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Eine Frage der Geldquelle
"Seht her", rief Peter, als er sein Pausenbrot aus der blauen Plastikbox mit MickeyMouse Motiv hervorholte und es triumphierend gen Himmel streckte. - "Das ist mit Trüffelleberwurst!"
Frank saß neben ihm und zog den Deckel von seinem Joghurtbecher ab.
"Ich habe gar keinen Löffel dabei", stellte er mit trauriger Stimme fest.
"Kipp ihn dir einfach in den Mund, das geht auch. Der Rat ist umsonst." - Peter klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter.
Susanne aß ein Knäckebrot mit Käse und las in ihrem Tagebuch.
"Das soll ich gemacht haben?", fragte sie entsetzt.
"Also", mampfte Peter, während er sein Essen herunterschlang. - "Heute Abend gehen wir zu dem Geisterhaus, wie abgemacht?"
Keiner antwortete ihm.
"Was ist. Habt ihr etwa Schiss?"
Frank schaute auf den Boden und sagte: "Weißt du Peter, wir sollten da nicht hin."
Peter lachte laut. Einige trüffelgekrönte Brotkrümel flogen aus seinem Mund.
"Schisshasen, Schisshasen, Schisshasen!"
"Es ist nur", begann Frank, "Es ist sehr gefährlich. Letzte Woche ist dort noch ... was Schlimmes passiert!"
Peter leckte sich die Leberwurst von den Fingern und stand auf.
"Papperlapapp. Du willst doch nur nicht hin, weil Susanne nicht hin will. Du bist verliebt!"
Erbost stand auch Frank von der Sitzbank auf und unterstrich seine Erbostheit noch, indem er einen Arm in seine Hüfte stemmte. Den anderen benötigte er für den Joghurtbecher. Sonst hätte er den aber auch gestemmt.
"Ist ja gar nicht wahr!"
"Ist ja doch wahr! Frank ist verlieeebt ... Frank ist verlieeeebt!"
Aufgeregt sprang Peter von einem Bein aufs andere.
Susanne klappte ihr Tagebuch zu, strich sich den Rock glatt, zupfte an ihrem Blaiser, stand auf, sah auf die Uhr, und beendete das fröhliche Treiben.
"So, genug jetzt. Ist schon halb eins. Wir müssen zurück ins Büro."
"Ach Mensch", quängelte Peter. - "Ist die Pause schon wieder vorbei?"
Getrübter Laune marschierte das Trio zurück in den gewaltigen, alles überragenden Bau aus Elfenbein.
Es war das Jahr 2100. Das Jahr des Konfuzius; und das des blau lackierten Fahrrads.
In der Eingangshalle stießen riesige Springbrunnen gewaltige Wasserfontänen in die Luft. Ein Streichorchester spielte traurige Musik, Goldstaub rieselte zur Beruhigung von der Decke und ein Offroader sprang gerade durch einen brennenden Reifen, was von müdem Klatschen honoriert wurde.
"Also ... bis heute Abend im Geisterhaus", sagte Peter und ließ Franks Magen verkrampfen.
"Na gut, bis dann", erwiderte dieser mit erzwungener Coolness.
Kurz bevor die Fahrstuhltüren sich vor Peter schlossen, rief er noch schnell: "Und sei nicht so in Susanne verliebt!"
Dann fuhr Peter hinauf in die einhundertachtzigste Etage. Seiner Höhenangst wegen hatte er darauf bestanden, nicht weiter oben einquartiert zu werden.
"Also das ist doch ...", empörte sich Frank und ließ den Joghurtbecher fallen, der sofort von einer Putzkraft beseitigt wurde.
"Ständig muss er mich necken."
Susanne wurde nervös.
"Ich finde mein Septembertagebuch nicht mehr. Es ist ... ganz einfach nicht mehr da."
Sauer schüttelte Frank den Kopf.
"Erstens hörst du mir nicht zu und zweitens haben wir August."
Susanne begann zu weinen.
"Ja eben ... das Tagebuch vom letzten Jahr September. Es ist nicht mehr im Rucksack."
Flehend sah sie ihn an.
"Ein Monat ... ein ganzer verdammter Monat, verstehst du? Ausgelöscht!"
"Ist doch halb so tragisch", versuchte Frank zu beschwichtigen und gleichzeitig kamen in ihm Bilder von seiner Mutter auf. - Ist doch halb so tragisch Frank, dann beziehen wir das Bett eben neu.
Er musste sich unwillkürlich schütteln.
"Werden wir denn heute Abend gehen?", fragte Susanne und zwinkerte.
"Miteinander?", reagierte Frank schlagfertig.
"Zusammen", sagte Susanne.
Eine freudige Träne kullerte Franks Auge hinab und tropfte auf den Boden, wo sie von einer Putzkraft weggewischt wurde.
Dann gab er Susanne einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Mehr traute er sich noch nicht. Sie standen am Anfang ihrer Liebe.
