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Ein umgestürzter Tisch

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07.06.2007
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Ein umgestürzter Tisch

Ein Tisch, völlig ohne Streit mit seinen Stühlen gehabt zu haben, beschloss von ihnen getrennt zu leben als Eremit auf dem Dachboden. In seiner einsamen Einsiedelei gefiel sich der Tisch eine Weile, zumal er nicht völlig allein war unter dem Dach und ihm der Wind unter den Ziegeln Elegien sang, die er aber meistens überhörte, weil er nach Faltern lauschte und Spinnen und Ratten; denn er bekam es mit der Angst zu tun, obwohl er aus ziemlich zähem Zedernholz bestand und zuweilen Katzen auf seinem Rücken lauerten, was wiederum die Ratten ängstigte und davon abhielt, an seinen Beinen zu nagen oder seine Tischplatte anzuknabbern. Der Tisch wurde über die Jahre staubig - und unzufrieden mit sich selbst. Er konnte es auch beim besten Willen nicht genießen, dass Schleiereulen ihm Gewölle entgegen spieen und die Sterne ihn blendeten, als auch einige Schieferplättchen ihre traurigen, aber zugleich beruhigenden Lieder ausgesungen hatten und all seine Unschuld ihn mit dem Tau verließ, der seine morschen Beine hinabrann.
Der Tisch blieb aber geduldig in seiner Versenkung, denn er hatte vor langer Zeit Gelegenheit gehabt, Epikur zu studieren, und er hörte in seinen letzten Nächten erstaunt die Grillen auswendig rezitieren, was ihm als jungem Möbelstück besonders gut gefallen hatte. Da sie sehr sprachgewandt waren und glaubhaft, hörte er ihnen aufmerksam zu, und es war dem Tisch gleichgültig, dass ein Mensch kam und ihn umwarf, seine Beine zertrat und ihn zersägte.

 

Hallo,


es mag an meiner Laune liegen, aber mir gefällt der Text. Schon der Titel war so derart alltäglich und lapidar, dass der Text einfach tiefsinnig sein musste. Und er wars auch halbwegs. Ein bisschen kafkaesk, kanns sein?

Zwei Kritteleien:

Ein Tisch, völlig ohne Streit mit seinen Stühlen gehabt zu haben, beschloss von ihnen getrennt zu leben als Eremit auf dem Dachboden.
  • "als Eremit ... Dachboden" wirkt so an den Satz dran geklatscht. Ich weiß, manchmal klingt das toll, hier nicht. Vielleicht doch ein Gedankenstrich?
  • So ein bisschen frage ich mich, wie ein Tisch selbstständig (äh, selbstgehend) auf den Dachboden gekommen ist. Mit seinen vier Beinen? Doch nachdem der Tisch sogar Epikur studiert hat, sollte dies wohl keine große Überraschung sein.

In seiner einsamen Einsiedelei gefiel sich der Tisch eine Weile, zumal er nicht völlig allein war unter dem Dach und ihm der Wind unter den Ziegeln Elegien sang, die er aber meistens überhörte, weil er nach Faltern lauschte und Spinnen und Ratten; denn er bekam es mit der Angst zu tun, ...
  • Ist das nicht widersprüchlich? ;) Vor allem scheinen mir "zumal" und "denn" hier die falsche Wahl.

Hat mir gefallen der Text,
-- floritiv.

 

Hallo eshorn,

die Einsiedelei ist natürlich nicht einsam, wenn der Tisch nicht völlig allein ist. Auch ist schon Einsiedelei der völlige Rückzug eines Eremiten oder Anachorets. Einsame Einsiedlei ist also eine Doppelung, die du im selben Satz auch noch wieder zurücknimmst.
Ich empfinde das als kleine Ungenauigkeit in einem ansonsten gelungenem Text.

Lieben Gruß, sim

 

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