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Ein Traum

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05.06.2006
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Ein Traum

"Menschenfreund! Erlaube mir, dich anzufassen."
"Wohin, wohin nur... ?"
"Nach Görlitz? In diese Richtung", antwortete der Finger des Alten. "Den Sandweg hinauf."
"Ich gehe deiner Weisung nach."
Ich erreichte den Weg, betrachtete die Spurrillen im Sand.
"Eine Kutsche, denk ich. Siebzehntes Jahrhundert."
Mein Begleiter, der weißhaarige Mann:
"Wie erkennst du das?"
"Ich las Gedichte, Biografien, alte Bücher."
"Auch das von Jesus?"
"Nein", sagte ich. Ich bestand darauf.
Ein Vogelkreischen war zu hören. Nicht weit von unserem Standpunkt.
"Welchen Monat haben wir heute?", fragte der Alte.
"April", sagte ich.
"April", wiederholte er leise.
Ich konnte sehen, wie der Schaum auf seinen Lippen Blasen warf.
Er hatte den Kopf zurückgebeugt. Seine Augen waren blaugrau.
In unverständlichen Worten, schien er ein Gebet zu formulieren.
Ich drehte dem Alten den Rücken zu und ging nach Hause.

 

hi Cannam,

auch in kryptischen seltsamen Geschichten müssen einige Dinge eingehalten werden, wie etwa der Tempus.

Ich erreiche den Weg, betrachte die Spurrillen im Sand.
Hier jedenfalls wechselst du in die Gegenwart, obwohl der Rest des Textes in der Vergangenheit steht.
Inhaltlich nehme ich mal an, du hast das zusammengeschrieben, was du von einem tatsächlichen Traum nach dem Aufwachen noch in Erinnerung hattest. In sofern erspare ich mir auch die Mühe, einen Sinn dort hinein zu lesen. Wahrscheinlich würdest du dich dann zu Hause nur darüber totlachen, dass es tatsächlich einen Deppen gibt, der das versucht.
Eigentlich besteht der Text ja auch hauptsächlich aus zusammengeklatschten Symbolen, bei denen natürlich auch Jesus nicht fehlen darf.

Solltest du dir tatsächlich etwas dabei gedacht haben, mache ich mir auch gerne Gedanken.

Lieben Gruß, sim

 
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Moin, moin alle zusammen!

Mit dem Tempus, sim, dass werde ich gleich mal ändern. Im Grunde ging ich selber nicht mit Überlegung an die Geschichte. Hab sie einfach so aufgeschrieben, ohne mir Gedanken zu machen, was da für Bilder für euch, aber auch bei mir selber rauskommen.

Betrachtet es doch als Absurdum. Keine reelle Logik.

Salut

cann.

 

cannam schrieb:
Im Grunde ging ich selber nicht mit Überlegung an die Geschichte. Hab sie einfach so aufgeschrieben, ohne mir Gedanken zu machen, was da für Bilder für euch, aber auch bei mir selber rauskommen.
Sorry cannam, das liest sich so nach: "Ach, ich schreibe mal irgendwas zusammen und warte ab, welchen tieferen Sinn andere darin sehen. Vielleicht darf ich mich danach ja als Genie fühlen."

Einfach mal Gedanken laufen und strömen lassen, aufschreiben, was gerade in den Kopf kommt oder auf das Papier möchte, ist etwas wunderbares. Nur ärgert es mich halt immer, wenn ich mir als Leser die Mühe machen muss, die er Autor sich hätte machen müssen, bevor er so ein Werk veröffentlicht. Spätestens bei diesem Schritt sollte er doch eine Überlegung haben, was er mit dem Text will.

Ansonsten ist gerade bei solchen Texten die Gefahr groß, dass die Antworten eher zur Psychoanalyse taugen also zur Literaturkritik.

Lieben Gruß, sim

 

Lieber sim!

