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Ein Zombie im Kaufhaus
„Junger Mann?“
Sie schien nicht zu bemerken, dass ich mich bereits mit zwei Kunden gleichzeitig unterhielt.
„Junger Mann?!“
Sie schien es wirklich nicht zu bemerken.
„Junger Mann, ich suche einen Jogingschuh. Könnten Sie mir vielleicht helfen?“
Das war keine Frage, das war eine Aufforderung…
„Sofort, ich mache nur grad die beiden anderen Kunden fertig.“ Ähm, ich meine ich bringe nur grad das Verkaufsgespräch mit den beiden anderen Kunden zum Abschluss, verbesserte ich den Satz in meinem Kopf. Fertig machen tut man sich schließlich nicht im Einzelhandel.
„Alles klar, dann wünsche ich Ihnen viel Spaß mit Ihren Laufschuhen. Sie können die Schuhe auch gern noch für ein paar Stunden in Ihrer Wohnung ausprobieren, falls Sie sich noch nicht hundertprozentig sicher sind. Wenn Sie die Schuhe einmal draußen getragen haben, erlischt natürlich Ihr Umtauschsanspruch, es sei denn es tritt später ein Materialfehler oder Ähnliches auf. Ein schönes Wochenende wünsch ich Ihnen!“
„So, junger Mann, jetzt haben Sie ja Zeit, oder?“
Wieder war es keine Frage…
Und überhaupt, was sollte das eigentlich sein, ein „junger Mann“? Das berühmte Zwitterwesen aus Junge und Erwachsenem, und meist waren es selbstbewusste Damen über Fünfzig die einen so nannten, die sich „nichts andrehen lassen wollen“, „sämtliche Testurteile gelesen haben“ und „am liebsten einen reduzierten Jogingschuh haben möchten“. Ja ja, einen Joginschuh, das zweite ‚g’ war wohl auf dem stressigen Weg von Köln-Marienburg in die City verloren gegangen. Schluss jetzt…
„Was können Sie mir denn für einen empfehlen? Also, am liebsten was Reduziertes!“ Ich wusste es...
„Am besten ziehen Sie zunächst einmal Ihre Schuhe aus, krempeln Ihre Hosenbeine ein Stück hoch und stellen die Füße etwa schulterbreit auseinander.“ Jetzt hörte ich mich an wie so ein Cop in einem amerikanischen Provinznest, der arglose Touristen drangsaliert, die sich irgendwie dorthin verirrt haben. Wow. Das hatte was.
„Wieso, wenn ich fragen darf?“
„Ach so, es geht darum zu erkennen, ob bei Ihnen eine Fußfehlstellung vorliegt. Das wäre nicht weiter schlimm, Sie bräuchten dann lediglich einen Schuh mit Pronationsstütze, die ein möglichst gerades Abrollen Ihrer Füße gewährleisten soll.“
Ratlosigkeit in ihren Augen.
„Also, in Ihrem Fall würde ich dringend einen Schuh mit Stütze empfehlen. Beide Sprunggelenke senken sich bereits in der Statik nach Innen ab.“ Jetzt wurde ich gemein.
„Schauen Sie mal, dort die Schuhe, die auf den grünen Platten stehen, die haben alle eine Stützfunktion.“
„Haben Sie mal die Preise gesehen?!“ Natürlich, ich arbeite hier…“Da kostet ja keiner unter hundert Euro!!!“
„Ich schaue mal im Lager nach, ob ich eins der günstigeren Modelle in ihrer Größe da habe. Was haben Sie denn für eine Schuhgröße in Ihren Lederschuhen? Die Laufschuhe fallen sehr klein aus, da müssen Sie meist noch mal zwei Nummern draufrechnen.“
„Ähm, das wäre dann die Größe 36. Also in meinen herkömmlichen Schuhen, meine ich.“
Alles klar, macht dann circa 38 überschlug ich es in meinem Kopf und verschwand ins Lager. Erstmal anlehnen. Und Durchatmen. Und einen Blick in den Spiegel werfen. Oh Mann, diese Gesichtsfarbe. Tiefblaue Augenringe füllten
beinahe mein gesamtes Gesicht aus. George A. Romero hätte mich vom Fleck weg für seinen neuen Film gecasted.
„Arbeiten Sie eigentlich hauptberuflich hier, junger Mann?“
Da war die Frage. Sie stellte sie, als ihren zierlichen mittfünfziger Fuß per Schuhhörnchen in einen 120 Euro teuren Laufschuh zwängte. Die Frage, die mich immer wieder in schwerste Gewissenskonflikte brachte. Wenn ich zu vehement darauf pochte, „bloß Aushilfe zu sein“ und „eigentlich zu studieren“, pisste ich doch im gleichen Atemzug meinen (festangestellten) Kollegen an den Karren, die sich hier tagtäglich abschufteten. Das konnte ich nicht bringen.
„Natürlich nicht!“
Sorry Jungs, aber Schuhverkäufer?! Jetzt mal ernsthaft…
„Ich studiere. Auf Lehramt. Sonderpädagogik.“ Jetzt müsste erfahrungsgemäß eigentlich der zweite obligatorische Gedankengang samt geheucheltem anerkennendem Respekt folgen.
„Sonderpädagogik?!“
Ja, ja, und…
„Mensch junger Mann, dass ist aber bemerkenswert. Ich könnte das nicht.“
…zack, da war er.
Na gut, über Berufserfahrung verfügte ich überhaupt noch nicht. Lediglich zwei, mit Samthandschuhen absolvierte, Praktika konnte ich vorweisen. Aber was soll´s:
„Ja damit haben Sie absolut Recht. Für diesen Beruf sind nur Menschen mit einem Höchstmaß an sozialer Kompetenz geeignet. Menschen, die auch mal dazu bereit sind, Opfer zu bringen.“
Ich kann mir nicht erklären wieso, aber die Laufschuhe hat sie letztendlich mitgenommen. Die teureren. 160 Euro das Paar.