- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 1
Ein verhängnissvoller Abend
Ein verhängnisvoller Abend
Sie beobachtete schon eine ganze Weile ein junges Pärchen, das eine Reihe vor ihr im Flugzeug saß. Die beiden lachten viel und er gab seiner Liebsten immer wieder zärtlich einen Kuss. Einfach so, nicht fordernd weil er mehr wollte, sondern einfach so, weil er sie offensichtlich liebte.
Da wurde ihr bewusst, dass es genau das war, was sie sich so sehr wünschte. Einen Mann an ihrer Seite der sie ehrlich und mit ganzem Herzen liebte und sie genau so küssen würde.
Sie sah neben sich zu Ihrem besten Freund mit dem sie ein Wochenende in London verbracht hatte. Es war eine schöne Zeit, die beiden hatten vor einem halben Jahr einen kleinen „Ausrutscher“ gehabt! Er war es, der ihr geholfen hatte aus ihrer langjährigen Beziehung auszubrechen. Doch die Geschichte war nicht von Dauer. Der Altersunterschied der beiden war einfach zu groß. So einigten sie sich auf eine Freundschaft, was auch wunderbar funktionierte.
Der Flug nach Frankfurt zurück dauerte nicht lange. Verträumt sah sie aus dem Fenster, bewunderte die Wolken und fing an zu beten. Sie konnte sich nicht erinnern wann sie das das letzte Mal tat, aber sie glaubte in diesem Moment ganz fest daran, dass, wenn es einen Gott gibt, dann hört er ihr jetzt in diesem Moment zu. Und so betete sie, dass auch sie eines Tages den Menschen finden würde der für sie bestimmt war.
Zurück auf dem Boden der Tatsachen in Frankfurt angekommen, verlor Sie keinen Gedanken mehr an das Pärchen im Flugzeug, sie wollte einfach nur nach Hause. Ein heißes Bad nehmen und anschließend etwas Leckeres essen. Das war ihr in England leider nicht vergönnt gewesen, da die englische Küche so gar nicht ihr Fall war. Also verabschiedete sie sich noch rasch von ihrem Freund und fuhr nach Hause.
Die Badewanne war schon fast vor dem überlaufen als sie es noch rechtzeitig bemerkte und das Wasser abdrehte. Doch bevor sie sich entspannt dem warmen Nass hingab, viel ihr ein, sie müsse unbedingt noch ihr Handy einschalten. Das war das ganze Wochenende ausgeschaltet, da sie ihr Aufladegerät zu Hause vergessen hatte. Wie zu erwarten bekam sie eine SMS nach der anderen und hatte 13 Anrufe in Abwesenheit. Die meisten von ihrer Freundin Lilli, der sie nicht erzählt hatte dass sie nach London vereisen würde. Darauf hatte sie einfach keine Lust gehabt, denn Lilli war im Gegensatz zu ihr, sehr konservativ und hätte bestimmt kein Verständnis dafür gezeigt, dass eine Frau mit einem Mann aus rein freundschaftlichem Hintergrund eine Städtereise unternimmt. Und erst recht nicht wenn die beiden bereits eine Affäre hatten.
Eine SMS war allerdings sehr merkwürdig, sie konnte so rein gar nichts damit anfangen. Ein gewisser Tom entschuldigte sich für einen gewissen Abend bei dem er wohl sehr ausfällig zur ihr geworden sei und betonte dass er es wirklich nicht so böse gemeint habe und sie auf gar keinen Fall so beleidigen wollte. Sie überlegte, doch sie kannte keinen Tom und um welchen Abend ging es ihm wohl? Also kam sie zu dem Entschluss, dass dieser Tom sich bestimmt bei der Handynummer geirrt haben musste. Das Badewasser war schon fast wieder zu kalt als sie endlich in die Wanne stieg. Also ließ sie wieder ein wenig Wasser heraus um wieder heißes nachlaufen zu lassen. Sie schloss die Augen und genoss dass angenehm wohlige Gefühl.
Doch diese SMS ging ihr einfach nicht aus dem Kopf. Tom, welcher Tom? Sie kannte mal einen Tom, der damals mit ihr zu Schule ging, das war der einzige der ihr einfiel, aber mit dem hatte sie überhaupt gar nichts zu tun. Das konnte natürlich nicht sein. Tom, Tom, wer zum Himmel ist Tom? Vielleicht war diese SMS ja doch an sie gerichtet?
