Eine dieser Nächte...
Seit zwei Stunden war ich nun schon unterwegs, das bedeutete ich musste vielleicht noch eine halbe Stunde durchhalten. Eigentlich fahre ich ja gern Auto, aber dieses war erstens nicht mein Eigenes, sondern das von einem Bekannten und zweitens voll mit betrunkenen Männern. Schon nach der ersten Viertelstunde stellte ich fest, daß die von mir sonst so gern auf volle Lautstärke gedrehte Metall-CD ziemlich nervtötend sein konnte, wenn sie von im Kanon grölenden Männerstimmen begleitet wurde. Einer versuchte den Nächsten zu übertönen, oder zumindest schneller am Ende der Strophe zu sein als die drei Anderen. Das Ergebnis hätte jedenfalls selbst unseren lokalen Fußballverein in den Wahnsinn getrieben. Ich konnte die Jungs ja verstehen, nach einem richtig guten Konzert wie dem gerade, brauchte man schon eine Weile, um wieder runter zu kommen.
Ich hatte den Boden der Tatsachen relativ schnell wieder erreicht, bin mir aber nicht ganz sicher, ob das am fehlenden Alkohol lag, oder daran, dass der Sänger der Band sich nach dem Konzert als riesiger Idiot entpuppte. Wobei riesig hier der falsche Ausdruck ist, er war doch eine ganze Ecke kleiner als ich. Was ihn nicht daran hinderte, mich auf die uncharmanteste und einfallsloseste Art anzubaggern. Wenn ich mit einem bierbäuchigen, kleinen Mittvierziger mit einem eingebrannten umgedrehten Kreuz auf der Stirn und einem IQ unter Raumtemperatur ins Bett gehen wollte, so hätte ich das sicher schon in einer der Kneipen in unserer Kleinstadt erreichen können. Ok, ich gebe zu, das mit dem Kreuz wäre doch ein wenig schwierig zu finden gewesen, aber ansonsten trieb sich diese Sorte Mann doch recht häufig in der Innenstadt, sowie auf sämtlichen Stadtfesten, Feuerwehrversammlungen, Junggesellenveranstaltungen oder Weihnachtsmärkten in der Gegend herum.
Dieses Exemplar ließ sich auch genauso wenig mit freundlichen Worten abschütteln wie die bei uns. Er ging erst, nachdem er den kompletten Grasvorrat eines ihn vergötternden Fans Anfang zwanzig aufgeraucht hatte, und dadurch wohl auch nicht mehr die Energie hatte, sich noch länger um mich zu bemühen.
Die Anstrengung, alle Lieder in unterschiedlichem Tempo mitzuschreien, schien wenigstens einen der drei betrunkenen Wikinger hinter mir zu ermüden: Sein Sitznachbar begann sich lautstark darüber zu beschweren, dass er auf seinem Oberschenkel eingeschlafen sei und er selbst sich nun in seiner Männlichkeit angegriffen fühle. „Der schwult mich an! Mach doch einer was! Kann doch nicht wahr sein, is ja eklig!“ Ich ignorierte das und grinste vor mich hin. Man soll ja nie den Humor verlieren. Immerhin war einer noch in der Lage zu sprechen und das bedeutete, dass ich mir bis jetzt keine Sorgen machen musste, wie ich den schlafenden Germanen aus dem Auto bekommen würde. Nach einigen Kilometern, während derer ich immer wieder auf die Positionen, die der Konzertgeschädigte einnahm, hingewiesen wurde –„Oh nee, jetzt nicht auch noch an die Schulter, du spinnst wohl, Alter!“- nahm ich die Gelegenheit war, die Musik etwas leiser zu drehen. Es schien sowieso keiner mehr den Elan zu haben, mitzugrunzen.
Dann nahm ich einen süßlichen und immer penetranter werdenden Geruch wahr, der mich dazu veranlasste, den Besitzer des Wagens, der netterweise neben mir saß und auch noch wach war, fragend anzusehen. „Ja, ich riechs auch. Das riecht nach“- „Scheiße!! Der hat hier alles vollgekotzt!!“, kam auch schon die Information von hinten. Super, dachte ich mir, das auch noch. Auf Bitten der Autobesitzers fuhr ich auf den nächsten Autobahnparkplatz und hielt an.
Es gelang dem Geläuterten auf der Rückbank seinen Kumpel zu wecken und letzterer begann auch sofort, wenn auch nicht allzu deutlich, zu jammern und zu nölen, dass das ja ganz schön eklig sei. Nachdem er das volle Ausmaß der Situation begriffen hatte, der Fahrzeugeigentümer ihn von draußen anmeckerte, er solle doch mal aussteigen und der Genervte von der letzen Bank ihn in Richtung Tür schob, kletterte er schließlich reichlich unbeholfen aus dem Auto.
