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Ein Tag mit Professor Zjurn
Ich machte mich auf zum Haus des Professors, denn ich hatte Lust, eine seiner neuen Erfindungen auszuprobieren. Sein Name war Zjurn und er hatte schon viele seltsame Geräte entwickelt, inklusive des Jetpacks, mit welchem ich nun zu seinem Haus flog. Dieses Haus befand sich auf einer Insel, welche fünfundzwanzig Kilometer über dem Boden schwebte. Der Flug verschwendete keine Energie, da das Rückenfluggerät auf dem Prinzip beruhte, umgekehrte Gravitation aus einem parallelen Universum zu holen, und diese auf mich abzustrahlen. Welche Auswirkungen dies auf das Parallele Universum hatte wusste ich nicht, doch um ehrlich zu sein war mir das auch ziemlich egal. Parallele Universen sind schliesslich schon älter als ich und können auf sich selbst aufpassen.
Die Welt von so hoch oben zu betrachten war wie immer atemberaubend. Dies ist nicht wörtlich zu nehmen, denn Zjurn hatte natürlich an eine Atemmaske gedacht. Diese versorgte mich aber nicht mit normalem Sauerstoff, sondern mit einer umgewandelten Art, welche nun die Eigenschaften eines idealen Gases besass. Ein Ideales Gas nimmt immer genau den Raum ein, welcher ihm zur Verfügung steht und kann darum mit der richtigen Technik beliebig komprimiert werden, was im Klartext bedeutet, dass mir unendlich viel Sauerstoff zur Verfügung stand.
Die Insel rückte allmählich näher und ich sah schon die ersten Zeichen für die Existenz des Professors. Namentlich waren dies einige lebendige Rauchfahnen, sein riesiger Roboterkolibri namens Melchior, ein fünftausend Jahre alter Affenbrotbaum, ein zahmes Schwarzes Loch aus irgendeinem Paralleluniversum und ein Mond des Saturn, welchen der Professor gestohlen, geschrumpft und durch ein Hologramm ersetzt hatte. Bis dahin war nichts Neues zu erkennen, doch schon einen Moment später bemerkte ich etwas, was mir noch unvertraut war.
Eine fliegende Untertasse schwebte etwa einen Kilometer über dem Haus und ein grüner Strahl entsprang der Ladeluke. Dieser zeigte genau auf das Haus des Professors. Ich hing ungefähr zehn Sekunden geschockt in der Luft, doch dann atmete ich auf. Der Ursprung des Strahles war nicht, wie ich im ersten Moment angenommen hatte, das UFO, sondern das Hause des Professors. Es sah ganz so aus als hätte er mit seiner neuesten Erfindung einige Aliens entführt. Nicht dass ich ihm so etwas nicht zugetraut hätte, aber ich war schon ein wenig überrascht.
Melchior kam heruntergeflogen um mich nach oben zu begleiten. Ich musste stark aufpassen, denn von einem unbeholfenen Robotermonster mit einem Gewicht von fünfzigtausend Tonnen gerammt zu werden stellte ich mir als sehr schmerzhaft vor. Zum Glück war im Paralleluniversum genügend seitwärtsgehende Gravitation vorhanden, um mich aus dem Weg zu katapultieren. Der Kolibri raste weiter nach unten, denn mit seinen kleinen Flügeln konnte er sich nur bedingt bremsen.
Ich schaute ihm nach, denn es war immer wieder erstaunlich, wie Melchior es schaffte, sich jedes Mal im allerletzten Moment wieder hochzuziehen. Er raste nach unten und wurde immer schneller und schneller, näherte sich schon bis auf etwa einen Kilometer dem Erdboden und breitete dann seine Flügel zu ihrer vollen Spannweite aus aus.
Ploink
Der Professor hatte allem Anschein nach vergessen, nach der letzten Wartung die Schrauben richtig anzuziehen, denn die Flügel klinkten aus und der Kolibri schlug ungebremst und mit unüberhörbar lautem Getöse auf den Boden. Die Flügel verschwanden in elegantem Segelflug hinter dem Horizont. Ein riesiger Krater zierte nun Melchiors Landeort, welcher übrigens einst meine Heimatstadt war. Dies wäre ja für sich alleine genommen schon schlimm genug gewesen, doch dann explodierte auch noch der Reaktor und liess in etwa fünfhundert Kilometern Umkreis nur noch Asche zurück, was mein geliebtes kleines Dörfchen dem Erdboden gleich machte. Ein spezieller Schild aus Kolibroplexiklorofit, welchen der Professor eigens für Roboterkolibriexplosionen konstruiert hatte, hielt den grössten Teil des Schadens von mir fern, ich wurde nur ein wenig herumgeschleudert. Nach kurzer Zeit hatte ich mich wieder gefangen und flog wieder auf das Haus des Professors zu.