Ich habe Achtung vor dir, weil du Moderator bist und wahrscheinlich auch ein paar Jahre älter bist. Respekt.
Aber das Absurde ist ja gerade eine Kunstrichtung u.a. in der Literatur, in der eben das Verständige, sprich Vernünftige keinen Zugang finden soll. Ob mein Text nun die Bedingungen eines absurden Textes erfüllt oder nicht, weiß ich nicht.
Ich mag meinen Text. :(

cann.

 

cannam schrieb:
"Nach Görlitz? In diese Richtung.", antwortete der Finger des Alten. "Den Sandweg hinauf."

Ich habe keine Ahnung, was mir der Text sagen soll, aber ich liebe den sprechenden Finger!:)
Ansonsten finde ich den Text angenehm verwirrend und ohne echten Sinn, aber ich glaube so soll es auch sein.
Gut nur, dass er nicht länger ist, sonst wäre die Wirkung verloren gegangen.

 

Lieber cannam,

weder älter noch Moderator sein ist etwas, das Respekt verdient. ;)
Außerdem habe ich nicht gesagt, dass ich den Text nicht mag. Ich finde durchaus, dass eine eigenwillige Stimmung von ihm ausgeht, die mir gefällt. Ich hätte sogar ein paar Verständnisansätze. Darum geht es mir nicht. Ebenfalls geht es mir nicht um eine Vernunft, die dem Text innewohnen sollte.
Im Absurden werden über den Entzug von Vernunft versucht, neue Zusammenhänge zu öffnen, ein neues Verständnis zu erzielen, eine neue Sichtweise. Dazu werden scheinbar zusammenhanglose Dinge kombiniert. Allerdings weiß der Autor dabei deutlich, was er zusammenfügt und warum.
Beim Lesen deines Textes habe ich eher das Gefühl, du weißt es selbst nicht und würdest es dir gerne erklären lassen.
Das ist mE aber ein Missverständnis des Absurden.
Aber ich bin kein Literaturwissenschaftler. Ich kann mich auch irren.

Lieben Gruß, sim

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Tantus,

es hätte dir jetzt passieren können, dass ich es auch nicht verstanden hätte, da ich die Geschichte von Leif bisher nicht kannte. ;)
Und vielleicht hätte ich auch nicht begriffen, warum sie so in den Himmel gehoben wurde.
Aber ich sehe tatsächlich einen Unterschied.
Der Text von Leif ist Seltsam. Ein Kühlschrank mit Eigenleben, auf menschlichen Höflichkeitskonventionen bedacht. Ein Käsesandwich, das sich gebärdet wie ein Löwe der Nahrungswelt, Herrscher des Kühlschranks, Anklopfen wird zur Ehrerbietung an dieses Käsebrot.
Der ganze Text bleibt trotzdem in sich stringent. Er verfolgt ein Ziel. Man hat nicht das Gefühl, der Autor wartet darauf, dass ihm jemand anderes den Text erklärt, sondern er hat sich selbst etwas beim Schreiben gedacht. Er nutzt die Absurdität für eine Aussage, für ein Ziel, setzt Kühlschranktür und Sandwich in einen neuen Zusammenhang. Dieser Zusammenhang scheint aber aus dem Text hergeleitet, während sich mir in dem Text hier die Herleitungen nicht immer offenbaren. April hätte genau so gut Mai oder November sein können, man hat das Gefühl, er entspringt lediglich dem Zufall, nicht einmal einer Assoziation.
Da würde ich den Unterschied sehen.

Lieben Gruß, sim

edit: schaut euch mal ein paar Texte von Harkhov Syndrom an. Auch da ist es oft absurd, auch da mangelt es vielen an Verständnis. Und doch haben sie für mich oft eine andere Qualität, weil ich das Gefühl hatte, der Autor wusste ganz genau, was er tut, hat an dem Text gefeilt und eine feste Vorstellung davon, warum welches Wort genau wo stehen muss.

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Tantus!