***
Friedhöfe hatte man abgeschafft, nachdem Professor Ringelgard die Existenz von Geistern nachgewiesen und die Langeweile, die sie dort empfanden, in einer Umfrage bestätigt erhalten hatte.
Die Grabsteine waren den Hinterbliebenden per UPS nach Hause geliefert worden, was astronomische Rechnungen nach sich gezogen hatte.
Anschließend hatte man die Stadtfriedhöfe durch kostenpflichtige Parkplätze ersetzt, und auf denen in den Dörfern Eigenheime errichtet.
Heute gab es nur noch Geisterhäuser. Da standen immaterielle Billardtische, ganz echte Flipper und Kickertische (Geister liebten es, an laut klimpernden Dingen herumzuspielen) und gelegentlich wurde auch mal ein Porno gezeigt.
Es begab sich gegen Mitternacht, als das Trio an die Tür des Gebäudes klopfte, das des Sponsors wegen in japanischer Bauweise gehalten war.
Laut knarrend öffnete sich die Tür und gab schwarze, dunkle, finstere, düstere Leere frei.
Peter zog das Fujitsu macht es sichtbar Spray aus seiner Tasche und sprühte gelangweilt in den Innenraum. Sofort erschien eine durchscheinende Gestalt vor ihnen, die gefährlich nah am Boden schwebte. Vermutlich hatte sie bereits einiges intus.
Die Geistergestalt bewegte ihre weiße Lippen, aber nichts war zu hören.
Susanne zog das Sony Dolby Digital 8:3 Hören Spray aus ihrer Tasche und betätigte mehrere Sekunden lang den Auslöser.
Plötzlich schallte und donnerte es von allen Seiten her in bester High Fidelity Qualität.
Geister lachten, schrien vergnügt, plauderten aufgeregt, hatten Spaß.
Es war Frank, der das Wort ergriff.
Er bog sich den krummen Rücken zurecht, grinste, und stellte die alles entscheidende Frage: "Schon GEZahlt?"
Da wurde das Gespenst noch bleicher. Seine Mundwinkel verzogen sich nach unten.
"Hey ... sind das die Nutten?", kam es von hinten.
"Ehm", begann das Gespenst. - "Jetzt haltet doch mal die Klappe da drinnen!"
Peter beugte sich ein Stück nach vorn und versank mit der Nase im Bauch seines Gegenübers.
"Ist das etwa ein Fernseher, den ich da höre?"
Der Geist wich angewidert zurück.
"Aber nicht doch. Wir ... unterhalten uns bloß."
Peter überhörte die Aussage und drehte sich zu Frank und Susanne um, deren Händchen schnell wieder voneinander ließen.
"Also doch verliebt", grinste er.
Die Geräusche verstummten.
Mehrere Geister versammelten sich unschuldig pfeifend im Raum und liefen planlos auf und ab. Einer spielte mit dem Flipperautomaten.
Unaufgefordert betrat Frank den Raum.
"Herrschaften. Hier wird schwarzgesehen."
"Aber nicht doch", beschwichtige das eine Gespenst und hätte abwehrend die Hände hochgehalten, wären da welche gewesen.
"Pah! Und dann noch lügen!"
"Wir haben kein Geld", mischte sich ein anderer Geist ein und raschelte mit seinen Ketten.
"Dann sucht euch gefälligst einen Job!"
"Wie denn, ohne Arme?"
Susanne lachte.
"Ach, aber Flippern, das könnt ihr?"
Ein unangenehmes Schweigen trat ein.
Schließlich flüsterte Frank in Susannes Ohr: "Hör mal, die haben doch mentale Fähigkeiten und so."
Susanne trat einen Schritt zurück.
"Gut, dann lese ich eben in meinem Tagebuch. Ich werde hier ja scheinbar nicht gebraucht."
Frank stolperte zu ihr.
"Hörmal ... so war das nicht ..."
"Liebling, unsere Beziehung hat wohl ihre erste richtige Krise zu überstehen."
Peter hingegen zögerte nicht lange und räumte den gesamten Laden auf. Mit dem Fernsehapparat zwischen den speckigen Armen schritt er nach draußen.
"Das Geld treiben wir ein, da könnt ihr aber sicher sein, und wenn wir es von eurer Hinterbliebenen holen", rief er.
"Scharlatane", kam es hinterher. - "Damit ihr noch mehr Elfenbein verbauen könnt!"
Peter lachte.
"Eben, und damit ich jeden Morgen Trüffelleberwurst auf dem Butterbrot habe."
Zur Verdeutlichung: Die GEZ beherrschte die Welt. Da gab es eine Menge Elfenbein und andere schöne Dinge.
Im Licht der aufgehenden Sonne fuhr das Trio über das mächtige, aus Marmor gefertigte Gelände.
Frank und Susanne stritten noch immer miteinander.