Früher hatten mich solche Ereignisse immer sehr mitgenommen, doch man gewöhnt sich mit der Zeit daran, seinen Wohnsitz zu wechseln. Mit Ausnahme einer auf kitschige Art und Weise anziehender, rosaroten Flamingostatue würde ich nichts vermissen. Mich interessierten im Moment mehr die Ausserirdischen, die in die Hände des Professors gefallen waren. Würden sie klein und grün sein? Würde mich eine Überraschung erwarten, zum Beispiel Energiewesen? Kleine, purpurne, bellende und nervtötende Hunde? Rote Schleimwesen mit einer Vorliebe für violetten Wackelpudding? Gefährliche, sabbernde Dämonen? Kleine, runzelige Gnome? Zwerge, Elfen oder sonst so ein Fantasy Krams? Drachen? Fliegende Eier mit Brillen aus Feuer? Rotnackige Hinterwäldler mit Pickup-Trucks und abgesägten Schrotflinten? Zweidimensionale Mandelbrot Fraktale, welche sich nur mühselig in der dritten Dimension bewegen konnten? Eine Rasse, welche sich von Disc-Jockeys ernährte? Die Produzenten von Coca Cola? Ich hörte mit spekulieren auf, denn ich war nun auf alles gefasst, ausser auf das, was ich zu sehen bekommen würde.
Ich öffnete die Tür zum Haus des Professors, Welches übrigens aus Blockflöten bestand, und wagte einen Blick hinein. Ich setzte mich an den Tisch, ging in die Küche, Ass ein Sandwich, trat mir die Füsse an der Türmatte ab, grüsste den Professor, bestaunte die wunderschönen Wandmalereien und schlief neben der angenehm warmen Feuerstelle. Es war eine neue Erfahrung für mich, all diese Dinge auf einmal zu tun. ?Hallo?, meinte der Professor, ?ich habe dich schon erwartet, setz dich doch!? Ich setzte mich, zusätzlich zu all den anderen Tätigkeiten, die zu verrichten ich offensichtlich im Stande war. Ausserdem sagte ich noch: "Hallo Professor, schön sie zu sehen. Sagen sie Mal, was ist hier eigentlich los? Irgendetwas stimmt nicht!"
"Ach, du meinst die vielen Leute hier, die genauso aussehen wie du? Das sind nur die Ausserirdischen, die ich entführt habe."
"Aber wie können sie ausserirdische sein? Sie sehen nicht nur so aus wie ich, sie sind ich!"
"Ah, mein Sohn, das ist sehr interessant, das werde ich alles gründlich erforschen, wenn ich wieder wach bin." Und da war er auch schon eingeschlafen. Nicht einmal das Rülpsen des schwarzen Loches konnte ihn wieder aufwecken, und das wollte schon etwas heissen, denn es hatte schon so manches Flugzeug zum Absturz gebracht, ja sogar Schiffe versenkt. Die Insel des Professors befand sich nämlich zu Rülpszeiten immer genau über dem Bermudadreieck.
Als die Trommelfellreparaturautomatik, welche Trommelfelle aus anderen Universen stahl, um sie dem Patienten einzupflanzen, meine Ohren wieder in Stand gesetzt hatte, (und das dauerte seine Zeit, da ich plötzlich sehr viele Ohren zu besitzen schien) schaute ich mich noch ein wenig um. Ich befand mich immer noch in diesem Raum, aber obwohl nur ich dort drin herumstand, war ich nicht alleine. Ich betrachtete mich selbst. Es war ein seltsames Gefühl, denn irgendwie war mehr von mir da als vorher.
"Hallo", sagte ich zu mir selbst. "Mann, bist du verrückt, wieso redest du mit dir selbst?", antwortete ich. Ich schaute mich verdutzt an. Hatte ich da etwa gesprochen? Natürlich hatte ich gesprochen, aber... aber... Ich gab es auf, denn ich konnte keinen Sinn in der Situation entdecken und rannte alle schreiend aus dem Haus hinaus. Ich hörte das spezifische Geräusch hinter mir, welches hunderte von aufgestapelten Blockflöten von sich geben, wenn sie in sich zusammenfallen.
Da ich nicht wusste was tun, beschloss ich, die Rauchfahnen um Rat zu fragen. Diese befanden sich auf der Krone des fünftausend Jahre alten Affenbrotbaumes und waren gerade dabei, halbfesten Kaffee zu trinken. Ich schubste mich also zur Seite, drängelte mich an mir vorbei und gab mir einen Tritt, um den Affenbrotbaum zu erreichen, dann kletterte ich den Stamm hoch. Als die Rauchfahnen mich sahen erhellten sich ihre Gemüter, denn sie hatten immer gerne Gesellschaft. Da die Rauchfahnen aber immer ein fürchterlicher Gestank begleitete, sprachen die Leute nur ungern mit ihnen, ausserdem wollten diese meist nicht zugeben, mit Rauchfahnen sprechen zu können.
"Hallo Rauchfahnen, könnt ihr mir sagen was hier los ist? Wieso bin ich plötzlich so viele?"
"Du meinst die Ausserirdischen? Keine Angst, die sind harmlos, sie benehmen sich alle genauso wie du."
"Aber das ist ja genau das Problem! Sie benehmen sich nicht nur genauso wie ich, sie sind ich, versteht ihr dass denn nicht?"