Hältst du mich für einen Kopisten, für einen Plagiator?
Meine zweite Frage ist: Ist es nicht eines jeden Schreibers Recht, seine Gefühle, seine eigensten innersten Bilder den anderen im Guten-Morgen-Dusel mitzuteilen. Du bist zu skeptisch. Du bist erst siebzehn, oder achtzehn.
Du wirst noch viele Erfahrungen machen, die dein gewolltes literarisches ICH über Grenzen hinaussetzen wird. Dann wirst du das Gefühl haben, wenigstens deine Teenagerjahre hinter dir zu haben.
Ich finde hier ist eine intermediale Gemeinschaft, die für mich, cannam, sehr wichtig ist. Oder wichtig geworden ist. Nichts geht über soziale Kontakte, wenn auch in Schriftform. Es kann einen ganz wichtigen Bezug bilden. Es ist eine Art Kommunikation.

Auf ein letztes Bier!

cannam


An sim:

Im April ist das höchste christliche Fest im Jahr: Ostern.
Der Alte in meinem Text hat wohl eine Art Erinnerungsbezug auf April
Und vielleicht ist er immer schon Christ gewesen, vielleicht ist er erinnert worden an eine geliebte Person, an einen Heiligen. In Italien ist das häufiger der Fall. Manche brechen da ganz ekstatisch aus.

 

cannam schrieb:
Hältst du mich für einen Kopisten, für einen Plagiator?

Mitnichten. Ich wollte lediglich in bezug auf die ganzen Kritiken darauf hinweisen, dass eine ähnlich geartete Geschichte einmal viel besser bewertet wurde, und mir den Unterschied erklären lassen, wie es sim ja bereits getan hat.


cannam schrieb:
Im April ist das höchste christliche Fest im Jahr: Ostern.

Nicht immer.

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Cannan,

jetzt kommen wir uns doch näher. Du hast dir also doch etwas gedacht oder dir wenigstens hinterher Gedanken über die Bezüge gemacht.
Das war doch schon meine erste konkrete Frage, die du dann mit einer allgemeinen Literaturtheorielehrstunde beantwortet hast.
Es geht hier aber eben nicht um absurde Texte im allgemeinen sondern um deinen.
Es geht um deine Intention zu dem Text.
An den Reaktionen kannst du sehen, dass die offensichtlich nicht ankam.
Und erst, wenn mir deine Intention oder deine Gedanken bekannt sind, kann ich mir doch Gedanken machen, woran das liegen könnte.

Wie schon im ersten Beitrag geschrieben. Ich habe es hier zu oft erlebt, dass ich mir mit kryptischen Texten Mühe gegeben habe, um dann von den Autoren dafür ausgelacht zu werden, dass ich in ihrem Text noch so etwas wie eine Intention gesucht habe. Solche Erfahrung macht misstrauisch. Wenn ich also das Gefühl habe, jemand hat nur Sätze aneinandergereiht, ohne sich etwas dabei zu denken, denke ich auch nicht mehr, sondern frage höchstens nach.

Kommen wir zu deinen Aussagen:
Für dich steht der April für Ostern. Meine Assoziation zu April war "April April", an Ostern habe ich dabei nicht gedacht, trotz der Frage nach Jesus.
Hier hättest du sogar eine Chance, mit einem bisschen Klarheit, die Absurdität des Dialogs zu erhöhen und den Leser dabei weniger im Dunkeln tappen zu lassen. Stelle dir den Dialog so vor:
"Welchen Monat haben wir heute?", fragte der Alte.
"April", sagte ich.
"Ostern", wiederholte er leise.

