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Ein Untergang
Schweigsam war’s, als die Sonne die Berge durch ein letztes Lächeln mit einer rotgoldenen Krone aus Feuer und Furcht beschenkte. Nur das monotone Pochen eines kahlen Astes gegen Schiefer drang durch das Gurgeln des Flusses, der sich keine drei Steinwürfe entfernt in einem Strudel aus Willkür und ungebundenen Linien zu einer dichten Masse tödlichen Unheils verdichten sollte.
Die Luft war erfüllt von dem spätsommerlichen Stolz, den nur ein Glücklicher empfinden kann. Süße Linde verwandelte die kommende Kühle in eine Köstlichkeit. Ein Geruch von Fernweh, aber auch Erfüllung drang bis tief in die Eichenwälder, dem Ort an dem ich mein bescheidenes Lager errichtet hatte. Gerade züngelte die gelbe Flamme des Lagerfeuers an einem trockenen Ast empor und versengte dort braune Blätter.
Ein Gesicht in schwarz und weiß, eine Gestalt im Unterholz, ein Mund, verzogen und blutig.
Doch all das nahm ich damals nicht wahr. Ich befand mich in einer Phase der Selbstfindung. Meine Augen waren auf meine innere Empfindsamkeit gerichtet. Ich dachte nach, machte mir Gedanken und dennoch lachte ich über den bloßen Gedanken, mir über andere Gedanken zu machen. Freundschaft war mir fremd, Nächstenliebe ein Rätsel, Angst vor dem Alleinsein unbegreifbar. Wie kann der freie Mensch nach Zweisamkeit sich sehnen, ohne seine Freiheit aufgeben zu wollen? Wie kann der Fuchs sein Revier mit einem Fuchs teilen, ohne den Futterbestand an Hasen drastisch zu reduzieren?
Zu meiner Scham muss ich gestehen, dass dies tatsächlich meine Gedanken an jenem verdammten Abend widerspiegelt. Jetzt im Schatten der untergegangenen Sonne des Alters, auf kaltem, feuchtem Stein sitzend, sehe ich, wie dumm sie waren. Es war keine Poesie, keine Philosophie, es war lachhaft. Und gefährlich.
***
Eine Stimme ruft aus der Ferne: „Nicht der Dumme lacht laut, sondern der Einfältige! Nicht der Mutige bekämpft die Dunkelheit, sondern der des Todes. Nicht der Bekehrte wird glücklich werden, sondern der Glaubende!“
Eine Gestalt erscheint in dem graublauen Dunkel meiner Wahrnehmungsfähigkeit. Lange strähnige Haare bedecken einen Buckel und verstecken ein dreckiges, hässliches Gesicht. Da sehe ich seine Augen. Todesangst dringt bis in meinen Darm vor, der Wunsch mich zu verstecken lässt meine Beine verkrampfen. Keuchen, Furcht, eine tiefe Furcht vor dem Ende- dem Ende des Tages, dem Ende des Monats, dem Ende des Frühlings, dem Ende des Jahrs, dem Ende meines verdammten Lebens überkommt mich. Ekel steigt in mir empor und ich versuche mich der steifen Finger zu befreien, die einen steinernen Griff um meine Handgelenke gebildet haben. Sein Gesicht kommt ganz nahe an das Meinige. Trockener, morastiger Gestank entweicht seinem, vor Eifer weit aufgerissenem Mund. Ich spüre seinen Atem immer näher an meiner Backe. Ich spüre seine verrunzelte alte Haut an meinen Ohren. Etwas Feuchtes berührt meine Lippen. Ich weiß nicht was es ist, denn meine Augen sind geschlossen, meine Abwehrversuche erloschen, mein Mut in Panik verwandelt.
Zu diesem Zeitpunkt, muss ich gestehen, hatte ich mich bereits von meinem Leben verabschiedet. Ich war mir sicher, dass dies mein Tod war, dass diese alte, stinkende Kreatur das Letzte war, was meine Augen wahrnehmen sollten.
„Nein!“, schreie ich laut und öffne meine Augen. Der Mann ist fort. Meine eigenen Hände umschlingen meine Handgelenke in grotesker Art. Ein Stück Rinde kitzelt mein Ohr und ich glaube fast nur einen schlechten Traum gehabt zu haben, (etwas, das selbst jetzt noch, nach zehn Jahren, meine Psychologen versuchen mir einzureden), doch was war die Feuchtigkeit auf meinen Lippen? Meine Hand tastet sich Richtung Lippen. Als ich den Mut aufbringen kann, auf die Hände zu schauen läuft erneut ein kalter Schauer über meinen Rücken. Tränen steigen in meine Augen.
***
Eine Zigarre füllt den Raum mit dichtem, süßem Rauch. Der Aschenbecher, in dem sie liegt, ist bereits mit etlichen ausgedrückten Stummeln verdreckt. Ein stattlicher Herr mittleren Alters nimmt die Zigarre auf, nimmt einen tiefen Zug und drückt sie endgültig aus. Durch das große Fenster im südlichen Teil des Zimmers fällt wohltuende Wärme. Das Licht spielt mit den Schlieren des Zigarrenqualms, welche wahllos, wie es scheint, in der frischen Herbstluft durch den Raum schweben. Der Mann steht auf, als eine hübsche brünette Frau das Zimmer betritt.
„Bist du bereit?“, fragt sie liebevoll.
„Ja“, murmelt er. „Ja, das bin ich.“
Doch sein Blick schweift ein letztes Mal zu dem Fenster und er muss an ein monotones Pochen eines Astes denken, welches, kaum hörbar, an den Schiefer eines Berges klopft, der von der untergehenden Sonne in ein rotgoldenes Kleid aus Feuer und Furcht gehüllt wird.