Ein Text ohne Namen(noch)
Angewidert von den Menschen, die um ihn saßen, wandte er seinen Blick immer wieder zu dem großen Gemälde an der Wand. Es war, so glaubte er jedenfalls, ein Portrait eines sehr berühmten Malers. An den Namen konnte er sich jedoch nicht erinnern. In Gedanken versank er wieder, um herauszufinden, warum er eigentlich hier sei, wer ihn hergeschickt hatte und warum er alles so blass, gar benommen wahrnahm. Sein Blick richtete sich wieder zu den Menschen, die einen Kreis um ihn bildeten. Einer hässlicher als der andere, dachte er sich, als er plötzlich angesprochen wurde. „17!“ sprach der Mann, wahrscheinlich Arzt, um die 40 und sehr bieder angezogen, „du bist dran! Steh doch bitte auf und komm in die Mitte, damit dich jeder sieht und versteht. Erzähl uns deine Geschichte!“ Er erhob sich von seinem Stuhl mit einem lauten Quietschen. Es schien ein sehr alter Stuhl zu sein und ging zwei Schritte in die leere Mitte und begann fast schon mit scheuer Stimme : „Ich bin ein Schatten meiner selbst, ein Tropfen in dem Teich, und in der weiten Welt, kenn ich keinen, der noch weiß was Liebe heißt, wie man Frieden buchstabiert, weil es tödlich sein kann, wenn man sich selbst verliert. Ich fühl mich leer, kenn keine Hoffnung. Ich weiß, es ist verkehrt, doch das war es oft schon. Ich werd ein Buch schreiben und nenn es dann "Der Untergang“. Das Risiko heißt Leben! Mein Leben fängt unten an, die Scheiße wird zum Boomerang.
Es ist schon wundersam, wie sich die Welt zerstört und in nicht mal hundert Jahren keiner weiß wieso die Erde in der Krise ist. Ich kenn nicht viele mit der Devise zu sagen es wäre Liebe,
tausende Hiebe verschwinden nicht.“ Was hatte er da gerade gesagt? Er konnte sich nicht erinnern. Nein. Nicht einmal beherrschen. Was war das, was ihn gerade, als er seinen Mund öffnete, verließ. Verdutzt drehte er sich, um die zwei Schritte in die Richtung seines Stuhls anzutreten. Entgegengesetzt seines Willens und seiner Gedanken regten sich seine Beine in keinster Weise. Ihm lief kalter Schweiß über die Stirn und er bemerkte wie diese salzige Flüssigkeit seine Augen zum Tränen brachte. Es widerte ihn an, dass diese zwei kleinen Schritte ihm so schwer fielen. Durchnässt und völlig erschöpf stand er inmitten dieser Menschen bis endlich wieder dieser Mann im weißen Kittel eingriff und ihn, ohne irgendeine Regung in seiner Mimik anzudeuten, fragte: „17, sie wollen wohl keine Fortschritte machen oder sehe ich das falsch? Zum wievielten Male versuchen wir das denn jetzt schon? Immer wieder diese unzähligen Gruppentherapien und immer wieder kommen diese uns verwirrenden Worte aus ihrem Mund. Wovon reden Sie eigentlich? Verstehen Sie das denn überhaupt selber?“ Sein Gesicht war nun völlig durchnässt und ihm wurde schwindelig, bis er schließlich umfiel. Als er wieder die Augen öffnen konnte und er bemerkte, dass er eingesperrt in dieser kleinen, verdreckten 7qm – Zelle war, wusste er, dass dies bis zu seinem endgültigen Tod der Fall sein würde. Jeden Tag in dieser Zelle aufzuwachen, irgendwann abgeholt zu werden, um dann abermals in diesem Raum zu sitzen und bis zur völligen Erschöpfung seinem Gegner ins Gesicht zu sehen.
Im Laufe des Tages konnte er sich langsam an die Dinge erinnern, die er diesem Biedermann in dem weißen Kittel aufs Neue auf verschiedenste Weise erzählte. Er sprach von Liebe, Frieden und Glaube und immer wieder wurde ihm widersprochen. Es sei ein großer Witz und dass man sowas wie Glaube und Frieden, gar Liebe nicht kenne und dass es eine Einbildung, vielleicht aber auch eine Erfindung der damaligen Zeit gewesen sei. Hass überkam ihm so schnell, dass er wutentbrannt hochschoss und anfing zu schreien. Doch dieses Geschrei verhalf ihm zu gar nix. Er fühlte sich kalt, kalt wie die Mauern, die ihn umgaben. Niemand würde sich um sein Schreien kümmern, niemand würde um sein Ableben trauern. Er drehte seinen Kopf Richtung Fenster. Dunkle Wolken waren schon lange vor dem Himmelsblau, der Wind wehte kaum. Fast schon eisig war sein Blick, als er darüber nachdachte, wie vergänglich alles sei. Kaum jemand, der noch glaubte. Der verstünde, was es heißt, wenn die Welt verdorben bleibt, wenn das Korn im Feld in roter Glut zergehe. Seine Wände haben Risse. Er hat sein Leben lang geliebt und jetzt hat er Gewissenbisse, dass er nicht einmal über seinen Schatten gesprungen ist und dieses Elend beendet hatte. Er konnte nicht wissen, dass sie eines Tages nicht mehr dankbar sein würden...Seine Gedanken wurden durch dämmernde Schritte unterbrochen. Sie kamen aus dem benachbarten Trakt, der gleich neben ihm begann. Langsam richtete er seinen Oberkörper aufrecht und versuchte ohne einen Laut von sich zu geben, aus seinem Bett aufzustehen. Ohne ein leises Aufstöhnen ging es dann doch nicht, aber man musste es ihm verzeihen. Er war schon alt, sehr alt. An der Tür angekommen, drückte er sein Ohr an die verschlossene Tür, um herauszufinden, was draußen vor sich ging. Die Schritte und die Stimme kamen nun bedrohlich nah. Auf den Zehenspitzen schleichend, lief er zu seinem Bett zurück. Die Tür zu seinem Trakt öffnete sich nun. Dieses Geräusch würde er unter tausend anderen Geräuschen sofort heraus hören. Es war Sinnbild für sein verzweifeltes Ich. Nun waren die Schritte bei seinem Nachbarn angekommen und er hörte, dass es nur die tägliche Anwesenheitskontrolle war. Erleichtert, aber auch ein bisschen erschrocken über sein langsam schwindendes Gedächtnis, da diese jeden Tag zur gleichen Zeit gemacht wird, wartete er bis er dran war. Dann endlich hieß es: „ Zelle 104, Nummer 17 – Gott!“.