir, der Fahrer kurbelt das Fenster runter. „Wohin wollen Sie?“ Ich überlege kurz. „So weit weg wie möglich“, antworte ich. „Alles klar, steigen sie ein. Ihr Hund kann von mir aus auch mit. Lebendiges Notproviant ist immer gut.“ Rex und ich steigen in das Taxi. Dann fahren wir los. Was für ein seltsamer Tag in der Wüste.