Aussage und Wiederholung haben dann offensichtlich erstmal weniger miteinander zu tun, das erhöht die Absurdität und hilft dem Leser gleichzeitig bei dem Bezug. Auch zeigt es deutlicher, aus welch unterschiedlichen Welten die beiden kommen. Der Alte denkt in ganz anderen Zeitrechnungen, vielleicht nach dem Kirchenkalender.
Mit dieser Information könnte man deine Frage nach "Vielleicht ist er schon immer Christ gewesen" sogar weiterspinnen, wenn man sich die Beschreibung des Mannes anschaut. Man könnte sich auch fragen, vielleicht ist es Gott? Auch, wenn das natürlich die Frage aufwerfen würde, warum der zu sich selber beten sollte. Doch dabei könnte es sich ja auch um eine Segnung handeln.
In keinen intendierten Zusammenhang bekomme ich übrigens den Satz "Ich bestand darauf", der im luftleeren Raum hängt, weil es keinen Grund gibt, auf irgendetwas zu bestehen.
Gleich zum Einstieg gibt es noch einen Punkt, an dem du den Text wunderlicher machen könntest.
Die Anrede "Menschenfreund" ließe ja vermuten, dass der Alte in seinem Gegenüber Jesus sieht. Hier wird also eine Verwirrung in der Sicht der beiden zueinander eingeleitet. Der Alte möchte im Anfassen anbeten, der Junge sucht Weisung. Sie sehen sich also eventuell beide als Höheres, auch wenn der Junge eher atheistisch erscheint. Er ist auf der Suche. Gestaltest du nun den Satz:

"Eine Kutsche, denk ich. Siebzehntes Jahrhundert."
um zu: "Eine Kutsche", dachte ich. "Siebzehntes Jahrhundert.", vermittelst du in der auf einen Gedanken folgenden Gegenfrage dem Alten weiterhin etwas "Göttliches" und treibst diese Sichtweise etwas auf die Spitze, pointierst sie sozusagen. Wenn es aber darum geht, dass beide nur arme Sterbliche ohne jegliche Weisheit sind, ist natürlich deine Form die Bessere. Ich fände das Spiel mit der Idee, der Jüngere könnte vielleicht auch Gott gesehen, aber nicht erkannt haben
ganz reizvoll.
Zum Ende hin ist die Suche deines Prot vergeblich. Er hält die religiöse Inbrunst nur für Wahnsinn (der eher wie Tollwut dargestellt wird). Eine verbreitete Sichtweise. Wer glaubt, muss verrückt sein. Dann lieber nach Hause und die Suche aufgeben. Letztlich ist die Eingangsfrage damit beantwortet. "Wohin, wohin nur ...?"
"nach Hause."
Die Entscheidung ist gefallen. In der Realität bleiben, Boden unter den Füßen genießen, aber auch keine Wagnisse mehr eingehen, sich vielleicht abfinden.
Etwas, das mich abgelenkt hat, war "Görlitz". Wer denkt dabei schon an Italien? ;)
Auch die Kutsche, selbst wenn ich da eine Vorschlag gemacht habe, hängt mir zu leer im Raum. Wozu ein Verweis aufs siebzehnte Jahrhundert? Er eröffnet mir keine zusätzliche Perspektive. Ich weiß nicht, warum es genau eine Kutsche sein muss, dazu eine aus dem siebzehnten Jahrhundert. So kurze Texte haben einfach den Nachteil, dass wirklich jedes Wort an seinem Platz stimmen muss. Sie erfordern eine unglaubliche Präszision.
Natürlich sollte auch bei längeren Texten alles stimmen, aber bei kurzen fällt es viel mehr auf und ins Gewicht.
Man muss (siehe April=Ostern) schon recht sicher sein, dass ein Begriff in jedem ungefähr ähnliche Assoziationen wachruft. Ein Satz, der in einem Leser keine Verknüpfung erschließt, kann schon dafür sorgen, dass du nur Schulterzucken erntest.
Selbst, wenn es nicht um das Vernünftige, Verständige geht, muss eben eine andere Intention zu erkennen sein als:
Im Grunde ging ich selber nicht mit Überlegung an die Geschichte. Hab sie einfach so aufgeschrieben, ohne mir Gedanken zu machen, was da für Bilder für euch, aber auch bei mir selber rauskommen.
Auch bei absurden Geschichten.
Wie du siehst, gibt es schon Gedanken, die man sich zu deinem Text machen kann. Nur ist die Mühe eben ärgerlich, wenn der Autor selbst erklärt: Ich habe mir selbst nichts dabei gedacht. Betrachtet es doch als Absurdum.

Lieben Gruß, sim

 

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