Auf einmal viel es ihr wie Schuppen von den Augen. Natürlich, Tom! Der Bruder von einer Bekannten hieß Tom. Und jetzt viel ihr auch wieder der Abend ein. Es war schon einige Wochen her. Sie war mit ihrer Freundin Anja aus gewesen. Sie waren wie des öfteren in ihrer Stammkneipe unterwegs und trafen sich mit anderen Freunden. Es war ein sehr lustiger, feucht-fröhlicher Abend gewesen. Sie lachten viel, hatten spaß und tranken als würde es bald nie wieder Alkohol geben. Sie stand in der nähe der Theke, als sie mitbekam wie zwei junge Männer plötzlich anfingen zu streiten. Anfangs wirkte es nicht sehr bedrohlich auf sie, also rief sie in ihrer übermütigen Laune den Jungs zu, sie sollten sich doch nicht so aufregen, der Abend wäre doch viel zu schade zum ärgern. Die beiden Männer fanden es jedoch überhaupt nicht gut dass sich eine Frau bei ihnen einmischte und so kam es dazu dass einer der beiden sie aufmüpfig zu Recht wies. So folgte ein Wort dem anderen und ehe sie sich versah wurde sie in den Disput verwickelt. So dass ihr, ihrer Meinung nach, nichts anderes übrig blieb als die Streithähne vom Wirt, den sie gut kannte, aus der Bar werfen zu lassen.
Was sie in diesem Moment nicht wissen konnte war, dass die beiden Streitlustigen in Wirklichkeit gute Freunde waren, die einfach nur eine Diskussion hatten, nicht mehr und nicht weniger. Außerdem waren sie in einer Gruppe unterwegs, anlässlich eines gewissen Tom, der an diesem Abend in der Bar seinen Geburtstag feierte. Dieser ärgerte sich natürlich sehr darüber dass zwei seiner Gäste der Bar verwiesen wurden. Und als er erfuhr dass sie daran beteiligt war und in seinen Augen die ganze Schuld trug, konnte er sich nicht beherrschen und fing darauf hin ebenso einen Streit mit ihr an.
Jetzt wurde ihr alles klar, dieser Tom der seinen ganzen Frust an ihr ausgelassen hatte, so dass sie später sogar noch anfing zu weinen und sich am nächsten Tag als der Kopf wieder klarer wurde, immer noch über ihn ärgerte. Dieser Tom war es, der sich nun per SMS bei ihr entschuldigte. Aber woher kannte er nur ihre Telefonnummer? Gut, sie war keine Unbekannte in der Bar. Mit ein wenig Mühe war es bestimmt möglich an Ihre Nummer zu kommen. Wie auch immer, dachte sie!
Sie war beeindruckt dass sich jemand für sie diese Mühe gemacht hatte und sich dann auch noch tatsächlich bei ihr entschuldigte. Für eine Sache, die sie schon längst vergessen hatte. Man muss wissen, sie war sehr hart im nehmen. Ihre vergangene langjährige Beziehung hatte sie einfach zu sehr abstumpfen lassen, sie hatte damals so viel Schlechtes ertragen müssen, dass sie einfach nicht mehr feinfühlig genug war um solche Dinge wirklich an sich herankommen zu lassen. Umso mehr freute sie sich darüber dass sich jemand um sie Gedanken machte.
Sie sprang aus der Badewanne heraus, die inzwischen eindeutig zu kalt wurde und holte ihr Handy. Sie musste ihm zurück schreiben, dass sie es gut von ihm fand dass er sich gemeldet hatte und dass ihr der Streit auch Leid tat. Außerdem schrieb sie, wenn sie sich mal treffen würden dann könnten sie ja gemeinsam auf die Sache „einen trinken“ und darüber lachen!
Einige Tage später kam erneut eine SMS von Tom. Er schrieb, dass er sich zurzeit in Namibia im Urlaub, bei seinem Vater zu besuch, aufhielt. Und dass, wenn er zurück in Deutschland sei, er gleich anschließend mit seinen Freunden nach Österreich in den Skiurlaub fuhr. Aber wenn er zurück sei, könnte man sich gerne mal treffen!
Wie, er will sich mit mir treffen? Dachte sie. Wieso sollte sie sich mit ihm treffen? Sie erwähnte doch lediglich man könne mal zusammen einen trinken wenn man sich zufällig in der Stadt träfe! Das musste er wohl falsch interpretiert haben. Aber gut, jetzt wollte er sich also mit ihr verabreden. Warum eigentlich nicht, überlegte sie. Es wäre ja nichts dabei. Sie würden ganz unverbindlich miteinander ausgehen ohne einen Hintergedanken. Möglicherweise war er ja ein ganz netter Kerl und sie würden vielleicht einen lustigen Abend verbringen. Also schrieb sie ihm zurück dass sie sich gerne mit ihm nach seinem Urlaub treffen würde und sie machten auch gleich einen Termin aus.
Die Tage vergingen. Sie wusste sie würde ihn am nächsten Tag treffen, aber aufgeregt war sie keinesfalls. Weshalb auch? Es war ja nichts dabei. Sie wusste ja inzwischen nicht einmal mehr wie er aussah, so vernebelt hatte sie den besagten Abend in Erinnerung. Sie hoffte nur dass es nicht allzu langweilig werden würde, sie überlegte sich schon einen Grund den sie nennen könnte um vorzeitig den Abend zu beenden. Für den Fall der Fälle, dachte sie! Doch plötzlich piepte ihr Handy. Eine SMS. Von wem wohl? Von Tom. Wollte er ihr nun doch absagen, weil es für ihn eine ebenso eigenartige Situation war? Sie holte tief Luft und las. Er fragte sie ob er sie am Abend einmal anrufen dürfe! Natürlich durfte er das. Sie antwortete ihm gleich und teilte ihm mit dass sie ab 20.00 Uhr am besten zu erreichen wäre.