Ich drehte mir erst mal eine Zigarette und kurbelte mein Fenster runter. Der Gestank setzte auch mir etwas zu. Mit dem Müll, der noch im Fußraum lag, wurde versucht, das Gröbste aus dem Auto nach draußen zu befördern, während der, dessen Auto nun so stank, den Verursacher der Sauerei darüber in Kenntnis setzte, dass er das Auto am nächsten Tag sauber machen müsse. Und zwar gründlich. Ich rauchte weiter und dachte darüber nach, das dies hier immerhin nicht mein Auto sei. Glück gehabt.
Als wir schließlich weiter fahren konnten, obwohl die Lage hinten nicht besser aussah als vor der improvisierten Reinigung, schlug ich vor, den Vollgekotzten doch am besten erst nach Hause zu fahren und dann erst in unserer Stammkneipe vorbeizuschauen. Keiner widersprach mir.
Daheim angekommen, ließ ich den Entnervten zuerst bei seiner Freundin aussteigen und fuhr dann weiter zum Haus des Stinkenden. Der war nun wach und jammerte darüber, dass man ihn ja nirgendwo mit hin nehmen könne, er würde auch nie wieder mitfahren und versprach, das Auto am nächsten Tag sauber zu machen. Wir konnten ihn beruhigen, so das er endlich ausstieg und ins Haus ging, nicht ohne noch mehrfach zu schwören, nie wieder mitzufahren.
Zu zweit fuhren wir also noch in die Kneipe.
Draußen empfing uns gleich ein stark alkoholisierter Freund, der uns erzählte, es hätte eine Messerstecherei gegeben. Ich konnte das kaum glauben, hier war nie irgendwas passiert. Außer zwischenmenschlichen Dramen natürlich, die fanden hier seltsamer Weise jedes Wochenende statt.
Drinnen saßen nur noch der Wirt und mein Ex. Ich beschloss reinzugehen, um wenigstens Hallo zu sagen, die anderen kamen mit. Der Wirt war ziemlich entnervt und mein Ex, der sich übrigens auch hier in dieser Kneipe von mir getrennt hatte, versuchte gerade ihn zu beruhigen. Offenbar hatte einer der Stammgäste, der nebenbei bemerkt zu der Kategorie von Männern zählte, die ich eingangs erwähnt habe, sich mit ein paar jüngeren Gästen in den Haaren gehabt. Durch reichlich Whiskey um Mut und zusätzliche Aggressivität bereichert, hatte er tatsächlich ein Messer gezogen und wollte seine Ehre verteidigen. Außerdem waren noch einige Gäste abgehauen ohne zu zahlen.
Als die beiden das Gespräch beendet hatten, kam mein Verflossener, mit dem ich ehrlich gesagt nur ein paar Wochen zusammen war, zu mir und erzählte, dass zu allem Überfluss noch eine Bombe geplatzt sei, auf deren Detonation ich ja eigentlich schon eine ganze Weile gewartet hatte: Ein anderer Ex von mir, mit dem ich doch ziemlich lange zusammen war, hatte mit einer Bekannten eine Affäre, die allerdings eigentlich mit jemand anderem zusammen war. Sie konnte oder wollte sich nicht entscheiden und hielt alles geheim, mein Ex ist nicht grad der Geduldigste und hatte sich mit ihrem Freund ohnehin schon zerstritten, viele redeten schon darüber, aber keiner sagte was - das Ergebnis war mir schon lange klar, nur wusste ich nicht wann und wo. Doch, „wo“ war an sich auch klar. Wo sonst wenn nicht in diesem Laden?
Und heute nacht musste es wohl soweit gewesen sein. Nach dem gut gemeinten aber von meinem Ex völlig falsch platzierten Versuch, das ganze in Ruhe zu klären, hatte der Freund dieser Bekannten einen Streit angefangen, indem er seinen Rivalen provozierte. Er wusste zwar dass die beiden sich mochten, aber das da auch schon so einiges gelaufen war, wusste er zu dem Zeitpunkt noch nicht. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, das mein Ehemaliger ein Mann ist, der Auseinandersetzungen nicht unbedingt scheut.
Dieser fand nach einer Reihe von Beleidigungen das es reicht, besser gesagt, ihm platze schlicht der Kragen und er donnerte seinem Kontrahenten vor allen Anwesenden entgegen: „Du willst wissen was Phase ist? Soll ich dir mal sagen was Phase ist? Deine Frau kommt seit zwei Monaten zweimal die Woche zum Vögeln vorbei, das ist Phase!!“ Damit hatte das Gespräch dann wohl eine besorgniserregende Wendung angenommen. Der so Bloßgestellte drohte mit Mord und das nicht nur dem Schuldigen sondern allen, mir seltsamer Weise auch, dabei war ich gar nicht dort zu dem Zeitpunkt. Ich denke, mein Verbrechen bestand darin, mit seinem Todfeind nicht nur liiert gewesen sondern auch immer noch sehr gut befreundet zu sein.
Später erfuhr ich auch, dass er der Ansicht sei, ich sei an allem Schuld. Gut dachte ich mir. Damit wäre auch die Frage geklärt, warum das Auto vollgekotzt war, der Sänger der Band so ein Arschloch ist und das Ozonloch existiert.