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Eine Frage der Perspektive
"Doch eines sollst du noch wissen."
Derek sah in die kalten, leeren Augen des alten Mannes.
"Was wäre das?"
Die vertrockneten Hände des Greises hingen schlaff herab.
"Mit meinem Tod wird alles schlimmer werden. Diese Welt ist dem Untergang geweiht."
Derek entdeckte den glänzenden Siegelring am Finger der linken Hand.
"Ihr irrt! Denn ich selbst werde das Schicksal Eurer finsteren Seite zu verhindern wissen."
Sämtliches Leben war aus dem Körper des Alten gewichen, und so nahm Derek den Ring mit freudiger Erregheit an sich.
"So soll die Macht in mir weiterleben! Es ist bedauerlich, dass der letzte Atemhauch euch so frei von Qualen entwichen ist, denn Euer Tod hätte grauenvoller sein müssen!"
Er zog sich seinen neuen Besitz an, und spuckte voller Abscheu auf den Leichnahm.
"Vorbei die Zeit des Terrors und der Unterdrückung. Von jetzt an werde ich dieses Reich in Gutmütigkeit regieren!"
Es war gefährlich, länger hier zu bleiben, und er hatte bereits mehr gefunden, als er sich erhofft hatte; denn bei diesem Ring handelte es sich um keine weitere Fälschung.
"Wenn ich nun hinfortschreite, dann tue ich dies von Stolz erfüllt. Nun, wo auch der letzte Magier gestorben ist, werde ich der alleinige König sein."
Auch, wenn er den Ring von einem Toten gestohlen hatte, fühlte er sich nicht als Dieb, denn Leute wie er verdienten es nicht anders.
"Hallo? Wer ist da? Ich habe ein Geräusch gehört, daher ist es sinnlos, sich zu verstecken. Wer lauert da?"
Ein Schatten huschte an Dereks Sichtfeld vorbei, und sein Herz hämmerte.
"Ich habe auf euch gewartet, junger Ritter!"
Eine gewaltige Gestalt baute sich plötzlich vor ihm auf, die ein ebensolches Messer auf ihn gerichtet hielt.
"Bist du eine seiner Wachen? Willst du jämmerlicher Wurm mich etwa aufhalten?"
Obwohl er äußerlich völlig ruhig blieb, machte ihn die innerliche Anspannung fast verrückt. Dann geschah alles ganz schnell.
"Ihr solltet die Eigenschaft dieses Dolches nicht unterschätzen, denn er tötet jeden, der außer meinem Herrn den Siegelring an seinem Finger trägt, und nun nehmt dies."
Derek wollte in einer flinken Bewegung der heranrasenden Waffe ausweichen, doch da grub sich die scharfe Spitze bereits in seinen Bauch.
"Ihr habt mich tatsächlich getroffen. Soll es so zuende gehen? Das ist nicht fair!"
Er hielt sich die stark blutende Wunde, noch immer überrascht von der unvorhergesehen Wendung.
"Und nun, du dummer Ritter, hätte ich gerne den Ring zurück, den du meinem Herrn gestohlen hast."
Der Hühne zog ihm brutal den Ring von seinem Finger, während Derek kraftlos zu Boden ging.
"Ich bedanke mich auf das Herzlichste."
Lautlos verschwand der zweite Dieb des goldenen Rings in der Tiefe der Nacht.
"Welch eine Schmach!"
Derek tat seinen letzten Atemzug, und sah ungläubig in die Richtung, aus der die Gestalt gekommen war.