Am Abend klingelte auch prompt ihr Telefon. Es war Tom. Und wie sich herausstellte war er sehr nett. Die beiden unterhielten sich fast 2 Stunden. Über alles Mögliche. Sie erzählten sich von einander, über ihre Vorlieben, ihre Abneigungen, über ihre Stärken, ja und auch sogar über ihre Schwächen. Er gestand ihr dass er unheimlich unordentlich ist, doch sie konnte sich nicht vorstellen dass es noch einen Menschen gibt der chaotischer ist als sie. Es war ein sehr lustiges Gespräch. Es stand also dem kommenden Abend nichts mehr im Wege. Nein, sie freute sich sogar schon ein bisschen und musste sich eingestehen dass sie nach dem Telefonat wirklich aufgeregt war! Plötzlich fing sie an sich darüber Gedanken zu machen, was sie wohl anziehen könnte. Doch nach einer langen Schlacht mit ihrem Kleiderschrank, hatte sich auch dieses Problem erledigt.
Am nächsten Tag war es dann endlich soweit. Sie waren in der Innenstadt in einer kleinen gemütlichen Bar verabredet. Sie war sich nicht sicher ob sie pünktlich oder lieber ein wenig später ankommen sollte! Eigentlich mochte sie es lieber wenn man auf sie wartete. Ihre Großmutter sagte immer zu ihr: “Willst du gelten, mach dich selten“! Aber wenn er vor ihr da wäre, wie würde sie ihn nur erkennen? Sie hatte ja keinen Schimmer wie er aussah. In einer SMS hatte er ihr geschrieben, er wäre der, der mit Cowboyhut an der Theke steht und mit der Münze schickt. Darüber hatte sie sehr gelacht. Das half ihr nur jetzt auch nicht weiter!
Sie parkte ihren Wagen nur wenige Meter von der Bar entfernt. Als sie ausstieg und los lief, blickte sie suchend um sich herum. Es könnte ja sein dass er im selben Moment auf dem Weg in die Kneipe war doch sie sah nur zwei ältere Damen auf der anderen Straßenseite und zwei Jungs die jedoch überhaupt nicht in Frage kamen. Und außerdem würde er doch hoffentlich allein kommen und nicht mit einem Freund. Sie erschrak über diesen Gedanken, denn darüber hatte sie vorher noch gar nicht nachgedacht. Wie würde das denn aussehen? Er ganz zwanglos mit einem Freund und sie allein, als würde sie sich von dem Abend mehr versprechen. So sollte es auf gar keinen Fall aussehen. Es war auch nicht so. Sie war einfach nur aufgeregt weil sie nicht wusste was sie erwartete. Doch es half jetzt alles nichts mehr, sie kam allein und hoffte, er war es auch.
Sie näherte sich der Bar und holte noch einmal tief Luft, bevor sie die schwere Tür aufdrückte. Es war noch früh am Abend und deshalb auch noch nicht sehr voll dort. Das Licht war gedämmt und es standen schöne kleine Kerzen auf den mediterranen Tischen. Überhaupt war es ein sehr geschmackvoll eingerichtetes Lokal, nur die Musik gefiel ihr nicht. Sie spielten dort meistens Latein-Amerikanische Musik. Das war auch der Grund warum sie dort so selten hinging. Aber die Musik war ihr jetzt egal, sie hoffte dass sie ihn gleich erkennen würde und nicht so lange mit ihren blicken nach im suchen müsste. Es wäre ihr peinlich wenn er sie schon vor ihr bemerkte und sie dabei beobachten würde wie sie nach ihm sucht. Doch dazu sollte es nicht kommen.
Als sie eintrat sah sie geradeaus ein paar Leute an einer Säule stehen. Und da war er. Sie sah ihn von weitem direkt in die braunen Augen und erkannte ihn sofort. Er begrüßte sie und sie ging auf ihn zu. Er sah ganz anders aus als an dem besagten Abend. Sie hatte ihn ja vorher nur wütend erlebt. Und jetzt blickte sie in ein freundliches, schüchternes Gesicht. Er war wohl auch so aufgeregt wie sie, dass beruhigte sie ein wenig.
Was sie in diesem Moment noch nicht wusste, war dass dieser Augenblick, einer der wichtigsten in ihrem Leben werden würde. Denn die beiden verbrachten nach diesem schönen Abend, noch unendlich weitere Abende miteinender. Der eine mal mehr, der andere mal weniger schön. Aber das machte nichts, denn die beiden wussten, sie gehören zusammen, egal was auch passierte. Und er gibt ihr auch heute noch einfach so einen Kuss, nicht fordernd, weil er mehr will. Sondern einfach so, weil er sie offensichtlich liebt.