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Ein virtuelles Schachspiel
Der Sommer hatte ein jähes Ende gefunden und hinterließ dem Herbst ausgetrocknete Flüsse und Felder. Sie sah aus dem Fenster in einen dunklen mit Wolken verhangenen Himmel, der dem Tag sein letztes Abschiedslicht nicht gönnte.
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Aus den Computerlautsprechern klang leise klassische Musik zu ihr herüber. Sie wandte sich vom Fenster ab, schaute auf den Monitor. Eine lapidare Mitteilung. Schach!
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Es wollte ihr kein genialer Gegenzug einfallen. Tagelang hatte sie ihren Geist bemüht, hatte ihre Intelligenz eingesetzt, ihren Emotionen freien Lauf gelassen. Sie hatte sich auf ein Spiel eingelassen, von dem sie wusste, dass der Gegner um soviel stärker war als sie. Gefüttert mit dem Wissen tausender Spielzüge.
Sie hatte einen Traum. Einen Traum vom König der seine Dame liebt und mit ihr einen Kreuzzug plant, um den heiligen Gral zu finden. Lächerlich angesichts des Schlachtfelds, das sich ihr jetzt darbot. Armselig das Häuflein der Getreuen um König und Dame, wie groß die Heerschar des Gegners Vasallen.
Es gab kein Entrinnen mehr. Keine Hoffnung, durch Auferweckung der verlorenen Krieger noch einen Sieg zu erringen. Die Dame allein stellte sich mutig dem Henker, um den König ein letztes Mal Schutz zu bieten.
In Sekundenbruchteilen triumphierte die Anzeige.
„Schach matt! Schach matt! Schach matt!“ ,sagte sie sich immer wieder verzweifelt und starrte dabei auf den Monitor. „Welchen Zug hätte ich anders setzen sollen, du kluges Monster?“
Sie wollte kein neues Spiel. Keine Revanche!
Ihr Mitspieler ohne Geist, ohne Verstand, ohne Gefühl. Sie wusste es und konnte nicht verstehen, warum sein Sieg sie so sehr kränkte.
Während des Spiels hätte sie sich beraten lassen können, eben genau von diesem virtuellen Gehirn. Optionen wählen. Spielzug rückgängig machen. „Sehr schön!“, dachte sie und zog es für einen Moment in Erwägung. Einfach rückgängig machen, noch einmal die Gedanken neu ordnen können. Eine List, dem Spiel einen anderen Ausgang zu geben.
Sie wählte keine Option, kein neues Spiel. Würde es doch bedeuten, den König auszuwechseln. Das virtuelle Spiel ließ nicht zu, den König aus dem Spiel zu nehmen. Sie konnte ihre Hand nicht liebend um ihn legen, ihn ansehen, ihm sagen, wie leid ihr alles täte. Ihm versprechen, ihn in einem neuen Spiel wieder einzusetzen und alles anders zu machen.
Sie starrte ernüchtert auf das virtuelle Spielbrett. Sie hatte ihren König verloren.