"Tut mir leid, aber eine so einfache Rauchfahne wie ich versteht so etwas nicht, du musst einfach warten, bis der Professor aufgewa...", bevor die Rauchfahne den Satz beenden konnte, ging eine starke Erschütterung durch den Affenbrotbaum. Ich benutzte meinen Raketenrucksack, um mich in Sicherheit zu bringen.
Von oben betrachtet wurde mir klar, was los war. Der Affenbrotbaum war gerade dabei, die Wurzeln aus der Erde zu ziehen und sich aus dem Staub zu machen. Nur wenige Leute wissen dies, doch wenn ein Affenbrotbaum genau fünftausend Jahre alt wird, beginnt er zu denken. Dieser hier hatte offensichtlich erkannt, dass er hier oben fehl am Platz war. Eine solche Erkenntnis war verständlich, denn nicht jeder fünftausend Jahre alte Affenbrotbaum wird von einem geschrumpften Saturnmond umkreist. Er breitete seine Äste aus und erhob sich majestätisch in die Lüfte. Ich hoffte, dass den Baum nicht dasselbe Schicksal wie Melchior ereilen würde und wünschte ihm eine gute Reise. Ich winkte ihm noch nach, bis die Flügel des Roboterkolibris am Horizont erschienen, und den armen alten Baum in zwei Teile spalteten.
Ich hatte nicht genug Zeit, um genau zu verstehen, was denn da geschehen war, denn ich wurde plötzlich in ein Dimensionsloch gesogen und... war jetzt plötzlich wieder weniger als vorher. Ich konnte endlich wieder normal denken und blickte hinunter. Ich schwebte immer noch mit meinem Jetpack über Zjurns Insel. Unter mir schien sich ein Dimensionsloch geöffnet zu haben und meine anderen Ichs waren verschwunden.
Solche Dinge passierten mir öfters, darum regte ich mich auch nicht sonderlich darüber auf. Ich betrachtete eine Weile die wunderschönen Farben des Dimensionslochs und wandte mich dann dem Raumschiff zu. Eine Weile dachte ich über das Ding nach und beschloss dann, auf eine Besichtigungstour zu gehen. Ich wollte gerade meinen Raketenrucksack auf volle Leistung schalten, als mich etwas am Bein packte. Ich schaute nach unten und sah, wie jemand an meinem Bein hing, der genauso aussah, wie ich selbst. "Hallo", sagte ich. "Hallo", grüsste der andere zurück.
Dieses zweite Ich war anders als die anderen von vorhin. Ich merkte ganz klar, dass er nicht ich selbst war, und deshalb trat ich ihm auch mit voller Kraft ins Gesicht. Schreiend flog er nach unten, während ich versuchte, mich aus dem Staub zu machen. Der Fluchtversuch war jedoch erfolglos, denn schon wieder versperrten mir Leute, welche wie ich aussahen den Weg.
"Jetzt haben wir dich endlich, du verdammter Dieb!", meinte der Eine.
Erst da bemerkte ich, dass er nur einen Arm besass.
"Was hat er gesagt?", fragte der Andere, und streckte dem Einen ein Stück Papier und einen Stift entgegen.
Nun begriff ich, was los war. Diese Leute waren meine Gegenstücke aus den parallelen Universen. Von ihnen hatte ich mit den Erfindungen des Professors viele Dinge gestohlen, zum Beispiel die Gravitation, einige Trommelfelle, einen Ersatzarm und noch viele andere Körperteile. Wenn ich so darüber nachdachte konnte ich schon verstehen, dass man ziemlich wütend wird, wenn einem plötzlich die Milz fehlt. "Aber ich brauchte diese Milz!", versuchte ich mich zu verteidigen, doch meine Gegenstücke schien dies nicht zu besänftigen. Es tauchten noch mehr von ihnen aus dem Dimensionsloch auf.
Einer von ihnen hielt mich fest, und die anderen stellten sich in einer Reihe vor mir auf. Jeder hatte anscheinend den Anspruch auf einen Schlag in mein Gesicht. Glücklicherweise würde ich diese Folter nicht ausstehen müssen, denn genau im richtigen Moment kamen Melchiors Flügel erneut herbeigesegelt, um beinahe alle meine Feinde zu beseitigen. Einige Milzen flogen durch die Luft und es kehrte Ruhe ein. Das Dimensionsloch schloss sich und ich machte mit dem letzten verbleibenden Gegenstück kurzen Prozess. Er hatte Schläge verdient, denn immerhin hatte er mich festgehalten. Ich zückte das Schwert, welches mir der Professor gegeben hatte und verarbeitete mein Alter Ego zu Hackfleisch.
Dies kann man wörtlich nehmen, denn das Schwert war ursprünglich nicht für den Kampf, sondern für das pürieren von Lebensmitteln gedacht. Es hatte einen speziellen Computer, welcher es kontrollierte, und darauf aufpasste, dass man sich nicht in die Finger schnitt.
Ich schaffte nun einige Blockflöten zur Seite, um zu sehen, wie es dem Professor ging. Dieser war glücklicherweise wieder aufgewacht und hörte sich meine Geschichte an. Dann öffnete er meinen Kopf und schaltete mich ab, für dieses Jahr hatte ich genug erlebt.